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Gar nicht so gespalten

Das neue Wissenschaftsbarometer zeigt: Die Deutschen sehen Polarisierung, obwohl sie bei zentralen Konfliktfragen eher einig sind. Und sie setzen große Erwartungen in die Wissenschaft.
Illustration Hausfassade mit sechs Menschen, die durch sechs Fenster miteinander kommunizieren.

Illustration: macrovector_official / freepik.

ES SIND ZAHLEN, die so erwartbar sind wie besorgniserregend. Einerseits. Denn ein anderer Teil der Ergebnisse des neuen Wissenschaftsbarometers ist überraschend. Und macht zugleich Hoffnung.

Seit 2014 erhebt Wissenschaft im Dialog (WiD) jedes Jahr das Wissenschaftsbarometer, um herauszufinden, wie die Menschen in Deutschland über Wissenschaft und Forschung denken. Dieses Jahr fand die Befragung erstmals online statt telefonisch statt. Laut WiD erschwere der Methodenwechsel in Teilen die Vergleichbarkeit mit früheren Jahren, erweitere aber Reichweite und Repräsentativität.

Zuerst zu den angesichts der gesellschaftlichen Stimmung so erwartbaren wie bedrückenden Zahlen. 77 Prozent der Befragten nehmen eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung wahr. 54 Prozent glauben sogar, es gebe zwei unversöhnliche Lager. 70 Prozent meinen außerdem, öffentliche Diskussionen würden immer emotionaler und weniger sachlich geführt.

Diese Wahrnehmung der Polarisierung zieht sich durch alle Bevölkerungsgruppen, wobei tendenziell ein höherer Bildungsabschluss noch stärker mit der Ansicht einhergeht, die Gesellschaft drifte auseinander.

Wahrgenommene Spaltung, reale Gemeinsamkeiten

Jetzt zu den Ergebnissen, die mich zumindest überrascht haben. Die tatsächlichen Unterschiede in den Meinungen zu vier der am kontroversesten diskutierten Themen sind wesentlich geringer.

Beispiel Klimawandel: 59 Prozent der Befragten stimmen voll und ganz oder eher zu, dass wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel eine wichtige Grundlage für politische oder gesellschaftliche Entscheidungen bilden sollten. Nur 15 Prozent lehnen dies voll und ganz oder eher ab. Sogar 73 Prozent halten es für sehr oder eher sinnvoll, dass zum Klimawandel geforscht wird.

Aus Sicht der Genderforschung zeigt das Barometer ein ernüchterndes Bild. 60 Prozent lehnen voll und ganz oder eher ab, dass zur gendergerechten Sprache geforscht wird, wobei Ältere und Männer die höchsten Ablehnungswerte aufweisen. Aber selbst bei den Unter-30-Jährigen sind es immer noch 44 Prozent. Und auch abhängig von der parteipolitischen Stimmung sind die Unterschiede nicht so groß, wie man denken könnte. Die Ablehnungswerte bei BSW (68 Prozent) und AfD (67 Prozent) liegen auf gleicher Höhe wie bei der Union, bei der SPD sind es sogar 77 Prozent. Es gibt eine Ausnahme: die Sympathisanten der Grünen (15 Prozent). Bei der Interpretation ist hier allerdings Vorsicht geboten, weil die Subgruppen teilweise sehr klein werden und die Unterschiede dadurch statistisch nicht signifikant sind. 

Gleichzeitig sagen 42 Prozent aller Befragten, sie seien offen für Gespräche mit Menschen, die eine völlig andere Meinung zur gendergerechten Sprache haben. Nur 25 Prozent geben sich eher oder gar nicht gesprächsbereit. Ein Hinweis darauf, dass viele die Debatte als zu aufgeladen empfinden? In jedem Fall zeigen die Zahlen, dass das Thema fast quer durch die Bevölkerung keine starke Lobby hat.

Auch bei der Ungleichheit zwischen Arm und Reich zeigt sich kein Schwarz-Weiß-Muster. 60 Prozent halten wissenschaftliche Forschung zu sozialer Ungleichheit für sinnvoll, 41 Prozent sagen, wissenschaftliche Erkenntnisse seien hier eine wichtige Grundlage für politische oder gesellschaftliche Entscheidungen. Nur 14 Prozent widersprechen, während ein gutes Drittel unentschieden ist.

Und schließlich Migration: Trotz (oder wegen) teils hitziger öffentlicher Debatten finden 50 Prozent der Befragten, dass es sehr oder eher sinnvoll ist, zu diesem Thema zu forschen, nur 22 Prozent sind anderer Meinung. Allerdings sind nur 33 Prozent der Auffassung, dass die Erkenntnisse der Migrationsforschung eine wichtige Grundlage für politische oder gesellschaftliche Entscheidungen bilden sollten. 28 Prozent lehnen dies ab – während 31 Prozent unentschieden sind.

Letzteres lässt hoffen, zumal nur 23 Prozent sagen, es falle ihnen sehr oder eher schwer, andere Meinungen zu diesem Thema zu akzeptieren, wenn sie von der eigenen abweichen. 42 Prozent geben an, sie könnten das.


Zum Vergrößern anklicken. Quelle: Wissenschaftsbarometer – Wissenschaft im Dialog/Verian


"Wir verständigen uns zu wenig über das Gemeinsame"

In der Zusammenschau wirkt es plötzlich so, als sei die gesellschaftliche Wahrnehmung von zwei unversöhnlichen Lagern, die zunehmend auch die politische Debatte dominiert, eine Fehlwahrnehmung. So interpretiert das auch Wissenschaft im Dialog: "Die Bevölkerung nimmt eine Polarisierung wahr, obwohl sie sich in zentralen Konfliktfragen recht einig ist", sagt Benedikt Fecher, der Geschäftsführer von WiD, das von den großen deutschen Wissenschaftsorganisationen getragen und finanziert wird. Die tatsächlichen Ergebnisse, so Fecher, sprächen gegen eine tiefe gesellschaftliche Spaltung.

Darin liegt, so scheint es, eine Chance. Denn wenn Fecher zu Recht ein "Kommunikationsproblem" feststellt – "wir verständigen uns bei Konflikten zu wenig über das Gemeinsame" –, dann muss sich dieses Kommunikationsproblem doch eigentlich, wenn nicht beseitigen, so doch bearbeiten lassen.

Die Antwort von Wissenschaft im Dialog ist so vorhersehbar wie stimmig: Die Wissenschaft kann dabei eine große Rolle spielen. Es sei Aufgabe von Wissenschaft und Wissenschaftskommunikation, dem Eindruck großer Spaltung entgegenzuwirken. Und, so zeigen es die Zahlen des Wissenschaftsbarometers, die Mehrheit der Bevölkerung erwartet das auch so. 72 Prozent finden, Wissenschaft sollte Diskussionen sachlicher machen; 71 Prozent wünschen sich, dass sie hilft, unterschiedliche Meinungen besser zu verstehen. 70 Prozent meinen, Forschende sollten eingreifen, wenn Fakten aus dem Zusammenhang gerissen oder falsch wiedergegeben werden.

Hohe Erwartungen, stabiles Vertrauen

Aber kann die Wissenschaftskommunikation überhaupt die in sie gesetzten Erwartungen erfüllen? Tatsächlich ist das Gefühl der Befragten, über Wissenschaft gut informiert zu sein, nämlich laut Wissenschaftsbarometer deutlich rückläufig: Nur noch 25 Prozent fühlen sich auf dem Laufenden über Neues aus Forschung und Wissenschaft, nach 30 Prozent im Vorjahr und knapp 40 Prozent im Jahr 2023. Hinweise auf eine Erwartungsüberfrachtung an die Wissenschaftskommunikation, die in Teilen durch die Wissenschaftsorganisationen selbst befördert wird?

Positiv: Das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung bleibt stabil. 54 Prozent der Befragten geben an, der Wissenschaft zu vertrauen – ein Prozentpunkt weniger als im Vorjahr, aber im langjährigen Mittel und weiter deutlich über dem Niveau anderer gesellschaftlicher Institutionen. Vor allem Jüngere bringen der Wissenschaft weiterhin ein hohes Vertrauen entgegen. Die außergewöhnlichen Vertrauenswerte der Corona-Zeit (bis zu 62 Prozent) sind allerdings in weite Ferne gerückt. Und: Die Mehrheit (62 Prozent) sieht wissenschaftliche Erkenntnisse als wichtige Grundlage für die Versachlichung von Diskussionen.

Allerdings: Nur weil die Mehrheit der Bevölkerung das in einer Umfrage so sieht, bedeutet das noch lange nicht, dass die Politik als ein System mit ganz anderen Logiken als die Wissenschaft entsprechend wissenschaftsbasiert handelt. Politik operiert in einem Raum aus Interessen, Kompromissen und Zeitdruck – und oft gerade nicht nach den Regeln wissenschaftlicher Evidenz. Trotzdem muss sich die Politik immer wieder an dem Anspruch messen lassen – erst recht, da gerade Bildungs- und Wissenschaftspolitiker die Rolle der Wissenschaft als Ratgeber selbst immer wieder einfordern und betonen.

Und ganz grundsätzlich scheint zu gelten: Politiker und Parteien sollten nicht den Eindruck einer gesellschaftlichen Spaltung noch befördern, die in Wirklichkeit an vielen Stellen gar nicht da ist. Das heißt: Probleme ansprechen, aber lösungsorientiert und weniger konfrontativ.

Offenheit für Einmischung

Spannende Hinweise liefert das Wissenschaftsbarometer auch für die wissenschaftsinterne Debatte über die Rolle von Forschenden in stark politisierten Diskursen. Dass sie sich in solchen Situationen möglichst neutral verhalten, befürworten 47 Prozent – 18 Prozent lehnen dies ausdrücklich ab, während 35 Prozent eine mittlere Position einnehmen. Damit überwiegt zwar der Wunsch nach Neutralität, zugleich ist die Zustimmung schwächer als bei anderen abgefragten Erwartungen an die Wissenschaft.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Öffentlichkeit Offenheit für eine einmischende, kommunikative Wissenschaft mitbringt – solange diese nachvollziehbar bleibt und nicht moralisierend wirkt. Eine Einladung, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den kommenden, absehbar schwierigen politischen Zeiten ernst nehmen sollten.

Kommentare

#1 -

Lothar Zechlin | Do., 06.11.2025 - 12:13

Danke für den Hinweis auf diese interessante Studie! Sie zeigt einmal mehr, dass die Be- und Verhinderung von Veranstaltungen in den Hochschulen gerade zu höchst kontroversen Themen gesellschaftlich schädlich ist. Ob es um Klimawandel, „Staatsraison“ und (vermeintlichen oder tasächlichen) Antisemitismus, identitätspolitische Fragen oder Krieg und Frieden geht: Hochschulen sind nun einmal stets auch Bühnen, die in die Öffentlichkeit hinein wirksam sind und dadurch den politischen Diskurs beeinflussen.  Unterbleiben solche Diskussionen aufgrund von politischem Druck und Ängstlichkeit oder gut gemeinter Moral der Hochschulleitungen können sie nicht zu einer Versachlichung und Überwindung der Spaltungen beitragen.

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