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Auf den Kopf gestellt

NRW-Landesregierungen haben über drei Jahrzehnte hinweg ihren Investitionsanteil in die Studierendenwerke immer weiter zurückgefahren. Inzwischen zahlen die Studierenden einen großen Teil selbst. Ein eindrückliches Beispiel, wie politische Depriorisierung funktioniert.

ALS ICH DIESE ZAHLEN gelesen habe, war ich erschrocken. 46,2 Millionen Euro steuert das Land Nordrhein-Westfalen dieses Jahr zu den Gesamteinnahmen der Studierendenwerke im größten Bundesland bei. Macht pro Studierenden und Monat 5,41 Euro. Drei Jahrzehnte zuvor, 1994, waren es umgerechnet 38,9 Millionen Euro. Doch was nach einem Anstieg aussieht, ist in Wirklichkeit ein gleich doppelter und noch dazu ein empfindlicher Rückgang. Weil es erstens heute viel mehr Studierende gibt, investiert NRW pro Studierendem und Monat nämlich 15 Prozent weniger. Zweitens hat sich die Kaufkraft seit 1994 fast halbiert. 

 

Über die wichtige, ja zentrale Rolle, die Studierendenwerke in Sachen bezahlbarer Wohnheimplätze, Mensen, Kinderbetreuung, psychologische, finanzielle und soziale Beratung und vieles mehr spielen, muss ich an dieser Stelle wohl nicht reden. Und auch nicht darüber, wie groß der Bedarf einer funktionierenden sozialen Infrastruktur für Studierende ist inmitten einer Wohnungs- und Inflationskrise und nach semesterlanger Onlinelehre in Folge der Corona-Pandemie. 

 

Wer also trägt die nötigen Mehrkosten? Vor allem die Studierenden selbst. Stammten 1994 noch 23,5 Millionen Euro der Studierendenwerk-Einnahmen aus ihren Sozialbeträgen, stieg dieser Betrag bis 2023 nach vorläufigen Berechnungen auf etwa 113,4 Millionen Euro. So hat es die Landesregierung auf eine Anfrage der SPD-Opposition hin mitgeteilt, wie zuerst die Nachrichtenagentur dpa berichtete.

 

Die SPD weist in ihrer Anfrage auf den Koalitionsvertrag von CDU und Grünen von Juni 2022 hin, indem es hieß: "Die Zuschüsse an die Studierendenwerke werden wir in einem ersten Schritt um drei Prozent und danach regelmäßig erhöhen." Im vergangenen Jahr, kritisiert die SPD, habe es allerdings keine Erhöhung der Landeszuschüsse an die Studierendenwerke gegeben.

 

NRW bewegt sich
im Geleitzug

 

Die für Wissenschaft und Finanzen zuständigen Minister betonen derweil in ihrer Antwort ans Parlament, dass NRW mit 12,6 Prozent Finanzierungsanteil an den Studierendenwerks-Gesamteinnahmen immer noch über dem Schnitt aller Bundesländer von 10,4 Prozent liege. Das macht die Entwicklung nicht besser, zeigt aber, dass Nordrhein-Westfalen sich im Geleitzug bewegt.

 

Schaut man in der mitgelieferten Tabelle nach, wie sich die Investitionen in den vergangenen 30 Jahren entwickelt haben, so lassen sich für NRW ein paar deutliche Stufen erkennen. Zwischen 2005 und 2006 gingen die Landeszuschüsse um über acht Millionen Euro von  40,7 auf 32,5 Millionen Euro herunter. Kurz vorher hatte eine CDU-geführte Landesregierung unter Jürgen Rüttgers die Wahl gewonnen, und mit der Einführung von Studiengebühren sank die Studierendenzahl um einen Schlag um zwölf Prozent.

 

Ein kräftiger Sprung der Investitionen nach oben von 33,7 auf 39,5 Millionen folgte zwischen 2010 und 2012. Neue Regierungschefin seit 2010: Hannelore Kraft (SPD), die Studiengebühren wurden abgeschafft, allein zwischen 2010 und 2012 schnellten die Studierendenzahlen um 20 Prozent hoch. Danach fast ein Jahrzehnt kaum Veränderungen – zumindest beim Landeszuschuss. Dafür weitere 20 Prozent (130.000) rauf bei den Studierenden bis 2020. Doch erst zwischen 2020 und 2023 legten zuerst CDU und FDP und dann CDU und Grüne insgesamt 6,4 Millionen pro Jahr (gut 15 Prozent) beim Landeszuschuss für die Studierendenwerke dazu. Beim Auf und Ab der Geldbeträge nicht vergessen sollte man, dass die Inflation in all der Zeit nur eine Richtung kannte: nach oben.

 

Ich möchte an dieser Stelle gar nicht allzu grundsätzlich werden wie neulich, als ich über die seit langem zu beobachtende einseitige Prioritätensetzung der Politik zugunsten der älteren Generation geschrieben habe. Doch zeigt die Entwicklung über 30 Jahre hinweg sehr deutlich, wie eine politische Depriorisierung in kleinen Schritten und ohne den einen lauten Knall funktioniert.

 

Dieser Kommentar erschien in kürzerer Fassung zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.



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Kommentare: 1
  • #1

    Hamburger Jung (Freitag, 05 April 2024 14:09)

    Wie erwähnt liegt NRW mit 12,6% Landesfinanzierungsanteil noch über dem Durchschnitt. In Hamburg waren es im Jahr 2020 nur 6,3%, das macht pro Studi und Monat weniger als 3,80 Euro. Und die Lebenshaltungskosten liegen in Hamburg vermutlich oberhalb der meisten Hochschulstandorte in NRW. Es ist nicht ganz einfach, nur diese Zahlen zu vergleichen, da Investitionen in Gebäude, Infrastruktur oder ins Eigenkapital etc. hinzukommen könnten, die hier nicht abgebildet werden, allerdings gibt der Landeszuschussanteil durchaus einen Hinweis auf die Möglichkeiten der jew. Studierendenwerke, Gastronomie und Mieten auf einem niedrigen Niveau halten zu können. Da Studierendenwerkszuschüsse häufig aus dem Wissenschaftsetat aufzubringen sind (warum nicht in Zuständigkeit der Sozialministerien?), stehen sie im Wettbewerb der Prioritäten mit der Hochschulfinanzierung. Wenn man noch bedenkt, dass die Wohnheime nur einem oft geringen Bruchteil der Studierenden Plätze anbieten können und Mini-Apartements als äußerst lukrative Renditeobjekte in Großstädten gelten, wird die Studienfinanzierung für viele junge Menschen zu einer abschreckenden Herausforderung. Dazu noch die viel kritisierte BAföG-Misere. Wer Bildung als Basis einer Demokratie versteht und den Fachkräftemangel ernst nimmt, kann hier nicht länger wegsehen.