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"Grundsätzlich über die Rolle der Hochschulen diskutieren"

Die Hochschulen hätten nicht die wissenschaftspolitische Stellung, die ihnen von ihrer Bedeutung her zustehe, sagt der neue HRK-Präsident Walter Rosenthal. Welche Folgen das für den Wettbewerb um Forschende und Studierende hat – und wie er das ändern will: ein Interview.

Walter Rosenthal, 68, ist seit 2014 Präsident der Friedrich-Schiller-Universität Jena – und seit Dienstag zusätzlich neuer Chef der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Mit 226 zu 181 Stimmen setzte er sich im ersten Wahlgang gegen Oliver Günther durch. Es gab allerdings auch 34 Enthaltungen und neun nicht abgegebene Stimmen. Foto: HRK/Jürgen Scheere.

Herr Rosenthal, herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen Wahl schon im ersten Wahlgang. Ging das am Ende doch einfacher als gedacht?

 

Es war durchaus knapp mit nur einer Stimme über dem erforderlichen Quorum. Aber in der Tat hatten viele eine langwierige Wahl vorhergesagt, weil die allgemeine Meinung war, dass es zwei gleichwertige Kandidaten gab. 

 

Das mit den gleichwertigen Kandidaten haben einige Hochschulchefs auch als mangelnde inhaltliche Auswahl empfunden – weil Sie und Oliver Günther in allen zentralen Fragen praktisch einer Meinung waren. So erklärt sich vermutlich auch, dass es so viele Enthaltungen und nicht abgegebene Stimmen gab. Sagen Sie: Was wird in der HRK jetzt anders laufen, als es mit einem Präsidenten Oliver Günther gelaufen wäre? 

 

Nach meiner Meinung müssen wir dringend und grundsätzlich über die Rolle der Hochschulen im Wissenschaftssystem diskutieren. Die Hochschulen erfahren nicht die gesellschaftliche und politische Anerkennung, sie haben leider nicht die wissenschaftspolitische Stellung, die ihnen angesichts ihrer Bedeutung zusteht. Um die Hochschulen herum bilden sich schließlich die zentralen Netzwerke in der Wissenschaft, sie sind Schaltstellen und Vernetzer, die Treiber von Entwicklung in Gesellschaft und Wissenschaft. 

 

"Wer von Transfer in die Gesellschaft und die
Wirtschaft spricht, meint vor allem uns Hochschulen."

 

Woraus was folgt?

 

Daraus folgt unter anderem die Botschaft an die Politik, dass wer von Transfer in die Gesellschaft und die Wirtschaft spricht, vor allem uns Hochschulen meint. Die Hochschulen bringen jedes Jahr eine enorm große Zahl an Ausgründungen und Startups hervor, kein anderer Player in der Wissenschaft kann das auch nur annähernd leisten. Und vergessen Sie nicht die besondere Ausstrahlung der 50 Kunst- und Musikhochschulen in die Kunst- und Kulturszene hinein. Oder unser Kerngeschäft, die hunderttausenden Absolventinnen und Absolventen, die wir jedes Jahr der Gesellschaft und der Wirtschaft zur Verfügung stellen. Mein Eindruck ist, das wird allzu oft nicht hinreichend wahrgenommen und wertgeschätzt. Das müssen wir ändern.

 

Sie wollen mehr Geld. 

 

Es geht hier nicht nur um Geld. Wir müssen der Politik und vor allem der Bundespolitik sehr deutlich machen, dass wir als Hochschulen Gewaltiges für das Gemeinwohl leisten und dafür an den strategischen Überlegungen über die Zukunft des Wissenschaftssystems beteiligt werden wollen. Dazu gehört auch, dass wir über Geld sprechen müssen. Allein der Investitionsstau im Hochschulbau – wir sprechen hier mittlerweile über 60 Milliarden Euro – entspricht der Größenordnung eines bundespolitisch neuerdings viel zitierten Sondervermögens. Das hat gravierende Folgen: Wir können im Wettbewerb um die besten internationalen Forscherinnen und Forscher auch deshalb nicht immer mithalten, weil unsere Infrastrukturen teilweise sehr zu wünschen übriglassen. Und auch viele der begabtesten Studierenden werden eher dorthin gehen, wo sie in ansprechenden Gebäuden lernen können. Unsere Hochschulen müssen ein Ort zum Leben werden für Studierende, wie sie es in anderen Ländern längst sind.

 

Was meinen Sie damit?

 

Der ideale Tag eines Studierenden sollte von morgens bis abends an der Hochschule stattfinden können. Nicht weil man das muss, sondern weil es sich um einen umfassend inspirierenden Ort handelt, der Möglichkeiten eröffnet, an dem man sich gern aufhält. Vielleicht beginnt der Tag mit einer Vorlesung oder einer Übung in Präsenz, danach geht man an einen ruhigen Ort zum Lernen oder trifft sich anderswo zum gemeinsamen Diskutieren oder zum Entspannen. Später loggt man sich dann vielleicht in ein digitales Seminar ein, auch das natürlich aus Räumen der Hochschule heraus. Die Hochschulen müssen aber auch mit ihren Studienangeboten attraktiver werden, sie müssen flexibler werden, Orientierungsphasen und mehr Wahlmöglichkeiten bieten – und ein weniger vollgepacktes Curriculum.   

 

"Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir den Weg zu wirklicher Gleichberechtigung stringent beschreiten."

 

Apropos Wettbewerb um die Talente: Im vergangenen Jahr gab es in der HRK einen heftigen Streit um die Gleichstellung. Dass es dann nur zwei männliche HRK-Präsidentschaftskandidaten gab, ist vielen Rektorinnen, aber auch Rektoren sauer aufgestoßen. Welche Bedeutung hat Frauenförderung in der Wissenschaft für Sie, Herr Rosenthal?

 

Wir müssen alles tun, um hier besser und schneller zu werden. Ich sehe nicht, dass in diesem Punkt  gravierende Meinungsverschiedenheiten in der HRK gibt. Ich werde mich dafür einsetzen, dass wir den Weg zu wirklicher Gleichberechtigung stringent beschreiten.

 

Was heißt das konkret? Ebenfalls am Dienstag hat das HRK-Plenum beschlossen, dass eine Kommission den Entwurf einer Selbstverpflichtung erarbeiten soll – der dann nach Beschluss durch die Hochschulrektorenkonferenz die einzelnen Hochschulleitungen beitreten sollen. Das kann, wenn der neue HRK-Präsident sich dahinterklemmt, einen großen Unterschied machen. Und wenn nicht, ein Papiertiger werden, oder?

 

Die Hochschulrektorenkonferenz kann den einzelnen Hochschulen nichts diktieren, aber ich werde mich entschieden dafür einsetzen, dass diese Selbstverpflichtung so konkret und belastbar wie möglich wird. Stichworte sind aktive Rekrutierung, die Formulierung und Verfolgung von Gleichstellungszielen auf der Ebene der Hochschulleitung und in den Fakultäten, Stellenausschreibungen, die Gleichstellungsaspekten Rechnung tragen und vieles mehr. 

 

Auch die Einführung einer Quote?

 

Ich bin kein Quotenbefürworter. Denn wenn man Quoten schlicht herunterbricht auf die Entscheidung zwischen zwei Bewerbungen, können  Entscheidungen, die nicht qualitätsbasiert sind, die Folge sein. 

 

Was, wenn man sich den Zustand akademischer Karrierepfade anschaut, derzeit nicht unbedingt ungewöhnlich ist an deutschen Hochschulen, oder?

 

Sie haben insofern Recht, dass wir mehr Transparenz brauchen, mehr Verbindlichkeit und klar strukturierte Wege auch für Dauerstellen in der Wissenschaft. Künftig sollte es mehrere Karrierepfade neben der Professur geben, die zu entfristeten Anstellungen führen. 

 

Also insgesamt mehr Dauerstellen als bislang?

 

Das hängt von der Grundfinanzierung der Hochschulen ab. Bleibt diese, wie sie derzeit ist, reden wir wohl leider nicht vorrangig von mehr unbefristeten Stellen, sondern vom schrittweisen Aufbau einer anderen Stellenstruktur. Das wären vor allem Karrierewege, die weniger Hierarchie und mehr Unabhängigkeit für junge Forschende bringen. Es ist wichtig, dass wir diese neuen Karrierewege so gestalten, dass es nicht zu Insellösungen und Alleingängen in einzelnen Bundesländern kommt. Wichtig ist generell, dass junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler früh eigenständig werden, etwa dadurch dass sie eigene Fördermittel beantragen und selbst Zugang zu Forschungsinfrastrukturen haben.

 

"Der Fachkräftemangel wird dafür sorgen, dass die Hochschulen massive Personalprobleme bekommen, wenn sie als Arbeitgeber nicht attraktiver werden."

 

In der Debatte um die Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) geht es ganz entscheidend um die Frage, wann der Übergang zu Dauerstellen stattfinden soll. Was sagen Sie?

 

Die HRK hat sich vor über einem Jahr darauf festgelegt, dass eine Befristung nach der Promotion im Rahmen einer Gesamtqualifizierungsphase von zehn Jahren noch für mindestens vier Jahre möglich sein sollte; länger ist besser. Gegenüber dem bisherigen BMBF-Vorschlag von drei Jahren brauchen wir auf jeden Fall eine Ausweitung. Denn wenn man derart stark an der Entfristungsschraube dreht, werden Karrierewege und Karrieremöglichkeiten viel zu früh abgeschnitten. Darum gab es von allen Seiten Proteste gegen den BMBF-Vorschlag. Natürlich müssen flankierend zu jeder WissZeitVG-Novelle die Karrierewege anders gestaltet werden, diese müssen transparenter und verlässlicher werden, und es muss neue Karrierewege geben – so, wie ich es gerade beschrieben habe. Dafür müssen sich die Hochschulen verbindliche Regeln geben.

 

Warum sollte das mit den Selbstverpflichtungen denn dann klappen?

 

Weil die Rahmenbedingungen sich grundsätzlich geändert haben. Der Fachkräftemangel wird dafür sorgen, dass die Hochschulen massive Personalprobleme bekommen können, wenn sie als Arbeitgeber nicht attraktiver werden. Wir werden dann schlicht nicht mehr alle unsere Promotions- und Postdoc-Stellen besetzen können. 

 

Nicht immer haben Sie sich in der Vergangenheit als Reformer präsentiert. Als die ersten HAWs in Hessen und anderswo das Promotionsrecht erhielten, haben Sie sich entschieden gegen eine Übertragung auf Ihr Bundesland ausgesprochen. Doch seit kurzem plädieren Sie für ein bundesweites HAW-Promotionsrecht. Woher kommt der Meinungsumschwung?

 

Ich war und bin Befürworter der kooperativen Promotion. Doch wir müssen ehrlich feststellen, dass dieses Model nicht so erfolgreich war, wenn nur 150 von rund 26.000 Promotionen jährlich auf diesem Weg zustandekommen. Die Einführung eines HAW-Promotionsrechtes ist daher richtig. Außerdem ist die Evaluierung der HAW-Promotionsmodelle in Hessen und Nordrhein-Westfalen erfolgreich verlaufen. Alle anderen Bundesländer sollten jetzt nachziehen und das Promotionsrecht für HAW einführen. Wir können uns keinen Flickenteppich leisten. 

 

Ein Wort noch zu Ihrer persönlichen Zukunft, Herr Rosenthal: Normalerweise vergehen Monate, bis man nach der Wahl HRK-Präsident wird. So dass man Zeit hat, seine Angelegenheiten zu ordnen. Sie sind seit Annahme Ihrer Wahl bereits im Amt. Was sagen Sie jetzt zu Hause an der Universität Jena?

 

Das ist ja eine Ausnahmesituation, die dadurch entstanden ist, dass es keinen regulär amtierenden HRK-Präsidenten mehr gab. Ich habe jetzt zwei Präsidentenämter, das in Jena im Hauptamt, das in der Hochschulrektorenkonferenz im Nebenamt. Natürlich habe ich in Thüringen an der Universität und mit dem Wissenschaftsministerium Gespräche geführt, um für den Fall meiner Wahl vorbereitet zu sein. Insofern werden wir jetzt alle daran arbeiten, einen zügigen, aber eben auch geordneten Übergang hinzubekommen, so dass aus meinem neuen Nebenamt bald mein neues Hauptamt wird.


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Kommentare: 3
  • #1

    Gleichberechtigung (Mittwoch, 10 Mai 2023 18:34)

    "Dass es dann nur zwei männliche HRK-Präsidentschaftskandidaten gab, ist vielen Rektorinnen, aber auch Rektoren sauer aufgestoßen."

    Wenn der HRK nichts anderes einfällt, als zwei Männer, noch dazu 61 und 68 Jahre alt, zu nominieren und den 68 Jahre alten Mann zu wählen, ist das ja eine Aussage.
    Eine Aussage ist aber auch, dass wenn eine Frau ins Rektor:innenAmt gewählt wird, diese meist als Übergangsrektorin gesehen wird: 60+ (s. Heidelberg, Tübingen, ...), was noch nicht mal dem Durchschnittsalter der Rektor:innenposten entspricht (58+).

    Wo sind die "Jüngeren", männlich und vor allem aber weiblich???

    Quelle: www.che.de/download/hochschulleitung-deutschland-2023/

  • #2

    hmm (Donnerstag, 11 Mai 2023 09:36)

    @Gleichberechtigung: haben Sie auch SACHLICHE Argumente, warum die Nominierung der beiden Kandidaten schlecht gewesen ist? Welche personellen Alternativen würden Sie denn konkret vorschlagen und aus welchen sachlichen Gründen in Bezug auf das Amt, das hier ausgefüllt werden soll?

  • #3

    Gleichberechtigung (Mittwoch, 24 Mai 2023 10:42)

    Lieber hmm,

    Sie meinen also, dass unter sämtlichen Hochschulrektor:innen in der HRK niemand weibliches ist, die SACHLICH fähig sind, fürs Präsident:innenamt zu kandidieren, wenn man nur diese beiden Männer gefunden hat...

    Das finde ich fast noch schlimmer!

    Zudem habe ich nicht in Zweifel gezogen, dass die beiden männlichen Kandidaten oder deren Nominierung schlecht gewesen sei. Keinesfalls!
    Aber dass keine Frau unter den Nominierten zu finden war, finde ich eine Aussage, die der HRK nicht gut tut!