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Die große Sprachlosigkeit

Wie der Wissenschaftsjournalismus seine Rolle verliert – und warum das Jubiläum des Pakts für Forschung und Innovation dafür ein bezeichnendes Beispiel ist. Ein Gastbeitrag von Manfred Ronzheimer.
Ein leerer Raum mit Kinobestuhlung, Bühne und Rednerpult.

Illustration KI-generiert.

DER DEUTSCHE WISSENSCHAFTSJOURNALISMUS steckt in einer Krise – und ein zentraler Teil dieser Krise ist, dass er sie nicht wahrhaben will. Von Lösungen ganz zu schweigen. Weil Journalistinnen und Journalisten es gern konkret haben und um Theoretisiererei einen Bogen machen, eignet sich das 20-jährige Bestehen des Pakts für Forschung und Innovation (PFI), das vergangene Woche mit einer offiziellen Festveranstaltung in Berlin begangen wurde, als exemplarisches Beispiel.

Es beginnt damit, dass an dieser Veranstaltung kaum Journalist:innen teilnahmen: Ich, ein, zwei weitere Kolleginnen – und sonst? Niemand? (Korrektur: Die Moderatorin auf der Bühne war ebenfalls Journalistin.) Das wäre eine bemerkenswert schlechte Quote für den deutschen Wissenschaftsjournalismus – bei einem Thema von solcher Tragweite.

Lag es an der späten Einladung der Veranstalter? Die traf erst am Vortag ein, von der GWK und dem BMFTR. Das führt zum zweiten Manko: Die Bedürfnisse der Presse werden von forschungspolitischen Instanzen zunehmend ignoriert. Auch das Ministerium hatte in dieser Woche keinen Kalender veröffentlicht – wohl, weil viele Termine der neuen Ministerin kurzfristig vergeben wurden: ein Besuch bei der HRK, ein Auftritt beim CDU-Wirtschaftsrat, dann ein Forschungsschiff, vor allem für das Steuerrad-Foto, dazu der Computerspielpreis. Doch der PFI-Termin stand längst fest.

Auslaufmodell mit Folgen

Das dritte Manko ist das gravierendste – und eines, das ich seit Jahren beklage: der Verlust der Pressekonferenz. Dieses für die journalistische Arbeit so wichtige Format, bei dem Wissenschaftler und Politiker Journalisten direkt gegenüber sitzen und sich ihren Fragen stellen, wurde in den 2010er Jahren durch eine doppelte Zangenbewegung zum Auslaufmodell: Die Organisationen boten immer weniger Pressekonferenzen an, und die Journalisten nahmen immer seltener teil. (Beispiel aus der vergangenen Woche: die PK des Wissenschaftsrats – mit gerade einmal vier zugeschalteten Journalisten (Video hier)

Gerade am PFI zeigt sich die Bedeutung einer Pressekonferenz: Die Jubiläumsveranstaltung war auf Selbstlob ausgelegt: was gelungen ist, wie stark man sei. Die Schokoladenseite eben – wie wir sie von Geburtstagsreden kennen. Kritik? Wäre nur Wasser im Wein. Doch wo sollen kritische Einschätzungen und Debatten stattfinden, wenn nicht hier? Wenn man nicht in einer Welt aus Fake News und Selbsttäuschung leben will, braucht es einen Ort dafür. Und dieser Ort ist – oder war – die Pressekonferenz.

Ein solcher Termin hätte stattfinden müssen, zwei oder drei Tage vor der Feier, vielleicht auch 14 Tage vorher als Hintergrundgespräch. Die GWK hätte ihn vorbereiten können: Wer spricht für Bund und Länder? Welche Wissenschaftler vertreten die großen Forschungsorganisationen? Die Pressemappe hätte Diagramme enthalten müssen – zur Finanzierung seit 2005, zu Fortschritten bei den Zielvereinbarungen, zur stagnierenden Zahl an Ausgründungen und Patenten, zur Frauenquote. Dazu ein Ausblick: Pakt-Forum, Indikatoren, mögliche Aufnahme der DAFG in den PFI. All das in 60 oder 75 Minuten – und hinaus damit in die Medienwelt.

Früher war das normal. Ich habe viele solcher Pressekonferenzen erlebt. Heute erscheint es wie ein utopischer Rückblick. Keiner will es. Keiner macht es. Wirklich?

Glanz statt Kritik

Zurück zum Missverhältnis, in dem wir stecken: Die Spitzen der deutschen Forschung nehmen Reisezeit und Aufwand auf sich, um zwei Stunden lang an einer Glanzveranstaltung teilzunehmen – mit journalistischer Moderation. Natürlich wissen sie, dass die Welt komplizierter ist, dass der PFI auch Probleme kennt. Sie sprechen intern darüber – doch diese andere Seite bleibt der Öffentlichkeit verborgen. Für die "Schokoladenseite" wird Zeit eingeplant, für das "Schwarzbrot" der Pressekonferenz nicht. Das ist eine ungesunde mediale Ernährung.

Man muss es klar sagen: Im Koalitionsvertrag heißt es: "Die DAFG soll perspektivisch in den PFI aufgenommen werden." Und doch: Kein Wort dazu auf der Veranstaltung. Nicht von der Ministerin, nicht von ihrem Staatssekretär. Was für eine Debatte hätte daraus entstehen können, wenn sich die Spitzen der Forschung offen zur Anwendungsforschungsgemeinschaft und zum Thema Transfer geäußert hätten!

Das vierte Manko betrifft die mangelnde Innovationsfähigkeit des Wissenschaftsjournalismus. Ihm gelingen zu wenig Neuerungen aus eigener Kraft. Gemeint ist die fehlende Bereitschaft, neue kollektive Formen der Reflexion und Kooperation aufseiten der Journalist:innen zu entwickeln. Als Negativbeispiel dieser Innovationsschwäche kann man ein Positivbeispiel gegenüberstellen: den Bildungs- und Wissenschaftsblog von Jan-Martin Wiarda, der ebenfalls ein Jubiläum feiert: zehn Jahre. Nirgendwo sonst wurde so fundiert und kritisch über den PFI berichtet.

Fehlende Innovation, fehlende Nachfrage

Doch es fehlt an Resonanz: Keine Anschlussdebatten, keine breite mediale Diskussion. (Hier wäre später die Berichterstattung zur Fördermittel-Affäre um Ex-BMBf-Chefin Bettina Stark-Watzinger im Jahr 2024 zu analysieren. Jetzt nicht.) Was es bräuchte, wäre das, wofür der Wissenschaftsrat in dieser Woche in anderem Zusammenhang die Begriffe "Innovation Hub" und "Synthesezentrum" vorschlug: Orte, Themen, Personen-Cluster, die Informationen bündeln und weiterentwickeln. Einen solchen Hub wünsche ich mir für den Wissenschaftsjournalismus.

Vielleicht ließe sich das Science Media Center als Keimzelle dafür denken. Doch dort steht die Vernetzung der Wissenschaft im Vordergrund – die journalistische Zusammenarbeit hingegen bleibt nachrangig, oft reduziert auf Verwertungslogik, nicht auf gemeinsames Nachdenken.

Auf das fünfte Manko – die mangelnde gesellschaftliche Nachfrage nach Wissenschaftsjournalismus – will ich hier nicht ausführlich eingehen. Es spielt dennoch eine zentrale Rolle. Es wird angeführt, wenn es heißt, solcher Journalismus sei nicht finanzierbar: zu wenig Klicks, sterbende Zeitungen. Das ist Teil der großen Medientransformation, der Bildung medialer Silos und einer gespaltenen Gesellschaft. Auch mangelnde "Science Literacy" spielt hinein – doch das betrifft schon die Wissenschaftskommunikation. Ein Thema für ein andermal.

Manfred Ronzheimer ist freier Innovationsjournalist in Berlin.

Kommentare

#1 -

Christoph Drösser | Do., 22.05.2025 - 06:26
Vielleicht liegt hier ein Missverständnis vor: Was Sie beklagen, ist nicht zuwenig Wissenschaftsjournalismus, sondern zuwenig Wissenschaftspolitikjournalismus. Ersterer berichtet (hoffentlich kritisch) über das, was in der Wissenschaft geschieht, letzterer über die Institutionen und PolitikerInnen, die Wissenschaft fördern (oder nicht). Die Wissenschaft ist die Schokolade, die Politik das Schwarzbrot – und damit reißt man tatsächlich nicht viele LeserInnen und HörerInnen vom Hocker. Das heißt nicht, dass die Berichterstattung nicht wichtig wäre, sie ist aber noch mehr Minderheitenprogramm als der eigentliche Wissenschaftsjournalismus. Das war aber auch schon immer so.

#2 -

Woodstein | Do., 22.05.2025 - 10:24
@König @Drösser Die Frage ist doch, was hier das Ei ist und was die Henne. Wird schlecht berichtet, weil sich nur eine kleine Minderheit interessiert? Oder interessiert sich nur eine kleine Minderheit, weil schlecht (d.h. unkritisch) berichtet wird? Als ausnahmsweise einmal ein Skandal in der Wissenschaft nicht unter den Teppich gekehrt, sondern kritisch ausgeleuchtet wurde, nämlich die Amtsführung des Herrn Neugebauer @ Fraunhofer, schafften es die Meldungen auch in die WiWo und andere auflagenstärkere Medien. Diese Thematik ist nicht beschränkt auf die Wissenschaft. Generell regierungsfreundlich Medien wie die Süddeutsche verlieren seit Jahren Auflage, während Tichys Einblick und andere kritisch berichtende "Alternativmedien" immer mehr Zuspruch bekommen.

#3 -

Gerald Wagner | Do., 22.05.2025 - 15:25
Lieber Herr Ronzheimer, ich währe auch gerne zu der Veranstaltung gekommen, aber ich habe auch erst am Vormittag davon erfahren. Das ist eine gelinde gesagt suboptimale Pressearbeit. So kann man auch als freier Journalist nicht arbeiten. Beste Grüße, G. Wagner

#4 -

Auslandsdeutscher | Sa., 24.05.2025 - 13:24
Lieber Herr Ronzheimer, eigentlich schätze ich Ihren Journalismus sehr. Aber dieser Beitrag gehört leider nicht zu Ihren stärksten. So sieht investigativer Innovationsjournalismus aus: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/applied-ai-die-probleme-der-ki-initiative-von-klatten-und-schwarz-110492750.html Ich habe nicht den Eindruck, daß der Kollege Sachse sich von fehlenden Pressekonferenzen hat abschrecken lassen.

#5 -

Hermann H. Dieter | Fr., 30.05.2025 - 01:50
Wissenschaftsjournalisten (m/w/d), die nur als Popularisierer und neuer Erkenntnisse und so als Propaganden gesellschaftlich auch kritisch hinterfragbarer Institutionen agieren, machen sich letztlich überflüssig. Was wir statt ihrer bräuchten, wären einer oder viele Joseph Weizenbaums der MINT-Fächer. Das wären Wissensvermittler, die ihre Themen nicht nur wissenschaftlich durchschauen, sondern auch eines oder mehrere aktiv beforscht haben. Nur solche Personen können die gesellschaftlichen Folgen gegenwärtiger und kommender (erwünschter?) Ergebnisse, sowie die dahinter stehenden Institutionen und Strukturen, unabhängig von finanziellen Zwängen/Sorgen ohne Zuhilfenahme bunter Pressemappen kritisch unter die Lupe nehmen und durchleuchten.

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