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Wer die Wissenschaft schützen will, muss die AfD verbieten

Die Angriffe auf Universitäten in den USA sind ein Warnsignal. Während deutsche Forschungsorganisationen noch Solidaritätsbekundungen formulieren, bläst die AfD zu ihrem eigenen Feldzug gegen die freie Wissenschaft. Zeit zum Handeln. Ein Gastbeitrag von Andreas Fischer-Lescano.
Porträt von Andreas Fischer-Lescano, auf einem Sofa sitzend, die Arme auf die Knie gestützt.

Andreas Fischer-Lescano ist Rechtswissenschaftler, Professor für "Just Transitions" an der Universität Kassel und Richter am Bremischen Staatsgerichtshof. Foto: Matej Meza.

IN DER VERGANGENEN WOCHE hat das US-Heimatschutzministerium bekanntgegeben, der Harvard-Universität künftig die Genehmigung zur Aufnahme internationaler Studierender zu entziehen – ein weiterer Exzess der Wissenschaftsfeindlichkeit in den USA. Er führt der Welt die vom Rechtsextremismus ausgehende Gefahr für die Wissenschaftsfreiheit vor Augen. Es ist höchste Zeit, dass sich deutsche Wissenschaftsinstitutionen nicht nur mit Solidaritätsbekundungen an die USA wenden, sondern sich auch gegen die wachsende Bedrohung für Wissenschaft und Demokratie in Deutschland positionieren.

Wissenschaftsfeindlichkeit

Nach der Streichung von Forschungsgeldern, den Angriffen auf Diversitätsprogramme und dem Versuch, harte Sanktionen gegen Gaza-kritische Proteste auf dem Campus durchzusetzen, ist der Stopp des internationalen Studierendenaustauschs durch die Trump-Regierung die jüngste Eskalation einer Politik der systematischen Untergrabung der Wissenschaftsfreiheit.

So skandalös diese Maßnahmen sind, überraschend kommen sie nicht: Der heutige US-Vizepräsident J.D. Vance gab schon 2021 zu Protokoll: "Die Professoren sind der Feind." Die Wissenschaft sei ein Hindernis, das es politisch zu bekämpfen gelte: "Wenn wir die Dinge tun wollen, die wir tun wollen, dann müssen wir die Universitäten in diesem Land offen und aggressiv attackieren." Auch Donald Trump hat aus seiner Wissenschaftsfeindlichkeit nie einen Hehl gemacht. Corona – eine Erfindung der Virologen. Der Klimawandel – geschichtlich nichts Besonderes. Der angebliche Genozid an Weißen in Südafrika – "belegt" durch Bilder aus dem Kongo. Ins Clowneske verzerrte Postfaktizität paart sich mit einer Ideologie der Ungleichheit, die intersektionale Diskriminierung leugnet.

Naiv, wer das für ein Problem jenseits des Atlantiks hält. Was Trump will, wollen europäische Rechtsextreme allemal. An Beispielen fehlt es nicht. Orbans Akademiegesetz, der zur "Trachten- und Brauchtumskunde" verkommene Wissenschaftsbegriff im geleakten Koalitions-Protokoll der gescheiterten Verhandlungen von FPÖ und ÖVP – immer ist es das gleiche, inversive Skript: Unter dem Deckmantel vermeintlicher De-Ideologisierung und De-Politisierung nimmt rechtsextreme Politik die Universitäten an die ideologisch-politische Kandare. Überpolitisierung im Namen der Depolitisierung ist das Programm, mit dem die Wissenschaft nach rechtsextremer Façon umgeformt wird.

Die Akteure machen dabei keinen Hehl aus ihren Vorstellungen. Für Deutschland genügt ein Blick ins AfD-Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2025, um zu wissen, was auf die Wissenschaft zukommt, wenn die AfD im Bund und in den Ländern weiter an Macht gewinnt. Als unwissenschaftlich denunziert die AfD die sogenannten "Agendawissenschaften" (Wahlprogramm, S. 163), die sie auch in einem Bundestagsantrag aus der letzten Legislaturperiode ins Visier nahm und zu denen sie "die Postcolonial Studies, Disability Studies, Critical Whiteness Studies, Fat Studies, Queer Studies und vor allem auch die Gender Studies" zählt (BT-Drs. 20/7565, S. 6). "Wir schmeißen diese Professoren raus" – brüllt Alice Weidel, eine deutsche J.D. Vance, auf dem Parteitag in Riesa im Januar 2025, auf dem sie zur Kanzlerkandidatin gekürt wurde.

Das alles ist nur die Spitze des Eisbergs der Politisierung der Wissenschaft. Die Suada der AfD gegen "ideologiegeleitete Wissenschaft" greift über die geisteswissenschaftlichen Fakultäten hinaus. Das Wahlprogramm fordert zuverlässigere Impfstoffüberprüfungen, in den Ländern ätzt die AfD gegen Nachhaltigkeitswissenschaften ("globalisierte Gleichschaltung") und gegen die Solarforschung am Fraunhofer-Institut ("Unseriösität"). Die unverhohlenen Drohungen der AfD richten sich damit nicht nur gegen die Universitäten, sondern schließen auch außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ein. So sieht sie politischen De-Politisierungsbedarf "beispielsweise bei den Fraunhofer- und Max-Planck-Instituten" (S. 164).

Die Inversionsbewegung der Politisierung im Namen der De-Politisierung ist leicht durchschaubar. Ja, es gibt aktivistische Exzesse in den von der AfD aufs Korn genommenen Wissenschaftsbereichen. Doch nicht Parteipolitik, sondern wissenschaftliche Selbstkontrolle, wissenschaftliche Methoden und wissenschaftliche Reputationsmechanismen sind die Mittel der wissenschaftlichen Qualitätssicherung. Wenn sich Parteipolitik anmaßt, diese Funktion zu übernehmen, usurpiert sie den wissenschaftlichen Raum – sie politisiert unter dem Banner der Depolitisierung.

Resilienzverantwortung

Man ist leicht geneigt, die rechtsextreme Wissenschaftsfeindlichkeit in ihrer Gefährlichkeit zu unterschätzen. Die entsetzliche Dummheit, die aus den inhaltlichen Forderungen spricht; die sich ständig selbst entlarvende Lächerlichkeit; die durch ewiggestrigen Staub bedeckte Gedankenarmut dieser Programme – das alles ist wissenschaftlich nicht satisfaktionsfähig.

Doch ehe wir uns versehen, werden die deutschen Wissenschaftsinstitutionen in die gleichen Kämpfe wie Harvard verwickelt sein. Wie dort ist auch hier den Rechtsextremen nicht nur die universitäre Ausrichtung, sondern besonders die Internationalität von Wissenschaft und Studierendenschaft ein Dorn im Auge. So forderte die AfD in Sachsen etwa zur Landtagswahl 2024 wie auch im Bund "angemessene" Studiengebühren für Studierende aus dem Ausland. Als Lehr- und Wissenschaftssprache müsse Deutsch bewahrt werden (Landtagswahlprogramm 2024, S. 24) – in manchen Bereichen eine Garantie zur wissenschaftlichen Selbstverzwergung durch internationalen Anschlussverlust.

Wer auch nur einen Zweifel hat, dass die Rechtsextremen ernst machen werden, schaue nach Harvard und mache sich bewusst: Die Angriffe auf die Wissenschaft fügen sich ein in ein rechtsextremes Gesamtprojekt, das demokratisch-rechtsstaatliche Grundprinzipien schleift. Rechtsextreme Kräfte zielen auf die Abschaffung menschenwürdebasierter Gleichheit, auf die Abschaffung von Demokratie, Rechtsstaat und unabhängiger Wissenschaft. Sie wollen eine gleichgeschaltete Medienlandschaft, setzen auf menschenrechtswidrige Ausgrenzungspolitiken, auf Gewalt gegen Minderheiten, auf Manipulation und Korruption.

Spätestens seitdem der Verfassungsschutz die AfD als "gesichert rechtsextrem" eingestuft hat, ist ein Punkt erreicht, an dem auch die deutsche Wissenschaft aufgerufen ist, sich ihre Verwundbarkeit einzugestehen und daraus die nötigen Schlüsse zu ziehen. Wehrhaftigkeit und Resilienz von Wissenschaft und Demokratie sind in Deutschland keine Selbstverständlichkeit mehr.

Erstens wird es darum gehen, das Binnenrecht der Institutionen so zu konkretisieren, dass – wie beispielsweise an der TU Cottbus – klare Handlungskonzepte für den Umgang mit Rechtsextremen geschaffen werden. Die Institutionen werden sich dafür rüsten müssen, ihren Schutzpflichten gegenüber Personen in vulnerablen Konstellationen nachkommen zu können. Alle zwölf Minuten kommt es in Deutschland zu einer rechtsextremen Straftat. Wissenschaft muss diese Gewalt, die über Bedrohungsnetzwerke in alle gesellschaftlichen Kapillaren und damit auch an die Universitäten ausstrahlt, benennen und sich vor die Betroffenen stellen.

Zweitens ist es darum zu tun, die Mechanismen zu identifizieren, die der Rechtsextremismus für seine Attacken auf die Wissenschaft nutzt – das Finanzrecht, das Hausrecht, das Recht des öffentlichen Dienstes, aber auch die Regelungen zur Besetzung zentraler Positionen in Hochschulräten und dem Wissenschaftsrat. In Bund und Ländern gilt es, Maßnahmen zur Sicherung der Resilienz der Universitäten zu ergreifen.

Drittens ist die Zeit reif, dass sich die Institutionen der Wissenschaft ihrer Verantwortung für den Schutz der Demokratie als solcher vergewissern. Die HRK hat in ihrer Empfehlung zur Hochschulkommunikation als strategischer Aufgabe 2022 festgestellt, dass die Wissenschaft "aufgrund ihres öffentlichen Auftrags der Gesellschaft und ihrer demokratischen Verfasstheit verpflichtet" ist. Daraus folge, dass sich Wissenschaft "an ihrer Verantwortung gegenüber der demokratischen Gesellschaft" orientieren müsse. Damit formuliert die HRK zu Recht eine sich aus der Verfassung ergebende Verantwortung für die Demokratie als solche. Dem steht – das Deutsche Institut für Menschenrechte hat die Verfassungsrechtslage in einer Publikation aus dem Jahr 2019 zutreffend herausgearbeitet – auch kein Neutralitätsgebot entgegen. Denn wenn Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde in Gefahr sind, sind öffentliche Institutionen zur Verteidigung verpflichtet. Das ist ihre verfassungsrechtliche Resilienzverantwortung.

Konzertierte Aktion

Wissenschaft darf daher zum grassierenden Rechtsextremismus nicht schweigen. Sie muss die menschen-, demokratie-, rechtsstaats- und wissenschaftsverachtende Politik des Rechtsextremismus beim Namen nennen. Sie muss sich in die Debatte um das dringend gebotene AfD-Verbotsverfahren einmischen; ja, sie sollte sich an die Spitze einer konzertierten gesellschaftlichen Aktion zum Schutz der Demokratie setzen – eines Bündnisses, das Schulen und Hochschulen, Gewerkschaften, Betriebe und Kirchen sowie all die anderen gesellschaftlichen Institutionen umfasst, die die AfD mit ihren sogenannten metapolitischen Strategien trojanischer Institutioneninfiltration in Angst und Schrecken versetzt.

Die Politik allein wird den Rechtsextremismus nicht wegregieren können, und sie allein wird auch das Verbotsverfahren nicht zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Das wird nur mit gesellschaftlicher – und vor allem wissenschaftlicher – Unterstützung gelingen.

Wissenschaft: Sapere aude, incipe!

Kommentare

#1 -

Franka Listersen | Di., 27.05.2025 - 11:01
Auf diesen engagierten Beitrag würde ich gerne eine Gegenrede lesen. Es wird doch gerne von "Unsere-Demokratie"-Kämpfern die Vielfalt, Debatte und freie (nicht nur linker) Meinungsäußerung beschworen - also bitte, man gebe auch "rechten" Stimmen Platz zur Positionierung!

#2 -

Joachim Datko | Di., 27.05.2025 - 11:36
1) Die AfD ist eine verantwortungsbewusste, libertäre Partei der Bildungs- und Leistungsgesellschaft. Sie hatte innerhalb weniger Jahre mit Dr. Lucke und Dr. Meuthen zwei Professoren an der Parteispitze. Zurzeit hat sie mit dem Handwerksmeister Chrupalla und der Asienkennerin Dr. Weidel (Japan, Singapur, China) auch intelligente und fleißige Parteivorsitzende. Keine andere deutsche Partei kann auch nur annähernd mithalten. 2) Die repräsentative Demokratie an sich kennt keine Parteiverbote. Wer eine Partei verbieten will, ist antidemokratisch. Deutschland wäre nach einem Verbot der AfD keine repräsentative Demokratie, sondern eine Parteiendiktatur. 3) In der sozialistischen DDR gab es die Einheitspartei SED. Die DDR war eine Parteiendiktatur. ## Joachim Datko – Physiker, Philosoph – Regensburg – AfD-Stammwähler

#3 -

Jan-Martin Wiarda | Di., 27.05.2025 - 11:54
@ Franka Listersen: Solange es sich um eine sauber argumentierte Widerrede aus dem rechten demokratischen Spektrum handelt, die die verfassungsfeindlichen Positionen innerhalb der AfD nicht negiert, hat auch diese unter den Gastbeiträgen in diesem Blog ihren Platz.

#4 -

Wolfgang Kühnel | Di., 27.05.2025 - 13:04
Die "freie Wissenschaft", das klingt immer gut. Davon halten Trump und Vance gewiss nicht viel, sie greifen politisch ein und zwar auf eine bis dahin unbekannte plumpe Art und Weise. In Harvard wurde schon mal Porzellan zerschlagen. Aber man darf doch nicht übersehen, dass auch alle anderen Regierungen in die Wissenschaft eingegriffen haben, zumindest in der Weise, dass politische Ziele plötzlich zu Wissenschaften ernannt wurden, einfach indem Professuren dafür geschaffen wurden, nicht aus den Universitäten heraus, sondern durch Einwirkung von außen. Ein Beispiel ist die schulische Inklusion, die nach ihrer Einführung (!) dann mit Professuren für "inklusive Bildung" abgesichert werden sollte. Als Effekt der Sache ist gewiss auch beabsichtigt, dass dann hinterher das jeweilige politische Ziel als "wissenschaftlich untermauert" und damit als "gerechtfertigt" bezeichnet werden kann. Der Autor weiß das bestens, er hat eine Professur für "just transition" inne. Und eine Dokumentation des Bundestages https://www.bundestag.de/resource/blob/877614/8c0e9bc860ee800c90b9eaeeaa52666b/WD-2-079-21-pdf.pdf erläutert, was das ist: "Just Transition bezeichnet den sozialverträglich (engl.: just) gestalteten Übergang (engl.: transition) zu einer nachhaltigen Wirtschaft, insbesondere im Kontext der Bewältigung des anthropogenen Klimawandels. Wird der Begriff übersetzt, so zumeist als „gerechter Übergang“. [...] Just Transition ist im weitesten Sinne Bestandteil einer umfassenden Umwelt- und Klimapolitik. Das Konzept entstammt ursprünglich der internationalen Gewerkschaftsbewegung. Es umfasst arbeitsmarkt-, industrie-, umwelt- und sozialpolitische Aspekte. [...] Im Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP wird ein gerechter Übergang als solcher nicht wortwörtlich erwähnt, es ist aber ersichtlich, dass er als Konzept eine wichtige Rolle in den Plänen der Koalition für ihre Wirtschafts- und Klimapolitik spielt und die von ihr angestrebte Transformation der Wirtschaft der Bundesrepublik flankieren soll." M.a.W.: Ein politisches Ziel wird zu einer Wissenschaft, und später kann sich die Politik auf eben diese Wissenschaft berufen. So ähnlich ist das auch bei der "Bildungsgerechtigkeit" durch das "längere gemeinsame Lernen", bei "Gender Studies" usw. In USA sprach man von "the scientific research basis for NCLB (no child left behind)", einem politischen Ziel der Bush-Regierung. Mir scheint, die (berechtigte) Kritik am Vorgehen von Trump richtet sich nicht gegen politischen Einfluss auf die Wissenschaft schlechthin, sondern gegen einen "falschen" politischen Einfluss. Zu fragen wäre in diesem Zusammenhang aber doch, ob über Wissenschaft demokratisch abgestimmt werden soll oder wie eine "freie Wissenschaft" zustande kommt. Hat jede Partei dann ihre eigene Wissenschaft? "Rechte" und "linke" Wissenschaft? Wie "frei" ist denn das, was von Wahlen und Koalitionsverträgen abhängt?

#5 -

Kaktus | Di., 27.05.2025 - 14:36
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, dass ich den Eindruck habe, dass es auch fuer Minderheiten in der Wissenschaft aktuell gefährlich wird. Weisse Männer verdrängen Minderheiten (PoV, Frauen etc). Es wird einfach toleriert. Es gibt keine Compliance, keine Qualitaetskontrolle. Dieses Verhalten beobachte ich mit Sorge, denn es begleitet den Rechtsruck in der Wissenschaft. Als Minderheit kann man sich nicht dagegen wehren, denn man wird als Querulant beschimpft, man wird zum Schweigen gebracht. Dieses Verhalten schwappt nun auch mit Problemen aus den USA nach Europa. Aktuell behauptet die DFG, sie sei fuer Gleichberechtigung und Diversitaet. Aber das stimmt nicht. Es werden immer noch Minderheiten mit fragwuerdigen Methoden aus der Wissenschaft herausgedrängt. Es gibt immer wieder Reports zum Thema Machtmissbrauch, zum Beispiel bei Max-Planck . Es passiert einfach nichts. Ich sehe Gleichberechtigung, Diversitaet als gute Verteidigung gegen den Rechtsruck in der Gesellschaft, aber in der Wissenschaft passiert zu wenig dafuer. "Minderheiten", die sich dem System angepasst haben, zaehlen natuerlich nicht.

#6 -

Gerald Larzeck | Mi., 28.05.2025 - 07:40
Mir scheint, daß bisher dem Anliegen des Autors zu wenig Unterstützung zukommt. Wenn wir nicht aufpassen, wiederholen sich die Dinge zum Ende der Weimarer Republik. Wir hatten diese braune Scheiße schon einmal. Da hilft es auch nicht, wenn man sie mit Pseudo-Argumenten blau lackiert.

#7 -

Sirika | Mi., 28.05.2025 - 13:34
@Wolfgang Kühnel: mir greift hier die schnelle Verbindung im Sinne von "ein politisches Ziel wird zur Wissenschaft" zu kurz. Dies negiert, dass Politik ja immer aus der Gesellschaft heraus entsteht und entsprechend auch gesellschaftsrelevante wissenschaftliche Aspekte in die Politikgestaltung mit einfließen. Wären gerade die Gesellschaftwissenschaften blind für soziale Entwicklungen und rein auf den theoretischen Diskurs beschränkt, blieben sie wertlos. Zuletzt steht das (von Fischer-Lescano nicht eingebrachte) Argument, dass diverse Teams bessere Forschungsergebnisse liefern, da sie Sachverhalte aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten und einordnen.

#8 -

Hajo Zeller | Mi., 28.05.2025 - 14:47
Mit Verlaub Herr Fischer-Lescano, wie naiv muss man sein, um nicht zu sehen, dass die Politisierung der Wissenschaft, die Sie den „Rechten“ vorwerfen, auch in der Bundesrepublik längst stattfindet. Fragen Sie doch mal Frau Guerot oder Herrn Ganteför, wer derzeit die Freiheit der Wissenschaft in Deutschland bedroht. Die AfD ist es sicherlich nicht. Dazu hat sie derzeit gar nicht die Möglichkeit. Das größte Problem sind in meine Augen diejenigen, welche die undemokratischen, autoritären und präfaschistischen Methoden praktizieren, die sie anderen Menschen unterstellen. Ingar Solty hat dieses Phänomen in seinem Stück für die Berliner Zeitung »Die „Innere Zeitenwende“ oder Wie das liberale Establishment schon heute die Geschäfte der AfD betreibt« für den Bereich Friedenspolitik beschrieben. Ob SPD oder Grüne: Die Gesellschaft wird rhetorisch derart nach rechts geschoben, dass die AfD nur frohlocken kann. Leider gibt es viele politische Bereiche für die Gleiches gilt. Causa Corona, Cancel Culture, Oberflächentemperatur der Erde, Verschwörungspraktiken, Verfassungsschutz, NSU-Komplex, WHO, WEF, und, und, und. Wer übrigens glaubt, aus dem Inhalt dieses Kommentars eine Nähe zur AfD ableiten zu können irrt. Und zwar gewaltig.

#10 -

Ralf Meyer | Mi., 28.05.2025 - 17:48
@4: Die genannten Beispiele für politisch beeinflusste Wissenschaft überzeugen mich gar nicht. Immer dann, wenn es einen großen Bedarf an Forschung in einem Bereich gibt, wird diese Forschung ausgebaut. Manchmal wird das auch vom Staat zusätzlich gefördert und damit beschleunigt. Das allein bedeutet aber noch keinen politischen Einfluss auf die Forschung. Derzeit wird zum Beispiel sehr viel in Forschung zu Machine Learning ("KI") investiert, auch der Staat fördert das massiv. Als Deutschland eine UN-Richtlinie zum inklusiven Unterricht umsetzen musste, gab es einen offensichtlichen Bedarf, angehende Lehrkräfte darauf vorzubereiten. Die Erkenntnis, dass Klimaschutz nur gelingen kann, wenn die Maßnahmen sozial abgefedert werden, wurde schon durch wissenschaftliche Studien bestätigt, bevor die "just transition" die Politik erreichte, etwa in der Präambel des Pariser Klimaschutzabkommens. Die letzten Jahrzehnte haben auch eindringlich gezeigt, dass fehlender politischer und gesellschaftlicher Rückhalt und nicht fehlende Technik die Klimawende ausbremsen. Es liegt also nahe, Forschung in diesem Bereich zu verstärken. Einflussnahme ist dann problematisch, wenn sie die Forschungsergebnisse verfälscht oder missliebige Ergebnisse geheim hält und so Politik und Gesellschaft in die Irre führt. Das sehe ich bei keinem der genannten Beispiele.

#12 -

Wolfgang Kühnel | Do., 29.05.2025 - 00:32
Zu #7: Natürlich ist richtig, dass "gesellschaftsrelevante wissenschaftliche Aspekte in die Politikgestaltung mit einfließen", oder jedenfalls sollte das so sein. Einverstanden. Aber mir ging es darum, dass -- 1. politische Ziele hastig zu neuen Wissenschaften erklärt werden, dass man Forschungs-Institute und Professuren dafür schafft, obwohl es noch gar keine "wissenschaftliche Infrastruktur" dafür gibt. Daraus resultiert dann der spöttische Spruch von den "Schwatz- oder Gesinnungswissenschaften". -- 2. bei bestehenden Wissenschaften die Politik die Möglichkeit hat, finanziell das eine massiv zu fördern und anderes austrocknen zu lassen, ohne triftige Begründungen dafür angeben zu müssen. Man denke an die vielen Millionen aus dem BMBF für eine empirische Bildungswissenschaft. -- 3. darüber hinaus die Politik die Möglichkeit hat, sich die "Experten", auf die sie sich beruft, nach undurchsichtigen Kriterien auszuwählen, besonders dann, wenn die Wissenschaftler sich untereinander eben NICHT einig sind, siehe hier: https://condorcet.ch/2024/12/akzeptanzbeschaffung/ Bei bestimmten Themen hat auch jede Partei ihre jeweiligen "Experten", die dann verkünden, dass die Meinung der jeweilige Partei genau die ist, die wissenschaftlich fundiert ist. Der Autor des obigen Artikels bestätigt das indirekt (und vermutlich ungewollt) mit seiner durchaus zutreffenden Formulierung: "Doch nicht Parteipolitik, sondern wissen-schaftliche Selbstkontrolle, wissenschaftliche Methoden und wissenschaftliche Reputations-mechanismen sind die Mittel der wissen-schaftlichen Qualitätssicherung. Wenn sich Parteipolitik anmaßt, diese Funktion zu übernehmen, usurpiert sie den wissenschaftlichen Raum – sie politisiert unter dem Banner der Depolitisierung." Wohlan, dies sollte in den Büros ALLER Politiker eingerahmt und auffällig aufgehängt werden, nicht nur bei den Rechten, sondern auch bei den Linken!

#13 -

Django | Do., 29.05.2025 - 11:54
@ #12: Thema des Kommentars sind Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit bzw. auf die Wissenschaft selbst und nicht Probleme oder Versäumnisse an den Hochschulen; was Sie mit "Ausgewogenheit" meinen, ist Whataboutism. Wenn Sie einen Kommentar zu Antisemitismus und Rassismus in Harvard (warum eigentlich nur Harvard?) vermissen: Der Betreiber dieses Blogs ist durchaus offen für Gastbeiträge, versuchen Sie es doch mal. Abgesehen davon: Antisemtismus und Rassismus in Harvard (wenn man Trumps Vorwurf der mangelnden Fürsorge für jüdische Studierende so übersetzen darf) rechtfertigen nicht die Attacke auf das Wissenschaftssystem als solches und stellen bloß, dass die jüdischen Studierenden dem US-Präsidenten genauso schnuppe sind wie die zivilen Opfer in Gaza; er benutzt sie für seine Ziele.

#14 -

Laubeiter | Fr., 30.05.2025 - 12:22
Wie grundsätzlich wollen wir hier werden? In USA steht viel auf dem Spiel, wenn seit diesem Jahr Coronaleugner, die in Deutschland eher auf Querdenkerdemos und -webseiten beschränkt sind, über die Vergabe von Steuergeldern entscheiden. Ich denke, das Argument, die AfD verbieten zu wollen, bezieht sich weniger auf den Wunsch, deren strategisches oder spontanes Lügen über Wissenschaft loswerden zu wollen - der AfD nachzuweisen, wo sie falsch liegt, gelingt ja stabil; der Grund für ein Verbot bezieht sich mehr auf die Aussicht, dass AfD-Politiker, die Gefahren der Coronapandemie, Gefahren des Klimawandels, Gefahren der Benachteiligung von Minderheiten abstreiten, demnächst über die Vergabe von Steuermitteln an die Wissenschaft entscheiden könnten.

#15 -

McFischer | Mo., 02.06.2025 - 17:42
Richtiger und wichtiger Beitrag! "Wenn sich Parteipolitik anmaßt, diese Funktion [der wiss. Selbstkontrolle] zu übernehmen, usurpiert sie den wissenschaftlichen Raum – sie politisiert unter dem Banner der Depolitisierung." Einige der Beiträge hier bestätigen in ihrer Kritik am Autor genau das Gesagte: die Wissenschaft wäre ja jetzt links/woke etc., da müsse auch das Pendel mal wieder nach rechts/konservativ etc. ausschlagen dürfen. Auf dieser Ebene kann Wissenschaft nicht funktionieren! Es muss immer um wissenschaftliche Standards gehen. Dazu gehört die Öffentlichkeitspflicht von Forschung, die Freiheit der Lehre, die akademische Selbstverwaltung an den Hochschulen usw. Das ist der Rahmen - und hier gibt es immer wieder Bewegungen, zwischen links und rechts, zwischen Theorieschulen, zwischen Forschungsmitteln. Aber dies muss (weitgehend) innerhalb des Systems selbstregulierend geschehen. Die "Gender-Studies" sind hier ein gutes Beispiel: Es mag sein, dass es irgendwann dieses Forschungsfeld nicht mehr gibt, weil es durch ein anderes abgelöst wurde, zunehmend kritisch gesehen wurde oder ganz einfach durch-erforscht ist. Das alles ist wissenschaftliche Erkenntnis! Es kann in der Diskussion natürlich auch nicht um politik-freie Wissenschaft gehen. Es gibt natürlich immer auch äußere Steuerung, durch Leistungsvereinbarungen von Ministerien mit Hochschulen (wie viele Studierende in welchen Studiengänge), durch Drittmittelförderung, durch Akkreditierung usw. Das ist auch legitim, diesen Rahmen zu setzen (und darüber zu streiten), aber die Freiheit von Forschung und Lehre muss hiervon unberührt bleiben. Harvard steht hier für eine Menetekel: Es geht der Trump-Regierung überhaupt nicht um Diversität, Meinungsfreiheit oder Antisemitismus - es ist reiner Hass auf eine Wissenschaft, die sich gegen Populismus als Welterzählung stellt - vermutlich gepaart mit persönlichen Eitelkeiten.

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