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Worauf sich Bund und Länder geeinigt haben

BMBF und Kultusministerien haben sich auf die Eckpunkte zum Startchancen-Papier verständigt. Was steht drin in dem Papier? Wer finanziert was? Und welche Schulen bekommen wofür Geld? Ein Überblick.

Startbahn des ehemaligen Berliner Flughafens Tempelhof. Foto: Sören Kusch, CC BY-SA 3.0.

13 ENG BESCHRIEBENE SEITEN umfasst das Papier, auf das sich gestern Abend die Verhandlungsgruppe von vier Landesstaatssekretären und ihrer BMBF-Kollegin Sabine Döring geeinigt haben. Der Durchbruch gelang, nachdem die Streitpunkte vor allem zu Kofinanzierung, Befristung der Gelder und rechtlicher Umsetzung aus dem Weg geräumt waren.

 

Klar ist: Die Eckpunkte sind noch keine ausgearbeitete Vereinbarung. Auch gab es unter den nicht an den Verhandlungen beteiligten Kultusministerien heute offenbar einzelne, die fanden, ihnen werde die Zustimmung zu den Eckpunkten etwas schnell abverlangt. So dass die Einladung zur kurzfristig anberaumten Pressekonferenz dann lediglich davon sprach, dass die Verhandlungsgruppe sich nach intensiven Verhandlungen auf "entscheidende Eckpunkte" geeinigt habe. "Auf dieser Grundlage werden in den nächsten Wochen die letzten Details ausgestaltet." So bleibt also auch nach dem Zustandekommen der Eckpunkte viel Arbeit (und womöglich weiteres Ringen) um das Kleingedruckte. Doch die Pfeiler des Programms stehen jetzt. Hier sind sie.

 

Zielsetzung: die Chancengerechtigkeit in der schulischen Bildung so verbessern, "dass möglichst allen Kindern und Jugendlichen die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet werden und Bildungserfolg von sozialer Herkunft entkoppelt wird".

 

Zielgruppe: Rund 4.000 allgemeinbildend und berufliche Schulen mit einem hohen Anteil sozioökonomisch benachteiligter Schüler. Insgesamt sollen rund eine Million Kinder und Jugendliche erreicht werden, 60 Prozent davon an Grundschulen, 40 Prozent an weiterführenden Schulen. 

 

Was die Startchancen-Schulen ausmachen soll: Sie sollen datengestützt arbeiten, sich zu "individueller Diagnostik, adaptiver Förderung und datengestützter Schul- und Unterrichtsentwicklung" bekennen und sich die dafür nötigen Kompetenzen schrittweise aneignen. So solle sich das gesamte pädagogische Personal zu Fortbildungen verpflichten und professionelle Lerngemeinschaften gründen.

 

Auswahl der Schulen: Die bundesweite Verteilung der Schulen erfolgt "nach einem Schlüssel auf die sechzehn Länder, der sich aus den jeweiligen Landesanteilen an den Programmmitteln des Bundes bei Programmstart ergibt" (siehe dazu weiter unten). Auf Landesebene soll kein einheitlicher Sozialindex für alle Länder zugrunde gelegt werden. Die Auswahl soll jedes Land anhand "geeigneter und transparenter Kriterien" vornehmen, die wissenschaftsgeleitet sein müssen und sich an den Startchancen-Zielsetzungen ausrichten.  Mindestanforderungen sind die Benachteiligungsdimensionen Armut und Migration. 

 

Programmsäule I: "Investitionsprogramm für eine zeitgemäße und förderliche Lernumgebung" im Sinne von "Beiträgen zu modernen, klimagerechten und barrierefreien Lernorten", insbesondere Verbesserungen in Form von lernfördernden Räumen, moderner Infrastruktur und Lernflächen wie Kreativlabore und für inklusives Lernen, außerdem "attraktive Arbeitsplätz" für das pädagogische Personal. Es gehe nicht darum, anstehende Instandsetzungs- oder Sanierungsmaßnahmen zu finanzieren, "sondern um eine echte Attraktivitätssteigerung der Startchancen-Schulen". 

 

Programmsäule II: "Chancenbudgets für bedarfsgerechte Lösungen zur Schul- und Unterrichtsentwicklung", jede Startchancen-Schule soll dazu mit den zuständigen Stellen des Landes eine gesonderte Vereinbarung treffen, die zur jeweiligen Situation vor Ort passen soll. Vorher verständigen sich Bund und Länder unter externer wissenschaftlicher Beratung auf einen Leitfaden mit einem "nicht abschließenden Katalog geeigneter Maßnahmen". Zwei Drittel ihres Chancenbudgets soll jede Schule für die im Leitfaden empfohlenen Maßnahmen ausgeben, ein Drittel kann sie frei einsetzen. 

 

Programmsäule III:  "Personal zur Stärkung multiprofessioneller Teams". Die zusätzlichen Stellen für Sozialarbeit sollen neben Sozialpädagogen auch pädagogische Fachkräfte besetzen können, je nach Bedarf der einzelnen Schule.

 

Übergreifende Förderung neben den Säulen: Gezielte Fortbildung, Beratung und Unterstützung der Schulleitungen bei der Programmumsetzung hin zu der Ermöglichung von mehr Eigenverantwortung bei Budget, Personal und Unterrichtsgestaltung. Darüber hinaus der wissenschaftlich begleitete Aufbau von Netzwerken zum Erfahrungsaustausch und Transfer zwischen den Schulen, Aufbau eines digitalen Wissensspeichers mit Materialien und Erkenntnissen aus dem Programm, der auch Nicht-Startchancen-Schulen zur Verfügung stehen soll. 

 

Finanzierung und Laufzeit: Der Bund gibt "bis zu" eine Milliarde pro Jahr, das Programm startet zum Schuljahr 2024/25 und soll nach Ende des Schuljahrs 2033/34 auslaufen. Die Länder sollen sich "in gleicher Höhe" beteiligen, wobei sich ihr Anteil zusammensetzt aus bereits "bestehenden, auf die Ziele des Programms gerichteten Maßnahmen, die anrechenbar sind", und zusätzlichen Mitteln. Wobei letztere auch in einer "Neupriorisierung" bereits vorhandener Landesgelder zugunsten der Startchancen bestehen können. Es soll aber in jedem Land in jedem Fall ein "substanzieller Zuwachs" in der Unterstützung der Startchancen-Schulen erreicht werden. Apropos Anrechenbarkeit: Es existiert eine (wohl noch nicht finale, aber schon jetzt sehr weitreichende) "Positivliste", die mögliche Beiträge der Länder im Rahmen der Kofinanzierung umfasst, aber in jedem Fall nicht abschließend sein soll. Für das Bauprogramm von Säule I gilt derweil explizit: Hier müssen die Länder entsprechend der Verfassung einen Eigenanteil von 30 Prozent gewährleisten, den Rest ihrer Kofinanzierung können die Länder flexibel innerhalb der übrigen Programmbestandteile erbringen", auch kann die Kofinanzierung am Anfang geringer sein und dann aufwachsen. Wie genau jedes Land seine Kofinanzierung leistet und was es dabei anrechnen kann, soll in 16 Einzelabmachungen mit dem Bund vereinbart werden. Der Bund trägt die Kosten für die wissenschaftliche Begleitung.

 

Verteilung des Programmvolumens auf die einzelnen Säulen: 400 Millionen Bundesmittel gehen jedes Jahr in Säule I, wobei sich dieses Geld anhand des folgenden Schlüssels auf die Länder verteilt: 40 Prozent: Anteil der unter 18- Jährigen mit Migrationshintergrund, 40 Prozent: Armutsgefährdungsquote der unter 18- Jährigen, 20 Prozent: negatives Bruttoinlandsprodukt (=schwächere Wirtschaftsleistung bedeutet mehr Mittel). Säule II und Säule III: jeweils 300 Millionen pro Jahr, verteilt an die Länder über zusätzliche Anteile an der Umsatzsteuer.

 

Auszahlungsmodalitäten: Vorerst sind die Bundesmittel in diesen Säulen bis Ende 2029 befristet. Bis dahin müssen die Länder mindestens 35 Prozent ihrer Kofinanzierung erbringen. Weisen die Länder nach, dass sie das alles verabredungsgemäß ausgegeben haben, gehen die Zahlungen weiter oder werden "angepasst". Für das Geld in der Bausäule gibt anders als von den Ländern kein Sondervermögen, sondern jährliche Zahlung aus dem Bundesfinanzministerium. Die "damit verbundenen Herausforderungen" sollen immerhin bei der weiteren Ausgestaltung des Investitionsprogramms berücksichtigt werden, was dann doch auf eine faktische Überjährigkeit hinauslaufen könnte. Der Bund behält sich eine weitere Befristungsoption vor Programmende vor, die Länder können in ihrer Gesamtheit vom Bund nicht für das Fehlverhalten einzelner in Regress genommen werden. 

 

Rechtliche Umsetzung: Es gibt eine alle drei Säulen umfassende Rahmenvereinbarung. Der Bund verzichtet auf ein Artikelgesetz für Säule I, das heißt: Bundestag und Bundesrat werden nicht beteiligt, sondern für Säule I schließen Bund und Länder eine Verwaltungsvereinbarung. Für Säule II und II wird das Finanzausgleichsgesetz geändert, außerdem regeln Vereinbarungen deren inhaltliche Umsetzung inklusive der Berichtspflichten. 

 

Evaluation, wissenschaftliche Begleitung, Berichtswesen: Zum Programmstart soll stichprobenartig eine Linie-Null-Messung erfolgen, um die Ausgangslage an den Startchancen-Schulen zu erheben. In Abstimmung mit der Wissenschaft wollen Bund und Länder passende Zwischenziele formulieren, deren Erreichen dann anhand von Daten zur Schul- und Unterrichtsentwicklung überprüft wird. Allerdings alles möglichst bürokratiearm, wie es heißt, "um die ohnehin geforderten Schulen in herausfordernder Lage nicht über Gebühr zu belasten". Die wissenschaftliche Begleitung soll getrennt von der Evaluation getrennt laufen. Es soll ein "verbindliches Berichtswesen" aufgesetzt werden, um dem diesbezüglichen Maßgabebeschluss des Haushaltsausschusses des Bundestags von Mai 2022 zu entsprechen. 

 

Governance des Programms: Es gibt einen Lenkungskreis auf Ebene der Staatssekretäre und Staatssekretärinnen, der das Programm "im Sinne des Monitorings" begleitet und  die verabredungsgemäße Umsetzung überwachen soll, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf Fachebene soll sie hierbei unterstützen. Einmal jährlich werden zur Sitzung des Lenkungskreises vorab benannte Stakeholder aus Politik, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Praxis eingeladen, was das Eckpunktepapier als "Ausdruck einer modernen Kooperationskultur" lobt und des Startchancen -Selbstverständnisses als "lernendes Programm". Beim Projektträger wird eine Geschäftsstelle eingerichtet, die Länder sollen ihrerseits wirksame Steuerungsstrukturen und Steuerungsprozesse schaffen, länderintern und länderübergreifend. 

 

Anmerkung: Sollten mir bei der Zusammenfassung der Eckpunkte an irgendeiner Stelle Ungenauigkeiten unterlaufen sein, bitte ich um Entschuldigung und freue mich über Hinweise.




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