Direkt zum Inhalt

Die Misere, die keine Überraschung ist

Deutschlands Neuntklässer stürzen nun auch in Mathematik und Naturwissenschaften ab. Was hinter dem Leistungsrückgang steckt, wie die Politik reagiert – und was daraus folgen sollte.
Draufsicht zwei Schueler bearbeiten Matheaufgaben.

Symbolbild: freepik.

DASS DIE ERGEBNISSE dramatisch ausfallen würden, hatte sich schon vergangene Woche abgezeichnet. Insider berichteten plötzlich, die Bildungsministerkonferenz (BMK) wolle die Veröffentlichung des IQB-Bildungstrends verschieben. Ja, bestätigte die Direktorin des zuständigen Forschungsinstituts, diese Absicht sei ihr von der BMK mitgeteilt worden, ohne Nennung von Gründen und ohne neuen Termin. Die Überlegung habe sie "überrascht", sagte Petra Stanat, da dies "vom eingespielten Prozedere abweichen würde".

Doch anstatt zu erklären, was da los war, machte der Club der Bildungsministerinnen und Bildungsminister dicht. Keine Beantwortung von Presseanfragen, dafür hektische Sitzungen und schließlich ohne weitere Erklärung doch die Einladung zu einer Pressekonferenz an diesem Donnerstag. Im Hintergrund wird versichert, man habe die Zahlen nie dauerhaft zurückhalten wollen. Es sei lediglich darum gegangen, vorher noch Fragen an die Wissenschaftler loszuwerden.

Wenn Mecklenburg-Vorpommerns Bildungsministerin Simone Oldenburg (Linke), zurzeit Präsidentin der BMK, am Nachmittag vor die Presse tritt, an ihrer Seite die führenden Vertreterinnen der Bildungsminister und Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU), werden sie und ihre Kolleginnen Antworten geben müssen. Wie erklärt er sich, der beispiellose Absturz der deutschen Neuntklässlerinnen und Neuntklässler in Mathematik und in den Naturwissenschaften, den das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) gemessen hat?

24 Kompetenzpunkte weniger in Mathematik, in Biologie, Chemie und Physik jeweils 23 bis 24 Punkte misst der IQB-Bildungstrend 2024. Das bedeutet, dass heutige Neuntklässler im Vergleich zur letzten Erhebung 2018 im Schnitt einen Lernrückstand von etwa einem Jahr aufweisen – also massiv schlechter darin sind, mathematische Probleme zu lösen und naturwissenschaftliche Fragestellungen verstehen, anwenden und beurteilen zu können.

Der Absturz in Zahlen

Noch dramatischer: Rund ein Viertel der Schülerinnen und Schüler (24 Prozent) erreicht in Mathematik nicht einmal die Mindeststandards für den Mittleren Schulabschluss (MSA), wie er vom IQB im Auftrag der Bildungsminister definiert wurde. In Chemie scheitert daran ebenfalls jede bzw. jeder Vierte (25 Prozent), in Physik jede bzw. jeder Sechste (16 Prozent). Besser sieht es mit zehn Prozent nur in der Biologie aus. Umgekehrt schaffen nur noch 42 Prozent in Mathe den sogenannten Regelstandard für den MSA – also das, was alle mindestens können sollten, um einen Mittleren Schulabschluss zu erhalten. In Chemie sind es 45 Prozent, in Physik immerhin noch 57 Prozent und in Biologie 59 Prozent.

Gut 48.000 Neuntklässler wurden bundesweit getestet, außerdem wurden Schüler, Lehrkräfte und Eltern zu ihrer Wahrnehmung von Schule und Unterricht befragt. Von einem "bundesweiten Abwärtstrend" spricht das IQB, und tatsächlich ist der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die MSA-Mindeststandards verfehlen, in allen Bundesländern gestiegen – in Mathe um neun Prozentpunkte im deutschlandweiten Schnitt. Und der Rückgang hat sich beschleunigt: Waren die Kompetenzwerte zwischen 2012 und 2018 noch weitgehend stabil geblieben, markieren die jetzigen Einbrüche eine bildungspolitische Zäsur. Genau wie 2023 schon beim IQB-Bildungstrend für Deutsch, der einen ähnlichen Absturz beschrieb. Gegen den Trend und überraschend positiv entwickelten sich damals nur die Englisch-Kompetenzen.

Erneut zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Ländern: Bayern, Sachsen und Schleswig-Holstein stehen bei den Matheleistungen vergleichsweise gut da, "durchgängig besonders schwache Ergebnisse" berichtet das IQB aus Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Auch in den Naturwissenschaften liegen Bayern, Sachsen sowie in Teilen Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Thüringen vorn. Am anderen Ende der Skala: Berlin – und wieder Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen.

Ursachen und Folgen

Doch die alles entscheidende Frage lautet: Was ist da passiert? IQB-Direktorin Petra Stanat sagt: vor allem die Corona-Pandemie. "Die Neuntklässler, die jetzt getestet wurden, waren beim ersten Lockdown in der fünften Klasse. Mit den Nachwirkungen kämpfen sie offenbar noch heute." Anhand der Antworten der Schülerinnen und Schüler in der IQB-Begleitumfrage erkenne man, dass ihre seelische Gesundheit, vor allem die der Mädchen, nicht wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht habe. "Seit der Pandemie jagt eine Krise die andere, das hinterlässt Spuren." Und das nicht nur in Deutschland: Die internationale PISA-Studie hatte vergangenes Jahr starke Rückgänge bei den Schülerleistungen in vielen Staaten gezeigt.

Zugute halten können sich die Landesbildungsministerinnen und Bildungsminister immerhin, dass sie in der Corona-Zeit fast durchgehend – wenn auch oft vergeblich – gegen harte und lange Schulschließungen votiert hatten. Dass außerdem die dramatisch gestiegene Nutzung digitaler und sozialer Medien eine nicht unbedeutende Rolle beim Leistungsrückgang gespielt haben dürfte, liegt auf der Hand – ist aber ebenfalls schwer messbar. Kurioserweise, vermuten Forschende, könnte gerade diese intensive Mediennutzung eine der Erklärungen dafür sein, dass es in Englisch vor zwei Jahren gegen den Trend zu Leistungsverbesserungen kam.

Und wie sieht es aus beim Thema Zuwanderung, das in Bildungsdebatten oft reflexartig herangezogen wird, sobald die Leistungen bergab gehen? Die Realität ist deutlich differenzierter. Einerseits: Der Anteil der Schülerinnen und Schüler aus Einwandererfamilien kletterte deutschlandweit zwischen 2018 und 2024 um sieben Prozentpunkte auf 40 Prozent, was genau dem Plus zwischen 2012 und 2018 entspricht. Nur dass der Anstieg diesmal fast ausschließlich durch neu zugewanderte Kinder und Jugendliche zustande kam.

Andererseits: Zwar schnitten Einwandererkinder absolut gesehen erneut deutlich schwächer ab, doch die Kompetenzrückgänge in Mathe und Naturwissenschaften gingen diesmal durch die Bank der Schülerschaft, waren also weitgehend unabhängig von sozialer Herkunft und Migrationshintergrund. "Wir haben auch berechnet, wie die Ergebnisse aussähen, wenn sich die Schülerschaft seit 2018 nicht verändert hätte", sagt Stanat. "Das Ergebnis: Die Abwärtsbewegung bliebe. Nur würden die Unterschiede zwischen den Bundesländern kleiner – abhängig vom Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund und dem durchschnittlichen Sozialstatus ihrer Familien."

Für Schulen und Bildungsminister sind die Ergebnisse schwer zu verdauen – verlängern und beschleunigen sie doch jetzt einen Abwärtstrend, der seit mehr als einem Jahrzehnt anhält. Doch, sagt Petra Stanat, für Gefühle der Ohnmacht gebe es keinen Anlass. "Die jeweilige Bildungspolitik macht einen Unterschied. Das sieht man in Hamburg, wo seit vielen Jahren konsequente Schulentwicklung betrieben wird, oder in Baden-Württemberg, das sich ebenfalls auf den Weg gemacht hat. Und das schlägt sich in den Ergebnissen nieder." So liege BW erstmals wieder in allen getesteten Fächern über dem Bundesschnitt.

Was die Bildungsministerinnen sagen

Nach dem ersten Schock scheinen die Bildungsministerinnen und Bildungsminister sich berappelt zu haben. Die Verschiebung haben sie abgeblasen, und in ihren ersten, vor der Pressekonferenz versandten Statements gaben sie sich kämpferisch.

"Kein Grund zur Resignation, sondern ein Auftrag zum Handeln" – so beschreibt Saarlands Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD) den IQB-Bildungstrend. "Wir wissen, dass Präsenzunterricht wirkt – und dass unsere Programme greifen werden", sagt Streichert-Clivot, die zugleich die Bildungspolitik der SPD-regierten Länder koordiniert. "Diese Generation hat in der Pandemie viel verloren – jetzt ist es unsere Aufgabe, ihr mehr zurückzugeben, als sie verloren hat." Sie verweist auf Investitionen in Unterrichtsqualität, Lehrkräftebildung und gezielte Förderung sowie Programme wie QuaMath für die Mathe-Unterrichtsentwicklung und StarS für den Übergang zur Grundschule.

Streichert-Clivots CDU-Pendant, Nordrhein-Westfalens Bildungsministerin Dorothee Feller, nennt die Ergebnisse "unbefriedigend" und verweist angesichts des Abschneidens von NRW darauf, dass die Werte in allen Bundesländern "absackten". Die Ursachen seien vielfältig – Pandemie, Kriege, Migration, Social Media –, "das alles verlangt unseren Schulen viel ab". Die Länder hätten darauf bereits reagiert, "unter anderem mit Maßnahmen für eine datengestützte Qualitätsentwicklung und eine gezielte Unterstützung von besonders belasteten Schulen". Das neue Startchancen-Programm werde hier "einen entscheidenden Beitrag für bessere Bildungschancen leisten". Und: "Schulpolitik ist und bleibt ein Marathon, kein Sprint."

Zwischen Erkenntnis und Umsetzung

Wahr ist allerdings auch: So oder ähnlich haben die jetzigen Bildungsministerinnen und Bildungsminister – oder ihre Vorgänger – noch jede Studie mit enttäuschenden Ergebnissen der vergangenen zehn Jahre kommentiert. Was es jetzt braucht, ist mehr als das: die schonungslose Auseinandersetzung mit den Gründen für einen bildungspolitischen Abwärtstrend, der lange vor Corona begann.

Der Versuchung, nun die Bildungsforschung oder gar das IQB selbst infrage zu stellen, sollte die Politik dabei widerstehen. Auch der immer wieder gehörte Vorwurf, die Bildungsforschung beschreibe nur die Misere, zeige der Bildungspolitik aber zu wenig Lösungswege auf, geht an der Realität vorbei.

Tatsächlich hat die Forschung seit vielen Jahren immer wieder entscheidende Hinweise gegeben: die frühkindliche Bildung stärken etwa, dabei einen besonderen Fokus auf die Sprachbildung legen, weil ein Großteil der Disparitäten in der Schule sich genau durch diese erklären ließe; nicht irgendeinen Ganztag machen, sondern mit pädagogisch klaren Konzepten zur Verschränkung von Vor- und Nachmittag; Schul-, Unterrichts- und Testdaten nicht nur erheben, sondern sie wirklich gezielt zur Qualitätsverbesserung nutzen. Und nicht auf Nebenschauplätzen die Ressourcen vergeuden, etwa bei der aus Sicht der Bildungsforschung völlig überflüssigen Rückabwicklung vom G8- zum G9-Gymnasium.

Gleichzeitig haben die Bildungsministerinnen recht, wenn sie darauf hinweisen, dass vieles inzwischen in Angriff genommen wurde: konsequentere Sprachtestung und Sprachförderung, eine engere Verzahnung von Kita und Schule, die Entwicklung gemeinsamer Qualitätsprogramme. Und erst Anfang des Jahres kam mit dem Vorstoß mehrerer Bildungsministerinnen, verbindliche und überprüfbare nationale Bildungsziele zu definieren, ein bemerkenswertes Signal. Eine davon war Karin Prien, die jetzt Bundesministerin ist und am Nachmittag auch die Ergebnisse kommentieren wird.

Aber warum, muss man fragen, reagiert Bildungspolitik so oft erst mit Jahren Verzögerung – und dann allzu zögerlich –, wenn sie doch ebenfalls von der Bildungsforschung bescheinigt bekommt, wie lange es dauert, bis Veränderungen sich in den Schülerleistungen niederschlagen? Es wäre viel erreicht, wenn die nächste Bildungsstudie in der Bildungsministerkonferenz keine Verschiebe-Reflexe mehr auslöste, wenn die Ministerinnen und Minister dann mit gutem Gewissen sagen können: Wir haben getan, was wir konnten. Wir haben Tempo gemacht und die nötigen Reformen konsequent durchgezogen.

Dieser Beitrag erschien heute in kürzerer Fassung auch im Tagesspiegel.


Prien bietet Ländern "Paradigmenwechsel" in der Zusammenarbeit an, Lehrerverband fordert entschlossenes Handeln statt gegenseitiger Schuldzuweisungen

Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU) reagierte auf den IQB-Bildungstrend mit einem Angebot an die Länder. "Wir brauchen jetzt eine nationale Kraftanstrengung", sagte sie bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit ihren Länderkolleginnen am Donnerstagnachmittag. Sie sprach von einem "Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit zwischen Bund, Ländern und Kommunen", einer "Roadmap" bis zur nächsten Bildungsministerkonferenz schon im Dezember, in der sich Bund und Länder verbindlich auf konkrete Schritte zur Verbesserung von Unterrichtsqualität, frühkindlicher Bildung und Basiskompetenzen einigen sollten. Bildung, sagte sie, sei "der entscheidende Faktor zur Wettbewerbsfähigkeit und zur Demokratiefähigkeit unseres Landes". Es brauche jetzt einen gemeinsamen "Arbeitsprozess", keinen weiteren "Appell an die Besorgnis".

Wer in dem Vorstoß ein direktes Anknüpfen an ihrem im Januar noch als Landesministerin mit Kolleginnen gemachten Vorschlag zur Vereinbarung messbarer Bildungsziele erkennt, dürfte richtig liegen. Eine explizite Reaktion der Landesministerinnen auf Priens Angebot gab es in der Pressekonferenz nicht. Doch Simone Oldenburg (Linke), aktuelle Präsidentin der Kultusministerkonferenz und Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern, ließ keinen Zweifel daran, dass die Ergebnisse die Länder hart träfen. "Es ist so, dass es in allen Bundesländern einen Abwärtstrend gibt", sagte sie. Jetzt gehe es darum, "die Ursachen zu erkennen und daraus Konsequenzen zu ziehen". Besonders wichtig sei, Lernfortschritt künftig genauer zu messen: "Ich muss wissen, wie hoch ist der Lernzuwachs bei ein und demselben Kind von Klasse 1, 2 an und über den Verlauf seiner gesamten Schulzeit. Und dann weiß ich auch, welche Methoden, welche Prozesse gewirkt haben."

Auch Nordrhein-Westfalens Bildungsministerin Dorothee Feller, Koordinatorin der CDU-geführten Länder, sprach von einer gemeinsamen Verantwortung: "Die Ergebnisse der IQB-Studie 2024 sind nicht befriedigend. Da gibt es überhaupt nichts dran zu deuteln." Zum ersten Mal zeigten alle Länder zugleich Rückgänge – "das ist etwas Besonderes, was es vorher in dieser Art noch nicht gegeben hat". Wichtig sei nun, "keine Schnellschüsse" zu produzieren, sondern "gemeinsam zu analysieren". Denn: "Es betrifft alle Länder, und deswegen kann es nur in einer gemeinsamen Analyse münden." Veränderungen bräuchten Zeit: "Wir haben es im Schulsystem mit Menschen zu tun. Da können wir nicht wie beim Lichtschalter an- und ausknipsen."

Ein wenig klang das doch wieder nach der üblichen Rhetorik nach derlei Studienergebnissen, nach Beteuerungen von Besorgnis und Ergebnisanalyse – obwohl viele Befunde der Bildungsforschung lange auf dem Tisch liegen.

Christine Streichert-Clivot, Bildungsministerin des Saarlands und Koordinatorin der SPD-Länder, nannte die Ergebnisse "sicherlich einen Weckruf – kein Grund zur Resignation, aber auch Ergebnisse, die uns nochmal selbstkritisch auf die Maßnahmen schauen lassen müssen, die wir in der Vergangenheit getroffen haben". Sie verband das mit einem klaren Rückblick auf die Corona-Zeit: "Schulschließungen, ich werde da nicht müde, waren ein Fehler. Und das sehen wir jetzt auch in diesen Ergebnissen." Doch es helfe nichts, in der Vergangenheit zu verharren: "Wichtig ist, daraus zu lernen und die richtigen Schlüsse zu ziehen."

Bundesbildungsministerin Prien sagte, die Handlungsfelder für die Bildungspolitik seien "relativ klar". Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz habe in den vergangenen Jahren "schon klare Hinweise gegeben, wo wir arbeiten müssen". Darauf seien zwar Reaktionen erfolgt, "aber ehrlicherweise: vieles wirkt auch noch nicht".

Zu den zentralen Themen zählte Prien "das Startchancenprogramm, die Einführung des Rechtsanspruchs auf Ganztag, der große Optionen für mehr Bildungsgerechtigkeit eröffnet", außerdem "eine qualitativ hochwertigere frühkindliche Bildung, insbesondere im Bereich der Sprachdiagnostik und der Sprachförderung". Als weiteres Handlungsfeld nannte sie "das große Thema der datengestützten Schul-, Unterrichts- und Systementwicklung". Dazu werde es demnächst ein Gutachten der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission geben, "auf das wir alle händeringend warten". Ihr Fazit: "Das Bewusstsein, dass sich vieles verändern muss in unserem Schulsystem, das ist da. Und jetzt geht es darum, sich zusammenzusetzen." Es gehe nicht um "irgendwelche Bildungsgipfel", "hier geht es jetzt um Arbeitsprozesse, die wir zusammen aufsetzen müssen."

Kurzfristig interessiert die Öffentlichkeit allerdings auch, wie es mit dem Digitalpakt 2.0 weitergeht. Zuletzt hatte ein Haushaltsvermerk für Aufregung in den Ländern gesorgt, der die Verabredungen zur Finanzierung des Länderanteils infrage stellte. Doch Prien versicherte, dass der sogenannte vorzeitige Maßnahmenbeginn zum 1. Januar 2026 möglich sein werde. Die Verhandlungen auf Staatssekretärsebene liefen, sodass man "hoffentlich auf der BMK im Dezember zu einer gemeinsamen Unterzeichnung kommen" könne. Grundlage des Digitalpakts 2.0 sei "das, was zwischen Bund und Ländern dem Grunde nach bereits ausverhandelt ist". An einzelnen Punkten werde es noch Nachjustierungen geben, etwa mit Blick auf die gestiegene Bedeutung von künstlicher Intelligenz. Die gute Nachricht sei aber, so Prien, "dass auch alle finanzverfassungsrechtlichen Fragen, die in den letzten Wochen noch zu klären waren, mit Blick auf die Finanzierung oder Sondervermögen jetzt ausgeräumt sind".

"Wie oft noch wollen wir uns solch alarmierende Befunde leisten?", fragte der Präsident des Deutschen Lehrerverbands (DL)Stefan Düll. "Wollen wir wirklich den Spitzenplatz Deutschlands als MINT-Nation aufs Spiel setzen?" Deutschland dürfe seinen Vorsprung bei den MINT-Abschlüssen, den laut OECD kein anderes Land im tertiären Bereich übertreffe, nicht verspielen. Düll warnte vor den Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft: "Woher sollen die Fachkräfte von morgen kommen – die, die Energiewende, Mobilität und Klimafolgen meistern sollen?"

Der DL-Präsident fordert eine umfassende Schul- und MINT-Offensive: gezielte Investitionen in Bildung von der frühkindlichen Förderung bis zur Hochschule, in Digitalisierung und KI-Nutzung, in Begabtenförderung, Mental Health und moderne Schulgebäude. Statt endloser Zuständigkeitsdebatten und gegenseitiger Schuldzuweisungen brauche es entschlossenes Handeln: "Schluss mit Systemstreitereien, Ideologiedebatten und Digitalpessimismus. Geben wir den jungen Leuten Zutrauen und Zumutung!" Schulen müssten Orte sein, "an denen Leistung zählt und Zukunft entsteht".

Die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbands (DPhV)Susanne Lin-Klitzing, sagte, der IQB-Bildungstrend sei "nicht isoliert zu bewerten" – er spiegele auch die Bedingungen wider, unter denen gelernt werde. Immer mehr Lehrkräfte unterrichteten ohne ausreichende Lehrbefähigung, häufig als Quer- oder Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger. "Wird ein erheblicher Teil des Unterrichts in Mathematik und Naturwissenschaften von Lehrkräften ohne ausreichende Lehrbefähigung erteilt, sind die schlechten Ergebnisse der Studie nicht verwunderlich." Die Politik habe bei Einstellung, Aus- und Weiterbildung "kontinuierlich versäumt", die Qualität abzusichern. Lin-Klitzing warnte: "Geht die Politik diesen Weg weiter, steuern wir in eine Bildungskatastrophe." Der Verband fordert, die gymnasiale Lehrkräftebildung wieder stärker zu differenzieren und "konsequent in eine fundierte, vollumfängliche Lehrkräftebildung" zu investieren.

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der grünen Bundestagsfraktion, Anja Reinalter, sprach von "alarmierenden" Ergebnissen, besonders in Mathematik und Naturwissenschaften. "Ohne Mathematik- und Naturwissenschafts-Kompetenzen keine MINT-Fachkräfte, die unser Wirtschafts- und Innovationsstandort so dringend braucht." Sie forderte einen "ausgebauten MINT-Aktionsplan entlang der gesamten Bildungskette" und eine Ausweitung des Startchancen-Programms. Besorgniserregend sei zudem der Anstieg psychosozialer Auffälligkeiten: "Die Bundesregierung muss eine wirksame Strategie für die mentale Gesundheit junger Menschen umsetzen", mit mehr Schulsozialarbeit, Schulpsychologie und Mental-Health-Coaches.


SPD fordert Sofortprogramm

Der Koalitionspartner SPD reagierte am Freitag auf den Vorstoß von Bundesbildungsministerin Karin Prien. Gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern müsse es sein, den weiteren Kompetenzrückgang zu stoppen, sagte die frühere Parteivorsitzende Saskia Esken, die jetzt dem Bundestags-Bildungsausschuss vorsitzt. Sie forderte "ein Sofortprogramm, das sowohl die Grundschüler als auch die Abschlussjahrgänge in den Blick nimmt. Nur so können wir unseren Kindern die Chancen geben, die sie verdienen."

Bereits vor vier Jahren habe das IQB auf massive Defizite in der Lernentwicklung von Kindern im Grundschulalter hingewiesen, fügte Esken hinzu. Die neue Studie zeige nun, was zu erwarten gewesen sei: Ein Viertel der Neuntklässler erreiche in Mathematik nicht den Mindeststandard, der für einen mittleren Schulabschluss erforderlich ist. "Wir müssen uns ernsthaft fragen, was aus den alarmierenden Ergebnissen der Bildungsforschung gemacht wird. Offenbar zu wenig."

Die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Jasmina Hostert, sagte, die Zunahme der psychosozialen Belastung von Schülerinnen und Schülern gebe Anlass zur Sorge. "Wir müssen die Schule als Lebensraum stärken." Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausbau des Startchancen-Programms müsse vom Bundesbildungs- und Familienministerium mit Nachdruck verfolgt werden. Die darin ebenfalls angekündigte Bund-Länder-Kommission müsse daher jetzt auch "mit PS" auf die Straße. Laut Koalitionsvertrag soll sie Wege aufzeigen, wie Bund, Länder und Kommunen schneller, unbürokratischer und verbindlicher zusammenarbeiten können – und dabei gemeinsame Bildungsziele für die kommenden Jahre entwickeln. "Bund, Länder und Kommunen und alle relevanten Akteure von der frühkindlichen Bildung bis zur Kinder- und Jugendhilfe müssen jetzt mit Hochdruck an der Trendumkehr der Ergebnisse des IQB-Bildungstrend arbeiten", sagte Holstert.

Kommentare

#2 -

Michael Felten  | Fr., 17.10.2025 - 23:46

Warum dann noch länger warten mit Handel?

Natürlich wär's toll, man könnte an den externen Stellschrauben drehen, wir hätten also mehr Personal, bessere Integration, dosiertere Inklusion - aber das kommt ja höchstens mittelfristig. 

Anderes ginge aber schon morgen - wenn man sich die bisherigen Schwachstellen nur eingestünde: 

> #Smartphones rigiros raus aus dem Unterricht - und zuhause abends einsammeln lassen! 

> #Strukturierter unterrichten - ist gerade für schwächere Schüler enorm förderlich! 

> Schulleistungen endlich angemessen #bewerten - mangelhafte Kenntnisse dürfen nicht länger als '3' durchgehen ... warum sonst sich anstrengen?

Keine weiteren Arbeitsgruppen, sondern Taten, entlang der zentralen Bruchlinien!

Tatsächlich werden auch jetzt wieder die Sirenen nach der Großen Transformation rufen.

#3 -

Michial | Do., 23.10.2025 - 09:00

Sehr geehrter Herr Wiard,

Vielen Dank für den aufschlussreichen Artikel. Ich hätte eine Anmerkung zu dem Artikelabschnitt, wo die Leistungen der Länder dargestellt werden.

Konkret geht es um den Absatz:

"Erneut zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Ländern: Bayern, Sachsen und Schleswig-Holstein stehen bei den Matheleistungen vergleichsweise gut da, "durchgängig besonders schwache Ergebnisse" berichtet das IQB aus Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Auch in den Naturwissenschaften liegen Bayern, Sachsen sowie in Teilen Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Thüringen vorn. Am anderen Ende der Skala: Berlin – und wieder Bremen, Hessen und Nordrhein-Westfalen."

Ich glaube hierbei wurden Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein vertauscht. Dem IGB-Bildungstrend auf S. 139 und S. 142 ist zu entnehmen, dass Bayern, Sachsen und Baden-Württemberg (z.T. auch Hamburg) in Mathematik deutlich über dem Bundesschnitt landen, sowohl in Gymnasien als auch im Globaltrend aller Schularten. Das gilt nicht für Schleswig-Holstein. 

Gleiches gilt für die Naturwissenschaften. Auch dort ist z.B. Baden-Württemberg konstant überdurchschnittlich in allen 3 Naturwissenschaften Chemie, Physik und Biologie. Für Schleswig-Holstein, das eigentlich ziemlich im Bundesdurchschnitt liegt, lässt sich das nicht zwingend sagen. 

Das ist übrigens ein sehr interessantes Ergebnis, dass sich die 3 Bundesländer in Mathematik und in den Naturwissenschaften ziemlich eindeutig und auch in den Differenzen ähnlich zu dem Bundesdurchschnitt abheben. 

Mitglied seit

10 Monate 3 Wochen

#3.1 -

jmwiarda Do., 23.10.2025 - 21:52

Antwort auf von Michial (nicht überprüft)

Vielen Dank für Ihren Hinweis! Ich hätte deutlich machen müssen, dass ich mich an der Stelle auf das Erreichen der Mindeststandards bezogen habe und nicht auf die Globalskala. Sie finden die Ergebnisse, die ich zitiere, in der Pressemappe auf Seite 11.

Beste Grüße und gute Wünsche

Ihr Jan-Martin Wiarda

Neuen Kommentar hinzufügen

Ihr E-Mail Adresse (wird nicht veröffentlicht, aber für Rückfragen erforderlich)
Ich bin kein Roboter
Geben Sie die Zeichen ein, die im Bild gezeigt werden.
Diese Sicherheitsfrage überprüft, ob Sie ein menschlicher Besucher sind und verhindert automatisches Spamming.

Vorherige Beiträge in dieser Kategorie


  • Collage aus Stiften, Heftern, Klammern und einem Taschenrechner.

Verschieben, weil die Ergebnisse nicht passen?

Die Bildungsministerkonferenz will die Veröffentlichung einer neuen Bildungsstudie auf den letzten Drücker verschieben – auf unbestimmte Zeit. Ein beispielloser Vorgang, der, sollte es wirklich dazu kommen, die Zweifel am Umgang der Politik mit der Bildungskrise weiter nähren würde..


  • Mann im Anzug, startbereit zum Sprint.

Der Pessimismus der Apparate

Friedrich Merz rief in Saarbrücken zum Aufbruch auf. Doch schon der Blick in die Bildungspolitik zeigt: Erst wenn die politische Klasse den Glauben an die eigene Wirkmacht zurückgewinnt, kann aus seinem Appell mehr werden als eine Mut-Rede. 


  • Komposition aus fuenf bunten Haenden aus Papier vor schwarzem Hintergrund.

Zehn Jahre Willkommenskultur: Zahlen, Fakten – und ein paar Mutmacher

Zehn Jahre nach "Wir schaffen das": Von Schulen über Hochschulen bis zum Arbeitsmarkt – aktuelle Daten zeigen, wo Integration gelingt, wo Potenziale verschenkt werden und welche Mythen die Debatte über Geflüchtete noch immer verzerren.


Nachfolgende Beiträge in dieser Kategorie


  • Karin Prien

"Wir wissen ziemlich genau, was zu tun ist"

Nach den alarmierend schlechten Bildungstrend-Ergebnissen hat Bundesbildungsministerin Karin Prien den Ländern einen "Schulterschluss aller Verantwortlichen" angeboten. Aber was genau hat sie vor? Ein Interview über geteilte Zuständigkeiten, konkrete Meilensteine, den Digitalpakt 2.0 – und gemeinsame Hoffnungen auf einen Neustart im Bildungsföderalismus.


  • Computerraum

Pflichtfach Informatik: Der Föderalismus kann – wenn er will

Der Informatik-Monitor zeigt: Föderaler Wettbewerb kann Bildung voranbringen – wenn alle Länder die wissenschaftlichen Empfehlungen ernstnehmen.


  • Boxhandschuhe

Kitas gegen Hochschulen

Investitionsbooster-Ausgleich: Wie aus einem Förderprogramm für die Bildung ein Wettbewerb um den Mangel zu werden droht.