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"Gut funktionierendes System zerstört"?

In München schätzen sich Familien glücklich, einen Kitaplatz zu ergattern. Die Nachfrage ist riesig – trotzdem schließt jetzt ein Träger und klagt gegen die Stadt: Sie mache den Weiterbetrieb wirtschaftlich unmöglich. Eine Geschichte über den Umgang mit dem Mangel.

ES IST EINE NACHRICHT zum Augenreiben. Rund 70.000 Kitaplätze fehlten Ende 2023 laut Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung allein in Bayern, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Besonders groß ist die Lücke in Metropolen wie München, doch ausgerechnet in der Landeshauptstadt verkündete jetzt ein Kita-Träger das Aus für eine Einrichtung mit 110 Kindern – weil sich der Betrieb wirtschaftlich nicht lohne.

 

"Mit großem Bedauern" müsse man die Schließung der Kita Brunnbach im Stadtteil Oberföhring zum 31. August 2024 bekanntgeben, teilte "KMK kinderzimmer" mit, Betreiber von rund 40 Kitas in Hamburg – und bislang einer in München mit. Schuld sei die Einführung eines neuen städtischen Finanzierungssystems. "Die bisherige Münchner Förderformel (MFF) stellte die wirtschaftliche Grundlage für den Betrieb unserer Kita dar." Leider sei eine Fortführung unter den neuen Bedingungen des sogenannten "Defizitausgleiches"  von September 2024 an "nicht darstellbar".

 

Gespräche über eine mögliche Lösung für die Kita seien von der Stadt Ende Mai "für uns überraschend und grundlos abgebrochen" worden, sagt Daniel Grimm, Geschäftsführer von "KMK kinderzimmer". Deshalb habe die Schließungs-Information erst jetzt an Eltern und Mitarbeitende gehen können, "kaum drei Monate vor Beginn des neuen Kita-Jahres. Diesen Umstand bedauern wir zutiefst."

 

Die Kündigung sei nach Auffassung des städtischen Referats für Bildung und Sport unwirksam, teilte die Pressestelle der Landeshauptstadt München mit. Man arbeite derzeit mit Hochdruck an einer Lösung, um die Plätze für die Kinder der Einrichtung zu sichern. Was ist da los?

 

Lohnen private Investitionen
künftig nicht mehr?

 

Über die alte Münchner Förderformel erhielten die teilnehmenden Kita-Träger laut "KMK kinderzimmer" zusätzlich zur Landesförderung pauschal durchschnittlich 465 Euro pro Kind und Monat, wobei die genaue Höhe von Kinderzahl, individuellem Förderbedarf und weiteren Standortfaktoren abhing. Weil die Träger mit dem Geld grundsätzlich frei umgehen konnten, habe man, so "KMK kinderzimmer", durch wirtschaftliches Handeln "Gewinne in moderatem Umfang" erzielen können. Durch das neue Defizitsausgleichssystem werde wirtschaftliches Handeln jetzt nicht mehr honoriert, sondern es würden nur noch anfallende Verluste übernommen.

 

"Ohne die Möglichkeit, als Träger moderate Gewinne erwirtschaften oder entsprechende Rücklagen bilden zu können, werden keine weiteren privaten Investitionen in das Kita-Angebot in München erfolgen können", findet "KMK kinderzimmer". Der weitere Ausbau des Betreuungsangebots in München sei gefährdet, viele Münchner Familien stünden vor der Frage, ob sie sich die Betreuung ihrer Kinder künftig noch würden leisten können. "Das ist auch mit Blick auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein fatales Signal."

 

Laut Pressestelle der Landeshauptstadt liegen derzeit allerdings keine weiteren außerordentlichen Kündigungen von Betriebsträgern vor. Insgesamt befinden sich in München über 200 Kitas in sogenannter Betriebsträgerschaft, das heißt: Geeignete Interessenten können sich auf ein städtisches Gebäude bewerben, die Einrichtungen werden mithilfe eines Trägervertrages auf Zeit zum Betrieb überlassen, mit ordentlicher Kündigungsfrist.


Ein Träger hat laut Stadt-Pressestelle angekündigt, zum 1. September 2025 "mehrere Einrichtungen mit hohem Personalmangel eventuell zurückzugeben". Die neue Münchner Kitaförderung, betont die für Bildung zuständige Pressesprecherin Corinna Kreiler, sei attraktiv und zum Betrieb einer Kindertageseinrichtung in München "auskömmlich". Die Finanzierung von Gewinnen aus öffentlichen Geldern sei allerdings nicht möglich, hier seien der Landeshaupstadt die Hände gebunden – "schließlich geht es um Steuergelder".

 

Das alte Fördersystem verwarf
das Bayerische Verwaltungsgericht

 

Es werde vergessen, dass aktuell rund 13.000 Münchner Kinder von privaten Kita-Trägern betreut würden, die einen Großteil der hierfür erforderlichen Investitionen selbst getragen hätten, hält "KMK kinderzimmer" entgegen, weshalb man zeitnah Klage beim Landgericht München "auf Feststellung der Wirksamkeit der Kündigung und zur Geltendmachung unseres wirtschaftlichen Schadens" einreichen werde. Die Landeshauptstadt teilte mit, sie weise 

die Ansprüche zurück.

 

Warum aber hat man die alte Förderpraxis überhaupt geändert? Weil sie vom Bayerischen Verwaltungsgericht als unzulässiger Eingriff in die Berufsfreiheit der Kita-Träger gewertet worden war. "Zu Recht", sagt auch "KMK kinderzimmer". Aber warum, fragt der Träger, dann gleich die ganze Förderlogik auf den Kopf stellen? Statt Abschaffung, findet "KMK Kinderzimmer", wäre doch auch eine Anpassung der MFF möglich gewesen. 

 

In Hamburg etwa, wo der Träger alle seine übrigen Kitas betreibt, gibt es seit zwei Jahrzehnten ein rein kindbezogenes Gutschein-System mit einem einheitlichen pauschalen Entgelt, das sich am Alter des Kindes und der Betreuungsdauer orientiert. Und privaten Trägern ermöglicht, Gewinne zu erzielen. "Da in Hamburg keine Investitionsförderung für Kitas (mehr) besteht, sind die Gewinne für den Ausbau des Kita-Angebots auch unbedingt erforderlich", betont der "KMK kinderzimmer".

 

Elternbrief: "Völlig unvorbereitet
getroffen und entsetzt"

 

"Die angekündigte Schließung hat uns alle völlig unvorbereitet getroffen und entsetzt", schrieben unterdessen die Elternvertreter der Kita "Brunnbach" in einem Offenen Brief an die Stadt und fordern zumindest eine Übergangslösung über den 31. August hinaus, um Zeit für eine mögliche Langfristlösung oder Alternativen der Betreuung zu finden. Man wolle sich nicht in die "Untiefen der Lokalpolitik" begeben, schreiben die Eltern weiter. Ganz generell bleibt aber zu konstatieren, dass hier im Ergebnis ein seit Eröffnung der Kita im Jahr 2020 mühsam aufgebautes und nun gut funktionierendes System, das über 100 Kindern eine tägliche hochwertige Betreuung, entsprechend ca. 200 Eltern die Freiheit einem Beruf nachzugehen und geschätzt 30 Mitarbeitern einen sicheren Arbeitsplatz zerstört wird."

 

Wenn die Stadt München meine, besser geeignet zu sein, hochwertige Kinderbetreuung in ausreichender Anzahl und zu sozialverträglichen Konditionen sicherzustellen als private Träger, dann, so fordern die aufgebrachten Eltern, "soll sie der Aufgabe gerne nachkommen – die derzeitige desaströse Situation in München zur Kinderbetreuung lässt an dieser Fähigkeit aber große Zweifel aufkommen."



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