Jetzt kommt es auf die Hochschulleitungen an
Nach dem Scheitern der Ampel muss die neue Koalition beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz endlich liefern. Gleichzeitig steigt der Druck auf die Rektorate und Präsidien.
Screenshot aus dem BMBF-Erklärvideo zum WissZeitVG von 2021.
DIE AMPEL HATTE sich viel vorgenommen – und am Ende nicht geliefert. Über Jahre hinweg rang sie um eine Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG). Eine Evaluation war gemacht, Eckpunkte wurden im Frühjahr 2023 vorgelegt und wieder kassiert, es folgte schließlich ein Referentenentwurf, der ein Dreivierteljahr in der Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung steckenblieb. Im Frühjahr 2024 beschloss die Bundesregierung das Gesetz – doch den Bundestag passierte es nach weiterem monatelangem Hin und Her nicht mehr, bevor die Koalition zerbrach.
Jetzt startet die Debatte neu. Bis Mitte 2026 will die schwarz-rote Bundesregierung das Gesetz novellieren. Im Mittelpunkt laut Koalitionsvertrag: Mindestvertragslaufzeiten vor und nach der Promotion, Schutzklauseln für Drittmittelprojekte. Und was ist mit einer Verkürzung der Postdoc-Höchstbefristungsdauer – der Konfliktpunkt, an dem sich die Ampel letztlich die Zähne ausbiss?
Viel spricht dafür, dass Union und SPD, um sich rasch zu einigen, genau aus dem Grund nicht erneut an ihr rühren werden. Dann schon eher an einer Auflockerung der sogenannten Tarifsperre, die in der Wissenschaft die in anderen Branchen üblichen eigenständigen Verhandlungen von Arbeitgebern und Gewerkschaften verhindert – etwa über Aspekte wie die Höchstbefristungsdauer.
Der neue Koalitionsvertrag gibt die Richtung vor
Offensichtlich, auch das gibt bereits der Koalitionsvertrag vor, wollen die Koalitionäre das Hauptaugenmerk weg vom Gesetz und hin zu den Hochschulen und deren Verantwortung für bessere Arbeitsbedingungen und weniger Befristungen in der Wissenschaft schieben. Als Politik will man dafür die nötige Rahmung geben: mit einer Mittelbau-Strategie und längeren Förderlaufzeiten, mit Anreizen für die Einführung von Department-Strukturen, mit einem Ausbau des Tenure-Track-Programms und, so das Wording von Union und SPD, besseren "Rahmenbedingungen für mehr Dauerstellen". So dass am Ende, so die Logik, gar nicht mehr so entscheidend ist, was das Gesetz vorgibt.
Es ist absehbar, dass vor allem viele Unterstützer der Initiative "#IchBinHanna" das als Ablenkungsmanöver empfinden werden. Umgekehrt ist zweierlei nicht von der Hand zu weisen.
Erstens: Die Überfrachtung der WissZeitVG-Novelle mit den Erwartungen aller Seiten, verbunden mit der gegenseitigen Blockade der Ampel-Koalitionspartner, hat am Ende dazu geführt, dass gar keine Reform kam. Auch nicht die unstrittigen Punkte wie, siehe oben, die Verankerung von Mindestvertragslaufzeiten oder familienfreundlichere Regelungen.
Zweitens: Schon in seiner jetzigen Fassung verhindert das WissZeitVG keinen einzigen Dauervertrag an Hochschulen. Das tun die Hochschulen selbst, weil in zu vielen Präsidien, Dekanaten und Professorien immer noch das Verständnis fehlt für die Notwendigkeit einer langfristigen und nachhaltigen Personalstrategie. Verstärkt wird die Schieflage durch allzu rigide Vorgaben vieler Fördermittelgeber in Bund und Ländern – und durch Ministerien, die – entgegen allen programmatischen Ansagen leitender Wissenschaftspolitiker – in ihrer Alltagsarbeit den Abschluss von Dauerverträgen erschweren. Das Ergebnis: Befristungsquoten selbst noch im Postdoc-Bereich von über 90 Prozent.
Der Wissenschaftsrat setzt die Unileitungen unter Druck
Die entscheidende Frage: Wenn es nicht per Gesetz funktioniert, wie sonst lassen sich die Kulturen und Gewissheiten in der Wissenschaft verändern? Einen wichtigen Impuls dafür hat im Sommer der Wissenschaftsrat (WR) gesetzt. Dass das wichtigste wissenschaftspolitische Beratungsgremium von Bund und Ländern sich nach Jahren erneut dem Thema wissenschaftliche Personalentwicklung widmen könnte, hatte der WR-Vorsitzende Wolfgang Wick erstmals im Frühjahr 2023 signalisiert – auf dem Höhepunkt der politischen Auseinandersetzung um die damals gerade zurückgezogenen WissZeitVG-Eckpunkte. Im Juli 2025 legte der Rat schließlich sein mit Spannung erwartetes Modell mit vier Stufen (S1 bis S4) vor, orientiert am europäischen "Framework for Research Careers" (R1–R4) – von der Promotion bis hin zu Professuren und Leitungsfunktionen.
Und mit der Vorstellung des Papiers erhöhte Wick gleich den Erwartungsdruck in Richtung Hochschulleitungen. "Wir haben zum ersten Mal einen Rahmen, ein Zielbild entwickelt für transparente und attraktive Personalstrukturen in der deutschen Wissenschaft", sagte er im Interview hier im Wiarda-Blog. "Bei Daueraufgaben sollen mehr unbefristete Beschäftigungsverhältnisse dafür sorgen, dass wichtige Expertise dauerhaft entwickelt und gebunden wird." Und Insa Großkraumbach, Leiterin der WR-Abteilung "Tertiäre Bildung", machte klar: "Das war uns ein wichtiges Anliegen: wegzukommen von dieser in Struktur und Kultur des Wissenschaftssystems angelegten Logik des Up or Out", von diesem "Entweder Du schaffst es irgendwann zur Professur, oder du bist raus". Künftig solle es möglich sein, auch langfristig auf Stellen der Ebenen S2 oder S3 zu bleiben.
Die Hauptbotschaft: Die Hochschulen müssen endlich im eigenen Interesse umdenken. "Wir sehen, dass wir mit unseren Personalstrukturen in der internationalen Wissenschaft nicht mehr konkurrenzfähig sind", so Großkraumbach. Und Wick ergänzt: "Es geht darum, schrittweise ein neues, verlässliches System aufzubauen, und sofort damit anzufangen."
Walter Rosenthal, der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), sagte direkt nach Veröffentlichung des Papiers, es bestärke "die Hochschulen, die sich schon vielfach auf den Weg gemacht haben, auch mit Personal- und Dauerstellenkonzepten." Was man als Aufforderung an jene Hochschulen deuten konnte, die hinterherhängen.
Entkräftete Vorurteile und ein OECD-Plädoyer für mehr Dauerstellen
Einen weiteren vielbeachteten Kontrapunkt zur deutschen Befristungsdebatte lieferte wenig später eine im Fachjournal PNAS veröffentlichte Studie aus den USA. Forschende der Northwestern University, der Northeastern University und der University of Wisconsin in Madison hatten über elf Jahre hinweg die Karrieren von über 12.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 15 Disziplinen nachverfolgt. Zentrales Ergebnis: Die Publikationsrate steigt bis kurz vor der Festanstellung (Tenure) und bleibt danach im Durchschnitt stabil. Von einem Leistungseinbruch keine Spur. Dabei besagt auch ein unter Deutschlands Hochschulfunktionären verbreitetes Vorurteil, Dauerstellen machten "träge".
Differenziert betrachtet zeigt sich ein fachspezifisches Muster: In laborbasierten Fächern wie Biologie oder Chemie wurde auch nach Festanstellung eine hohe Produktivität gehalten, während in nicht-laborbasierten Fächern wie Mathematik oder Soziologie ein leichter Rückgang der Veröffentlichungszahlen verzeichnet wurde. Bemerkenswert, berichteten die Autoren, sei zudem der Innovationsimpuls durch Sicherheit: Mit Tenure wachse die Neigung zu risikoreicheren, originelleren Projekten – auch wenn diese nicht immer sofort in großen Zitationsgewinnen münde.
Zuletzt stieß sogar der Industriestaatenbund OECD, sozialistischer Umtriebe unverdächtig, ins selbe Horn. In seinem jährlichen Bericht "Bildung auf einen Blick 2025" heißt es, Deutschland gehöre zu den Ländern, in denen "Juniorbeschäftigte" – also vor allem Promovierende und Postdocs – den größten Anteil des akademischen Personals stellen. 2023 waren es rund 44 Prozent, während 27 Prozent der Beschäftigten der "Intermediate"-Ebene und 26 Prozent der Senior-Ebene zuzurechnen waren.
Zum Vergleich: Finnland kommt auf 18 Prozent Junior- und 55 Prozent Intermediate-Positionen; Norwegen auf 20 Prozent Junior- und 52 Prozent Intermediate-Beschäftigte – bei jeweils 27 bis 28 Prozent Senior-Anteil. Die OECD kommentiert: "Ein höherer Anteil kostengünstigerer Juniorbeschäftigter kann zu einer Verringerung der Kosten führen, wirft jedoch Fragen bezüglich der institutionellen Fähigkeit und der Qualität der akademischen Arbeit auf."
Applaus bekam die OECD ausgerechnet vom GEW-Vorstandsmitglied Andreas Keller: "#IchBinHanna lässt grüßen", kommentierte er auf LinkedIn. Die Personalstruktur an deutschen Hochschulen sei nicht wettbewerbsfähig mit anderen Industrieländern und gefährde die Innovationskraft der Wissenschaft. "Wir brauchen daher neue Personalstrukturen", wie sie der Wissenschaftsrat vorgeschlagen habe, und Dauerstellen für Daueraufgaben. Das WissZeitVG müsse "endlich auf den Prüfstand".
Es braucht das Gesetz – aber vor allem die Hochschulen müssen liefern
Bei der GAIN-Tagung in den USA sagte BMFTR-Staatssekretär Rolf-Dieter Jungk laut Table Briefings, sein Ministerium arbeite am neuen Referentenentwurf, der – wenig überraschend – längere Mindestlaufzeiten enthalten und familienfreundlicher werden solle als das bisherige Gesetz. Sobald der BMFTR-Vorschlag vorliege, sollten erneut Stakeholder beteiligt werden.
Vor allem aber müsse überhaupt einmal eine Novelle kommen – und dürfe sich nicht erneut an der immer gleichen Frage nach der Höchstbefristungsdauer festfahren: So in etwa lautet die einhellige Meinung der schwarz-roten Koalitionäre in Hintergrundgesprächen, ganz gleich, wie sie zur Höchstbefristung stehen. Die Einigung als erste Priorität.
Doch auch wenn insofern absehbar wird, dass die Gesetzesreform für sich genommen nicht mehr als Hebel zu mehr Entfristungen taugen wird, macht sie das nicht weniger wichtig. Denn, verbunden mit Wissenschaftsrat, OECD, Performance-Studien und einer Mittelbau-Strategie des Bundes, die ihren Namen verdient, würde sie den Hochschulen sehr wohl signalisieren: So geht es nicht weiter. Ihr müsst endlich strategischer und professioneller werden bei Karriereorganisation und Personalentwicklung.
Daran ändern auch die schwierige Haushaltslage und die in vielen Bundesländern gekürzten Hochschulbudgets nichts – im Gegenteil: Genauso in solchen Zeiten stehen jene Institutionen besser da, die funktionierende Personalstrukturkonzepte haben – und die Leistung mit Sicherheit und transparenten Aufstiegsmöglichkeiten belohnen.
"Uns war wichtig, nicht Teil einer politisierten Debatte zu werden, sondern mit Blick auf Attraktivität und Systemnotwendigkeit zu arbeiten", sagte der Wissenschaftsratsvorsitzende Wick, gefragt nach dem Zusammenhang zwischen den WR-Empfehlungen und der Debatte um die WissZeitVG-Reform.
So gilt am Ende: Die Gesetzesnovelle muss kommen – als Druckmittel, als Symbol, als verlässlicher Rahmen. Aber den Wandel bewirken müssen die Hochschulen selbst. Im eigenen Interesse. Eine Leitung, die das immer noch nicht begreift, ist für die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft das eigentliche Problem – weit mehr als jede gescheiterte Gesetzesnovelle.
Kommentare
#1 - Hoffen auf die Hochschulleitung?
Bei allem Optimismus ist mir nicht klar, warum die Hochschulen jetzt von alleine den Kurs wechseln sollten. Waren die jahrzehntelang geschlossen so dumm, in großer Zahl befristete Verträge abzuschließen, und niemand hat die vermeintlichen Vorteile von Dauerstellen erkannt? Tatsächlich müssen gerade einige Hochschulen sehr hart sparen und dürften froh über jede befristete Stelle sein, die bald ausläuft.
Überraschend ist für mich, dass die Schärfung des Qualifikationsbegriffs in der Debatte nicht auftaucht. Das würde nichts kosten und viel verbessern, wo man heute Machtmissbrauch wittert. Beispiel: mindestens 15h/Woche und mind. 50 % der vereinbarten Arbeitszeit sind für eigenständige wirtschaftlich Arbeitszeit reserviert und nur dieser Teil ist von der Pflicht zur Zeiterfassung aufgenommen. (Ja, da steckt ein Anreiz drin, volle Stellen zu vergeben.)
Die internationalen Vergleiche sind übrigens immer kritisch einzuordnen. Da es bei uns kaum Stipendien gibt und man sehr oft auf einer Stelle promoviert, ist der Anteil befristet Beschäftigter natürlich erhöht. Es bleibt aber ein für meinen Geschmack zu hoher Anteil befristeter Postdocs.
#2 - Henne oder Ei? Gesetzes- oder Strukturreform?
Liebe Wissenschaftsgemeine,
bei all den wichtigen Förderungen und Diskussionsbeiträgen frage ich mich: Wie wird eine konkrete Umsetzung aussehen?
Können wir ein Gesetz forcieren, dessen Lenkwirkung sich nach einem utopischen Idealbild der akademischen Struktur ausrichtet und durch arbeitsrechtliche Maßnahmen die Akademia in diese angestrebte Richtung zwingen?
Oder müssen wir zunächst langwierig die gelebte strukturelle Realität ändern, bevor wir ein derartiges Gesetz forcieren können, da dessen Lenkwirkung im aktuellen System nicht griffig ist oder gar Fehltentwicklungen zur Folge haben könnte?
Was is die Henne, und was ist das Ei?
#3 - Befristungsquoten
"Das Ergebnis: Befristungsquoten selbst noch im Postdoc-Bereich von über 90 Prozent."
Wer das ändern will, müsste die hohen Anteile von Drittmittel-Beschäftigten im Verhältnis zu Beschäftigten auf Landesstellen ändern. Denn nur bei den letzteren haben die Hochschul-Leitungen überhaupt die Möglichkeit einzugreifen. Solange aber befristete Drittmittel (auch solche mittelbar vom Steuerzahler) als wertvoller gelten als direkte Landesmittel, wird das nicht passieren. Angesichts von generellen Einspar-Quoten ist es unfair, den Schwarzen Peter den Hochschul-Leitungen zuzuschieben. Die müssen ständig fürchten, mehr Verpflichtungen einzugehen als sie später finanzieren können.
Hat man uns schon verraten, was die DFG dazu meint? Ganz zu schweigen von den Drittmittelgebern aus der Industrie für die Ingenieurwissenschaften. Gibt es nicht auch große Förderprogramme von der EU? Und welche davon lassen unbefristete Beschäftigungen von Wissenschaftlern zu?
#4 - Zwei grundlegende Fragen
Bei dieser langanhaltenden Debatte über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz stellen sich mir zwei grundlegende Fragen:
Erstens: Warum richten wir das deutsche Wissenschaftssystem nicht konsequent an internationalen Strukturen aus – insbesondere an jenen, die entweder ganz auf einen "Mittelbau" verzichten und ausschließlich auf Professuren setzen (wie etwa in den USA), oder an Modellen wie dem Vereinigten Königreich, in denen eine echte Durchlässigkeit vom Lecturer bis zur Professur besteht? Beide Systeme zeichnen sich durch klar definierte, planbare Karrierewege und deutlich mehr institutionelle Verantwortung für Personalentwicklung aus.
Zweitens: Warum halten wir überhaupt am Wissenschaftszeitvertragsgesetz fest? Es hat nicht zu mehr Beschäftigungssicherheit geführt, sondern im Gegenteil die strukturelle Unsicherheit vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschärft. Es zementiert die Logik des „Up or Out“, ohne alternative Karrierewege zu eröffnen, und verursacht zugleich erheblichen bürokratischen Aufwand – für Hochschulen wie für Beschäftigte. Aus meiner Sicht ist das WissZeitVG ein Beispiel für ein gut gemeintes, aber systematisch verfehltes Gesetz: Es ignoriert die Komplexität wissenschaftlicher Karriereverläufe und institutioneller Verantwortung. Seine Abschaffung wäre daher ein sinnvoller Schritt in Richtung Bürokratieabbau. An den Vertragslaufzeiten würde das wohl nichts ändern, in Bezug auf die Handlungsspielräume der einzelnen Wissenschaftseinrichtung jedoch sehr viel.
#4.1 - England als Vorbild?
Hab letzten Monat mit Engländern drüber gesprochen: Die Diss schreiben viele finanziert über einen Job außerhalb Academia oder Stipendien und der Associate Prof hat zwar einen unbefristeten Vertrag, kann aber jederzeit gekündigt werden, z.B. wenn der Uni das Geld fehlt. Das zu übernehmen, wäre halt nicht nur Verbesserung. Und erklären Sie mal den Gewerkschaften, dass ein Teilbereich des öffentlichen Dienstes jetzt betriebsbedingte Kündigungen ins Programm aufnimmt.
Die Abschaffung des WissZeitVG zu fordern, ohne eine Alternative zu nennen, kann ich nicht als ernsten Vorschlag ansehen. Eher ist es eine immer mal wieder auftauchende Provokation. Niemand will, dass man schon zur Promotion unbefristet eingestellt werden muss - oder gar nicht.
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