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Survival statt Struktur

Die Tenure-Track-Professur soll Perspektiven schaffen, stattdessen verschleiert sie das Fehlen echter Reformen. Ein Gastbeitrag von Mathias Kuhnt.
Von wegen teurer

Mathias Kuhnt ist Soziologe und Postdoc an der TU Dresden im Bereich Hochschulforschung und Soziale Netzwerkanalyse. Foto: privat.

EIGENTLICH STAND SIE IM MITTELPUNKT – die Tenure-Track-Professur. Doch wer Mitte Mai nach Berlin gekommen war, um in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften die Tenure-Track-Tagung 2025 zu besuchen, die zweite ihrer Art, merkte schnell: Die Debatte ging anders als bei der Vorgängerveranstaltung vor fünf Jahren längst über die Frage hinaus, wie sich die Professur auf Probe besser gestalten lässt.

Organisiert von den Universitäten Jena und Freiburg in Kooperation mit GermanU15 und UniWiND/GUAT, wurde erfreulicherweise die gesamte Situation des wissenschaftlichen Personals vor und neben der Professur in den Blick genommen – begleitet von einer offenen Diskussion mit dem Publikum. Wobei diese Diskussion noch bereichernder hätte sein können, wäre das Publikum diverser zusammengesetzt gewesen. Doch die 15 promovierten Wissenschaftler:innen ohne Professur, die zu Wort kamen, wurden lediglich über mehrere Videoeinspieler eingebunden, die bei einem Workshop zwei Wochen zuvor entstanden waren. Es waren Einspieler, die geeignet waren, die Stimmung etwas zu trüben.

Jetta Frost, Vizepräsidentin der Universität Hamburg, brachte früh ein Leitmotiv auf den Punkt: Das Survivalmodell deutscher Universitäten – mit dem das deutsche System im Ausland gelabelt wird – müsse überwunden und durch mehr Verlässlichkeit ersetzt werden. Ein Befund, der im Raum kaum Widerspruch fand. Gerade angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation sei es überfällig, Strategien zu entwickeln, um wissenschaftliches Personal gezielt zu holen, zu fördern – und zu halten.

Das Wissenschaftsratspapier, auf das alle warten

Seit Längerem wird daher auf das neue Empfehlungspapier des Wissenschaftsrats zu wissenschaftlichen Personalstrukturen gewartet. Doch Birgit Spinath, Vorsitzende des Ausschusses Tertiäre Bildung, musste ankündigen: Die Veröffentlichung wird sich nun leider bis Juli verzögern.  Ob das Papier den gordischen Knoten zu lösen vermag, der sich seit der vorerst gescheiterten Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes um die Debatte gelegt hat, darf bezweifelt werden. Zu befürchten ist, dass es das gleiche Schicksal erleidet wie schon das Empfehlungspapier aus dem Jahr 2014 – das an seiner Aktualität nichts eingebüßt hat.

Immerhin war auf der Veranstaltung spürbar: Die wiederholten Forderungen nach besseren Perspektiven und mehr Dauerstellen werden inzwischen nahezu einhellig geteilt. Und auch die einst gern zitierten Gegenargumente – von angeblich verstopften Strukturen bis hin zu angeblich unbezahlbaren Mehrkosten – scheinen kaum noch Widerhall zu finden.

Gleichzeitig mehren sich Zweifel, ob die vielfach geforderte "Ausdifferenzierung wissenschaftlicher Positionen" tatsächlich ein Ausweg ist. Neue Stellenprofile entstehen oft dort, wo man zwar entfristen will, die Position aber gezielt von klassischer wissenschaftlicher Arbeit abgrenzt. Wer sich darüber hinaus in einem Umfeld fragmentierter Karrierepfade für einen bestimmten Weg entscheidet, verbaut sich womöglich ungewollt andere Optionen, lautete eine der häufigen Mahnungen – nicht zuletzt mit Blick auf die internationale Anschlussfähigkeit deutscher Karrierepfade.

Jetta Frost berichtete konkret aus Hamburg, wo – ähnlich wie in Bremen – neben klassischen Tenure-Track-Professuren auch solche mit dem Ziel dauerhafter Lecturer- oder Researcherpositionen eingeführt wurden. Doch auch hier bleibt es bei freiwilligen Insellösungen, die im System nur marginal vertreten sind. Und Jetta Frosts Optimismus zum Trotz: Die Evaluation des Bundesprogramms für den wissenschaftlichen Nachwuchs (WISNA) lässt bislang nicht erkennen, dass die Universitäten Tenure-Track-Professuren in nennenswertem Umfang über die geförderten Stellen hinaus etablieren werden.

Die eigene Logik unterlaufen

Zudem unterläuft die Tenure-Track-Professur in ihrer gegenwärtigen Form ihre eigene Logik: Die Erfolgsquoten bei den Evaluationen liegen bei nahezu 100 Prozent. Offenbar sind Universitäten sehr wohl in der Lage, bereits vor einem aufwendigen und personalintensiven Verfahren fundierte Verstetigungsentscheidungen zu treffen. Amrei Bahr, Mitinitatorin von "#IchBinHanna", schlug daher zugespitzt vor, den Tenure-Track am besten gleich ganz wieder abzuschaffen.

Sicherlich spielen für eine Überwindung des Survivalmodells auch Fragen der akademischen Kultur eine wichtige Rolle, allerdings erntete Michael Bölker, Vorstandsvorsitzender von UniWiND, deutlichen Widerspruch mit der These, ein Wandel sei längst im Gange und es bedürfe daher kaum weiterer regulatorischer Eingriffe. Auch wenn auf der Tagung vielleicht ein oft angesprochenes "Momentum" zu spüren war, verbindliche Reformvorschläge, die sich auf die gesamte Personalstruktur beziehen, stehen nach wie vor aus.

Ein Teilerfolg immerhin: Der Frauenanteil bei Tenure-Track-Professuren liegt inzwischen bei etwa 50 Prozent. Doch dieser Fortschritt, so wurde betont, beruht auch auf dem Druck der Fördergeber. Die tieferliegenden strukturellen Ungleichheiten bleiben aber bestehen – insbesondere bei der Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Und auch Wissenschaftler:innen mit nichtakademischem Hintergrund oder mit Behinderungen sind weiterhin strukturell benachteiligt.

Zum Abschluss setzte Melanie Fritscher-Fehr aus Freiburg einen wichtigen Impuls: Es gehe nicht allein um zufriedeneres Personal, sondern auch um die Interessen der Hochschulen selbst. Daraufhin herrschte schnell Einigkeit: Beide Perspektiven stehen nicht im Widerspruch. Im Gegenteil: sie führen zu den gleichen Schlussfolgerungen. Der Abbau von Dysfunktionalitäten in der Personalstruktur liegt im ureigenen Interesse der Wissenschaftler:innen wie der Universitäten.

Kommentare

#1 -

Berliner Uni | Di., 10.06.2025 - 15:34

Dem Artikel möchte ich in zwei Punkten widersprechen

- "angeblich verstopften Strukturen bis hin zu angeblich unbezahlbaren Mehrkosten". Diese Probleme sind nach wie vor ungelöst - ohne mehr Geld gibt es nicht mehr Stellen, und jede Stelle kann nur einmal besetzt werden. Mir ist keine Widerlegung dieser einfachen Gesetzmäßigkeiten bekannt. Es will nur niemand mehr hören, weshalb es auch nicht mehr opportun ist, es zu äußern.

- "Universitäten sehr wohl in der Lage, bereits vor einem aufwendigen und personalintensiven Verfahren fundierte Verstetigungsentscheidungen zu treffen" ist ein Fehlschluss. Die TT Verfahren führen nicht zu 100% zum Erfolg, weil alle Kandidat*innen so gut sind - sondern weil deutsches Beamtenrecht es faktisch unmöglich macht, einen Tenure nicht zu vergeben. Daher versuchen die Kommissionen das erst gar nicht. Und das wird vermutlich auch der Grund ein, warum es wenige TT Stellen gibt - die angebliche Auswahlmöglichkeit nach drei Jahren ist eine Illusion, weshalb viele Fakultäten doch lieber "normal" ausschreiben und die Kandidat*innen suchen, die ihre Qualifikation schön länger bewiesen haben - statt jemanden, der erst kurz PostDoc war.

 

Beste Grüße,

#1.1 -

Andreas Drotloff | Mi., 11.06.2025 - 10:08

Antwort auf von Berliner Uni (nicht überprüft)

"Diese Probleme sind nach wie vor ungelöst - ohne mehr Geld gibt es nicht mehr Stellen, und jede Stelle kann nur einmal besetzt werden. Mir ist keine Widerlegung dieser einfachen Gesetzmäßigkeiten bekannt."

Jede Stelle kann nur einmal besetzt werden, das ist richtig. Aber das Bild der "Systemverstopfung" impliziert fälschlicherweise, dass sich Wissenschaftler*innen auf diesen Stellen ausruhen und damit dem Wissenschaftssystem als Ganzes schaden würden, wenn sie nicht mehr prekär befristet beschäftigt werden. Ich halte viel mehr das Gegenteil für wahrscheinlich:

Wissenschaftler*innen in sicheren Arbeitsverhältnissen können sich stärker auf ihre Kernaufgaben in Forschung und Lehre konzentrieren und ihre - offensichtlich vorhandene - Motivation für wissenschaftliches Arbeiten sinnvoller einsetzen.

Die Fluktuation zwischen Hochschulen, Forschungsinstituten und der freien Wirtschaft wird hoch bleiben, getrieben vom intrinsischen Wunsch nach beruflicher Weiterentwicklung und dem Erreichen von Karrierezielen. Aber die Bewegung wird individuell nach den Vorstellungen der einzelnen Wissenschaftler*innen passieren, und nicht erzwungen durch das System.

Für Absolvent*innen ergibt sich nach dem Studium ein klares Bild, wie die Erfolgsaussichten auf eine Karriere in der Wissenschaft sind. Wo diese Aussichten zu gering sind, werden sie andere Wege einschlagen - ohne sich vorher in prekären Verhältnissen aufzureiben und die eigene Zukunft und mentale Gesundheit aufs Spiel zu setzen.

Was es dafür braucht, ist Vertrauen in die Wissenschaftler*innen, die wir haben, statt einer "fear of missing out" in der nächsten Generation. Denn durch das System, wie es momentan ist, verliert die deutsche Wissenschaft bereits in großem Maß herausragende Wissenschaftler*innen, die dazu regelmäßig einen hohen persönlichen Preis zahlen.

#1.1.1 -

Berliner Uni | Mi., 11.06.2025 - 15:43

Antwort auf von Andreas Drotloff (nicht überprüft)

Vielen Dank für Ihre Antwort. Dazu möchte ich vier Gedanken äussern:

Der Begriff der „Verstopfung“ (den ich unsäglich finde und auch nicht verwendet habe) meint nicht primär, dass das Wissenschaftssystem mit mehr Dauerstellen an Qualität verliert – er meint in erster Linie, dass die dann auf Dauer besetzten Stellen für Doktorandinnen nicht mehr zur Verfügung stehen, also viel weniger Nachwuchs eine Chance hat, mal wissenschaftlich zu arbeiten. Auf einer Dauerstelle, die z.B. 30 Jahre lang besetzt ist, könnten (bei ~4 Jahren Promotionsdauer) sonst sieben Doktorandinnen promovieren. Für die ist der Weg dann aber „verstopft“.

Ob es der Qualität des Gesamtsystems zuträglich ist, mehr Dauerstellen zu haben, ist eine meiner Meinung nach eine kaum zu beantwortende Frage. Mehr erfahrene Wissenschaftler*innen bringen mehr Kontinuität und weniger Einarbeitungszeiten; aber die meisten sehr guten Ideen haben die meisten Menschen eher in den ersten Jahren ihrer Karriere. Meine persönlichen Erfahrungen mit verdauerten Wissenschaftler*innen an Unis sind größtenteils negativ (Dienst nach Vorschrift, 20 Jahre alte Vorlesungsfolien, letztes Paper 10 Jahre her), aber die Stichprobe ist nicht sehr gross

„Die Fluktuation wird … hoch bleiben“. Können Sie irgendwie belegen, dass die Fluktuation hoch ist (um hoch zu bleiben)? Die fänd‘ ich sehr interessant. Im meinem Umfeld gibt es diese Fluktuation praktisch nicht. Als Postdoc hat man E13, auch ausseruniversitär ist nur E14 drin – aber jeder Wechsel bringt eine hochnotpeinliche Prüfung der Erfahrungsstufen, was schnell zu Einkommensverlusten führt. Ich sehe eher sehr geringe Motivationen, weil es auf Dauerstellen ab ca. 40 faktisch kaum noch Karriereoptionen gibt – was ein schwerer Mangel des Systems ist, den der Ruf nach mehr Dauerstellen aber nicht ändert.

„Wo diese Aussichten zu gering sind, werden sie andere Wege einschlagen“. Ich verstehe diese Aussage nicht. Gerade aktuell sind doch die Aussichten schlecht – alle wissen es, Sie schreiben es selber. Warum wählen dann ihrer Meinung nach immer noch so viele erwachsene, selbstverantwortliche Menschen den Weg in die „prekären Arbeitsverhältnisse“? Was soll sich hier verbessern, wenn es schlicht viel weniger Stellen gibt?

Beste Grüße

#2 -

Leif Johannsen | Fr., 13.06.2025 - 10:16

@Berliner Uni: "aber die meisten sehr guten Ideen haben die meisten Menschen eher in den ersten Jahren ihrer Karriere. Meine persönlichen Erfahrungen mit verdauerten Wissenschaftler*innen an Unis sind größtenteils negativ (Dienst nach Vorschrift, 20 Jahre alte Vorlesungsfolien, letztes Paper 10 Jahre her), aber die Stichprobe ist nicht sehr gross"

Fuer die (meines Erachtens aus der Luft gegriffenen) Behauptung, sehr gute Ideen wuerden eher in fruehen Karrierephasen generiert, haette ich gerne einen empirischen Nachweis. Und bitte keine Anekdoten aus den Biographien wissenschaftlicher Riesen (Einstein und Co.) von anno dazumal. Ich persoenlich waere mit derlei generalisierenden Aussagen sehr vorsichtig, da dann doch etwas Altersdiskriminierung und Vorurteile (die Alten seien nicht offen fuer neue Ansaetze) mitschwingt.

Und was den zweiten Punkt betrifft: ja, wie gross ist denn Ihre Stichprobe? Was heisst den "Dienst nach Vorschrift" aus Ihrer subjektiven Sicht? Und macht es die Verwaltung anders, arbeiten die nicht "nach Vorschrift"? Ich denke es ist eine ziemliche Frechheit, von Wissenschaftler_innen mehr Flexibilitaet, Einsatz etc. zu verlangen, als man/frau in der Verwaltung bzw. Fuehrung einer Uni/Hochschule selbst zu zeigen bereit ist (Stichwort: complex responsive processes).

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