"Die Exzellenzstrategie hat sich überlebt"
Die wissenschaftspolitischen Sprecher aller CDU-/CSU-Landtagsfraktionen haben ein Forderungspapier an die Bundesregierung vorgelegt – mit deutlichen Ansagen auch in Richtung CSU-Forschungsministerin Dorothee Bär. Der bayerische Wissenschaftspolitiker Robert Brannekämper spricht über mehr Geld für den Hochschulbau, eine echte BAföG-Reform, weniger Drittmittelzirkus – und Fluktuation als Innovationsbeschleuniger.
Robert Brannekämper, studierter Architekt und seit 2013 CSU-Abgeordneter im bayerischen Landtag, leitete viele Jahre den Landtagsausschuss für Wissenschaft und Kunst und führt den gleichnamigen CSU-Arbeitskreis. Foto: Daniel Gruber.
Herr Brannekämper, die wissenschaftspolitischen Sprecherinnen und Sprecher aller CDU-/CSU-Landtagsfraktionen haben Anfang der Woche ein gemeinsames Forderungspapier an die Bundesregierung veröffentlicht. Überschrift: "Den Koalitionsvertrag auf Bundesebene umsetzen!" Ja, wo denn sonst?
Weil Verträge das eine sind – ihre Umsetzung aber das andere. Die Ampel hat dreieinhalb Jahre herumgedoktert und nichts wirklich vorangebracht, im Gegenteil Probleme noch verschärft. Deshalb haben wir, die wissenschaftspolitischen Sprecher aus allen 16 Ländern, uns mit den Präsidenten der beiden Münchner Universitäten zusammengesetzt, außerdem mit BMFTR-Staatssekretär Matthias Hauer und unserem Staatsminister Markus Blume. Herausgekommen ist ein Papier mit den Kernforderungen: mehr Zeit für Lehre und Forschung – und weniger Bürokratie.
Bevor wir auf Ihre einzelnen Forderungen kommen: Wollen Sie Ihre Parteikollegin, Bundesforschungsministerin Dorothee Bär, mit diesem Papier öffentlich unter Druck setzen? Oder finden Sie, Sie stärken ihr damit den Rücken?
Natürlich Letzteres. Das Papier ist gedacht als ein Turbo für Dorothee Bär, damit sie sagen kann: Auch die wissenschaftspolitischen Sprecher der Union in den Ländern stehen hinter ihren wichtigsten Anliegen. So kann sie sie gegenüber der Bundesregierung und auch ihrem Koalitionspartner besser durchsetzen. Sie macht ihren Job wirklich sehr gut. Am Anfang war nicht klar, ob Forschungspolitik ihre Welt ist – aber sie hat sich hervorragend eingearbeitet und leistet eine exzellente Arbeit. Das sage ich nicht oft über Bundesminister, aber in ihrem Fall stimmt es.
„Es darf nicht sein, dass ein Forschungs- oder Uniklinikbau
wie in Großhadern erst für 2070 fertiggestellt wird.
Solche Zeitläufe sind völlig inakzeptabel.“
Apropos Turbo: Der bringt uns direkt zur Schnellbauinitiative. Nur – in der Haushaltsplanung sieht man davon bisher wenig. 60 Millionen Euro pro Jahr, und die nicht einmal allein für die Schnellbauinitiative, sondern auch für Forschungsbauten. Ihrem Papier entnehme ich, Sie haben sich anderes erwartet.
Die Bundesregierung ist jetzt seit fünf Monaten im Amt und hat natürlich auch andere große Themen – Verteidigung, wirtschaftliche Stabilisierung. Aber im nächsten Haushalt erwarten wir eine neue Lösung und fordern in unserer Resolution ausdrücklich: Die im Koalitionsvertrag angekündigte Schnellbauinitiative muss ab 2026 mit erheblichen Summen im Bundeshaushalt verankert werden. Nur so lassen sich Hochschulbauten schneller, kostengünstiger und unbürokratischer realisieren. Wobei gilt: Mehr Geld allein reicht nicht. Wir brauchen neue Verfahren. Es darf nicht sein, dass ein Forschungs- oder Uniklinikbau wie in Großhadern erst für 2070 fertiggestellt wird. Solche Zeitläufe sind völlig inakzeptabel.
Was verstehen Sie denn unter den "erheblichen Summen", die Sie für die Initiative fordern?
Da reden wir über Milliardenbeträge. Bund und Länder haben in den 1970er-Jahren massiv gebaut – und genau diese Gebäude sind jetzt sanierungsbedürftig. Wir fahren vielerorts auf Verschleiß, auch weil die Unterhaltsmittel in den Landeshaushalten über Jahre zu gering angesetzt waren. Deshalb muss dringend investiert werden: in die Sanierung bestehender Forschungsbauten und, wo nötig, in Neubauten.
Was sagen Sie zu der erwartbaren Replik: Die Länder erhalten doch ihren Anteil am Sondervermögen, immerhin 100 Milliarden Euro über zwölf Jahre – also sollen sie auch daraus investieren?
Für Bayern bedeutet das gerade einmal 1,3 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr. Doch laut Deutschem Städtetag und Gemeindetag beanspruchen die Kommunen davon etwa 60 Prozent. Da bleibt nicht viel für die Hochschulen übrig. In Bayern könnten wir die Hochschulsanierung vielleicht noch allein stemmen – viele andere Länder aber sicher nicht. Deshalb braucht es die Unterstützung des Bundes, so wie er schon in den 1970er-Jahren die Hochschulbauten mitfinanziert hat. Und noch einmal, weil mir das besonders wichtig ist: Wir müssen schneller bauen. Heute verhindern bürokratische Monster genau das. In Bayern soll die "RL-Bau" gerade modernisiert und verschlankt werden. Aber mit den gesetzlichen Vorgaben ist das, als würden Sie mit zwei Eisenkugeln an den Beinen joggen – da kommen Sie kaum voran.
Wer hat die Bürokratiemonster in die Welt gesetzt? Der Bund oder die Länder?
Beide – und vergessen Sie nicht die Europäische Union. EU-Vorgaben, Bundesgesetze und Landesregelungen greifen ineinander. Das Problem ist: Solange ein Bau nicht abgeschlossen ist, schlagen alle neuen gesetzlichen Änderungen voll durch. Noch einmal ein Beispiel aus Großhadern: Neue Vorgaben zur Arzneimittelverordnung führten dazu, dass die Apotheke plötzlich 100 Quadratmeter größer sein musste – im bestehenden Gebäude nicht machbar. Also musste an den Nachbarbau angedockt werden, mit monatelangen Umplanungen und zusätzlichen Kosten. Beim Klinikbau kommt hinzu: Die technische Entwicklung in der Medizin ist rasant. OP-Säle verändern sich im Fünf-Jahres-Rhythmus, humanoide Roboter sind im Kommen. Wer da auf 100 Jahre plant, baut an der Realität vorbei. Wir müssen flexibler und abstrakter bauen – eher für 20 Jahre, nicht für die Ewigkeit.
"Nach drei Wettbewerbsrunden ist doch klar,
welche Universitäten zur Spitze gehören.
Die Exzellenzstrategie hat ihren Zweck erfüllt .“
Zurück zu Ihrem Papier. Da heißt es: "Mehr Zeit für Forschung Lehre und weniger Bürokratie." Da fehlt offenbar ein Wort. Man merkt, dass das Papier mit heißer Nadel gestrickt ist.
Das stimmt – wir wollten kein Dokument, das drei Monate lang durch alle Fraktionen läuft, 16-mal rauf- und runterdiskutiert und am Ende von zig Pressesprechern geglättet wird. Uns war wichtig, die Ergebnisse unmittelbar aus der Versammlung heraus festzuhalten. Also haben wir das Papier noch am selben Abend zusammengeschrieben und abgetippt. Natürlich kann es dabei passieren, dass mal ein Wort fehlt oder eine Formulierung nicht perfekt sitzt. Aber das nehmen wir in Kauf. Das Papier zeigt die Thesen dieses Nachmittags.
Weiter steht da: "Es muss Schluss sein mit der Antragsmühle. Beim Umbau der Forschungsförderung darf es keine Tabus geben." Zugleich verweisen Sie auf die angekündigte Evaluation der Exzellenzstrategie. Heißt das, Sie stellen die Exzellenzstrategie selbst infrage?
Wir waren uns einig – auch mit den anwesenden Unipräsidenten: Die Exzellenzstrategie hat ihren Zweck erfüllt, aber der Aufwand ist inzwischen enorm. Beim ersten Durchgang lagen die Vorbereitungszeiten noch bei anderthalb Jahren, inzwischen sind es vier. Und nach drei Wettbewerbsrunden ist doch eigentlich klar, welche Universitäten zu den Spitzenstandorten zählen. Wenn ich also sehe, wie viel Man- und Womanpower dort hineinfließt, muss man sich schon fragen, ob das Verhältnis von Aufwand und Ertrag noch stimmt. Deshalb hat die Exzellenzstrategie sich in ihrer heutigen Form überlebt. Wir brauchen ein neues Fördermodell, wir müssen raus aus dem endlosen Kreislauf von Anträgen und Neuanträgen. Natürlich ist es nicht leicht, die Reset-Taste zu drücken. Rund um die Exzellenzstrategie haben sich Kommissionen und Strukturen etabliert, deren Existenz davon abhängt – auch bei den Förderorganisationen. Man muss da klug vorgehen, die Beteiligten mitnehmen. Aber klar ist: So wie bisher kann es nicht weitergehen.
Ein erstaunlich deutlicher Abgesang auf die Exzellenzstrategie.
Es geht uns aber um noch mehr. Das Prinzip der Drittmittelförderung muss insgesamt reformiert werden. Forscherinnen und Forscher verbringen inzwischen einen erheblichen Teil ihrer Zeit damit, seitenlange Anträge zu schreiben – hunderte Seiten, die ganze Teams binden. Und das bestätigen nicht nur einzelne Rückmeldungen, sondern Kolleginnen und Kollegen aus allen Ländern. Wir brauchen schlankere Verfahren, kürzere Antragsformate und vor allem mehr Vertrauen in die Einrichtungen. Sonst sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Ende mehr mit Formularen beschäftigt als mit Forschung und Lehre.
"Wer einen sicheren Job will, sollte nicht in die Wissenschaft gehen –
so wenig wie in die Kunst oder in die Politik.“
Den Teil Ihrer Resolution zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz finde ich weniger einfallsreich. Da klingen einige Formulierungen für mich eher nach Phrasen-Baukasten: "Eine flächendeckende Entfristung… würde Chancen für die nächste Generation blockieren." Oder auch: Qualifikationsstellen seien "bewusst als Durchlaufstationen angelegt." Und: "Mehr Fluktuation schafft… Raum für Innovation." Ich dachte, die wissenschaftspolitische Debatte wäre spätestens seit den jüngsten Wissenschaftsrats-Empfehlungen über diesen Erkenntnisstand hinweggegangen.
Man muss unterscheiden. Im Wissenschaftsmanagement und in der Verwaltung brauchen wir in der Tat Dauerstellen – und zwar gut ausgestattete, hochdotierte Stellen. Dort geht es um die Verwaltung von Millionenetats, um Zeit- und Kostenkontrolle. Da reichen keine befristeten Stellen im „mittleren Dienst“. Aber bei Qualifikationsstellen für Postdocs ist das anders. Das war allerdings auch der strittigste Punkt in unserer Diskussion am Sonntag. Die Mehrheit der wissenschaftspolitischen Sprecher war sich bei den anderen Themen schnell einig. Hier aber gab es Unterschiede: Manche wollten den wissenschaftlichen Nachwuchs stärker absichern, andere – wir in Bayern – betonen, dass es Durchlaufstationen bleiben müssen. Am Ende haben wir die Formulierungen so weit heruntergedampft, dass sie von allen getragen werden konnten. Das wirkt vielleicht wie Textbausteine, spiegelt aber schlicht den Diskussionsstand wider. Ich persönlich würde es härter formulieren: Wer sich hier für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheidet, geht ins Risiko. Wer einen sicheren Job will, sollte nicht in die Wissenschaft gehen – so wenig wie in die Kunst oder in die Politik.
Nach der Logik dürfte man dann aber auch Professoren nicht verbeamten.
Das ist in der Tat eine Frage. Die Verbeamtung der Professoren ist historisch gewachsen – zurückdrehen lässt sich das kaum. Aber wir sehen in anderen Bereichen, etwa bei den Museen, dass neue Wege möglich sind. Dort setzen wir stärker auf Anreize, zum Beispiel über die Einwerbung von Drittmitteln. Das schafft unmittelbare Vorteile für die Betroffenen und sorgt für Dynamik. Es muss also nicht alles über Beamtenstatus geregelt sein. Mit klugen Anreizsystemen kann man oft mehr bewegen.
Wobei Sie vorher gerade den Drittmittelzirkus kritisiert hatten. Haben Sie sich denn Gedanken dazu gemacht, wie man die Übergänge zwischen Postdoc-Phase, Dauerstellen und Professuren transparenter gestalten könnte?
In der Kürze der Zeit konnten wir das bei unserer Tagung nicht vertiefen. Aber als CSU-Fraktion in Bayern sagen wir seit Langem: Wir brauchen an allen Universitäten Karrierecenter, die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern frühzeitig eine ehrliche Beratung geben: Wo führt dein Weg wahrscheinlich hin? Richtung Professur, Wissenschaftsmanagement? Oder besser eine Karriere außerhalb der Wissenschaft, wie zum Beispiel in der Industrie? Denn fast alle Nachwuchswissenschaftler wollen Professor werden – tatsächlich schaffen es aber nur wenige. Wer das Risiko eingehen will, sollte es bewusst tun. Mit einer realistischen Einschätzung von Anfang an. Sonst erleben wir, dass Menschen Jahr um Jahr hoffen, kämpfen oder anfangen, Briefe und Petitionen an Abgeordnete zu schreiben – und am Ende doch mit leeren Händen dastehen. Das ist weder fair noch effizient.
"In manchen Bundesländern dauert die BAföG-Antragsbearbeitung
bis zu acht Monate – was soll ein Student in dieser Zeit machen?
Das ist doch absurd.“
Sie kommen in Ihrer Resolution auch aufs BAföG zu sprechen: Der Ampel sei allenfalls ein "Reförmchen" gelungen. Im Unterschied dazu fordern Sie eine echte Reform. Was heißt das konkret?
Zunächst: Die Begabtenförderungswerke brauchen deutlich mehr Mittel, um leistungsstarke Studierende angemessen zu unterstützen. Und auch beim BAföG selbst muss es schneller und unbürokratischer werden. In manchen Bundesländern dauert die Antragsbearbeitung bis zu acht Monate – was soll ein Student in dieser Zeit machen? Auf Geld von Oma oder den Eltern hoffen? Einen Kredit aufnehmen? Das ist doch absurd. Und natürlich muss auch die Höhe angepasst werden. Wer sich allein die Mietpreise anschaut – in München liegen wir schnell bei 700 oder 800 Euro für ein Zimmer in einer WG –, sieht sofort: Das heutige BAföG reicht nicht. Studierende sollen sich auf ihr Studium konzentrieren können und nicht gezwungen sein, nebenbei in der Gastronomie zu jobben. Wenn sie arbeiten, dann sinnvollerweise in Bereichen, die zu ihrem Studium oder zu ihrem späteren Beruf passen.
Sie fordern als wissenschaftspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion eine Menge vom Bund – was vergleichsweise einfach für Sie ist. Wie sieht es denn mit den eigenen Landesregierungen aus? Bayern zum Beispiel mutet den Hochschulen gerade einiges zu.
Mit "Zumutungen" meinen Sie wahrscheinlich die Restemittel-Diskussion, die Frage, ob die Hochschulen auf Gelder aus den Vorjahren verzichten müssen. Ganz ehrlich: Die Frage hätte ich dem Minister gerne erspart. Sie bringt nichts außer Vertrauensverlust. Entscheidend ist, dass wir beim diesjährigen Etat nicht kürzen. Im Gegenteil: Der Ministerpräsident hat neulich noch einmal dreistellige Millionenbeträge für Technologie und Wissenschaft angekündigt. An der Wissenschaft wird also bei uns nicht gespart – zu Recht, denn hier entstehen die Arbeitsplätze von morgen. Aber Bayern allein kann das Land nicht retten – auch wenn hier viele DAX-Konzerne und Forschungseinrichtungen sitzen. Wenn wir jedes Jahr zehn Milliarden in den Länderfinanzausgleich zahlen, ist es im Interesse aller, dass auch in anderen Ländern etwas vorangeht. Und viele andere Bundesländer schaffen es nun einmal nicht aus eigener Kraft, die brauchen den Bund.
Nur dass in den anderen Bundesländern viele fürchten, mit einer bayerischen Bundesministerin für Forschung, Technologie und Raumfahrt würde nun auch besonders viel Bundesgeld in den Freistaat fließen. War die Sorge vor einer solchen Bayern-Connection auch Thema bei Ihrer Sprechertagung?
Uns gegenüber wurde die Sorge nicht so offen geäußert, aber natürlich schwingt der Verdacht mit. Deshalb haben wir auch bei unserem Besuch am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) in München klar gesagt: Wir müssen bei den Hightech-Themen gemeinsam denken. Professor Dieter Kranzlmüller, der Vorsitzende des Direktoriums des Rechenzentrums, hat auch eindrücklich klargestellt, dass schon heute alle Bundesländer im LRZ rechnen lassen.
Es darf nicht der Eindruck entstehen, Bayern sauge jetzt Milliarden ab. Förderungen müssen mit Exzellenz und vorhandenen Standorten begründet sein. Beispiel LRZ: Da ist eine Fokussierung auf eine Partnerschaft mit dem Forschungszentrum Jülich sicher gerechtfertigt, da macht es keinen Sinn, wenn andere Bundesländer bei null anfangen. Aber es braucht attraktive Forschungsorte in allen Bundesländern. Wir müssen das Gesamtland im Blick haben und auch andere Regionen gezielt stärken.
Kommentare
#1 - Durchlaufstationen = Rausschmeißstationen
Eine Anmerkung nur zum elendigen Thema der Befristung von Stellen in der Wissenschaft.
Stellen in der Wissenschaft unterhalb der Professur sollen also weiterhin höchst prekäre Durchlaufstationen bleiben. Wenn man lediglich die beiden Präsidenten der Münchner Unis zum Gespräch einlädt, hat man natürlich die volle Breite des Meinungs- und Argumentationsspektrums an einem Tisch - sozusagen die geballte Kraft der Speerspitze der Reformbemühungen.
Es ist völlig absurd, wie hier - typisch Union - die Funktionseliten des Hochschulsystems hofiert werden. Deren Interesse an einer machtstabilisierenden Verknechtung des wissenschaftlichen Personals unter der unsinnigen Legitimationsfloskel der "Innovationsfähigkeit" ist landläufig bekannt. Spricht man nur mit diesen, so ist vollkommen logisch, dass der aktuelle Stand des Diskurses sowie der längst von vielen wissenschaftspolitischen Akteuren verschiedenster Richtungen getragene Konses zur Reformnotwendigkeit bei der Stellen- und Befristungsstruktur unterhalb der Professur schlicht ignoriert wird. #IchBinHanna hat nie stattgefunden.
Machtpolitik as usual! Es grüßt die Union!
#1.1 - Fehlallokation
Da dürfen die administrativen Universitätseliten im selben Atemzug schamlos fette Lohnerhöhungen für sich selbst und weitere Präkatisierung für ihren Pöbel fordern. Dazu noch Mittel für eine weitere Aufblähung der Administartion (Karriereberatung). Ich denke mit den Mitteln könnte man stattdessen einige Entfristungen finanzieren.
#1.1.1 - Karriereberatung...
Wo jetzt die "administrativen Universitätseliten" die "schamlos fetten Lohnerhöhungen" herbekommen sollten, ist mir schleierhaft.
Aber Ihr Satz von der "Aufblähung der Administration (Karriereberatung)" ist aus meiner Sicht auf jeden Fall falsch. Eine Karriereberatung ist gut investiertes Geld und sollte im besten Falle sowohl die Karriereberatung in der Academia (zB auch Mentoring, Training Bewerbung Professur etc.) umfassen als auch außerhalb der Academia (Wechsel in Branchen, Selbständigkeit etc.) umfassen.
#2 - Erinnerung HRK-Positionen zu Schnellbauinitiative und BaFÖG
Die Forderungen, dass Bund und Länder jetzt das BaFÖG gründlich überarbeiten sollten und in die Modernisierung, energetische Sanierung und den Neubau von Hochschulen investieren sollten, hat die HRK auf ihrer Sitzung im Mai Positionspapiere verabschiedet, die auch schon die mögliche Umsetzung andenken, siehe
https://www.hrk.de/positionen/
Die sind auch vermutlich ausreichend lange diskutiert und durchdacht worden. Beim BaFÖG hilft auch ein Blick auf die Studienfinazierung in unseren europäischen Nachbarländern. Ich hoffe sehr, dass die Ministerin diese Vorschläge nun gemeinsam mit den Ländern umsetzt, nachdem sie auch von ihren Parteikollegen noch einmal unterstrichen worden sind.
#3 - Karrierewege
"Wir brauchen an allen Universitäten Karrierecenter, die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern frühzeitig eine ehrliche Beratung geben: Wo führt dein Weg wahrscheinlich hin?" Diese Idee ist leider nicht zu Ende gedacht. Die ganzen Postdocs an den Unis sitzen ja auf Stellen, und solange es diese Stellen gibt, wird es auch die Postdocs auf den befristeten Stellen weiterhin geben. Ein Umbau der Karrierewege kann gar nicht funktionieren, ohne dass diese Stellenstruktur verändert wird. Diese ist wiederum durch die Finanzstruktur der Hochschulen vorgegeben, also den hohen Anteil der Drittmittel und vergleichsweise geringen Anteil der Grundfinanzierung. Ich habe wenig Hoffnung, dass der hohe Anteil an befristeten Postocstellen reduziert werden kann, ohne gleichzeitig den hohen Anteil der projektbezogenen Drittmittelfinanzierung zu reduzieren.
#4 - Alles für die Verwaltung!
Wir brauchen gut ausgestattete, hochdotierte Verwaltungsstellen? Und die Postdocs sollen bitte kapieren, dass sie sich auf Unsicherheit zum Niedrigtarif einlassen? Das ist lächerlich.
Richtig wäre: wenn es die Unsicherheit gibt, müsste sie eingepreist sein, die Postdocs müssten für ihre 6-Jahres-Verträge also erheblich bessere Bezahlungen erhalten. Und die Verwaltungsleute das, was man eben verdient für einen entfristeten - Verwaltungsjob.
Aber ersteres ist schon mit dem Tarifsystem im ÖD nicht zu machen. Da stimmen die Verhältnisse schon lange nicht mehr, dank der Politik (der Schröder-SPD).
#5 - Verwaltung und Wissenschaft
Ich vergleiche hier mal -- nicht ohne Zorn -- drei Sätze von Herrn Brannekämper:
"Man muss unterscheiden. Im Wissenschaftsmanagement und in der Verwaltung brauchen wir in der Tat Dauerstellen – und zwar gut ausgestattete, hochdotierte Stellen."
"Wir brauchen an allen Universitäten Karrierecenter, die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern frühzeitig eine ehrliche Beratung geben:"
"Wer sich hier für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheidet, geht ins Risiko. Wer einen sicheren Job will, sollte nicht in die Wissenschaft gehen – so wenig wie in die Kunst oder in die Politik."
Welche Art von Mitarbeitern soll denn in sog. "Karrierecentern" eine (nicht nur ehrliche, sondern) kompetente Beratung anbieten? Welche Laufbahn mögen die hinter sich haben? Irgendeinen Vorbereitungsdienst auf befristeten Stellen? Oder brauchen sie vor allem einen sicheren Job, um ihr Häuschen zu bauen?
Verwaltungsleute jedenfalls durchlaufen vielleicht ein Referendariat -- relativ kurz und übersichtlich. Danach benötigen sie einen unbefristeten Job. Verwaltung ist ja auch wichtig. Und wie bereiten sich Wissenschaftsmanager auf ihre Tätigkeit mit der besonders hochdotierten Besoldung vor? Ähnlich wie Professoren, also mit befristeten Stellen?
Die klassischen Assistentenstellen an der Universitäten waren Durchgangsstationen, um sich unter anderem auf eine Professoren-Laufbahn vorzubereiten. Das braucht Zeit. Aber die anderen Genannten haben sowas nicht nötig? Ich finde das einigermaßen zynisch: Wer Professor werden will, geht ins Risiko (das ist grundsätzlich okay), aber die anderen brauchen das absolut nicht? Das klingt so wie: Die anderen sind wichtig, verwalten und managen ist eine staatstragende Aufgabe, aber Wissenschaftler sind eigentlich unwichtig. Sie brauchen nicht das, was die anderen brauchen. Sie sind letztlich eine Manövriermasse .. je nach Haushaltslage. Sogar befristete Professuren gibt es, aber befristete Wissenschaftsmanager -- das geht natürlich nicht! Auch sind Wissenschaftsmanager der Inbegriff von Bürokratie. Und dann heißt es noch: "Mehr Zeit für Forschung Lehre und weniger Bürokratie."
#6 - Maximale Irritation
Lieber Herr Wiarda,
vielen Dank für dieses aufschlussreiche (leider nur in Bezug auf die Reflexion der eigenen, für außenstehende möglicherweise etwas zu hohen Erwartungshaltung) Interview. Obgleich hier sich hier Fachpolitiker zusammen geschlossen haben, trieft das Papier von den hinlänglich bekannten, wenig hilfreichen Phrasen. Ich frage mich ernsthaft, ob die Auffassungen unter den Fachpolitikern der Union so stark divergieren, oder ob es schlicht an Fachkenntnis mangelt. Peinlich ist der Ruf nach weniger Bürokratie, insbesondere wenn man im HInterkopf hat, dass beispielsweise in NRW die CDU in Regierungsverantwortung an einer HG-Novelle arbeitet, die in sehr vielen Punkten zu einem bürokratischen Aufwuchs führen wird. Ein Schlag ins Gesicht hochqualifizierter Wissenschaftler*innen, aber auch der vielen Verwaltungskräfte im mittleren und gehobenen Dienst sind die Ausführungen zu den Dauerstellen. Positiv stimmt mich allein die beabsichtigte Veränderung der Exzellenzstrategie.
#7 - Reality check
Ist doch ein erfrischend ehrliches Interview, welches ein gutes Beispiel liefert fuer die Grundhaltung der meisten Politiker_innen, die sich heutzutage mit Forschungs-/Wissenschaftspolitik beschaeftigen. Man moechte dem wissenschaftlichen "Nachwuchs" zurufen: "lasst die Finger von wissenschaftlicher Arbeit, ist eine Verschwendung Eurer Lebenszeit, die Gesellschaft braucht Euch nicht. Werdet stattdessen Handtaschendesigner_innen, erfindet Steuersparmodelle, oder noch besser ueberlegt Euch noch bessere Methoden, Eure Mitbuerger ueber den Tisch zu ziehen, werdet Desinformationsspezialistinnen". Wie heisst es so schoen im "Land der Dichter und Denker" (immerhin Kunst und Wissenschaft, leider keine Politik): die Wissenschaft ist der Ast auf dem wir sitzen.
#8 - A scientists' creed
Wie der Zufall es will bin ich gerade ueber einen Aufsatz von Avi Loeb gestolpert, der so ziemlich perfekt zusammenfasst, was einen als Wissenschaftler_in motiviert und weshalb es mit diversen "Anzugtraeger_innen" in der Wissenschaftspolitik zu Missverstaendnissen kommt.
"Science is a rare job which offers joy through the creative process of figuring out nature while being paid for it. [...] Gladly, my day job as a scientist is a work of love. [...] My source of happiness cannot be traded for money. [...] If I were to write essays to my audience in order to make a profit, I would not be free to write about anything in any form I like. The fountain of creativity in science, literature or art stems from a fundamental sense of freedom. [...] my goal is science outreach and not money making. An artist who works for hire with an agenda of making money feels like a person who makes love for money. Both activities are not sincere. While this understanding is at the foundation of creative work in the arts and sciences, I was shocked to realize that it is not obvious to fundraisers and business people. [...] Those who maintain their stature and self-esteem by pretending to be the adults in the room are the most boring people I ever met. The future of humanity will be curated by new frontiers that are opened up through creative work. The higher purpose for our existence is our willingness to learn. And the best way to open new pathways for learning is through the creative work of imagining what lies beyond our horizon [...]. In the grand scheme of the Universe, the imagination that fuels creative work in arts and sciences is priceless."
#8.1 - Ganz schön weltfremd
"An artist who works for hire with an agenda of making money feels like a person who makes love for money. Both activities are not sincere."
Sowohl Künstler:innen, die einen praktischen day job haben (Fotograf:innen, Bühnenbildner:innen usw., heute alles i.d.R. ultraprekäre selbstständige Berufe), als auch Sexarbeiter:innen gegenüber ganz schön herablassend. Insgesamt etwas weltfremd: Als wenn die kapitalistische "Landnahme" aller gesellschaftlichen Bereiche sich nicht auch auf die eigene wissenschaftliche Identität und Arbeit auswirken würde, auch für theoretische Physiker:innen. Aus wissenschaftssoziologischer Sicht ein altbackenes Verständnis (mode 1 vs. mode 2 knowledge production).
#8.2 - Geld
Ich finde den Text von Loeb unterhaltsam und bordering an bullshit. Es ist wenig deep, dass ein Selbstbildnis des Künstlers als Wissenschaftler oder des Wissenschaftlers als Künstlers Bourdieuschen Distinktionsgewinn verspricht gegenüber anscheinenden Langeweilern in den Ministerien, die wissen wollen, was der Forschngs-Spass die SteuerzahlerInnen kostet. Nach meiner Lesart fordert dieses Papier von Abgeordneten der CDU-CSU, mit der die neue CSU-Ministerin des BMFTR beraten werden soll, dass die beiden Münchner Universitäten einen Freifahrtschein, am besten eine carte blanche bekommen vom Bund, damit sie mehr Zeit zum Forschen haben.
#9 - Exzellenz-Strategie ...
Die Positionen der CDU/CSU sind eigentlich nicht mein Fall. Aber in diesem Falle kann man einem potentiellen Abgesang der Exzellenz-Strategie nur zustimmen. Es ist ein inzwischen haarsträubendes Bürokratie-Monster, das den besten Leuten die Zeit stiehlt.
#10 - Keine Lösungen
Die Idee von Karrierezentren an Universitäten klingt vernünftig, löst aber kein Problem. Wer soll dort beraten? Verwaltungsangestellte ohne Forschungserfahrung, "gescheiterte" Wissenschaftler oder Professoren, die selbst vom System billiger Nachwuchskräfte profitieren? Solche Beratung wäre nicht unabhängig, sondern ein bürokratischer Feigenblattversuch.
Das Grundproblem bleibt: Die Wissenschaft lagert Risiken auf Einzelne aus. Junge Forscher tragen Unsicherheit und prekäre Verträge, während die Institutionen von ihrer Arbeit leben. Eine frühe, ehrliche Selektion und verlässliche Laufbahnen jenseits der Professur wären nicht nur fairer, sondern auch effizienter – weil das heutige System seine wahren Kosten externalisiert: Wissensverlust, Demotivation und verschwendete Qualifikationen.
So bleibt die deutsche Wissenschaft ein Elfenbeinturm mit Rissen – eindrucksvoll in der Ferne, aber brüchig im Fundament.
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