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Mehr Overhead, weniger Projekte

Ein Papier mit Sprengkraft: Wie der Wissenschaftsrat die deutsche Forschungsfinanzierung verändern will.

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Artikelbild: Mehr Overhead, weniger Projekte

Titelseite des Positionspapiers. (Screenshot)

SCHEUT DER WISSENSCHAFTSRAT, dieses einzigartige Beratungsgremium von Wissenschaft und Politik, in der Krise den Konflikt? Oberflächlich betrachtet könnte man dieser Meinung sein angesichts des Positionspapiers zu den Strukturen der Forschungsfinanzierung, das er kürzlich verabschiedet hat. Denn wer darin die ultimativen Forderungen nach mehr Geld sucht, wird enttäuscht.


Im Gegenteil, von immer neuen Steigerungen der Forschungsbudgets könne nicht mehr selbstverständlich ausgegangen werden, betont das Gremium, es gehe darum, Forschungsfinanzierung "krisenfester" zu machen. Der Ansatz sei gewesen, sagt der neue Wissenschaftsratsvorsitzende Wolfgang Wick, "die Strukturen der Forschungsfinanzierung zu verbessern, um die vorhandenen Mittel möglichst effektiv und effizient einzusetzen".

Die Politik hört so etwas sicher gern. Und wer die Funktionsweise des Wissenschaftsrats kennt, dieses wichtigsten wissenschaftspolitischen Beratungsgremium von Bund und Ländern, der weiß: Ohne Zustimmung der Politik geht hier gar nichts.

Ohne Zustimmung der Wissenschaft allerdings auch nicht. Und wer glaubt, es handelt sich deshalb um zahme Empfehlungen, die der Wissenschaftsrat da formuliert hat, übersieht deren Sprengkraft.

Wenn das Gremium etwa feststellt, dass die immer weitere gewachsene Projektfinanzierung zulasten der Grundmittel der Hochschulen gehe, ist das nicht nur eine Kritik der Wissenschaft an der Politik. Es ist ein Eingeständnis der Politik selbst, mit ihrem bisherigen Ansatz an einem toten Punkt angelangt zu sein. Was womöglich auch erklärt, warum sich das BMBF (als direkter und indirekter Haupt-Drittmittelgeber) mit der Zustimmung so schwergetan hat, dass die eigentlich für Oktober vorgesehen Beschlussfassung des Papiers verschoben werden musste – und bis zuletzt nicht sicher war, ob es diesmal klappen würde.

Zugleich bedeuten die Vorschläge, auf die Wissenschaft und Politik sich verständigt haben, das, was die FAZ als "Fehdehandschuh an die Drittmittelkönige" bezeichnet hat. Die Empfehlung, die (bislang nur von Deutscher Forschungsgemeinschaft und BMBF gezahlten) Programmkostenpauschalen sukzessive von 22 auf 40 Prozent der Drittmittelkosten zu erhöhen, und zwar "in diesem Jahrzehnt", ist dabei noch am wenigsten spektakulär. Denn ähnliche Forderungen werden seit Jahren immer wieder aus der Wissenschaft heraus erhoben. Allerdings bislang fast immer mit dem Verständnis, dass eine solche Erhöhung nicht zulasten der Zahl und Finanzierung der Drittmittelprojekte an sich gehen würde. Diesmal nicht: Es werde insgesamt weniger Projekte geben, sagte Wissenschaftsratsmitglied Jürgen Heinze. "Das nehmen wir in Kauf."

Am Ende der Reform stünde ein Paradoxon

Und das vor dem zusätzlichen Hintergrund, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft gerade auf Druck unter anderem des Bundesrechnungshofs die Hochschulen zu Leitlinien zur bestimmungsgemäßen Verwendung der DFG-Programmpauschalen verpflichtet. Darunter die Bestimmung, dass die erfolgreichen Projektantragstellern keinen direkten Zugriff mehr auf die Pauschalen erhalten. Was, wie der Wissenschaftsrat betont, ein "Umdenken auf Seiten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler" erfordert. Anders formuliert: Auch das müssen die Drittmittelkönige schlucken, zumal der Wissenschaftsrat empfiehlt, die Leitlinie sogar auf die "Pauschalen anderer Geldgeber", auszuweiten. Womit vor allem das BMBF gemeint ist.

Am Ende stünde der vom Wissenschaftsrat angestrebten Reform stünde ein Paradoxon. Auf der einen Seite eine egalitärere und transparentere Forschungsfinanzierung, weil die eingeworbenen Forschungsprojekte mit ausreichend hohen Pauschalen kämen, um alle Nebenkosten, den sogenannten Overhead, zu finanzieren. Anstatt wie derzeit mit ihrem Ressourcenbedarf die Substanz und Infrastruktur der Hochschulen und damit die allen zustehenden Forschungsgrundmittel anzufressen. Und die Pauschalen würden noch dazu zentral von der Hochschule verwaltet. Zugleich aber, und das ist die andere Seite, würde die Ungleichheit in der Forschungsfinanzierung noch größer – weil sich weniger Projekte auf weniger erfolgreiche Antragsteller verteilen würden. Die FAZ stellt hier den Drittmittelkönigen den "verarmten Grundmitteladel" gegenüber.

Neu austarieren müssen sich auch die auch Bund und Länder in ihrer Forschungsfinanzierung. So zahlen die Länder zwar 42 Prozent des DFG-Budgets, aber nur zwei von derzeit 22 Prozentpunkten Overhead-Pauschale. Das dürfte spannungsreiche Diskussionen in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz geben – etwas, das der Wissenschaftsrat nur andeutet.

Indirekt ist die Forderung nach mehr Geld übrigens dann doch im Papier enthalten – wenn das Gremium allen Forschungsförderern, die bislang keine Pauschale zahlen, die Einführung selbiger nahelegen – und dann bitte gleich bei besagten 40 Prozent.

Nein, dieses Papier ist keine Kapitulation der Wissenschaft vor der Politik, es sind in diplomatische Formulierungen verpackte gegenseitige Zumutungen. "Auch strukturelle Veränderungen können für verschiedene Seiten schmerzhaft sein und müssen sorgfältig ausgehandelt werden", sagte Wolfgang Wick direkt nach Verabschiedung des Papiers. Recht hat er.

Dieser Kommentar erschien heute in kürzerer Fassung zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.

Kommentare

#3 -

Noch 'ne Hanna | Mo., 06.02.2023 - 09:57
Ich höre mich an wie eine festhängende Schallplatte, weil ich auch hier wieder auf etwas verweise, auf das ich jetzt schon seit Monaten aufmerksam zu machen versuche: Die Sprengkraft ergibt sich auch im Zusammenhang mit dem Bericht des Bundesrechnungshofs zur Verwendung von Hochschulpaktmitteln und Programmpauschale aus dem Frühjahr 2021. Denn da "die Politik" nicht nur als uneigennützige Forschungsfördererin, sondern auch als Auftraggeberin auftritt, profitiert gerade von Exekutive vom Chaos in der Drittmittelforschung und dem Verzicht auf Arbeitszeiterfassung: Sie kommt in den Genuss von unzulässigen "Quersubventionierungen", wenn z.B. DFG- oder Landesmittel für Aufträge von Bundesministerien genutzt werden. Dass sich vor diesem Hintergrund der Reformwille auf einer Reihe von Baustellen, einschließlich WissZeitVG, in Grenzen hält, ist nur zwingende Folge ökonomisch rationalen Verhaltens.

#4 -

na ja | Mo., 06.02.2023 - 14:53
Zitat: "Zugleich aber, und das ist die andere Seite, würde die Ungleichheit in der Forschungsfinanzierung noch größer – weil sich weniger Projekte auf weniger erfolgreiche Antragsteller verteilen würden."

Man kann das auch positiv sehen. Es käme endlich in der Mehrzahl nur noch zu Projekten mit Substanz, bei denen Drittmittelgeber also bereit ist, sich finanziell wesentlich höher zu engagieren, weil etwas substantielles zu erwarten ist. Das ist bei vielen Kooperationsprojekten mit der Industrie heute eben grade nicht der Fall. Die Projektpartner steigen nur ein, weil es sie wenig kostet, weil sie Nachwuchs abgreifen können und weil es gut für die Presse ist. Prima, wenn das zusammengestrichen wird. Auf die Vielzahl der damit verbundenen Promotionsprojekte kann man auch gut verzichten.

#5 -

Ralf Meyer | Mi., 08.02.2023 - 20:23
Wenn der Anteil der Bewilligungen sinkt, erhöht das nicht die Qualität der geförderten Projekte, sondern den Lotterieanteil am Bewilligungsprozess. Schon jetzt gibt es jedenfalls bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft mehr förderwürdige Projekte als gefördert werden können, und bei der Auswahl muss dann irgendwie entschieden werden, wer nicht gefördert werden kann. Bis zu einem gewissen Grade gelingt es dabei, die Nuancierungen in Gutachterempfehlungen richtig als Qualitätsunterschiede zu interpretieren. Aber je geringer die Förderquote wird, desto größer wird der Anteil von sachfremden Kriterien bei der Förderentscheidung. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats beziehen sich übrigens vor allem auf die staatliche Forschungsfinanzierung. Für den Wissenstransfer, also die Kooperation mit der Industrie, sollen ja zusätzliche Förderagenturen aufgebaut werden. Also wird in diesen Bereich eher mehr staatliche Förderung fließen. Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels wird es auch für Firmen immer attraktiver, durch Kooperationen mit Hochschulen einerseits ihre Forschungsfragen beantworten zu lassen und andererseits potenzielle Mitarbeiter*innen zu gewinnen.

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