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Die Professur auf Zeit, das System auf Probe

Ohne klare Gesetze und verlässliche Ressourcen bleibt der Tenure-Track ein Risiko für Nachwuchs und Hochschulen. Ein Gastbeitrag von Alena Fröde.
Portraitfoto von Alena Froede.

Alena Fröde ist Koordinatorin des Tenure-Track Programms an der TU Dresden und wissenschaftliche Karriereberaterin. Foto: Jalia Reisch.

VOR EINIGEN WOCHEN hat der Deutsche Hochschulverband (DHV) seine Leitlinien zur Gestaltung von Tenure-Track-Verfahren vorgelegt. Ein wichtiger Schritt – und zur richtigen Zeit. Denn die Debatte über Rechtssicherheit und eine faire, transparente Ausgestaltung der Tenure-Track-Professur drängt. Doch so plausibel viele Forderungen sind: Einige greifen zu kurz, andere laufen Gefahr, das Problem eher zu verkomplizieren.

Unstrittig ist: Die Tenure-Track-Professur hat sich als neuer Karriereweg etabliert. Was aber weiterhin fehlt, ist eine klare gesetzliche Verankerung. Genau das fordert der DHV in Punkt 1 – und hat recht damit. Die derzeitigen Flickwerke der Landeshochschulgesetze führen zu einer unübersichtlichen Gemengelage: unklare Befristungen, schwer durchschaubare Evaluationszeitpunkte, widersprüchliche Gleichstellungsregeln. Wer so plant, produziert Unsicherheit – für die Hochschulen wie für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

Richtig ist auch die DHV-Forderung nach einer einheitlichen Titelführung (Punkt 2). Aber sie greift zu kurz. Denn solange Mitwirkungsrechte in Berufungskommissionen oder Promotionsverfahren von Land zu Land unterschiedlich geregelt sind, entsteht eine Schieflage: Von Tenure-Track-Professor:innen wird erwartet, dass sie Betreuungserfolge, Gutachtertätigkeiten und Gremienarbeit nachweisen – ohne dass sie überall die gleichen Rechte dazu haben.

Karrierekorsett statt Karriereweg?

Noch gravierender ist das Problem der Forschungsfreiheit. Forschungssemester, wie sie der DHV in Punkt 3 verlangt, sind unverzichtbar. Denn die Praxis zeigt: Zwischen Stellenantritt und Evaluation bleibt schlicht zu wenig Zeit, um international sichtbare Ergebnisse zu erzielen. Vier Jahre – wie etwa in Sachsen – sind dafür kaum ausreichend. Wer exzellente Forschung will, muss Freiräume schaffen. Andernfalls bleibt die Tenure-Phase ein Karrierekorsett, das Talente eher einengt, als sie zu entfalten.

In Punkt 4 fordert der DHV die Teilhabe von Tenure-Track-Professor:innen am System der Leistungsbezüge. Auch das zu Recht. Doch Leistungsbezüge allein reichen nicht, um den Standort international attraktiv zu machen. Entscheidend ist, dass Wissenschaftler:innen ihre Projekte mit ordentlichen Ressourcen starten können. Wer seine erste Energie darauf verwenden muss, die eigene Arbeitsfähigkeit überhaupt herzustellen, wird die Tenure-Phase kaum produktiv nutzen.

Die Forderungen nach durchgängiger Tenure-Phase, frühzeitigen Entscheidungen, Verlängerungsoptionen bei Familienzeiten und Anschlussjahren nach negativer Evaluation (Punkte 5, 7, 9 und 10) sind ebenfalls alle berechtigt. Aber der Teufel steckt im Detail: Ein zu kleinteiliges, auf verschiedene Gründe ausgerichtetes Verlängerungssystem macht die rechtliche Lage noch unübersichtlicher. Stattdessen braucht es einheitliche bundesgesetzliche Regeln für familienbedingte Verlängerungen. Ergänzend sollten Hochschulen die Flexibilität haben, fachlich begründete Verlängerungen zu gewähren, zum Beispiel um zwei Jahre – auch um individuelle oder disziplinäre Besonderheiten oder sich ändernde Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. Nur so entsteht ein System, das verlässlich und zugleich beweglich ist.

Transparenz oder Willkür?

Problematisch ist die Forderung nach nachträglichen Anpassungen von Evaluationskriterien (Punkt 6). Transparenz von Anfang an – ja. Aber Kriterien während der Tenure-Phase zu verändern, untergräbt das Prinzip der Bestenwahl. Exzellenz lässt sich nur beurteilen, wenn die Maßstäbe klar und unverrückbar feststehen. Die Leistungsbeurteilung begründet sich darauf, die Leistungen einer einzelnen Person anhand von feststehenden Indikatoren als herausragend innerhalb des Wissenschaftsfeldes einzuordnen. Dafür braucht es in den Fachdisziplinen, den Hochschulgremien und für die Stelleninhaber:innen bereits vor Stellenantritt Klarheit zur Methodik der Evaluation.

Rufabwehrverfahren ohne Tenure-Evaluation (Punkt 8) sind dagegen richtig und notwendig. Das System darf nicht in Sackgassen enden. Fremdrufe mit Tenure-Option müssen rechtlich ermöglicht werden. Ebenso sollte ein Wechsel von einer befristeten Juniorprofessur in eine mit Tenure-Option möglich sein. Und: Die vom DHV angeregte vorzeitige Entfristung bei herausragenden Leistungen kann helfen, Talente zu binden. Allerdings nur, wenn Hochschulen transparent machen, was sie unter "herausragend" verstehen. Sonst droht Willkür.

Ohne Perspektive kein System

In der Gesamtschau zeigen die Leitlinien in die richtige Richtung. Was es jetzt braucht, ist nicht noch mehr Flickwerk, sondern eine echte Harmonisierung des Tenure-Systems. Einheitliche gesetzliche Grundlagen, klare Evaluation, verbindliche Ressourcen, transparente Bleibeperspektiven – bundesweit. Dafür muss der Dialog zwischen Hochschulen und Gesetzgeber nicht nur in einzelnen Bundesländern, sondern bundesweit geführt werden. Nur dann wird die Tenure-Track-Professur zu dem, was sie sein soll: ein verlässlicher Karriereweg für exzellente Wissenschaftler:innen.

Und eines ist dabei zentral: Karriereberatung muss fest an den Hochschulen verankert werden. Denn auch das gehört zur Wahrheit – Tenure-Track kann scheitern. Wer dann ohne Perspektive dasteht, verliert nicht nur Jahre, sondern oft die wissenschaftliche Laufbahn. Ein modernes System darf das nicht länger hinnehmen.

Kommentare

#2 -

AS | Do., 09.10.2025 - 12:39

Der Beitrag benennt zentrale Probleme des deutschen Tenure-Track-Systems – von fehlender Rechtssicherheit bis zu unklaren Evaluationsregeln. Gerade weil diese Fragen wichtig sind, sollte man auch die strukturellen Folgen der bisherigen Umsetzung mitbedenken. Was in der aktuellen Debatte häufig untergeht, ist die Ungleichheit, die die Reform selbst geschaffen hat. Mit der Einführung der Tenure-Track-Professuren wurde für eine ganze Kohorte von Wissenschaftler, promoviert etwa zwischen 2000 und 2010, das Prinzip der Bestenauslese teils aufgehoben.

Insbesondere das vielbeschworene Versprechen der „1.000 Tenure-Track-Professuren“ erwies sich in der Praxis als Etikettenschwindel. Was als zusätzlicher Karrierepfad verkauft wurde, diente vielerorts dazu, reguläre W2- und W3-Stellen in W1- oder TT-Positionen umzuwandeln – finanziert mit Bundesmitteln. Die Länder haben damit faktisch mit gezinkten Karten gespielt: Statt neue Perspektiven zu schaffen, wurden bestehende Professuren umdeklariert, Haushaltslöcher gestopft und Aufbruch signalisiert. Für die mittlere Generation, die im alten System Leistung erbracht hat, bedeutete das vor allem eines: weniger Chancen und Stellen,  effektiv gerät sie zwischen die Räder.

Diese „Zwischengeneration“ hat Drittmittel eingeworben, Nachwuchsgruppen geleitet, Lehre und Gremienarbeit übernommen – jedoch ohne Tenure-Perspektive. Mit der Einführung der neuen Karrierewege wurden viele klassische Professuren in TT-Stellen umgewandelt. Für erfahrene, aber noch nicht berufene Forschende blieb damit kaum Raum und sie konkurrieren um deutlich weniger W2- und W3-Stellen. Die Spielregeln wurden nachträglich geändert, und ihre Karrierechancen damit drastisch beschnitten. Für die Betroffenen ist das besonders bitter, denn ihr „Scheitern“ ist strukturell bedingt, nicht Ausdruck mangelnder Leistung oder der üblichen harten Selektion in der Wissenschaft.

Das Ergebnis ist ein Bruch im Leistungsversprechen des Systems. Während jüngere Wissenschaftler heute zumindest von klareren Tenure-Strukturen profitieren, steht eine ganze Kohorte trotz nachweislicher Leistungen mit reduzierter Perspektive da. Diese Ungleichbehandlung ist nicht nur individuell ungerecht, sondern auch strukturell kurzsichtig: Sie entzieht der Wissenschaft wertvolle Expertise und vertieft die Generationenkluft im akademischen Mittelbau.

Wenn der Tenure-Track tatsächlich ein verlässlicher Karriereweg werden soll, muss die Politik auch für diese Generation Übergänge und faire Anschlussmöglichkeiten schaffen. Ein System, das nur den Jüngeren Planungssicherheit bietet, während es die Etablierten ausschließt, verfehlt sein Ziel die besten Köpfe dauerhaft in der Wissenschaft zu halten und nach meritokratischen Prinzipien zu fördern. Politisch wird der Tenure-Track als Erfolgsgeschichte erzählt, doch die Kosten dieser Reform trägt eine ganze Kohorte wenig sichtbar und ohne Kompensation. Bestenauslese darf nicht zu einer Lotterie des Geburtsjahres werden.

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