Offen, bis es wehtut?
Das neue Wissenschaftsratspapier zur Wissenschaftssicherheit wurde viel gelobt, dabei dokumentiert es vor allem Verlegenheit und meidet klare Antworten. Ein Gastbeitrag von Petra Gehring.
Petra Gehring ist Professorin für Philosophie an der TU Darmstadt, leitet das Zentrum verantwortungsbewusste Digitalisierung (ZEVEDI) des Landes Hessen und forscht zu Digitalität sowie zur politischen Steuerung des digitalen Wandels. Foto: Claus Völker.
ALS NEULICH DER WISSENSCHAFTSRAT (WR) sein neues Positionspapier "Wissenschaft und Sicherheit in Zeiten weltpolitischer Umbrüche" vorstellte, wurde es überwiegend gelobt. Auch in diesem Blog hat Jan-Martin Wiarda das neu vorgeschlagene nationalen Koordinationsregime vorsichtig-kritisch beleuchtet: Zu den bisher existierenden einschlägigen Anlaufstellen sollen eine "Nationale Plattform für Wissenschaftssicherheit" sowie ein "Strategisches Dialogforum" hinzukommen. Einmal geht es um Beratung und Austausch zur Sicherheit von Wissen, einmal um die Intensivierung von Forschung für den Sicherheitsbereich, die Verteidigung insbesondere. Wie hilfreich sind solche Meta-Foren? Diese Frage sollte man angesichts der Fülle der – durch den WR eindringlich skizzierten Herausforderungen – stellen. Immerhin, so Wiarda, vermeide das Papier Überreaktionen. Im Ganzen nennt er es "klug".
Ich möchte dem zustimmen, gieße nachfolgend jedoch etwas Wasser in den Wein. Meine drei Stichworte lauten: (digitale) Infrastrukturverantwortung, "Offenheit" (von Wissens- und Datenströmen) sowie, ganz konkret, Schutz – insbesondere auf der Ebene von digitaler Überwachung, Wettbewerbsverzerrung und Enteignung.
Digitale Infrastrukturverantwortung
Zwar zählt der WR den digitalen Wandel zu den Treibern der "hohen Unsicherheit" für Wissenschaftssysteme heute. Künstliche Intelligenz berge schwerwiegende Dual-Use-Risiken, die Abhängigkeit von übermächtigen Digitalkonzernen schaffe Sicherheitsprobleme, und in einer Fußnote wird auch Tracking erwähnt. Konkret werden die Gefahren für die Wissenssicherheit in dem Papier jedoch als etwas dargestellt, dem sich in der Wissenschaft tätige Personen fallweise, individuell oder im Dialog mit Kollegen zu erwehren hätten – und auch könnten. Es entsteht das Bild, durch bloße Zurückhaltung (etwa bei Kontakten oder Kooperationen) lasse sich Wissenssicherheit herstellen. Oder umgekehrt: Mittels Risikoeinschätzungen ließe sich etwas, das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher unterlassen hätten, heilen.
Institutionelle Verantwortungsträger finden sich lediglich sehr abstrakt zum Prozessmanagement angehalten und zur Bereitstellung von Informationen. Das mag zureichen, wenn man an die (auch im Papier) immer wieder herbeizitierten chinesischen Gastwissenschaftler denkt. Für Ausgestaltung und Betrieb digitaler Infrastrukturen, auf welche das Forscherhandeln angewiesen ist – ja: in denen die in der Wissenschaft tätigen Personen zappeln wie die Fliege im Netz – passt die Vorstellung vom bloßen Beraten ansonsten frei disponierender Forschender in keiner Weise. Wie wird denn Wissenssicherheit in voll digitalisierten Forschungseinrichtungen wirksam hergestellt, wenn "inhärenter Dual Use" quasi permanent gegeben ist? Doch wohl durch Investitionen in digital souveräne Arbeitsumgebungen. Durch ein Umsteuern bei der Gewichtung von Softwareanforderungen. Ebenso durch der Integrität gemeinsamer Ressourcen dienende Regeln und aktives Change Management. Im Papier findet sich lediglich der laue Rat gebündelt bereitzustellender Informationen hinsichtlich "einer Abhängigkeit von kommerziellen Anbietern" (S. 47). Man kann sich nur wundern, dass der WR die Infrastrukturverantwortung der Forschungseinrichtungen und der Forschungsnetzwerke, auch der Hochschulen bis hin zu den staatlichen Trägern in diesem Punkt nicht klarer adressiert.
"Offenheit"
Wie sich eine wissenschaftspolitisch nach wie vor pauschal geforderte digitale "Offenheit" mit der doppelten Herausforderung vertragen soll, dass Staaten wie auch Digitalkonzerne das deutsche Wissenschaftssystem zunehmend angreifen, "von innen her" (nämlich über die minütlich erzeugten Datenspuren) ausspionieren und berauben, macht der WR ebenfalls nicht im Ansatz klar. Die Rede ist von "unerwünschten Wissensabfluss" (Seite 24). Dass dieser – und zwar insbesondere digital – ubiquitär stattfindet, räumt der WR ein.
Wenn als Konsequenz lediglich in zwei Absätzen festgehalten wird, dass eine Open Science Policy nicht einen völlig freien Fluss von Wissen und Daten bedeutet, bleibt das unbefriedigend. Statt Klarheit zu schaffen, wird lediglich betont, man müsse die Formel "so offen wie möglich, so geschlossen wie nötig" – etwa im Sinne der NFDI – noch einmal reflektieren. Ziel sei es, sich künftig darauf zu verständigen, was es bedeutet, kontrolliert und gemanagt offen vorzugehen (Seit 69). Doch wer so argumentiert, lässt die Leser mit offenen Fragen zurück. Wer soll sich hier verständigen? Wer hat das Mandat, im Wege einer neuen Policy umzusteuern? Lässt man auch hier wieder die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allein? Und soll die Wendung 'kontrolliert und gemanagt offen' nun der neue Formelkompromiss hinter dem ansonsten unveränderten Mantra "Open Science" sein?
Schutz
Damit zum dritten Punkt, bei dem ich nun anders als bisher nicht einen Überhang an Individualverantwortung sehe, sondern den Bezug zur individuell in der Wissenschaft tätigen Person vermisse. Ich meine konkrete Schutzpflichten. Im WR-Papier ist von "Schutz" im Zusammenhang mit der Wissenschaftsfreiheit, der Integrität des Systems sowie der freiheitlich demokratischen Grundordnung die Rede – all das gelte es zu schützen. Richtig! Was ist aber mit dem konkreten Arbeitsplatz? Haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht auch einen Anspruch darauf, dass ihre Einrichtungen ihnen trackingfreie Datenarbeit, vor Verzerrungen geschützte Publikationskanäle und im Zweifel Rechtsschutz gegen Druck von außen, einschließlich unlauterer Verwertung ihrer Verhaltensdaten, bieten?
Was den Mangel an sicheren Arbeitsbedingungen für Forschende anbelangt, regt das WR-Papier an, eine Anzahl „sicherer Innovation Hubs“ einzurichten; hier soll es dann Abwehrmaßnahmen an Rechnerinfrastrukturen, Datensicherheit, Maßnahmen zur Erkennung von Datenmanipulation etc. geben. Die Frage liegt auf der Hand: Bedarf es dergleichen – wenn Dual Use praktisch überall gegeben ist – nicht wissenschaftsweit? Und ab wann sind die Verhältnisse vor Ort derart schlecht geschützt, dass das Resilienzgebot nicht länger an eigenverantwortliche Wissenschaftler herunterdelegiert werden kann, sondern gleichsam von unten her eingeklagt werden sollte?
Oft heißt es, "Freiheit" und "Sicherheit" seien Gegensätze, zwischen denen man abwägen müsse – ein politischer Allgemeinplatz, der zwar eingängig klingt, aber zu kurz greift. Im Bereich des digitalen Arbeitens gilt das Gegenteil: Eine wirklich wirksame Absicherung digitaler Frei- und Handlungsräume bedeutet heute nicht weniger, sondern mehr Freiheit. Hier fallen Sicherheit und Freiheit unmittelbar zusammen.
Insgesamt bleibt der WR mit seinen Erwägungen auf halber Strecke stehen. Einleuchtend sind vor allem die diagnostischen Passagen. Danach aber scheint man sich vor allem um diplomatische Begriffsverschiebungen (gefühlte Minenfelder?) zu bemühen. Die Appelle bleiben ungerichtet, gelten quasi den Staatsbürgern in uns allen. Gefordert ist Urteilsbildung – aber eben kaum mehr, weshalb die Forderung diffus bleiben muss. Neben der Sorge um Wissenschaftsfreiheit steht gleichrangig die wiederkehrende Beteuerung, man wolle keineswegs mehr Bürokratie.
An seine eigenen, noch gar nicht so alten Empfehlungen für Sicherheit und Souveränität im digitalen Raum vom Oktober 2023 – in Flughöhe und Ansagen deutlich griffiger – knüpft das neue Papier kaum an. Und wenngleich einleitend in bewundernswerter Kleinarbeit Sicherheitssemantiken ganz unterschiedlicher Provenienz miteinander verwoben werden: im Grunde kann die beste Begriffsarbeit in Sachen Sicherheit Äpfel und Birnen nicht verbinden. Vielleicht bleiben auch deshalb die Empfehlungen und vorgeschlagenen Maßnahmen so blass.
Das Papier behandelt disparate Themen. Denn was haben der Schutz der Integrität von wissenschaftlicher Wissensproduktion und -zirkulation (gern nun "Wissenssicherheit" genannt) und die gewiss derzeit ebenfalls gebotene Intensivierung der Sicherheits- und Verteidigungs-Forschung (Überdenken von Zivilklauseln einschließlich) überhaupt miteinander zu tun? Fast könnte meinen, der WR habe "Wissenssicherheit" nur vorne draufgeklebt – damit niemand merkt, dass es ihm im Kern um etwas weitaus Brisanteres geht: sein energisches Plädoyer für mehr Verteidigungsforschung in der ganzen Breite von System und Fächern.
Kommentare
#1 - zum Teil schwer verständlich
Es tut mir leid, aber ich finde den vorliegenden Beitrag zum Teil schwer verständlich.
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