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Die Republik der einseitigen Lasten

Wehrpflicht, Rentenpaket, fehlende Fairness: Wie Deutschlands Politik die Generationengerechtigkeit ignoriert. Ein Essay.
Schwarzweissaufnahme einer alten und einer jungen Person, Closeup einer Gesichtshaelfte.

Bild: rawpixel.com / freepik.

DER SPIEGEL BESCHÄFTIGT SICH bereits mit der Frage, ob der sogenannte "Eierkontrollgriff" bei der Musterung noch zeitgemäß sei. Die Frage, ob eine Wehrpflicht allein für junge Männer, auf die alles zuläuft, noch zeitgemäß ist, wird dagegen nicht nur in der schwarz-roten Koalition bemerkenswert wenig hinterfragt. Dass es sich hier um eines von aktuell zwei Paradebeispielen handelt, wie die ältere Generation auf Kosten der jungen Politik macht, thematisieren auch die Kommentarspalten der Tages- und Wochenpresse höchstens am Rande.

Ob potenzielle Wehrpflicht oder Rente: Was wir derzeit in der bundespolitischen Debatte erleben, ist atemberaubend. Die Koalitionsspitzen vertreten im Brustton der Überzeugung Positionen, die einer auch nur oberflächlichen Prüfung ihrer gesellschaftlichen Nachhaltigkeit nicht standhalten, aber darum geht es letzten Endes gar nicht.

Es ist so, wie Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) beim Deutschlandtag der Jungen Union formulierte als Antwort auf deren Gegenwehr beim Rentenpaket: "Das kann doch wohl nicht euer Ernst sein. Damit gewinnen wir vielleicht Zustimmung bei jungen Gruppen, aber damit gewinnen wir mit Sicherheit keine…." Fehlte nur, dass er "Wahlen" sagte, was er vermutlich meinte. Und weiter: Er müsse doch dafür sorgen, "dass wir strukturell in der Bundesrepublik Deutschland mehrheitsfähig bleiben". Was offenbar für ihn und so viele andere in der Regierung bedeutet: möglichst nichts tun, was der Mehrheit in einer alternden Gesellschaft missfallen könnte.

Dabei kommt es übrigens gar nicht so sehr darauf an, was die Älteren tatsächlich wollen. Viele Ältere sind nämlich Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten. Sie wissen um die drohenden Belastungen der jungen Generation, die immer kleiner wird. Sie wollen einen Ausgleich der Generationen. Was vielleicht das größte Paradoxon in der gegenwärtigen Reformdebatte ist. Sogar der Chef der Senioren-Union, Huber Hüppe, sagte kürzlich im Interview mit The Pioneer: Natürlich habe die ältere Generation ein Interesse an stabilen Renten. "Aber die Stabilität darf nicht nur dadurch entstehen, dass die junge Generation überfordert wird." Und weiter: "Wir wollen mitreden, aber wir sind keine Egoisten, denen die Zukunft unserer Kinder und Enkel egal wäre."

Diskursives Versagen bei der Wehrpflicht

Es wäre der Stoff für eine gesamtgesellschaftliche Debatte über einen fairen Ausgleich der Generationen, doch anstatt sie zu fordern und voranzutreiben, betrachten selbst viele Hauptstadtjournalisten den Renten-Widerstand der Jungen Gruppe in der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion wie ein Strategiespiel. Beispiel Table Media: "Am Ende steht und fällt das Rentenpaket der schwarz-roten Koalition mit zwei Fragen. Einmal: Kommt die Junge Gruppe gesichtswahrend aus der Sache raus? Und: Schafft es Friedrich Merz, die Wogen auf beiden Seiten, sprich sowohl bei der SPD als auch bei der Jungen Gruppe zu glätten? Stand jetzt – immerhin da sind sich alle Beteiligten einig – hat sich die Debatte weg von einer Sach- und hin zu einer Machtfrage entwickelt."

Das diskursive Versagen weiter Teile von Politik und Medien zeigt sich besonders dort, wo die fairen – und effektiveren – Lösungen längst auf dem Tisch liegen. Richtig ist: Die internationale Lage lässt eine kurz- bis mittelfristige Rückkehr der Wehrpflicht als kaum vermeidbar erscheinen. Aber wenn schon, dann sollte man sie anders, größer denken. Bundespräsident Walter Steinmeier hat es seit 2022 wiederholt ins Spiel gebracht, ein Pflichtjahr für alle Generationen. Ein verpflichtender sozialer Dienst auch für Ältere als ein Weg zu mehr Miteinander in der Gesellschaft.

Man kann, man sollte dies in Kombination denken mit einem Vorstoß führender Grüner für den Parteitag Ende November, demzufolge alle jungen Menschen vor ihrem 28. Geburtstag neun bis zwölf Monate wahlweise bei der Bundeswehr, im Bevölkerungs- und Katastrophenschutz oder in sozialen Einrichtungen Dienst leisten müssten. Das Mindeste wäre, wofür jetzt die Grünen-Parteivorsitzende Franziska Brantner plädiert: ein Freiwilligenregister, in das sich auch Ältere eintragen können. "Wir sollten die Möglichkeit schaffen, dass Ältere sich freiwillig melden können und sagen: Das sind meine Fähigkeiten und ich bin bereit, sie einzusetzen." Denn, so Brantner, alle Generationen müssten ihren "fairen Beitrag" leisten: "Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag."

Doch die Koalition will lieber den vermeintlich bequemen Weg gehen. Eine Inpflichtnahme auch der älteren Generation? Wird weggeschwiegen. Die Gleichbehandlung junger Männer und junger Frauen? Spielt in der Debatte über Musterungs- und Wehrpflicht ebenfalls kaum eine Rolle und wird zudem von Kommentatoren selten eingefordert. Es ist ja auch einfach, diese Optionen wegzudrücken mit dem Hinweis auf die Verfassungs- und Rechtslage. Nur: In einer alternden Gesellschaft im Jahr 2025 die Weichen zu stellen allein für eine Wehrpflicht für junge Männer nach dem Muster des Kalten Krieges zeigt weder Gestaltungsanspruch noch einen Sinn für gesellschaftliche Gerechtigkeiten.

Die blinden Flecken der Rentenpolitik

Und dann die Sache mit der Rente. Die vielbeschriebene Revolte der Jungen Gruppe ist in Wirklichkeit kaum mehr als ein bescheidenes "Ja, aber". Gegen ein einziges von sechs Bestandteilen des schwarz-roten Rentenpakets richtet sie sich. Nicht gegen die Mütterrente, nicht gegen die Fortsetzung der Rente mit 63, sondern allein gegen die sogenannte "Haltelinie", die vorgeben soll, dass auch nach 2031 das Rentenniveau höher liegen soll, als es dem geltenden Rentenrecht entsprechen würde.

Ein Passus, dessen Umsetzung teuer genug wäre, wie die Deutsche Rentenversicherung ausgerechnet hat: Allein im Jahr 2031 würde sie mit rund 10,1 Milliarden Euro zu Buche schlagen. Was aber fast noch ein Klacks ist gegen das, was die "Rente mit 63" kostet: schon vor zwei Jahren 3,4 Milliarden Euro – pro Monat. Nicht zu vergessen die laut Rentenversicherung geschätzten fünf Milliarden extra pro Jahr für die geplante Mütterrente III.

Hinzu kommt bei alldem noch, dass weder die Rente mit 63 noch die Mütterrente irgendetwas gegen die Altersarmut ausrichten. Dafür sind sie auch nicht gedacht. Hier müsste man ansetzen, anstatt pauschal Geschenke zu verteilen und sie mit "Anerkennung von Lebensleistungen" zu begründen.

Zumindest solange diese Anerkennung von Lebensleistungen so teuer ist, dass sie automatisch auf die Chancen der immer kleiner werdenden jungen Generation drückt, von der wie selbstverständlich erwartet wird, die Leistung für die Finanzierung all dessen irgendwie zu erbringen. Ja, "irgendwie", denn das ist vielfach die Fallhöhe der Argumentation – bei CSU-Chef Markus Söder etwa, der versichert, man werde die "Sorgen der Jungen" schon berücksichtigen. "Wir kriegen das schon irgendwie hin alles. Bin da optimistisch", zitiert ihn der Bayerische Rundfunk.

Karin Priens mutiger Zwischenruf

Es gibt auch die anderen Stimmen in der Union, zum Glück, mutige Stimmen auch abseits der Jungen Gruppe. Die von der für Bildung, Jugend und Senioren zuständigen Bundesministerin Karin Prien (CDU) zum Beispiel, die zuletzt dafür plädierte, die Abstimmung über das Rentenpaket zu verschieben. Es sei wichtig, "dass im Parlament gerechte Lösungen für die breite Mehrheit gefunden werden", sagte sie dem Handelsblatt. Deshalb müsse die Bundesregierung im Bundestag weiter das Gespräch "über die Generationen hinweg" suchen.

Dass in der Regierungsspitze bei Jung und Alt mit zweierlei Maß gemessen wird, zeigte sich für Prien gerade erst wieder an ihrem eigenen Haushalt. Während für die Rente zig zusätzliche Milliarden fast schulterzuckend in Kauf genommen werden, beschloss die Koalition, dass sich Kita- und Hochschulpolitik um eine einzige zusätzliche Investitionsmilliarde pro Jahr aus dem Sondervermögen einen Wettstreit liefern müssen – jeweils auf Kosten der anderen Seite.

Doch Merz lässt sich nicht beirren. Er gehe davon aus, dass das gesamte noch in diesem Jahr verabschiedet werde, sagte er laut dpa. Während SPD-Chefin Bärbel Bas von einem "Popanz" sprach, der da von der Jungen Gruppe aufgeführt werde, und vor einer Regierungskrise warnte. Die Junge Gruppe in der Union dürfe daraus keine Koalitionsfrage machen, sagte sie bei einer Veranstaltung der Süddeutschen Zeitung. Gedanken zur Generationengerechtigkeit? Keine.

Es ist, wie die FAZ es in einem Kommentar zusammenfasste: Die Bundesregierung habe sich in der Rentenpolitik verkalkuliert. "Sie wollte auf vertraute Weise mit teurer Klientelpolitik Stammwähler binden in der Hoffnung, dass die Lasten für die Allgemeinheit nicht zu sehr auffallen. Die SPD würde eine möglichst lange Haltelinie, die CSU eine Ausweitung der Mütterrente und die CDU die Aktivrente bekommen." Wer Zweifel an der Finanzierbarkeit äußerte, habe wie so oft mit dem Einsetzen einer Kommission beruhigt werden können. "Sie tagt vor sich hin, und wenn ihre Resultate nicht gefallen, werden sie ignoriert." Doch der immer noch unterschätzte demografische Wandel erlaube keine Klientelpolitik alten Stils. "Auf den zunehmenden Widerstand offenbar nicht nur in der Parteijugend der Union sollte die Koalition mit einer Zurücknahme ihres Rentenpakets antworten. Und alle drei Klientelprojekte – Haltelinie, Mütterrente und Aktivrente – beerdigen."

Wie die AfD das Thema auflädt

Die offensichtliche politische Schieflage findet nun einmal mehr einen dankbaren Abnehmer: die AfD. Sie spürt das Mobilisierungspotenzial, das die einseitige Lösung des Generationenkonflikts zu Lasten der Jungen hat – und zwar durch alle Generationen hindurch, auch, siehe oben, bei den Älteren. Ein Post des AfD-Bundestagsabgeordneten Maximilian Krah lässt ahnen, was da kommen könnte. "Das ist die Boomergeneration", schrieb Krah. "Sie geht jetzt in Rente und erwartet Rentenzahlungen von Kindern, die sie nicht hat. Und nein, die Einwanderung löst das Problem nicht, sie verschärft es. Der Verteilungskonflikt jung/mit Kindern vs. alt/kinderlos wird die bestimmende soziale Frage!"

Womit er die Frage der Generationengerechtigkeit gleich noch mit dem Migrationsthema verknüpfte – eine so populistische wie empirisch unhaltbare und dennoch womöglich wirksame Kombination. Es wäre eine traurige Ironie, wenn die Koalition irgendwann nicht aus Verantwortungsgefühl gegenüber den Jungen Korrekturen an der Rente vornähme, sondern einmal mehr aus Angst vor Rechtsextremen und Rechtspopulisten.

Kommentare

#1 -

Leif Johannsen | Mi., 19.11.2025 - 16:01

Dieser Kommentar ist mir "aus der Seele" gesprochen. Woran liegt es, dass unsere Regierenden die Widersprueche in ihrem Handeln nicht sehen koennen oder wollen? Als noch relativ fitter Ue50er habe ich eingrundsaetzliches Problem damit, der Generation meiner Tochter alles aufzubuerden, was in den vergangenen 20 Jahren wohlwissend verschleppt wurde.

#2 -

Heike Solga | Do., 20.11.2025 - 07:43

Lieber Herr Wiarda, vielen Dank für den schönen Beitrag. Ich würde es nicht ganz so Schwarz-weiß sehen, "Nur die Jungen müssen ran". Die älteren Männer und männlichen Rentner haben alle ihren Wehr- oder Zivildienst geleistet. Wären also noch die älteren Frauen und weiblichen Rentner die nun auch einen "Gemeinschaftsdienst" leisten sollten. Doch viele von ihnen tun das: sie pflegen über Jahre ihre älteren Männer und "schieben" sie nicht ins Gesundheitssystem oder Heime ab. Das fehlt mir in der Debatte etwas. Beste Grüße 

Mitglied seit

10 Monate 3 Wochen

#2.1 -

jmwiarda Do., 20.11.2025 - 19:11

Antwort auf von Heike Solga (nicht überprüft)

Liebe Frau Solga, 

vielen Dank für Ihr Feedback! Genau zu diesen Punkten habe ich mir schon vor einer Weile Gedanken gemacht und durchgespielt, wie ein Modell aussehen könnte.

https://www.jmwiarda.de/blog/2025/07/23/pflichtdienst-dann-bitte-fuer-alle

Beste Grüße und gute Wünsche
Ihr Jan-Martin Wiarda

#3 -

L. Vorspel | Do., 20.11.2025 - 11:44

Das Wort Generationengerechtigkeit ist irreführend. Es ist nicht so, dass die Alten die Jungen ausbeuten. Stichwort Altersarmut, besonders von Frauen. Wir benötigen höhere Steuereinkünfte durch Erbschaftssteuer, Vermögensteuer und weniger Schwarzarbeit etc. Und in die Rentenkassen sollten alle einzahlen müssen genauso wie in die gesetzlichen Krankenkassen, Beamte, Abgeordnete, Selbstständige. 

#4 -

Ties Rabe | Do., 27.11.2025 - 10:36

Eigentlich lese ich diesen Blogg gern, weil hier genau recherchiert wird. Doch bei der Rentenpolitik gilt offensichtlich in (fast) allen Medien: Fakten stören die Meinungsbildung.

Zum Beispiel diese: Seit den 1990er Jahren hat die Politik die Beiträge der Jüngeren (und vor allem der Unternehmen) durch erhebliche Einschnitte bei den Renten stabilisiert. So wurde u.a. das Rentenalter von 65 auf 67 erhöht, die Rentenhöhe von 53 auf 48% reduziert (das sind übrigens kanpp 10% Rentenkürzung) und die Staatszuschüsse an die Rentenkasse erhöht. Alle Reformen gingen zu Lasten der Rentner oder der Staatskassen, die (jüngeren) Beitragszahler und vor allem die Unternehmen wurden durch diese Einschnitte sogar begünstigt: Denn der Rentenbeitrag sank(!) seitdem um mehr als einen Prozentpunkt - das ist eine Absenkung um 5 Prozent.

Angesichts dieser Schieflage der bisheriger Reformen zulasten der Rentner soll jetzt eine Haltelinie eingezogen werden. Ob diese Haltelinie richtig justiert ist, ob es eine Mütterrente braucht - das alles darf man gern diskutieren. Aber die Blindheit, mit der die bisherige Politik zu Lasten der Rentner jetzt ignoriert wird, ist  bedenklich.

Und wem nützt das alles? Kaum den Jüngeren (denn die werden auch mal Rentner sein), aber sehr wohl den Unternehmen (deren Gewinn- und Wertentwicklung in den letzten 25 Jahren übrigens mehr als doppelt so hoch war die der Lohnanstieg) - und der AfD. Denn die ständige Erschütterung von sozialen Sicherheiten durch Medien und interessierte Kräfte und die Legende vom angeblichen Politikversagen ist eine der entscheidenden Treibriemen für Rechtsextreme. Deshalb meine Bitte: Weniger Schaum vor dem Mund, genauer Hingucken und ausgewogener berichten. Politiker können manchmal irren - aber vollkommen blöd sind sie nun auch nicht.

#6 -

Ties Rabe | Do., 27.11.2025 - 10:57

Noch ein kleiner Nachklapp: Die Wehrpflicht wurde 2011 abgeschafft. Wer älter als 36 ist, hat in der Regel "gedient". Wenn eine neue Wehrpflicht einen "gerechten" Ausgleich braucht, dann dürfte der "Sozialdienst für Ältere" nur die "glücklichen Jahrgänge" 1990 - 2010 betreffen und würde erst in 30 Jahren bei deren Renteneintritt greifen. Ich fürchte, solche Debatten gibt es nur in Deutschland.

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