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Weils Rollenwechsel

Von der Staatskanzlei an die Spitze des Stiftungsausschusses: Was bedeutet die Berufung des früheren Ministerpräsidenten für die Universität Göttingen?
Foto von Stephan Weil

Foto: Steffen Prößdorf, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons.

ES WAR EINE SPEKTAKULÄRE PERSONALIE, die da vergangene Woche öffentlich wurde: Stephan Weil, bis Mai niedersächsischer Ministerpräsident, übernimmt den Vorsitz des Stiftungsausschusses, eines der wichtigsten Gremien der Universität Göttingen.
 
Weil ist ein politisches Schwergewicht, eine Autorität. Einer, der dabei helfen soll, Göttingen wieder in die Spur zu führen – nach der zweiten schweren Führungskrise innerhalb weniger Jahre, nach dem Verlust des letzten Exzellenzclusters der früheren Exzellenzuniversität.
 
Machtprobe zwischen Senat und Stiftungsausschuss
 
Vor allem das Drama um den Ex-Präsidenten Metin Tolan steckt allen Beteiligten noch in den Knochen. Der Uni-Senat hatte im vergangenen Herbst nach langem Hin und Her seine Abwahl beantragt mit der Begründung, das Vertrauen in Tolans Führungskompetenz sei verloren gegangen. Doch der Stiftungsausschuss verweigerte unter der damaligen Führung von Peter Strohschneider die Zustimmung.
 
Nach dem vorgeschriebenen Einigungsversuch zwischen beiden Gremien überstimmte der Senat den Stiftungsausschuss, Tolan war sein Amt los – Strohschneider und die übrigen externen Mitglieder des Stiftungsausschusses traten zurück.
 
Seitdem ist viel passiert: Der allseits respektierte frühere Bochumer Rektor Axel Schölmerich fungiert als Interims-Präsident. Tolan klagte gegen seine Entlassung und erreichte einen Vergleich mit dem Wissenschaftsministerium, zu dem unter anderem eine schriftliche Erklärung von Mohrs’ Staatssekretär Joachim Schachtner gehörte, Tolan habe sich bei seiner Amtsführung „nichts zu Schulden kommen lassen“.
 
Von einem Normalzustand ist die Universität Göttingen derweil weit entfernt. Da ausgerechnet den Vorsitz des jetzt runderneuerten Stiftungsausschusses mit einem gerade noch aktiven Spitzenpolitiker zu besetzen, ist bei aller Chuzpe nicht unproblematisch. Vor 22 Jahren wurde die Universität in eine Stiftung umgewandelt. "Dies bedeutet eine juristische Verselbständigung der Universität gegenüber dem Staat und damit mehr eigenverantwortliche Gestaltung", kann man auf der Göttinger Website nachlesen.
 
Eine besondere Rolle spielt dabei der Stiftungsausschuss, der die Universität berät, über Angelegenheiten der Universität von grundsätzlicher Bedeutung entscheidet und die Aufsichtsfunktion gegenüber dem Präsidium übernimmt. Was ihm unter anderem die Rolle gibt, die vorher das Wissenschaftsministerium einnahm.
 
Das Ministerium bestellt seine insgesamt fünf externen Mitglieder, aber der Senat muss zustimmen. Nur konsequent insofern, dass sein Vorsitz seit 2003 politikfern geführt wurde: bis 2019 durch Wilhelm Krull, den langjährigen Generalsekretär der Volkswagen-Stiftung, der nach dem Debakel um eine damals gescheiterte Präsidentenwahl seinen Rücktritt erklärte. Danach durch Ex-DFG-Präsident Strohschneider.
 
Im Kontrast zu Krull und Strohschneider wird die Besonderheit der Berufung Weils klar. Kann, will und wird er Göttingens größere Unabhängigkeit gegenüber dem Staat vertreten – gerade auch gegenüber einem Wissenschaftsminister Falko Mohrs (SPD), dessen Vorgesetzter und Landesparteichef er bis vor Kurzem noch war?
 
Politisches Schwergewicht trifft Spitzenforschung
 
In jedem Fall lässt der Rückgriff auf Weil die Frage aufkommen, inwiefern in Niedersachsen noch an die Freiheiten des Stiftungsmodells geglaubt wird. Oder ob einige es womöglich für die jahrelangen Göttinger Probleme – die sehr persönlich ausgetragenen Konflikte, die strategische Immobilität, das Kreisen um sich selbst – mitverantwortlich machen.
 
Positiv stimmt, dass sich die Liste der anderen neuen Mitglieder liest wie ein Who’s Who der deutschen Wissenschaft, mit Max-Planck-Präsident Patrick Cramer etwa oder der Präsidentin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Anke Kaysser-Pyzalla. Diese Liste signalisiert einen wissenschaftlichen Anspruch und eine Bedeutung, die Göttingen sich selbst stets zugeschrieben hat – die sich aber seit vielen Jahren nicht mehr in seiner Entwicklung widergespiegelt haben.
 
Weil selbst sagt, er freue sich, seine "Alma Mater" begleiten und seine Erfahrungen einbringen zu können. Sehr schnell und sehr demonstrativ wird er dabei seine neue Rolle als Stiftungsausschussvorsitzender unabhängig von seiner alten politischen definieren müssen. Dann, ja dann, könnte er im Zusammenspiel mit Schölmerich, den anderen Ausschussmitgliedern und mithilfe seiner zahllosen Kontakte viel Gutes für Göttingen bewirken.
 
Dieser Kommentar erschien zuerst im ZEIT-Newsletter WISSEN DREI.

Kommentare

#1 -

#IchBinTina | Do., 21.08.2025 - 09:43

"Positiv stimmt, dass sich die Liste der anderen neuen Mitglieder liest wie ein Who’s Who der deutschen Wissenschaft, mit Max-Planck-Präsident Patrick Cramer etwa oder der Präsidentin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Anke Kaysser-Pyzalla. Diese Liste signalisiert einen wissenschaftlichen Anspruch und eine Bedeutung, die Göttingen sich selbst stets zugeschrieben hat – die sich aber seit vielen Jahren nicht mehr in seiner Entwicklung widergespiegelt haben."

Hm. Ich gehe eher davon aus, dass ein "wissenschaftlich hochkarätiger" Stiftungsausschuss in die expansive Richtung gut funktioniert, nicht aber in die restriktive. Ein zentrales Problem der Uni Göttingen besteht darin, dass sie durch die frühen Erfolge in der ExIni zuviel Geld zur Verfügung hatte. Das führte zu schlechten Entscheidungen, weil es niemand gab, der/die mal gesagt hat "Das können wir uns nicht leisten!". Jetzt wird das Geld wieder aus der Universität abgezogen - und dadurch werden Probleme sichtbar, die schon vorher entstanden sind. So lange die Professor*innen Zugang zu finanziellen Mitteln hatten, um persönliche Ziele zu verfolgen, haben die sich natürlich nicht gegen das Präsidium aufgelehnt. Und ein Stiftungsausschussvorsitzender, der das Problem jahrelang nicht wahrgenommen hat, ist da vielleicht auch nicht die beste Wahl.

#2 -

Gerald Hüthedich | Fr., 22.08.2025 - 08:30

Es wundert mich, daß bei diesem Thema die Rolle des Senats so wenig beleuchtet wird. Der (warum auch immer) wiedergewählte Sprecher des Senates hatte eine zentrale Rolle bei der Abwahl von Tolan gespielt. Immerhin hat der Staatssekretär nun Metin Tolan bescheinigt, keine gravierende Fehler gemacht zu haben. Warum hat man Tolan nicht seine Amtszeit beenden lassen können ?

#3 -

Robert Brunzelschütz | Fr., 22.08.2025 - 14:47

Werter Herr Hüthedich, der aktuelle Sprecher des Senats hat ja auch nur seine Meinung vertreten. Vielleicht hat Herr Tolan den Bedürfnissen der Informatik nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt, aber ich hüte mich doch davor, dem Sprecher des Senats unlautere Absichten zu unterstellen.

  

 

#4 -

Elodie Werter | Di., 02.09.2025 - 10:29

Zwar dürften Zuwendungen des Landes aus den VW-Dividenden vermutlich zukünftig überproporzionaler Richtung Göttingen fließen (zumindest so lange die SPD in Niedersachsen noch die Landesregierung federführend stellt). Ebenso dürfte sich der tatsächlich relativ ausgleichende Charakter eines im Vergleich seiner Vorgänger Kurt von Figura oder Metin Tolan nicht gerade als extremes Alpha-Tier auftretenden Stephan Weil positiv auf den inneren Frieden der Uni Göttingen auswirken. Aber die miserablen Forschungs-, Lehr- und Verwaltungsbedingungen an der Hochschule lassen sich mit friedlichem Heiditei sicherlich nicht verbessern. Und die Zurichtung der Uni nach ökonomisch verwertbaren Kriterien, die spätestens mit der Bologna-Reform begonnen hatte, wird auch unter Weil und erst recht unter den Who-is-whos der deutschen Wissenschaft fortgesetzt. Unrentable Studiengänge und zugehörige Professuren und Stellen werden eingestampft, Qualität (smanagement) wird noch mehr zum Papiertiger verkommen, der Konkurrenzkampf unter den Hochschulen wird weiter verschärft, und das Land mischt durch Reduzierung der Grundfinanzierung anstelle dessen massiv notwendiger ausweitung kräftig zum Konkurrenzkampf bei. 

Und by the way: die oder der neue Uni-Präsi wird von Land und Stiftungsausschuss garantiert wieder nach Kriterien ausgewählt werden, dir in keiner Weise dazu geeignet sein werden, das Vertrauen der Mitarbeitenden durch das Präsidium wiederzugewinnen und den Mitarbeitenden auch ehrliche, wirklich ehrliche Wertschätzung entgegen zu bringen, statt mit einem Klima der Angst und des generellen Misstrauens zu regieren.

Denn alles, wirklich alles, das an der Uni noch an Exelentem in Lehre und Forschung sowie auch in der Verwaltung trotz aller Widrigkeiten besteht, ist zu vermutlich 80-90 % den unglaublich engagierten Menschen im sog. Mittelbau und MTV zu verdanken (#IchbinHanna).

#4.1 -

McFischer | Mi., 03.09.2025 - 17:02

Antwort auf von Elodie Werter (nicht überprüft)

Von Ihrem Kommentar bin ich etwas überrascht, ober besser: verwirrt.

Zu Beginn sprechen Sie davon, dass sich die "miserablen Forschungs-, Lehr- und Verwaltungsbedingungen an der Hochschule" "mit friedlichem Heiditei sicher nicht verbessern". Ich nehme an, Sie erfahren dies selbst, weil Sie an der Uni Göttingen im Mittelbau sind und finde das auch glaubhaft. 

Dann liefern Sie aber lauter Schlagwörter, die offenbar für Sie die - tiefer liegenden - Ursachen für diese kritischen Bedingungen sind: Bologna-Reform, Ökonomisierung der Hochschulen, QM, Reputationsgehabe von Professor*innen ("Who-is-who"), Konkurrenzkampf der Hochschulen, Finanzknappheit bzw. fehlende Grundfinanzierung usw.

Hier ist für mich jetzt unklar, in welche Richtung Ihre Wünsche bzw Lösungsvorschläge gehen. Wollen Sie jetzt mehr Führung, mehr starke Management-Persönlichkeiten in der Uni-Leitung, mehr Rektor*innen mit politischer Durchschlagskraft bei der Mittelvergabe  - also kein "friedliches Heiditei" mehr? Oder doch irgendwie das Gegenteil, also eher repräsentative Uni-Leitung (= starke Dekanate), Bewahrung aller kleinen Fächer, Rückfahren von Konkurrenz zwischen den Hochschulen (und damit letztlich auch des wissenschaftlichen Outputs)? Beides geht für mich nicht zusammen.

#4.2 -

Anja Tobinsky | Di., 09.09.2025 - 17:03

Antwort auf von Elodie Werter (nicht überprüft)

Weder Kurt von Figura noch Metin Tolan sind die Vorgänger von Herrn Weil -letzterer ist Vorsitzender des Stiftungsrats, die anderen beiden waren Präsidenten. Vorgänger von Herrn Weil war Herr Strohschneider und dessen Vorgänger hieß Krull! Soviel Trennschärfe sollte man erwarten.

#5 -

Albert Krenz | Mi., 03.09.2025 - 21:00

Die Anmerkungen von Nr. 4 finde ich sehr seltsam. Von "miserablen Forschungs-, Lehr- und Verwaltungsbedingungen an der Hochschule" zu sprechen, finde ich mehr als gewagt und nicht zutreffend. Und seit wann sind im Vergleich die "Vorgänger Kurt von Figura oder Metin Tolan" denn "extreme Alpha-Tiere" ? Da ich die Uni seit mehr als 30 Jahren von innen kenne, scheint mir der Kommentator auf einem anderen Stern gelebt zu haben.

 

#6 -

F. Mauz | Do., 18.09.2025 - 08:38

Wählt doch mal den aktuellen Senatssprecher zum Präsidenten. Dann kann der mal zeigen, wie und es wo lang geht.

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