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Eine Chance für die Quote?

In Hessen einigen sich Land und Gewerkschaften auf eine bundesweit einzigartige Regelung zum Ausbau von Dauerstellen an Hochschulen. Was das für die WissZeitVG-Debatte bedeuten könnte.

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Artikelbild: Eine Chance für die Quote?

Bild: Alexa / Pixabay.

SCHWER ZU SAGEN, was aus der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) wird. Damit meine ich nicht die Frage, ob der Gesetzentwurf nun am 27. März ins Kabinett kommt, am 10. April oder später. Ich meine auch nicht die Unsicherheit, ob mit der Einigung von BMBF, BMWK und BMAS, sich nicht einig zu sein, die Ressortabstimmung faktisch abgeschlossen ist oder das Kanzleramt oder ganz wer anders noch einmal dazwischengrätscht. Wirklich spannend wird es wieder, sobald die Novelle im Bundestag aufschlägt. Weil dann die Abgeordneten von SPD und Grünen im Zugzwang sind zu beweisen, dass sie all ihre Widerworte gegen den BMBF-Plan vor allem zur Postdoc-Befristungsgrenze ernstgemeint haben. Und weil völlig unklar ist, ob sich dadurch eine andere Lösung eröffnet oder es das Ende der Novelle insgesamt, zumindest in dieser Legislaturperiode, bedeutet.

Dass die Heilserwartungen an eine auch wie immer geartete Ausformulierung dieses Bundesgesetzes gelegentlich übertrieben sind, ist immer wieder, auch in diesem Blog, geäußert worden. Gleich welche Befristungsregeln es am Ende werden, sie werden wirksam in komplexen Wechselwirkungen mit der tradierten akademischen Kultur und dem Zustand der Hochschulfinanzierung in den Ländern.

Das macht die WissZeitVG-Debatte, Chiffre: "'#IchbinHanna", der vergangenen Jahre jedoch keineswegs überflüssig, weil sie das Thema "Karrierechancen in der Wissenschaft" mit Vehemenz auf die Agenda gesetzt hat, im Bund und in den Ländern. Weil – anders gesagt, am Ende zwar die Ausgestaltung des gesetzten Rahmens entscheidet, es aber ohne (Aussicht auf) Veränderung des Rahmen gar keiner veränderten Ausgestaltung bedarf.

Welche Wirkung schon die Debatte entfaltet hat, zeigt sich seit Ende vergangener Woche an einem neuen konkreten Beispiel. Das Land Hessen, das als einziges Bundesland nicht Mitglied des Arbeitgeberverbandes Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) ist, hat sich mit den Gewerkschaften auf einen Tarifvertrag für die rund 55.000 Tarifbeschäftigten in Hessen geeinigt. Enthalten in der Vereinbarung ist neben besseren Konditionen für studentische Beschäftigte eine in dieser Form bundesweit einzigartige Regelung für die Hochschulen: Diese müssen die Zahl ihrer unbefristeten Tarif-Vollzeitstellen für Wissenschaftler:innen deutlich steigern, von 1.459 Ende 2022 auf mindestens 1.850 im Jahr 2030. Nicht in Form der üblichen Absichtserklärungen, sondern verbindlich, abgesichert durch eine schuldrechtliche – das heißt: von den Gewerkschaften gegenüber dem Land einklagbare – Vereinbarung.

Das sei "ein echter Fortschritt, der uns bisher in keinem anderen Tarifbereich des öffentlichen Dienstes gelungen ist", sagt die stellvertretende Vorsitzende der hessischen GEW, Simone Claar. Auch Wissenschaftsminister Timon Gremmels (SPD) kommentiert, man sei hinsichtlich der notwendigen Entfristungen für wissenschaftliche Mitarbeiter "einen großen Schritt vorangekommen".

Abgesehen der bei Tarifabschlüssen üblichen Erfolgsrhetorik bleiben ein paar Feststellungen: Erstens dürfte, wenn der Tarifvertrag umgesetzt wird, die Entfristungsquote an den hessischen Hochschulen von 30,7 Prozent im Jahr 2022 auf knapp 39 Prozent im Jahr 2030 klettern, geht man von einer insgesamt gleich bleibenden Gesamtzahl wissenschaftlicher Tarifbeschäftigter aus. Allerdings hat das Land die Entfristungen schon ohne eine solche Regelung in den vergangenen Jahren vorangetrieben, gleichzeitig gilt die Einigung nur für wissenschaftliche Tarifbeschäftigte, die durch Landesmittel, nicht durch Drittmittel, finanziert werden.

Zweitens: Ganz gleich, ob man den jetzt vereinbarten Anstieg deshalb für unzureichend oder, im Gegenteil, für eine Überforderung der Hochschulen hält, wirkt die WissZeitVG-Debatte durch. Hatte die doch als einen Lösungsvorschlag anstelle (oder zusätzlich) zu einer Befristungshöchstdauer die Einführung einer verpflichtenden Mindestentfristungsquote für die Hochschulen hervorgebracht. Und genau in die Richtung geht Hessen jetzt als erstes Bundesland.

Ebenfalls diesem Vorschlag entsprechend, der auch hier im Blog in mehreren Gastbeiträgen thematisiert wurde, soll es in Hessen nun den einzelnen Hochschulen überlassen werden, wie genau sie ihre Zielzahlen erreichen wollen. Der notwendige Ausbau unbefristeter Vollzeitstellen solle "als landesseitige Position in die Verhandlungen zur nächsten Generation des Hochschulpakts und der Zielvereinbarungen eingebracht werden", sagte Minister Gremmels, das trage der Hochschulautonomie Rechnung. Auf Gremmels' Satz, er sichere den Hochschulen bei der Umsetzung "meine volle Unterstützung zu", werden diese indes besonders gehört haben.

Doch sollten auch die Landesregierungen anderswo hinhören: Es geht also auch ohne WissZeitVG-Novelle Wichtiges in der Hochschulpolitik. Für die Bundestagsabgeordneten von SPD, Grünen und FDP wiederum lautet die Botschaft: Vielleicht sollten sie sich in den kommenden Verhandlungen nicht nur an der Befristungshöchstdauer oder der Anschlusszusage festbeißen, sondern schauen, ob sie nicht doch der Quote eine Chance geben. Etwa in Form einer weiteren Öffnung der Tarifsperre.


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Kommentare

#1 -

Daniel Behruzi… | Di., 19.03.2024 - 09:29
Vielen Dank für diesen Beitrag! Wir hatten von ver.di zunächst tatsächlich eine Quote gefordert - mindestens 35% unbefristete Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau insgesamt. Das Ministerium wollte sich nur auf absolute Zahlen einlassen, was wir akzeptiert haben. Wir hätten uns natürlich einen stärkeren Ausbau gewünscht, sind mit diesem Durchbruch dennoch als ersten Schritt zufrieden. Weitere Einschätzungen finden Sie hier: https://gesundheit-soziales-bildung.verdi.de/themen/befristung-in-der-wissenschaft/++co++aa73d7be-e2e6-11ee-b50c-af32be04a258

#2 -

Anonymer Leser | Di., 19.03.2024 - 19:53
Ich bin gespannt, wie die Hochschulen das finanziert bekommen. Der im aktuellen Pakt vereinbarte Ausbau ist ja nicht mit Finanzmitteln unterlegt.
Herr Behruzi:
Die Vereinbarung zu den HiWis (12 Monate Anstellungsdauer, mind. 10 Stunden pro Woche, Ausschreibungspflicht) wird dazu führen, dass es Anzahl und Gesamtumfang der Hiwi-Tätigkeiten stark abnehmen werden, zum Nachteil aller Beteiligten.

#3 -

Erwin Koslowski | Mi., 20.03.2024 - 10:26
Zum Nachteil aller Beteiligten? Als studentische Hilfskraft mit mehr Planungssicherheit mehr Lohn für weniger Arbeitszeit zu erhalten ist doch eher ein Vorteil. Lohnerhöhungen und arbeitsrechtliche Verbesserungen als Nachteile für ALLE Beteiligten verkaufen zu wollen, hat auch so ein Geschmäckle.

#5 -

Gorgon Z. | Mi., 20.03.2024 - 13:15
Der Schlüssel liegt in der Steigerung der Regelhaushalte der hessischen Hochschulen. Man muss kein Insider sein, um zu wissen, dass (vermutlich nicht nur in Hessen) eine enorme Lücke zwischen Aufgaben und Finanzierung besteht. Das Land will mehr entfristete Stellen, die Hochschulen sollen immer mehr leisten – aber die Finanzierung zieht nicht nach oder erfolgt nur projektförmig auf Zeit. Und in dieser projektförmigen Förderung sollen die Hochschulen dann Zusicherungen zur nachhaltigen Weiterführung bzw. Finanzierung der Projekte und Stellen machen – aber der "eingefrorene" Regelhaushalt lässt das ja gar nicht zu. Oben drüber entsteht dann ein projektförmiges Geschäft für (zukünftige) Daueraufgaben, das sich nur zeitweillig trägt und viele Ressourcen bindet – doch dem Ministerium Zugriff auf die Steuerung der Hochschulen erlaubt. Es ist abstrus und unehrlich.

#6 -

Anonymer Leser | Mi., 20.03.2024 - 22:35
Lieber Herr Koslowski,
Mehr Lohn: das meinte ich nicht.
Weniger HIWI-Verträge wegen weltfremder Bedingungen: Nachteile für Alle
Das ist die Realität und hat kein Geschmäckle.

Lieber Herr Gorgon Z.,
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