Kitas gegen Hochschulen
Investitionsbooster-Ausgleich: Wie aus einem Förderprogramm für die Bildung ein Wettbewerb um den Mangel zu werden droht.
Foto: Marco Verch, CC-BY 2.0.
DIE WISSENSCHAFTSMINISTER haben es geschafft. Monatelang hatten sie gedrängt, unterstützt von der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), und jetzt hat der Bund nachgegeben: Die Länder dürfen voraussichtlich selbst entscheiden, wie sie die jährlich eine Milliarde Euro aus dem sogenannten Investitionsbooster zwischen Kitas und Hochschulen aufteilen.
Im Haushaltsentwurf für 2026 waren 940 Millionen Euro pro Jahr aus dem Sondervermögen "Infrastruktur und Klimaneutralität" für Investitionen in die frühkindliche Bildung vorgesehen, nur 60 Millionen für die im schwarz-roten Koalitionsvertrag versprochene Schnellbauinitiative im Hochschulbereich. Nun sollen, vorbehaltlich der Zustimmung des Bundestages, beide Titel miteinander "deckungsfähig" werden – was in der Praxis bedeutet: Die Hochschulen könnten deutlich mehr bekommen, die Kitas deutlich weniger.
Die geplante Änderung ist das Ergebnis so legitimer wie geschickter Lobbyarbeit – und wäre doch eine höchst unglückliche Lösung. Denn die Verteilung von Mangel lässt sich nicht durch Flexibilisierung heilen, schon gar nicht, wenn am Ende die eine Säule der Bildungsrepublik auf Kosten der anderen gestützt wird.
Milliardenbedarf, Miniinitiative
Zweifellos: Der Zustand vieler Hochschulgebäude ist dramatisch. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft liegt der bundesweite Sanierungsbedarf bei mindestens 90 Milliarden Euro, die Hamburger Finanzbehörde schätzt sogar 140,9 Milliarden. Die HRK hatte deshalb zu Beginn der Legislatur gefordert, das im Koalitionsvertrag versprochene Bund-Länder-Sofortprogramm müsse mindestens 38 Milliarden Euro umfassen.
Stattdessen soll es vier Milliarden geben, aufgeteilt auf Jahrestranchen zwischen 2026 und 2029. Und die Wissenschaft muss sie mit den Kitas teilen. Herausgehandelt wurde das Paket von den Ministerpräsidenten als Kompensation für Steuerausfälle infolge des Wachstums- und Investitionsbooster-Programms. Aus den Ländern heißt es, man habe die Aufteilung immer selbst bestimmen wollen, so sei es auch verabredet gewesen.
Die jährlich 60 Millionen für die Schnellbauinitiative entsprächen einem Sechshundertstel der HRK-Forderung, und von diesen 60 Millionen, so HRK-Präsident Walter Rosenthal, seien noch dazu 40 Millionen für die ebenfalls dringend nötige Aufstockung des Forschungsbauten-Programms vorgesehen. Bei gleichmäßiger Verteilung der restlichen 20 Millionen, rechnete Rosenthal vor, blieben daher pro Hochschule gerade einmal 70.000 Euro.
Dass die Wissenschaftsminister der Länder enttäuscht und unzufrieden waren, ist also nachvollziehbar. In Pressestatements erinnerten sie Bundesforschungsministerin Dorothee Bär (CSU) beharrlich an deren Interview-Aussage einer "moralischen Verantwortung" des Bundes auch für den Hochschulbau.
"Dem dringenden Anliegen der Länder entgegenkommen"
Auf der Sitzung der Wissenschaftsministerkonferenz (Wissenschafts-MK) im Oktober verlangten sie dann noch einmal nachdrücklich per Beschluss, die vier Investitionsbooster-Milliarden per Königsteiner Schlüssel den Ländern zu überlassen und dabei jährlich mindestens 30 Prozent für die Hochschulen, Universitätskliniken und Studierendenwerke vorzusehen.
Was die Bundesregierung jetzt beabsichtigt, dürfte ihnen noch besser gefallen. Denn je nach Verhandlungsgeschick wären dann sogar deutlich mehr als 30 Prozent drin: Bärs Bundesministerium für Bildung, Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) erklärte Ende vergangener Woche auf Anfrage, die Modalitäten würden "derzeit zwischen den betroffenen Ressorts und anschließend mit den Ländern festgelegt".
Demnach könne die Verteilung der Mittel an die Länder tatsächlich nach dem Königsteiner Schlüssel erfolgen. "Die Länder könnten dann selbst entscheiden, welchen Mittelanteil sie in die jeweiligen Förderbereiche investieren wollen." Mit dieser "Neujustierung" in der Planung des Sondervermögens komme der Bund "dem dringenden Anliegen der Länder entgegen, mehr Flexibilität zu ermöglichen, die den teilweise stark divergierenden Bedarfen zwischen den Ländern angemessen Rechnung trägt".
Die Entscheidung trifft am Ende das Parlament, und diese Woche findet sie statt, die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses zur Finalisierung des 2026er-Haushalts. Die Hochschulen würden es mit einer gewissen Genugtuung aufnehmen. Und die für die Kita zuständigen Minister in Bund und Ländern? Ahnen, dass die geplante "Neujustierung" sie teuer zu stehen käme. Denn je größer der Anteil wird, den die Hochschulen dann erfolgreich für sich beanspruchen, desto weniger bliebe für die frühkindliche Bildung übrig.
Zwei, die sich nicht ausschließen dürften
Was als flexible Lösung betitelt wird, wäre in Wahrheit also eine Einladung zum Wettbewerb um Knappheit zwischen zwei Säulen des Bildungssystems – die Kleinsten gegen die Größten, die Kitas gegen die Hochschulen.
Die politischen Gewichte verschoben sich zuletzt ohnehin schon zu Ungunsten der Kitas. Grund sind die innerhalb weniger Jahre um ein Sechstel abgestürzten Geburtenzahlen. Je nach Stadt und Region suchen schon längst nicht mehr Kinder einen Kita-Platz – sondern Kitas neue Kinder zum Aufnehmen. Eigentlich die Gelegenheit, endlich bessere Betreuungsbedingungen zu schaffen, nachdem viele Generationen von Kitakindern inmitten eines dramatischen Fachkräftemangels groß wurden – und zugleich bei Sanierung und Kita-Ausbau hinterherzukommen. Stattdessen scheint jetzt vielerorts das Argument zu gelten: Bisher ging es doch auch. Zumal man schon vorher die meisten Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten deutlich seltener bei einer Kita-Eröffnung auftauchen sah als beim Spatenstich für ein Hightech-Forschungszentrum.
Wie weit die Kita-Politik in der kabinettsinternen Hackordnung vieler Landesregierungen hinter der Wissenschaftspolitik rangiert (die ja ihrerseits weit von der Pole Position entfernt ist), lässt sich nicht zuletzt an der Entschiedenheit erkennen, mit der die Ministerpräsidenten die neue Verteilungslogik gegenüber dem Bund eingefordert haben, zuletzt anlässlich ihrer Jahreskonferenz Ende Oktober in Mainz. Wenn die Kita-Minister jetzt tatsächlich in jedem einzelnen Bundesland gegen die Hochschul- und Wissenschaftspolitik in die Bütt müssten, ließe das für sie insofern wenig Gutes erwarten.
Wobei einige Bildungsminister mit der neuen Regel tatsächlich gar kein Problem hätten. Sachsens Kultusminister Conrad Clemens (CDU) etwa, der auch für Kitas zuständig ist, sagt: "Ich finde die Flexibilisierung angemessen. Die Bedarfe beim Kitaausbau sind in den Ländern unterschiedlich, gerade auch zwischen Ost und West. Zudem gibt es für Kitas einen Extra-Betrag im Sondervermögen des Bundes."
Clemens spielt auf die jährlich 400 Millionen Euro an, die zwischen 2026 und 2035 in die Kita-Betreuungsinfrastruktur fließen sollen, ebenfalls aus dem Sondervermögen.
Kein Ersatz, sondern Aufstockung
Nur war die zusätzliche Milliarde pro Jahr aus dem Booster nie als deren Ersatz, sondern als Aufstockung gedacht, und die Verteilung zugunsten der Kitas war von den Bundes-Haushaltspolitikern bewusst vorgenommen worden. Hinzu kommt: Egal wie groß der regionale Bedarf an Kita-Investitionen ist, der Verteilungskampf mit den Hochschulen wird jetzt in allen Ländern der gleiche sein.
Entsprechend zwiegespalten klingt Bundesbildungsministerin Karin Prien (CDU), wenn sie auf Anfrage die "Neujustierung" kommentiert. Sie sagt: "Wenn wir heute in Kitas investieren, investieren wir in die Köpfe von morgen." Aber, fügt sie fast pflichtschuldig hinzu, die demografische Entwicklung in den Ländern sei unterschiedlich. Deshalb begrüße sie, dass die Bundesregierung den Ländern mehr Flexibilität einräume.
Dann kommt sie, so scheint es, zu ihrer eigentlichen Botschaft: "Wir brauchen eine ausgewogene Verteilung der Mittel, die sowohl der wachsenden Bedeutung von frühkindlicher Bildung als auch den Herausforderungen an Universitäten und Forschungsinstitutionen gerecht wird." Die aktuellen Diskussionen über die Verteilung der Mittel zeige, wie wichtig es sei, die langfristige Perspektive zu bewahren: "Gute frühkindliche Bildung ist ein Investitionsfeld, das Früchte tragen wird – für die Kinder, für die Gesellschaft, für die Wissenschaft und für die Fachkräfte der Zukunft." Priens letzter Satz klingt wie eine Warnung.
Erstaunlich ist derweil, wie lange viele Landesregierungen, während sie sich vehement für mehr Hochschulbau-Geld aus dem Investitionsbooster einsetzten, ihrerseits gezögert haben, den eigenen Anteil am Sondervermögen verbindlich auf die einzelnen Politikbereiche zu verteilen. Für die Länder sind, gestreckt über zwölf Jahre, insgesamt 100 Milliarden Euro reserviert. Und dort, wo die Verteilung schon feststeht, sind die Summen für den Hochschulbau überschaubar – erst recht in Relation zur Gesamt-Laufzeit. Kritik und Mahnungen in Richtung ihrer eigenen Finanzminister und Ministerpräsidenten hört man bislang allerdings aus der Wissenschafts-MK selten.
Gemeinsame Aufgabe Bildung
Und im Bund? Bleibt unverständlich, warum es überhaupt nötig ist, dass die Hochschulen auf Kosten der Kitas mehr Geld einfordern müssen. Wo ist die Plausibilität, dass allein für 2026 über 21 Milliarden Euro des Sondervermögens in die Bahnsanierung fließen sollen – eine Riesenaufgabe, keine Frage –, aber dass eine von den Kitas unabhängige Ausweitung der Hochschul-Schnellbauinitiative selbst um ein paar hundert Millionen jenseits der Vorstellungskraft der Koalition zu liegen scheint?
Wer hier mit der verfassungsrechtlichen Zuständigkeit argumentiert, verfehlt den Kern dessen, worum es geht. Denn Bildung ist nicht irgendein Infrastrukturbereich neben Verkehr, Energie und Digitalisierung. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass all diese anderen Investitionen überhaupt wirken können.
Wenn also Mecklenburg-Vorpommerns Wissenschaftsministerin Bettina Martin (SPD), gegenwärtig Präsidentin der Wissenschafts-MK, zu Protokoll gibt, die Milliarde aus dem Booster sei "nicht ausreichend, ganz abgesehen von der Frage, wie sie verteilt werden soll", kann man ihr nur beipflichten.
Eine Forderung nach mehr Geld jenseits der einen Milliarde war auch drin im Wissenschafts-MK-Forderungskatalog vom Oktober. Allerdings erst im Absatz nach der Neuaufteilung des Investitionsbooster-Ausgleichs und bemerkenswert schwammig formuliert: "ein in der Hochschullandschaft spürbare Wirkung entfaltendes Investitionsprogramm mithilfe des 300 Milliarden Euro umfassenden Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität".
Der Einstieg in ein solches Szenario ist immer noch im Bereich des Denkbaren, obgleich Unwahrscheinlichen: Bei der Bereinigungssitzung des Bundestags-Haushaltsausschusses am 13. November könnten die Haushaltspolitiker, anstatt einfach die Neujustierung des Mangels zu finalisieren, den Spielraum über die bestehende Milliarde pro Jahr hinweg erweitern. Und das Extra-Geld für den Hochschulbau von einer mindestens gleich hohen Kofinanzierung durch die Länder aus deren Sondervermögen abhängig machen. Nur: Eigentlich ist es für eine so grundlegende Weichenstellung längst zu spät. Aber vielleicht fürs Jahr 2027?
Bis dahin bleibt es dabei: Auf irritierende Weise werden zwei Bildungsbereiche gegeneinander in Stellung gebracht, sodass sie um einen ohnehin viel zu kleinen Topf wettstreiten müssen. Und währenddessen wächst der Eindruck, dass nicht nur das Geld fehlt – sondern auch der politische Wille, Bildung endlich als gesamtstaatliche Aufgabe zu begreifen statt als innerstaatlichen Verteilungskampf.
Kommentare
#1 - Angst vor einer strukturellen Lösung?
Wie gewohnt toll recherchierter Artikel mit vielen herrlichen Zahlen. Es macht sehr viel Freude, dass gesellschaftliche Gestaltungsfragen nahezu ausschließlich unter dem Aspekt der damit verbundenen Kosten diskutiert werden.
Hier eine Irritation: selbst wenn Bund und Länder und die sehr arme Wirtschaft den Hochschulen in 2026 ein demjenigen für Bahninfrastrukturen ähnliches Investitionsvolumen zur Verfügung stellen wurden, also mehr als 20 Milliarden, dann würde von diesen Mitteln ein 10.000stel innerhalb der nächsten drei bis fünf erst verbaut werden können. Gründe: Bauvorschriften sind bis heute nicht entschlackt, Verfahren nicht beschleunigt, dringende Kompetenzen in Wissenschaftsbau weder bei den Landesbaubetrieben noch (ehrlicherweise) bei den Hochschulen systematisch ausgebaut. Auch eine seit Jahren von der Architektinnenkammer geforderte RahmenVO (energetische) Sanierung liegt nicht vor.
Man fragt sich schon, ob es nicht vielleicht einfach zu schwer ist für Bund und Länder, einen strukturellen Lösungsansatz für den Sanierungsstau gemeinsam anzustreben oder ob nicht doch, wahrscheinlicher, die Angst zu groß ist, dass jeder (!) gemeinsame Lösungsansatz ‚Wissenschaftsbau 2030‘, der wissenschaftsadäquate Regulatorik, Kompetenzausbau, eine transparente Governance von Bau und Sanierung mit einem verlässlichen Investitionspfad verbindet, neue Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten schaffen würde. Jedenfalls: auf vier Jahre angelegte Programme, völlig egal (!) wie sie finanziell ausgestattet sind, taugen allein gar nicht, unsere Hochschulen zu Zukunftsinfrastrukturen zu entwickeln.
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