Direkt zum Inhalt

TU Munich forty points, LMU Munich zero points?

Warum die Gießkanne beim Tenure-Track-Programm besser gewesen wäre als der Hochdruckstrahl. Ein Gastkommentar von Axel Radlach Pries.

DIE CHARITÉ HAT sich mit ihrer Bewerbung im Tenure-Track-Programm leider nicht durchsetzen können. Auch wenn sich die Position des „Verlierers“ nicht unbedingt für eine Verfahrenskritik anbietet, möchte ich als zuständiger Dekan auf Jan-Martin Wiardas Kommentierung der Auswahlentscheidung reagieren. Denn Wiardas Interpretation in der Titelzeite („Gut so!“) scheint mir zu 180 Grad von der Realität abzuweichen.

Das Programm soll laut Homepage des Bundesforschungsministeriums die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems erhöhen durch „die Etablierung der Tenure-Track-Professur als international bekannten und akzeptierten Karriereweg“. Über das Programm sollen 1000 Tenure-Track-Professuren gefördert werden, die „Karriereperspektiven für den wissenschaftlichen Nachwuchs“ sollen dadurch erweitert werden, dass diese 1000 Professuren zusätzlich im System bleiben. Im Regelfall soll die Entscheidung, ob eine Nachwuchswissenschaftler oder ein Nachwuchswissenschaftler dauerhaft in der Wissenschaft verbleiben kann, früher fallen. Und schließlich soll mithilfe des Programms ein Kulturwandel eingeleitet werden, die Personalstrategie an der gesamten Universität soll weiterentwickelt werden, so dass sie den neuen Karriereweg Tenure Track „optimal ergänzt und auch Karrierewege außerhalb der Professur aufzeigt“. All dies soll auch die Chancengerechtigkeit und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie an deutschen Universitäten verbessern.

Im Vorspann wird auf der Website die globale Motivation der Initiative dargestellt: Mit dem neuen Bund-Länder-Programm wird die Tenure-Track-Professur erstmals flächendeckend an den Universitäten in Deutschland etabliert.

Fassen wir zusammen: Es wurde kein Wettbewerb zu den innovativsten Tenure-Track-Konzepten oder Programmen ausgerufen. Es ging auch nicht um die x’te kompetitive Projektförderung mit hohem Wettbewerbs-Aufwand bei weiterhin kritischer Grundausstattung der Universitäten. Ziel war die Etablierung eines neuen nachhaltigen flächendeckenden (!) Zugangs zur unbefristeten Professur an deutschen Universitäten.

Für eine flächendeckende Verteilung ist allen Vorurteilen zum Trotz die von Wiarda kritisierte „Gießkanne“ nach wie vor das beste Instrument und nicht etwa der fokussierte Hochdruckstrahl! Natürlich wässert man nicht dort, wo nichts wachsen kann, weil nicht gesät wurde. Ergo wurde von den Bewerbern ein Professuren- und Tenure-Track-Konzept verlangt – und natürlich auch vorgelegt.

Aber es wird den proklamierten, sehr sinnvollen Zielen und besonders der generellen Etablierung des Tenure-Prinzips in Deutschland nicht helfen, wenn in München oder Berlin nun je eine Universität alle beantragten Professuren (inklusive von Sicherheitsüberbuchungen) unterbringen darf bzw. muss, während an anderen Einrichtungen das relevante Instrument gar nicht etabliert werden kann.

Hier hat sich ein fehlgeleitetes Verständnis des Wettbewerbsprinzips gegenüber der notwendigen Struktur-Unterstützung durchgesetzt. Eine solche Wettbewerbslogik ist auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil für die Bewertung von Tenure-Programmen im Unterschied zur Bewertung von wissenschaftlicher Exzellenz kaum anerkannte oder kommunizierte Qualitätsmaßstäbe existieren.

Trotzdem hat das „mutige“ Auswahlgremium befunden: „TU Munich forty Points; LMU Munich zero Points“. Die Ähnlichkeit zum European Song Contest ist nicht zufällig gewählt, obwohl es selbst für die Beurteilung von Sangeskunst härtere und transparentere Kriterien gegeben hat und beim ESC wenigstens nicht nur die Wahl zwischen alles oder nichts zugelassen ist.

Eine ähnliche (eigentlich eine deutlich höhere) Transparenz und Stringenz sollte bei der Vergabe von einer Milliarde an Euro Steuergeldern eigentlich selbstverständlich sein und nicht als zu viel Aufwand zurückgewiesen werden – wenn man denn schon nicht die sinnvollere und kostensparendere Gießkanne für gut angelegte Beete nutzen will.

Axel Radlach Pries ist Dekan der Charité Universitätsmedizin in Berlin.

Kommentare

#1 -

Klaus Diepold | Di., 26.09.2017 - 15:27
Nun, es gibt eigentlich schon so etwas wie ein globales Verständnis davon, was ein Ternue-Track System eigentlich ausmacht. Wenn sich dann Universitäten um Tenure-Track-Stellen bewerben ohne ein entsprechendes System am Laufen zu haben, dann macht es auch keinen Sinn dorthin Stellen zu geben. Ich kann nichts über die Charité sagen, aber an der LMU gibt es ein System, das nur den Namen "Tenure-Track" trägt, das aber in nahezu keiner Weise dem üblichen Verständnis entspricht. So gesehen ist die Entscheidung TUM - LMU 40:0 durchaus nachvollziehbar.

Auf einem anderen Blatt steht, was denn mit den Tenure-Track ProfessorInnen im Falle einer positiven Bewertung passiert. Gibt es dann die notwendige Zahl von freien Professuren für die Entfristung? wird in Zukunft überhaupt noch jemand direkt auf eine W3-Stelle berufen (z.B. aus der Industrie im Falle der Ingenieurwissenscahften) ? Auch bzgl. der anzuwendenden Tenure-Kriterien habe ich bis dato nur wenig gelesen.

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • Artikelbild: Weil eben nicht alles bleibt, wie ist

Weil eben nicht alles bleibt, wie ist

Manche sagen, die Debatte um die Digitalisierung in der Bildung sei übertrieben. Welch ein Irrtum. Wir müssen das Bildungssystem dringend auf die große Transformation vorbereiten. Sechs Thesen von Myrle Dziak-Mahler.


  • Der traurige Tod der Experimentierfreude

Der traurige Tod der Experimentierfreude

Wissenschaftliche Erkenntnis lebt vom Ausprobieren. Doch geht es um die Hochschulpolitik, werden die meisten Wissenschaftler plötzlich zu Fundamentalisten und rufen: Bloß keine Experimente! Schade eigentlich. Ein Gastbeitrag von Stefan Winter.


  • Stop!

Stop!

Die Bundesregierung will noch vor der Wahl im Schnelldurchlauf das Zahnmedizin-Studium reformieren. Das wäre ein gravierender Fehler. Ein Gastbeitrag von Frank Wissing.


Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • Artikelbild: Wege aus dem Stimmungstief

Wege aus dem Stimmungstief

Der Staatsvertrag zur Akkreditierung beseitigt nur die legale Schlagseite des Systems. Damit die externe Qualitätssicherung auch inhaltlich an Akzeptanz gewinnt, muss der Neuanfang noch viel grundsätzlicher werden. Ein Gastkommentar von Siegfried Hermes.


  • Artikelbild: Neue Verhältnisse

Neue Verhältnisse

Wie man die Studentenströme zwischen Universitäten und Fachhochschulen neu verteilen könnte, wieso alle davon etwas hätten und was das mit der ungeliebten Kapazitätsverordnung zu tun hat: ein Gastkommentar von Oliver Günther.


  • Wir brauchen eine Berliner Erklärung 2.0

Wir brauchen eine Berliner Erklärung 2.0

Seit 14 Jahren fordern Forscher für alle den freien Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen  – mit bis heute mäßigem Erfolg, gerade in Deutschland. Dabei könnte mehr Transparenz im Rahmen von Open Science auch dem absurden Impact Factor den Garaus machen. Ein Gastkommentar von Alexander Grossmann.