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Wieviel Kontrolle verträgt Wissenschaft?

Milliarden fließen jährlich an Fraunhofer, die Max-Planck-Gesellschaft und Co. Das Zauberwort heißt seit 2005: Pakt für Forschung und Innovation. Aber tun die Forschungseinrichtungen genug für all das Steuergeld?

Foto: Screenshot von der BMBF-Website zum Paktjubiläum.

DAS LOB AUS DEN CHEFETAGEN der deutschen Wissenschaft fiel einhellig aus. Der Koalitionsvertrag von Union und SPD enthalte ein klares "Bekenntnis zu einem starken Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland", erklärte die Allianz der Wissenschaftsorganisationen vergangene Woche.

 

Ein Bekenntnis, das erhebliche finanzielle Dimensionen hat, sollte der Vertrag wie angekündigt umgesetzt werden. Bis 2030 sollen die Ausgaben von Wirtschaft und Staat für Forschung und Entwicklung auf mindestens 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Wozu der Bund seinen Beitrag vor allem über die vier großen außeruniversitären Forschungsorganisationen und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) leisten wird. 

 

Schon jetzt erhalten die Fraunhofer- und Max-Planck-Gesellschaft, die Helmholtz- und die Leibniz-Gemeinschaft einen garantierten Aufschlag von drei Prozent jährlich, genau wie die DFG, die Forschungsprojekte überwiegend an Universitäten finanziert. 

 

11 Milliarden pro Jahr, 
Tendenz steigend

 

Zusammengerechnet macht das ein Plus von inzwischen weit über 300 Millionen Euro pro Jahr. Jedes Jahr. So bestimmt es der Pakt für Forschung und Innovation (PFI), den Bund und Länder vor 20 Jahren abgeschlossen und seitdem mehrmals verlängert haben. Demnächst wird im Berliner Futurium Jubiläum gefeiert. Nach 20 Jahren Zuwachs, "Dynamisierung" genannt, überschreiten die jährlichen PFI-Ausgaben für die "Big Five" die Elf-Milliarden-Grenze, wovon der Bund mehr als Drittel trägt.

 

Und so soll es zur Freude der Organisationen weitergehen. "Wir werden bis 2028 die Weichen für eine dynamisierte Fortschreibung des PFI stellen", steht im schwarz-roten Vertrag und verspricht weitere "Planungssicherheit" für Max Planck und Co. Denn derzeit läuft der Vertrag 2030 aus.

 

Nun impliziert ein "Pakt", dass es eine Gegenleistung gibt. Worin die im Falle des PFI besteht? Und tun die "Big Five" wirklich genug für all das Steuergeld, das sie bekommen?

 

Alles andere als triviale Fragen, die sich nicht zum ersten Mal in aller Deutlichkeit stellen. Schließlich lässt sich Forschungserfolg nicht planen und über geeignete Gradmesser des Outputs von Forschung kann man trefflich streiten. Im Gegenzug für all das Geld, so formuliert es das BMBF, erbrächten die Organisationen "nicht nur exzellente Forschung und im Falle der DFG einzigartige Forschungsförderung, sondern verfolgen auch festgesteckte forschungspolitische Ziele".

 

Fünf davon haben Bund und Länder festgelegt: "Dynamische Entwicklung fördern", "Transfer stärken", "Vernetzung vertiefen", "die besten Köpfe gewinnen und halten" und "Infrastrukturen stärken". Was sie darunter verstehen und was sie leisten, haben die Organisationen in "individuellen Zielvereinbarungen" mit der Politik vereinbart.

 

Nicht endender
Rechtsstreit bei Fraunhofer

 

Fest steht allerdings, dass noch nie in der Geschichte des PFI einer Organisation Gelder wegen Nichterreichung von Paktzielen vorenthalten wurden. Umgekehrt war der Druck auf die Politik, Strenge zu zeigen, aber auch noch nie so hoch wie heute. 

 

Beispiel Fraunhofer: Dort läuft seit Jahren eine Mischung aus Skandalgeschichte und Schlammschlacht. Angesichts nicht enden wollender Vorwürfe gegen den damaligen Präsidenten Reimund Neugebauer schaltete sich 2022 der Bundesrechnungshof ein, sein im Februar 2023 vorgelegter Bericht las sich dramatisch. Neugebauer habe über Jahre überbordende Spesen und Reisekosten verursacht und teils rechtswidrig ausgegeben, inklusive horrend hohen Bewirtungskosten mit einem "verhältnismäßig hohen Kostenanteil“ für alkoholische Getränke und Übernachtungen in Luxushotels, oft – aus dienstlichen Gründen, wie es hieß – in Begleitung seiner Frau. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue gegen Neugebauer und weitere Vorstandsmitglieder auf.

 

Das BMBF hatte sich zuvor trotz seines Sitzes im Fraunhofer-Senat lange Zeit bemerkenswert passiv angesichts der Vorwürfe gegen Neugebauer verhalten. Dies änderte sich erst nach dem Regierungswechsel 2021, besonders der kurzzeitige parlamentarische Staatssekretär Thomas Sattelberger (FDP) trieb die Aufklärung energisch voran. In seinem Bericht warf der Bundesrechnungshof dem Ministerium eine Behinderung seiner Arbeit vor, weil es die Herausgabe bestimmter Akten und den Zugriff auf elektronische Laufwerke verweigert habe. 

 

Später geriet der Dresdner Strafverteidiger Endrik Wilhelm ins Visier, mit dem der Fraunhofer-Vorstand einen angeblich überteuerten Beratervertrag abgeschlossen hatte. Laut Staatsanwaltschaft bestand der Anfangsverdacht, "dass der Vertrag die Fraunhofer-Gesellschaft ganz erheblich einseitig benachteiligt", weswegen Wilhelm "Beihilfe- bzw. Anstiftungshandlungen" zur Last gelegt wurden.

 

Die Ermittlungen gegen Neugebauer und Co laufen bis heute, das Verfahren gegen Wilhelm wurde dagegen eingestellt, wobei Fraunhofer gegen die Einstellung Beschwerde erhoben haben soll. Im Gegenzug hat Wilhelm nun seinerseits Strafanzeige gestellt: unter anderem auch gegen Holger Hanselka, der als neuer Präsident nach Neugebauers vorzeitigem Abtritt bei Fraunhofer aufräumen sollte, sowie gegen weitere Vorstandsmitglieder, gegen die Senatsvorsitzende Hildegard Müller, die im Hauptberuf Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) ist, und sogar gegen den früheren BMBF-Staatssekretär Mario Brandenburg. 

 

Um einen viel niedrigeren behaupteten Schaden aufzuklären, seien laut Wilhelm Anwaltskosten von über 3,5 Millionen Euro in Kauf genommen worden, nach seiner Auffassung ein Verstoß gegen das Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Mittelverwendung.

 

Der neue Präsident
verzichtete auf Macht

 

Wilhelms Vorwürfe gehen noch weiter: Fraunhofer könne nicht daran interessiert sein, durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen das in die Organisation gesetzte Vertrauen des Zuwendungsgebers zu gefährden, sagte Wilhelm laut Research.Table. Trotzdem sei unter anderem eine externe PR-Agentur beauftragt worden, genau das zu tun. In diesem Zusammenhang sei auch im September 2023 ein Artikel in der Bild-Zeitung erschienen, in dem er schlecht dargestellt, die Senatsvorsitzende Müller aber als Aufklärerin der Affäre dargestellt worden sei. "Die Strafanzeige nutzte nur den selbsternannten Aufklärern, nicht Fraunhofer."

 

Der Fraunhofer-Vorstand äußert sich nach Angaben der Pressestelle nicht zu laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Dass im Zuge der Vorwürfe gegen Wilhelm von externen Beratern fleißig in der Presselandschaft herumtelefoniert wurde, ist indes Fakt. Genauso wie bis heute der 180-Grad-Schwenk Müllers wundert, die Neugebauer noch Ende März 2023 als Hauptredner einer VDA-Großveranstaltung eingeladen hatte, als zahlreiche Politiker, darunter die damalige BMBF-Chefin und der Vorsitzende des Forschungsausschusses, längst sofortige personelle Konsequenzen forderten.

 

Wilhelms Strafanzeige als Retourkutsche, womöglich zur klammheimlichen Genugtuung Neugebauers?

 

Die sichtbarste Konsequenz der Affäre nach außen bestand jedenfalls darin, dass der neue Präsident Hanselka in einer Governance-Reform auf Macht verzichtete – während der Senat aufgewertet wurde, obgleich dieser es gewesen war, der die Amtsführung Neugebauers noch per Unterstützungsbeschluss wortreich verteidigt hatte, als die Berichte von Whistleblowern und Journalisten sich bereits häuften.

 

Vorwürfe des Machtmissbrauchs
bei Max-Planck

 

Die Max-Planck-Gesellschaft hat auch gerade Ärger. Mehr als 30 junge Forscherinnen und Forscher hätten ihnen von verschiedenen Formen mutmaßlichen Machtmissbrauchs an verschiedenen Max-Planck-Instituten berichtet, meldeten im März Reporter von Deutscher Welle und Spiegel. Die Mitarbeiter seien beleidigt und angeschrien worden, es habe Drohungen und sexistisches Verhalten gegeben. Kaum jemand habe gewagt, sich offiziell zu beschweren.

 

Seit Jahren kommt es immer wieder zu Vorwürfen, besonders jene gegen Max-Planck-Direktoren, fanden ihren Widerhall in den Medien. Eine repräsentative Umfrage unter allen MPG-Mitarbeitern hatte 2019 ergeben, dass sich jede/r fünfte von Mobbing betroffen fühlte. Die Ergebnisse "müssen wir sehr ernst nehmen, sie deuten aber in keiner Weise darauf hin, dass wir ein spezifisches Max-Planck-Problem haben", sagte der damalige MPG-Präsident Martin Stratmann 2019

 

Tatsächlich nicht? Bei Max Planck herrscht das sogenannte Harnack-Prinzip, demzufolge Institute traditionell auf internationale Spitzenforscher ausgerichtet werden, die möglichst große Freiheiten bei Themengestaltung und Mitarbeiterauswahl zugestanden werden. Zu viel Macht auf zu wenig Schultern verteilt? 

 

Max Planck widerspricht. Der aktuelle MPG-Präsident Patrick Cramer sagte schon vergangenes Jahr, vom einstigen Prinzip habe man sich inzwischen ohnehin "weit entfernt", seit Jahrzehnten gebe es Direktorien oder Kollegien an der Spitze der Institute, "und fast ebenso lange gibt es Nachwuchsgruppenleitungen, die ebenfalls unabhängig agieren können".

 

Zu den aktuellen Berichten teilte die MPG-Zentrale mit, bei den aufgegriffenen zehn beziehungsweise fünf Jahre alten Hauptfällen seien die Maßnahmen zur Prävention von und zum Umgang mit Machtmissbrauch noch nicht implementiert gewesen. Zudem hätten die dazu vorgebrachten Beschwerden nicht untersucht werden können, da die Beschwerdeführer einer Untersuchung nicht zugestimmt hätten. 

 

Warum Betroffenen selbst der Mut fehlte, Kritik in den seit 2019 eingeführten anonymisierten Mitarbeiterumfragen zu äußern, die die Max-Planck-Institute durchführen müssen, lasse sich in den Augen der MPG nur schwer nachvollziehen. 

 

Bundesrechnungshof
bemängelt Governance

 

Unabhängig von den Machtmissbrauchsvorwürfen musste Max Planck vergangenen September auch noch einen Bericht des Bundesrechnungshofs über sich ergehen lassen. In der MPG fehle eine klare Aufgabentrennung zwischen beschlussfassenden und aufsichtsführenden Organen und Gremien, kritisierten die Prüfer. Außerdem verfüge das BMBF über lediglich eine von 45 Stimmen im Senat und habe dieses Stimmrecht in der Vergangenheit noch dazu unzureichend ausgeübt. "Der Präsident ist omnipräsent in allen Organen, kann allein sogenannte Eilentscheidungen treffen und hat bei Stimmenparität das letzte Votum." Und weiter: "Faktisch beaufsichtigt der Präsident sein eigenes Handeln." Eine "klare Trennung" von Geschäftsführung und interner Aufsicht sei daher "unabdingbar".

 

Die MPG-Zentrale hielt dagegen, ein eigenständiges Aufsichtsgremium nach dem Muster eines aktienrechtlichen Aufsichtsrats oder eines Hochschulrats sei "keine zwingende Voraussetzung für ein funktionsfähiges Governance- oder Compliance-Konzept". International seien sogenannte "One-Tier-Boards", die innerhalb eines Gremiums sowohl "Insider" als auch "Outsider" zusammenführten, durchaus üblich.

 

Anhaltende Ermittlungen um angebliche Spesen- und Steuerverschwendung bei Fraunhofer, regelmäßig neue Machtmissbrauchsvorwürfe bei Max Planck und zusätzlich die Kritik des Rechnungshofs an der Governance der MPG: Was bedeuten solche Beispiele für die im Koalitionsvertrag angekündigte Verlängerung des Pakts für Forschung und Innovation? Muss die Politik stärker als bislang kontrollieren und auf die Erfüllung der eingegangenen forschungspolitischen Ziele pochen? Sollte es bei der angekündigten PFI-Verlängerung klarere Vorgaben und, ja, auch Sanktionen geben? 

 

Im Spannungsfeld von Controlling, Entbürokratisierung
und Wissenschaftsfreiheit

 

Was aber bedeutet es, wenn die Koalitionäre in spe laut ihrem Vertrag gleichzeitig die Forschung "entfesseln", "von kleinteiliger Förderbürokratie, Antragslogiken, Nachweiserfordernisse und Regularien entschlacken und Entscheidungen beschleunigen" wollen? Kann das beides zusammengehen? 

 

Und wie, um die Sache noch komplizierter zu machen, kann in Zeiten Trumpscher Übergriffe auf die Wissenschaft und weltweiter Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit verhindert werden, dass aus dem notwendigen politischen Controlling der Verwendung von Steuergeldern nicht ein Hineinregieren in die ebenso dringend zu sichernde Autonomie der Wissenschaft wird? Einen Vorgeschmack auf das, was auch in Deutschland auf dem Spiel steht, wenn die politischen Mehrheiten sich weiter nach Rechtsaußen verschieben, kann man im Programm der AfD zur Bundestagswahl auf Seite 164 lesen. "Eine Entpolitisierung der Forschungslandschaft ist dringend erforderlich, beispielsweise bei den Fraunhofer- und Max-Planck-Instituten."

 

In diesem Spannungsfeld von notwendigem Controlling, versprochener Entbürokratisierung und dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit wird sich in der nächsten PFI-Phase die Rolle des neuen Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) bei der Aufsicht der Forschungsorganisationen bewegen müssen. 

 

Kurzum: Wer denkt, für Schwarz-Rot wäre die Erfüllung aller finanziellen Versprechung die schwierigste wissenschaftspolitische Herausforderung, könnte falsch liegen.

 

Eine kürzere Version dieses Artikels erschien zuerst im Tagesspiegel.



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Kommentare: 6
  • #1

    LaunischerGf (Donnerstag, 24 April 2025 15:55)

    Janungut. Zunächst einmal: Es gibt ein paar Dinge, die sich weder in Zielsystemen ausdrücken noch, im Vollzug, besonders gut kontrollieren lassen. Verhalten kommt nun einmal von „Haltung“, und die gehört dazu. Oder: Wenn ich keinen Kompass habe, fahre ich sonstwohin oder auch vor die Wand. Meint: Ich gehe mit öffentlichem Geld um, und das tue ich in geeigneter Weise. Die im Beitrag benannten Fahrten haben im System gewaltigen Schaden angerichtet und gehen nun eben in der Aufarbeitung den sozialistischen Gang.

    Zugleich habe ich nie verstanden, weshalb ich wegen des PFI vor Freude nackich auf der Wiese tanzen soll. Welchen Grund habe ich, mich darüber zu freuen, dass meine Budgets langfristig um real etwa 3% p.a. sinken – und ich dafür noch Sekundärziele erfüllen soll, die mit Erkenntnisprozessen rein gar nichts zu tun haben? (Der Peak der vergangenen beiden Jahre bleibt in meinen 3% noch unberücksichtigt. Für alle Fälle: einmaliges nicht sockelwirksames Geld, dass von einem Laster fallen mag, hilft gegen das akute Aua schon, nicht aber gegen die chronische Zersetzung). N.b.: Die verfügbaren Zweit- und Drittmittmitteltöpfe sinken und sanken zusätzlich (mindestens) genauso: Wenn ich ein Programm habe, in dem ich in einem kompetitiven Verfahren 1 Mio. € auf drei Jahre beantragen kann, und diese Summe in den letzten 15 Jahren nicht angepasst wurde – dann ist meine Millionen heute nun einmal eine andere als sie es vor 15 Jahren war.

    Ist das hier nun eine Wissensgesellschaft oder ist es das nicht? Welche Rolle spielen Erkenntnisprozesse dafür, dass wir auch morgen noch kraftvoll zubeißen können? (Bzw.: Nicht übermorgen Freizeitpark für die geworden sind, die uns gerade sowas von rechts überholen). Priorisierungen neigen dazu, diskutierbar zu sein. Und unstrittiger Weise sind Panzer gerade ebenfalls wichtig (si vis pacem para bellum). Ich bin treuer Diener des Souveräns. Wenn dieser nun sagt, dass wir das eine mehr machen als das andere, dann darf und soll er das tun, und ich werde in Demuth und Dankbarkeit die Umsetzung besorgen. Nur sagen, denke ich, soll er das dann mal – und dies am Liebsten der Folgen eingedenk.

    Ja und besonders lustig ist dieses Entbürokratisierungsding. Einige von denen, die in den vergangenen 20 Jahren in ihren Einrichtungen die Oberbürokratisierer waren, stehen nun mit possierlichen Papierchen an vorderer Front. Klar ist zugleich, dass wir uns in der Tat ein System geschaffen haben, in dem wir unterschiedliche Regulatorien dabei beobachten können, wie die mit sich selber spielen. Perpetuum mobile. Ich habe eine ganze Reihe von Beispielen, in denen diese Spiele so kompliziert sind, dass sie nicht einmal mehr von denen verstanden werden, die sie aufgebaut haben. Das wäre dann ein Indikator für Komplexität. Die ist per se anziehend; nur: Wofür brauche ich komplexe Regulatorik? Aber weiter: Ich fasse mir an die eigene Nase, die ist schon ganz wund davon, aber sei’s drum: sollten wir in unseren Administrationen irgendwann begonnen haben, Regeln zu vollziehen, die es gar nicht gibt? Da bleibt mir dann der metaphorische Milei, obschon die Kettensäge als Change-Instrument richtigerweise nicht den allerbesten Ruf hat. Interessanter ist die Frage: Warum ist das so? Und zur Antwort gehört durchaus eine Kultur der Angst, in der die Menschen, die mit Regeln arbeiten, sich gegen genau die ständig und rituell vorgetragenen Sanktionsmechanismen zu schützen, die im Beitrag skizziert werden (und die, nochmals, dort genau richtig sind).

    Wir sind zu langsam. Wir sind, ganz Deutschland ist, elendig langsam. Es erstickt, lähmt, nervt, verhindert, verschleißt Menschen; gute Leute. Wir müssen schneller werden. Das geht nur, wenn wir unsere Regulatoriken verschlanken, gleichzeitig unsere Prozesse entmüllen und etwas Mut zum Fehler entwickeln. Weil nämlich die können passieren. Vielleicht wäre es dann gut, im Einzelfall zu eruieren, ob ich eben einen Solchen oder Vorsatz vor mir habe. Dafür braucht es aber, siehe oben, Kompass und Haltung, weil alle Beteiligten sonst alles ins Ungefähre ziehen und zu Tode narrativieren. Und, bitte, mit etwas Koordination und Augenmaß. Die einen wollen entbürokratisieren und veranstalten im gleichen Zug Compliance-Prüfungen, die anderen erhöhen ihre Schwellenwerte für Direkteinkäufe auf 100.000.- (Immer, wirklich immer, schütten wir die Kinder mit aus). Es bleibt doch öffentliches Geld, und nicht vergessen: Die Regelgebundenheit der öffentlichen Verwaltung ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips. Nichts weniger – ein wichtiger Teil dessen, was uns von Orange Dictators USA, Erdogans Türkei oder Putins Russland unterscheidet. In diesem Sinne: ad arma (und astra, das neue Ministerium wird schon helfen dabei. Skol).

  • #2

    silia (Donnerstag, 24 April 2025 20:03)

    Die erste Aufgabe dürfte es sein, die Finanzen der o.g. Institutionen wieder in die Balance zu bringen, da der 3% Aufwuchs durch die Inflation der letzten Jahre viel zu wenig ist.
    Da müsste realistischerweise ein einmaliger "Sonder-Aufwuchs" von 10-15% her.

  • #3

    Potsdamer (Freitag, 25 April 2025 08:09)

    "Im Gegenzug für all das Geld, so formuliert es das BMBF, erbrächten die Organisationen "nicht nur exzellente Forschung und im Falle der DFG einzigartige Forschungsförderung, sondern verfolgen auch festgesteckte forschungspolitische Ziele"."

    Hier liegt das Kernproblem des BMBF versteckt: Jeder Mitarbeiter möchte als erfolgreicher Forschungsförderer gelten und redet deshalb die Leistungen seiner Destinatäre schön. Auch Organisationen, die offensichtlich ihre Ziele nicht erreichen (nach Einschätzung unabhängiger Experten) werden "positiv evaluiert" und machen einfach weiter. So unterbleibt die dringend nötige Fehlerkorrektur, die eigentlich eine demokratische Gesellschaft z.B. von Putins Rußland unterscheiden sollte.

    Es hilft nur eins: Die Vergabe, das Management und die Abnahme aller Evaluationen des BMBF an eine externe Organisation auslagern, die konsequent Interessenskonflikte vermeidet und deshalb nicht mit Subventionsempfängern kolludiert. Evtl. finanziert von einer deutschen Stiftung, die keine öffentlichen Gelder annimmt, und ausgeführt nur von ausländischen oder emeritierten Wissenschaftlern.

  • #4

    Wolfgang Kühnel (Freitag, 25 April 2025 14:52)

    Beim Lesen dachte ich: Das ist ja eine saubere Gesellschaft, man produziert überhöhte Spesen, klagt andererseits aber über zu wenig Geld. Da scheint eine gewisse Forschungs-Förderungs- Oberschicht wie die Maden im Speck zu leben. Und das alles soll den Anforderungen einer "demokratischen Gesellschaft" entsprechen, und bedroht wird es nur von Rechtspopulisten? Damit kann man gut von eigenen Versäumnissen ablenken. Und immer ist es so: Die Nutznießer einer intransparenten Finanzierung fürchten die Forderung nach mehr Transparenz. Und diejenigen, die reichlich politischen Einfluss auf die Wissenschaft nehmen und das dann "Freiheit der Wissenschaft" nennen, fürchten Kritik daran.

    Nebenbei: Die Bezeichnung "Drittmittel" sollte besser nur für Gelder verwendet werden, die keine Steuergelder sind. Sonst ist das irreführend. Aber ich bin wohl der einzige, der das so sieht.

  • #5

    Roman Held (Mittwoch, 30 April 2025 11:42)

    Dass bei Fraunhofer keine Ruhe einkehrt ist sehr bedauerlich und weniger förderlich in dem derzeit eh schon sehr rauen wirtschaftlichen Umfeld. Herrn Hanselka nun aber auch noch eine Strafanzeige um die Ohren zu hauen, klingt doch eher nach einem Rachefeldzug des düpierten Dresdner Strafverteidigers Wilhelm als nach einer sachlich angemessenen Vorgehensweise. Die verschwenderischen Vorwürfe sind m.E. nicht wirklich von tragender Bedeutung. Aber, sollen die Strafgerichte besser darüber entscheiden.
    Grundsätzlich sind aber die von Jan-Martin Wiarda dargestellten Sachverhalte schon bemerkenswert und zutreffend. Das BMBF ist nicht in der Lage eine großangelegte strukturelle Neuausrichtung seiner angewandten Forschungseinrichtungen auf den Weg zu bringen, obwohl genau das schon lange notwendig wäre. Fraunhofer steckt in einem extrem schwierigen Umfeld und großen Herausforderungen, weil offenbar das industrielle Umfeld und der Mittelstand die Leistungen nicht mehr in dem erforderlichen Ausmaß abverlangt. Erforderlich im Hinblick auf das paritätisch finanzierte Geschäftsmodell der Fraunhofer-Gesellschaft aus Wirtschaft, BMBF-Grundfinanzierung und öffentlichen Erträgen. Herr Hanselka kennt es gut und fordert immer wieder von den Instituten ein, sich wieder auf diesen Pfad zu begeben. Insofern richtig so! Dieses ist insofern aber schwerer als vor 15 Jahren als Herr Hanselka selber noch Institutsleiter bei Fraunhofer war. Unter dem ehemaligen Präsidenten Neugebauer hat sich Fraunhofer stärker in Richtung akademischer Forschung orientiert und den angewandten Transferpfad in den deutschen Mittelstand oft geopfert. Insbesondere in den internen Botschaften an die Mitarbeitenden. Das merkt man jetzt leider aber auch in den Köpfen des Nachwuchses und der leitenden Professoren und Professorinnen, die vielfach eine stärker universitär geprägte Brille als eine unternehmerische aufhaben (müssen). Wissenschaftliche Exzellenz und wirtschaftsnaher Transfer sind Extreme, die Mitarbeitende schwer uniform verkörpern können. Hier das Rad wieder ein großes Stück weit zurückzudrehen, schafft Herr Hanselka nur durch starke interne Reformen und Vorgaben an die jeweiligen Leitungen und einer strategischen Neuaufstellung. Auch spürbare Konsolidierungen mit Institutsschließungen gehören leider dazu. Schmerzhaft - aber notwendig. Mit einem universitär geprägten neuen Vorstand für Transfer namentlich C. Häffner kann das kaum gelingen. „Transfer durch Köpfe“ muss auch auf Vorstandebene bei Fraunhofer endlich passieren. Köpfe mit einem fundierten wirtschaftlichen Hintergrund!

  • #6

    Leipziger (Freitag, 02 Mai 2025 15:39)

    Prof. Hanselka hat den Bildungsausschuss des letzten Bundestages im Oktober 24 mit dem Mantra „Zurück zum Fraunhofer Model“ versucht zu beschwichtigen, gerade so als wäre die Zeit seit 1973 stehengeblieben. Das Dilemma von Fraunhofer besteht darin, dass die Industrie seit 1973 viel erfolgreicher, schneller und internationaler bei der Umsetzung neuer Erkenntnisse geworden ist und die Unis nicht mehr im Elfenbeinturm sitzen. Inzwischen zeigt z.B. die TU München wie es besser geht: Nobelpreise und viele erfolgreiche Ausgründungen.
    Interessant in diesem Zusammenhang, dass Hanselka sich den Forderungen mehrerer Fraktionen nach mehr Ausgründungsaktivitäten entgegengestellt hat. Der Begriff „Transfer durch die Köpfe“ ist bei einfachen Fraunhofer-Mitarbeitern eher zynisch besetzt als Ausrede, wenn befristete Stellen nicht verlängert werden. Den bisher erfolgreichsten „Transfer“ kann in Deutschland wahrscheinlich IBM für sich verbuchen, als ehemalige Mitarbeiter SAP gründeten. Bei Fraunhofer wäre so etwas immer noch undenkbar.
    Die sinkende Nachfrage aus dem Mittelstand liegt auch daran, dass Fraunhofer die Ergebnisse der vom ihm bezahlten Forschung weiterverkaufen wird, falls sich ein Interessent, der sehr gerne auch aus dem Ausland kommen kann, findet. Exklusive Rechte werden von Fraunhofer nicht vergeben und die Einhaltung wäre auch für den Mittelständler kaum kontrollierbar. Eine Offenlegung sämtlicher kommerzieller Aktivitäten der Institute würde Abhilfe schaffen. Dann könnte freilich auffallen wie wenig Forschung einige Institute tatsächlich betreiben und wie viel Raum Dienstleistungs- und Produktionstätigkeiten inzwischen einnehmen. Für die Wissenschaft wäre es in jedem Falle förderlich und damit auch absolut im Sinne der Satzung des gemeinnützigen e.V.
    Aus der Neugebauer Zeit wird sicher u.a. der Begriff „Forschungsfabrik“ im Gedächtnis bleiben.