Wer das Problem Lehrermangel lösen will, muss das Problem Lehramtsstudium lösen
Fast die Hälfte der Lehramtsstudenten geht in der Ausbildung an den Universitäten verloren, zeigt eine Analyse. Woraus folgt: Es braucht nicht nur mehr, es braucht vor allem bessere Studienplätze für Lehrer.
Foto: Martin Kraft, CC BY-SA 3.0.
DIE AHNUNGSLOSIGKEIT vieler Universitäten ist atemberaubend. Inmitten des größten Lehrermangels seit Jahrzehnten können sie oft nicht sagen, wie viele ihrer Lehramt-Studienanfänger bis zum Abschluss kommen – geschweige denn, warum sie zu welchem Zeitpunkt entscheiden, doch nicht Lehrer zu werden.
Der Stifterverband spricht von einer "großen Forschungs- und Datenlücke", die es zu füllen gelte, "denn nur auf Basis belastbarer Befunde können bildungspolitische Maßnahmen ergriffen werden, die letztendlich einen Bildungsnotstand verhindern."
Vielleicht wollen viele Verantwortliche in Hochschulen und Politik es auch gar nicht so genau wissen, denn die wenigen bekannten Zahlen sind atemberaubend. In so seltener wie beispielhafter Transparenz haben Bildungsforscher der Universität Rostock im Auftrag der Landesregierung ermittelt, dass je nach Schulform, Schulfach und Uni zwischen 20 und 83 Prozent der Lehramtsstudierenden in Mecklenburg-Vorpommern zwischendrin verloren gingen – besonders groß sei die Schwundquote ausgerechnet in den MINT-Fächern.
Der Stifterverband zeigt nun mit seinem erstmals recherchierten "Lehrkräftetrichter", dass die Rostocker Zahlen im Trend liegen dürften. Von jährlich 52.500 Studienanfängern bundesweit erreichten 29.400 das Referendariat – das dann immerhin die meisten durchhielten. Am Ende des Trichters kommen maximal 28.300 fertige Lehrer raus – der Rest, rund 46 Prozent, geht andere Wege.
Einen ähnlichen Schwund gebe es auch in den Fachwissenschaften, betont der Stifterverband, doch hätten die zur Kompensation einen Zustrom von Wechslern aus anderen Fächern. Aus einem Nicht-Lehramtsfach in ein höheres Lehramts Fachsemester hineinzuwechseln, sei dagegen schwierig.
Gelänge es, den Schwund zu halbieren, wäre der Lehrermangel rechnerisch erledigt
Natürlich liefert der "Lehrkräftetrichter" nur ungefähre, ja behelfsmäßige Berechnungen, aber sie zeigen: Wer das Problem Lehrermangel lösen will, muss vor allem das Problem Lehramtsstudium lösen. Durch eine bessere Betreuung der Studierenden, eine andere Studienorganisation und womöglich – was angesichts der Personalnot erstmal absurd klingen mag – durch passende Eignungsfeststellungsverfahren. Man stelle sich vor, mit solchen Mitteln ließe sich die Schwundquote halbieren. 12.000 zusätzliche Lehrer pro Jahr wären die Folge. Und der Lehrermangel – rechnerisch –erledigt.
Was praktisch natürlich nicht so ist, denn der Mangel ist ja jetzt da – und die Schulen müssen jetzt umgehen mit dem, was sich in der Lehrerbildung über Jahrzehnte an Versäumnissen aufgebaut hat – kombiniert mit der ebenso lange verfehlten Bedarfsplanung vieler Kultusminister. Also: Ja, es braucht mehr Studienplätze für Lehrer. Vor allem aber braucht es bessere Studienplätze für Lehrer.
Auch die Kultusminister wissen das. Es ist ihnen oft genug gesagt worden, etwa von ihrer Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK). Und ebenso, dass zu der anderen Studienorganisation neue Zugänge erst im Master, Ein-Fach-Lehramtsabschlüsse und eine andere Verschränkung von Theorie und Schulpraxis gehören sollten. Was nebenbei dazu führen würde, dass die Ausbildung von Quereinsteigern regulärer – und von der Qualität her gedachter – Teil der Lehrerbildung würde.
Tatsächlich beschwören die Minister nach Jahren des Zögerns inzwischen ihre Reformbereitschaft – spätestens nach dem umfangreichen Gutachten, das die SWK Ende des Jahres vorlegen will. Doch der Lehrkräftetrichter des Stifterverbandes macht deutlich wie nie: Die wichtigste Reform wären verlässliche und transparente Daten. In allen Bundesländern.
Dieser Kommentar erschien zuerst in leicht gekürzter Fassung in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.
Kommentare
#1 - Die Zahl erscheint hoch, aber wie ist der Vergleich mit…
#2 - Viel ist derzeit davon die Rede, die Menge derjenigen zu…
Gerade letzter Punkt dürfte jeden, der in den letzten Jahren Schulen von innen erlebt hat, doch skeptisch stimmen. Denn aktuell ist die Lage doch so, dass der Lehrberuf nicht etwa tendenziell immer attraktiver, sondern auf potentielle Studienanfänger immer abschreckender wirkt.
Wer sich die Härten eines entsprechenden Studiums zutraut, wird sich, heute mehr denn je, für eine Branche entscheiden, die hinsichtlich der harten Eckdaten mehr verspricht: mehr Einkommen, mehr Vermögensperspektiven, mehr Aufstiegsschancen, mehr Macht, mehr Prestige.
Lehrer wird nicht, wer genauso gut Ingenieur werden könnte. Nicht bei den massiven Reallohnverlusten, die das Lehramt in den letzten zwei, drei Jahrzehnten in Relation zu qualifikationsgleichen Berufen in der freien Wirtschaft hinnehmen musste.
Lehrerin wird nicht, wer genauso gut ein Jurastudium inkl. Promotion hinlegen kann und entschlossen ist, mit Mitte 40 Abteilungsleiter mit B-Besoldung zu sein. Nicht, solange eine Schulleiterin ein vielfaches der Verantwortung zu schultern und de facto nie Feierabend hat.
Viel ist davon die Rede, mal wieder, »von Finnland« müsse man lernen. Denn, wie jeder seit PISA weiß, die machen das nämlich so, dass dort »nur die Besten Lehrer werden«. Keine Ahnung, wie die das machen, und auch nicht, warum wir das nicht machen, oder warum wir das überhaupt machen müssten. Aber *machen* tun wir es nicht, sondern wir tun das Gegenteil. Es packt einen das kalte Grausen, wenn man sieht, mit welchen Bildungsdefiziten die jüngeren Jahrgänge der fertig ausgebildeten Kollegen hier in den Schulen an den Start gehen. Das fängt bei sprachlich verhunzten Arbeitsblättern und vor Fehlern und Stilblüten strotzender Mails nicht an, und hört nicht auf bei den grundlegendsten Elementen allgemeinen Weltwissens. Neulich musste ich mit anhören, wie eine Kollegin (1. und 2. Staatsexamen, einige Jahre Berufserfahrung) ihrer Klasse erzählte, im Nationalsozialismus hätte die deutschen Muslime quasi dasseble Schicksal ereilt wie die Juden. Das Problem reicht hinein bis in Gefilde, bei denen man sich fragt, ob nicht vielen Schülern langsam besser damit geholfen wäre, der Schule fernzubleiben, als sich dem auszusetzen, was man ihnen dort zumutet.
#3 - Noch mehr für die Beratung und Betreuung der Studierenden…
#4 - Im Lehramt gilt das WissZVG genauso wie in allen anderen…
Die Folgen:
i) Befristetes Personal (80-90% der Wiss. Mitarbeiter sind befristet). - Gute Lehre braucht aber gute Arbeitsbedingungen.
ii) Trotz Befristung lehren die meisten WiMis in der Lehramtsausbildung auf Hochdeputatsstellen (bei uns 11 LVS pro Semester). - Gute Lehre braucht aber gute Betreuungsrelationen.
iii) Das Lehrpersonal besteht fast ausschließlich aus Berufsanfängern. (Docs&Postdocs): Denn wer nach max. 6+6 Jahren keine Professur bekommt, fliegt aufgrund des WissZVG (und in Ermangelung alternativer Karrierewege zur Professur) raus. - Gute Lehre braucht aber erfahrenes Personal.
iv) Für eine erfolgreiche Bewerbung auf eine Professur zählt Lehrerfahrung kaum; wer auf einer Haushaltsstelle seine Zeit mit Lehre "verschwendet", verliert den Anschluss im Publikations- und Drittmittelkampf für die Professurbewerbung. Gute Lehre braucht Anerkennung.
v) Problem Personalgewinnung: Wer gibt nach dem Referendariat eine Verbeamtung an der Schule (A13, unbefristet, 1000€ mehr netto, Pensionsanspruch) für eine Doktorandenstelle an der Hochschule auf (befristet, E13, 1000 € weniger netto, Karriereschluss nach 6+6 Jahren)? - Nur vergleichbare Arbeitsbedingungen können die klügsten Köpfe in die Hochschullehre locken.
vi) Länder und Unis sehen das Lehramt nur als "Ausbildung": Oft arbeiten in der sog. Lehramtsausbildung auch abgeordnete Schullehrkräfte oder es werden wenige unbefristete Höchstdeputatsstellen (14 - 18 LVS) geschaffen, auf denen nur gelehrt werden kann und soll, weil keine Zeit zum Forschen bleibt oder explizit nicht vorgesehen ist. Die Hochschullehre muss aber forschungsbasiertes Lehre anbieten: Ohne Forschung zu neuen didaktischen Methoden, zu digitalen Materialien, zu Unterricht in Zeiten des Lehrkräftemangels, zum Umgang mit Mehrsprachigkeit in einer sich wandelnden Einwanderungsgesellschaft, zu Medienwandel und sinkender Lese+/Schreibkompetenz (s. IGLU/IQB-Studien) - also ohne Anbindung an die einschlägige Forschungscommunity - verliert die Lehramtsausbildung den Anschluss an die Realität im Klassenzimmer. Gute Lehrende brauchen Zeit für Forschung.
Fazit: Im Lehramtsstudium gibt es neben den Professuren, die nur ca. 20% der Lehre abdecken, schlicht kaum erfahrenes, entfristetes, dem Beamtenstatus in der Schule gleichgestelltes, durch Forschung informiertes Lehrpersonal, sondern v.a. Docs und Postdocs im Kampf um Professuren. Unter diesen Bedingungen leidet die Lehramtsausbildung. Die Arbeitsplätze müssen attraktiver werden. Gutes Lehramt braucht Karrierewege unterhalb/neben der Professur, die auch Zeit für (zumindest etwas) Forschung erlauben!
#5 - Das Problem "Lehrermangel" wird durch Erziehung der Kinder…
#6 - Leider ist Lehrer/in Beruf sinnlos, weil große Teil…
#7 - @Doris Hoene: ich sehe das mit dem ganzen Assessment und…
Ich war lange ein Gegner der Pädagogischen Hochschulen, aber wenn die Universitäten die Lehramtsausbildung nicht in absehbarer Zeit auf verlässliche, hochqualitative Füße stellen, sollte man sich Gedanken zu ihrer Wiedereinführung machen.
#8 - Zu den Abbrecherquoten: Das Lehramtsstudium ist meiner…
#9 - Mein Lehramtsstudium war gut (GHR+Sonderpädagogik). Das…
Die Bezirksregierung meinte aber nun,dass ihr ein Fehler unterlaufen sei,als sie mir die befristete Unterrichtsgenehmigung erteilten,weil ich ja damalig meinen Vorbereitungsdienst gekündigt habe.
Fazit: Am Montag beginne ich als studierte Sonderpädagogin mit Masterabschluss einen neuen Job in einer Wohngruppe.
Hätte ich meinen Vorbereitungsdienst niemals angetreten,dürfte ich ins Feststellungsverfahren.
Hingegen werden Quereinsteiger refinanziert.
Für mich unverständlich und der Lehrermangel ein hausgemachtes Problem!
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