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Bundestagsabgeordnete fordern Neugebauers umgehende Ablösung

Auch in der Fraunhofer-Gesellschaft rumort es immer lauter: Betriebsräte nennen Stellungnahme des Vorstands "fragwürdig", das Vertrauen in die Zentrale der Forschungsorganisation sei "insgesamt zerrüttet".

AM MITTWOCH HATTE der Bundestagshaushaltsausschuss einen scharfen Maßgabebeschluss gegen Fraunhofer gefasst, und Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hatte erstmals den schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand der Forschungsgesellschaft gefordert. Anlass war die Befassung des Haushaltsausschusses mit einem Prüfbericht des Bundesrechnungshofs (BRH), der auf 61 Seiten zahlreiche, über Jahre hinweg reichende Verstöße des Fraunhofer-Vorstandes bei der Verwendung von Spesen und Reisekosten aufgelistet hatte. Außerdem hatten die Prüfer dem BMBF vorgeworfen, ihn bei der Aufklärung der Affäre behindert zu haben.

 

Am Tag danach verlangten erste Bundestagsabgeordnete der Ampel-Koalition explizit die umgehende Ablösung von Reimund Neugebauer. So sagte der grüne Bundestagsabgeordnete und Haushaltspolitiker Bruno Hönel auf Anfrage, er begrüße Stark-Watzingers Äußerung. "Es wäre folgerichtig, wenn Fraunhofer-Präsident Neugebauer seinen für September geplanten Amtsverzicht vorzieht und so den Weg für eine Neuaufstellung und Neuausrichtung des Vorstandes schnellstmöglich freimacht." Nur so könnten die notwendigen Verbesserungen bei Governance und Compliance im Vorstandsbereich der Fraunhofer-Gesellschaft ohne Vorbehalte angegangen werden. 

 

SPD-Wissenschaftspolitiker Oliver Kaczmarek sagte, es sei wichtig, dass sich die Gremien der Fraunhofer-Gesellschaft den vom Bundesrechnungshof aufgezeigten Compliance-Fehlern selbstkritisch stellten – "und dabei auch einen Neuanfang im Präsidium der Fraunhofer-Gesellschaft starten, damit die wichtige Arbeit der Forscherinnen und Forscher wieder im Vordergrund steht und nicht die Fehler der Spitze."

 

Auch aus der Bundestagsopposition wurden am Donnerstag Rufe nach Neugebauers schnellstmöglichen Rückzug laut. Die linke Wissenschaftspolitikerin Petra Sitte sagte, wenn Neugebauer nicht selbst umgehend seinen Platz räume, "dann fordere ich das BMBF auf, diese Ablösung mit Nachdruck voranzutreiben. Das Ansehen der Fraunhofer-Gesellschaft habe ohnehin bereits Schaden genommen, "und dieser muss begrenzt werden".


Fraunhofer: "Eine sehr
erfolgreiche Amtszeit" Neugebauers 

 

Neugebauer ließ heute die Anfrage, ob er nun kurzfristig zurücktreten werde, unbeantwortet. An seiner Stelle antwortete die Fraunhofer-Pressestelle: "Prof. Neugebauer blickt auf eine sehr erfolgreiche Amtszeit als Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft zurück." Es folgte der Verweis, zu Neugebauers "bereits angekündigtem regulären Amtszeitende im September 2023 haben wir in der  Vergangenheit bereits entsprechende Informationen bereitgestellt."

 

Tatsächlich hatte Neugebauer im Oktober 2022 angekündigt, seinen Rückzug ein Jahr vorzuziehen, auf eben jenen September 2023, angeblich aus freier Entscheidung heraus. Allerdings war unmittelbar vorher bekannt geworden, dass er, vorgestellt als Fraunhofer-Präsident, in dem Imagefilm eines Unternehmens aufgetreten war, an dem er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Videos Anteile besaß – was jedoch darin nicht thematisiert wurde. 

 

Nur scheint inzwischen nicht nur für Ministerin Stark-Watzinger kaum noch vorstellbar, dass Neugebauer noch so lange im Amt bleiben kann. Auch fraunhoferintern wächst der Druck auf den umstrittenen Präsidenten immer weiter, weil der Frust über das mutmaßliche Fehlverhalten des Vorstands so groß ist.

 

Betriebsrat: Das Vertrauen in die
Zentrale ist "insgesamt zerrüttet"

 

Der Betriebsrat der Münchner Fraunhofer-Zentrale erklärte sich am Dienstag in einem Schreiben an den Fraunhofer-Vorstand solidarisch mit dem Brandbrief, den der Betriebsrat des Fraunhofer-Instituts FOKUS schon Mitte Februar an den Vorstand versandt hatte. Darin hieß es, die Innenwirkung der Vorwürfe gegen den Vorstand und dessen Antwort darauf seien katastrophal: "Wir haben noch niemanden gefunden, der mit Ihrer Antwort zufrieden gewesen wäre, dafür viele, die sich fragen, warum sie sich jahrelang an die Regeln der Fraunhofer-Gesellschaft gehalten haben, wenn diese Regeln offenbar nicht für alle bei Fraunhofer gelten." Und weiter: "Wir sind die Forschungsgesellschaft für exzellente Forschung, und unser Vorstand sich nicht zu schade, bei Hotel- und Bewirtungsregeln Vorteil für sich zu ziehen oder den Dienstwagen für Privatfahrten zu nutzen?" Dies führe dazu, dass das Vertrauen in die Zentrale "insgesamt zerrüttet" sei.

 

Der FOKUS-Betriebsrat forderte, "wenigstens jetzt eine intern und extern besetzte Kommission einzurichten, die alle Vorwürfe sauber aufarbeitet und die Ergebnisse der Aufarbeitung intern und extern kommuniziert und Konsequenzen aufzeigt." Eine zweite Kommission solle die Einführung SAP-Einführung bei Fraunhofer untersuchen, die vom Betriebsrat als "Debakel" bezeichnet wird. 

 

Diesen Forderungen schloss sich der Betriebsrat der Münchner Zentrale am Dienstag in seinem eigenen Brief an den Fraunhofer-Vorstand an: Dass das Vertrauen der Institute gegenüber der Zentrale insgesamt erschüttert sei, sei eine "weitere negative Folge des Verhaltens einzelner Vorstandsmitglieder." Die interne sowie die externe Stellungnahme des Vorstands zum BRH-Prüfbericht sei "fragwürdig, abstrakt, ausweichend, wenn nicht sogar peinlich."

 

In einem einseitigen Brief an die Fraunhofer-Mitarbeiter hatte der Vorstand den BRH-Bericht unter anderem so kommentiert: "Entstandene Missverständnisse zwischen Fraunhofer und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF können beseitigt und die solide und über Jahrzehnte gewachsene Basis der Zusammenarbeit kann weiter gefestigt werden. Der Bericht des BRH bildet unsere getätigten Stellungnahmen allerdings nur punktuell ab."

 

Große Einigkeit: Mit dem Austausch
des Vorstands ist es nicht getan

 

Auf Anfrage hatte die Fraunhofer-Gesellschaft darüber hinaus am 7. Februar mitgeteilt: "Wir möchten betonen, dass Vorstand und Beschäftigte jederzeit in der Überzeugung der Regelkonformität ihres Tuns handelten." Die im BRH-Bericht genannten Vorwürfe systematischer Verstöße gegen interne und externe Vorgaben oder einer mangelnden Governance könne man nicht teilen und halten diese "in ihrer Pauschalität für nicht gerechtfertigt".

 

Auch ihre Reaktion auf den jetzt erfolgten Beschluss des Haushaltsausschusses beschränkte die Fraunhofer-Pressestelle wiederum auf wenige Absätze. "Zu der Thematik des BRH-Prüfberichts und artverwandter Themen haben wir in der Vergangenheit ebenso ausführlich auch Ihnen gegenüber Stellung bezogen", teilte sie am Donnerstag weiter mit. "Wir nehmen den Beschluss des Haushaltsausschusses zur Kenntnis und werden die Ableitungen und Auswirkungen für die Fraunhofer-Gesellschaft nun entsprechend analysieren und bewerten. Mit Blick auf das gestrige Statement des BMBF zu Fraunhofer und dem BRH-Bericht verweisen wir auf den Fraunhofer-Senat als zuständiges Gremium."

 

Dessen neue Vorsitzende Hildegard Müller ich in derselben Anfrage bereits um Stellungnahme gebeten hatte – doch sah sich die Fraunhofer-Zentrale nicht in der Lage, diese weiterzuleiten, und schickte in sein Antwort am Donnerstagnachmittag lediglich die Adresse eines Mailpostfachs mit. 

 

Entsprechend betonen alle politischen Stimmen denn auch, dass es mit dem Austausch der Person an der Spitze offenbar nicht getan sei bei Fraunhofer. Der Grüne Bruno Hönel sagte, Neugebauers Ablösung reiche nicht, um die strukturellen Mängel bei interner und externer Revision der Fraunhofer-Gesellschaft abzustellen. "Der im Haushaltsausschuss auf Ampel-Initiative verabschiedete Maßgabebeschluss untermauert, dass es auch einer Verbesserung der Kontrollmechanismen des BMBF im Hinblick auf den sachgemäßen Einsatz öffentlicher Zuwendungen bedarf. Hier steht die Ministerin nun in der Pflicht." Die Linke Petra Sitte sagte: Die dahinterstehende 'Kultur', die persönliche Überhöhung der Verantwortlichen, geändert werden." Es könne künftig nicht nur um wissenschaftliche Kompetenzen gehen, sondern beispielsweise auch Leitungskompetenzen."

 

Die SPD-Politikerin Wiebke Esdar betonte, der Findungsprozess für Neugebauers Nachfolge laufe ja bereits. "Wir brauchen an der Stelle eine Persönlichkeit, die es schafft einen Kulturwandel herbeizuführen. Sie muss sicher stellen, dass es kein System mehr gibt, in dem Missbrauch gedeckt, geduldet oder gar unterstützt wird. Ich wünsche mir, dass darauf der Fokus gelegt wird, weil uns das nach vorne bringt."

 

 

Nachtrag am 03. März 2023, 13.30 Uhr

Fraunhofer-Senatsvorsitzende Müller äußert sich

 

Hildegard Müller, seit Anfang des Jahres an der Spitze des Fraunhofer-Senats, äußert sich auf Anfrage zu den Forderungen nach einem schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand der Forschungsgesellschaft – und gibt Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) deutlich Contra: Der Senat nehme Stark-Watzingers Aussagen "in Bezug auf die Führungsspitze der Fraunhofer-Gesellschaft zur Kenntnis", sagt Müller, im Hauptjob Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). "Ich verweise allerdings darauf, dass mögliche Entscheidungen in diesen Fragen Aufgabe des zuständigen Gremiums der Fraunhofer-Gesellschaft ist." Der Senat werde sich "natürlich" mit dem BRH-Bericht "intensiv befassen und die daraus resultierenden Handlungsbedarfe analysieren, festlegen und umsetzen".

 

In ihrem Statement ging Müller weder auf die ihr gestellte Frage ein, ob dem Senat die Prüfberichte von Rechnungshof und BMBF überhaupt schon vorlägen. Auch die Frage, ob sie persönlich der Meinung sei, dass Reimund Neugebauer noch bis September das Amtes des Präsidenten fortführen sollte, ließ die Senatsvorsitzende unbeantwortet.

 


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Kommentare: 9
  • #1

    Roman Held (Donnerstag, 02 März 2023 23:18)

    Puh.. Das ist schon heftig, was ich über die internen Forderungen einiger Fraunhofer Betriebsräte gegen den Vorstand von Fraunhofer heute lese. Gruselig, wie immer tiefer dieser Sumpf gegen Neugebauer et al. wird. Warum jetzt erst? Weil die investigativen Journalisten recherchieren und berichten. Dadurch trauen sich immer mehr an die Öffentlichkeit, auch weil die Angst vor Repressalien dadurch schwindet. Toll, dass ich in einem demokratischen Land lebe. Ich würde mir wünschen, dass Neugebauer bei Fraunhofer ein Einzelfall ist. Aber ist er es????

  • #2

    Manfred Ronzheimer (Freitag, 03 März 2023 07:46)

    Ich kümmere mich um die das "SAP-Debakel".
    Im Brief des Betriebsrates heißt es dazu:
    "Hier wurde die komplexeste Softwareeinführung in der SAP-Geschichte durchgeführt – ohne saubere Planung, ohne Tests und ohne vernünftige Durchführung. Die Folgen waren absehbar: nicht funktionierende Software, Verluste in den Instituten, Vertrauensverlust bei den Mitarbeitenden und Kunden von Fraunhofer. Genau diese Folgen sind eingetreten, nur noch viel schlimmer als befürchtet – aus unserer Sicht ist nicht absehbar, ob die Software jemals wie gewünscht funktionieren wird.
    Auch hier muss eine Aufarbeitung der SAP-Einführung erfolgen, auch hier mit externer Beteiligung. Es kann nicht sein, dass ein Millionengrab geschaffen wird auf dem Rücken der Mitarbeitenden, ohne dass herausgearbeitet wird, was schiefgelaufen ist, wie solche Fehler in Zukunft vermieden werden und welche Konsequenzen zu ziehen sind"
    Hier geht es um andere Beträge als bei den Hotelspesen.

  • #3

    Roman Held (Freitag, 03 März 2023 11:25)

    @Manfred Ronzheimer:
    Lange hat Fraunhofer ja auf das eigene SIGMA gesetzt, was einigermaßen gut funktionierte aber aus diversen Gründen abgelöst werden sollte/musste. SAP ist ein Desaster auf allen Ebenen in den Instituten und führt mittlerweile zu Dauerfrust bei den Mitarbeitenden und den armen Controller*innen. Und die Probleme mit SAP sind noch lange nicht gelöst. Die Kosten in den Verwaltungen und für wissenschaftliches Personal dafür laufen aus dem Ruder. Neugebauer et al. treffen auch in diesem Fall eine große Mitschuld, da u.a. keine adäquaten Managementstrukturen zur Implementierung von SAP an den Instituten geschaffen wurde. Alle 80 FHIs waren und sind mehr oder weniger auf sich allein gestellt, was den Wechsel von SIGMA zu SAP angeht. Einkäufer*innen verzweifeln schier an den Prozessen und müssen sich eigenständig Lösungen suchen. Jedes Institut für sich! Stümperhaft und ohne funktionierendes Gesamtkonzept in einer Corporate Identity Organisation. Es gibt jede Menge zu tun, um die Fraunhofer Gesellschaft wieder auf Spur zu bringen. Da steht noch einiges bevor.

  • #4

    Manfred Ronzheimer (Freitag, 03 März 2023 13:44)

    @Roman Held
    Danke für die SAP-Konkretisierung. Aus der Münchener Zentrale erreichen mich lediglich Beschwichtigungen: "Insgesamt schreitet die SAP-Implementierung trotz aller Schwierigkeiten und Belastungen kontinuierlich und erfolgversprechend voran".
    Bitte geben Sie meine Adresse ronzheimer@t-online.de an andere Institute weiter. Ich bin an konkreten Problembeschreibungen interessiert, sowie Lösungsansätzen, wenn es sie geben sollte.

  • #5

    Roman Held (Freitag, 03 März 2023 23:26)

    Zum Nachtrag vom 03.03 von Frau Müller ist festzustellen, dass der Senat über Monate / Jahre geschwiegen hat und insofern versagt hat. Auch dieses Organ bei Fraunhofer muss dringend erneuert werden. Der Senat ist in der Hand des Vorstands und kein unabhängiges Kontrollgremium. Der Senat hat oft nur abgenickt, was ihm vorgesetzt wurde.

  • #6

    Wissenschaftler (Samstag, 04 März 2023 01:08)

    Neugebauer und alte Mitarbeiter sollten entlassen werden und den Schaden selbst bezahlen.
    Stark-Watzinger sollte ebenfalls entlassen werden. Es kann nicht angehen, dass Prüfer durch das BMBF behindert werden. Stark-Watzinger versucht hier nun, sich unter fragwürdign Umständen zu retten.
    Die ganze Geschichte zeigt nur, wie schlecht mit Wissenschaftlern umgegangen wird, d.h. Übernachtungspauschle etc. Wer maechtig genug ist, bricht erstmal Regeln. Machtmissbrauch in der Wissenschaft.
    Erinnert mich an die Farm der Tiere, wo einige gleicher als andere waren.

  • #7

    Brigitte Abert (Dienstag, 07 März 2023 23:11)

    Das steht Herr Neugebauer und seine Folgschaft locker durch. Wird nichts weiter passieren. Das mediale Interesse an dieser Story ist zu gering. Focus+Spiegel Artikel usw. verpuffen vollkommen. Aussitzen weiter angesagt.

  • #8

    Felix (Mittwoch, 08 März 2023 10:58)

    Die Losung lautet: Kein Wiarda-Blog ohne Neugebauer. Insofern wird sein Rückzug den Journalismus bestimmt ärmer machen.

  • #9

    Fraunhofer (Donnerstag, 09 März 2023 11:00)

    @Felix: Ich würde den Blog sehr gerne auch so lesen, noch lieber ohne News zu Neugebauer.