Rekordzahlen ohne Rekordrisiko
Die Akademiker-Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Für die Betroffenen ein Drama, doch auch wenn manche Schlagzeile anderes suggeriert: Studieren lohnt immer noch am meisten.
Studium oder Ausbildung? "Universität" oder "Geschäft"? So stellte sich das "Spiel des Lebens" 1978 die Optionen vor. Heute sind die Wege vielfältiger. Foto: JMW
ZUGEGEBEN, eine hohe Klickzahl ist dem Artikel gewiss. "Abi, Uni, arbeitslos", titelte der SPIEGEL und formulierte dazu die Unterzeile: "Noch nie waren so viele junge Akademiker arbeitslos. Gleichzeitig bauen Unternehmen Stellen für Menschen mit Universitätsabschluss ab. Lohnt es sich nicht mehr zu studieren?"
Es ist inmitten der anhaltenden Konjunkturkrise das Aufwärmen einer alten Debatte, in der, jedes Mal, wenn sie aufkommt, Erzählungen von taxifahrenden Sozialwissenschaftlern und super verdienenden Handwerksmeistern nicht weit sind. Die ZEIT hat sich übrigens schon im August dem Thema gewidmet, ihre Überschrift: "Masternote 1,1 – und trotzdem arbeitslos".
Nun zu den Fakten, die übrigens auch der SPIEGEL-Artikel fundiert aufarbeitet. Ja, seit Anbeginn der Bundesrepublik gab es noch nie so viele arbeitslose Akademiker wie heute. 290.000 im Jahresschnitt 2024. Aber es gab auch noch so viele Akademiker. Soll heißen: Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Hochschulabschluss lag 2024 laut Bundesagentur für Arbeit bei gerade einmal 2,9 Prozent. Schon richtig: 2019 waren es weniger. 2,0 Prozent. Aber zu anderen Zeiten deutlich mehr. 2005 zum Beispiel 4,1 Prozent.
Arbeitsmarktexperten gehen davon aus, dass bei Arbeitslosenquoten unter drei Prozent nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Und: Kein einziges Mal in den vergangenen 50 Jahren lag die Arbeitslosenquote von Akademikern über der von Menschen mit einer Berufsausbildung.
Auch 2024 nicht (besagte 2,9 versus 3,4 Prozent), wobei der Abstand zugegebenermaßen geschrumpft ist in den vergangenen zehn Jahren. Das wiederum liegt aber am zunehmenden Fachkräftemangel auch in nichtakademischen Berufen. Man könnte sagen: Die Nachfrage nach beruflicher Bildung kommt dahin, wo die Nachfrage nach Akademikern schon lange ist.
Wer den gerade arbeitslos gewordenen Chemiker sucht, wird ihn finden
Während, berichtete das Statistische Bundesamt, das Durchschnittsgehalt von Master-Absolventen (6.850 Euro) weiter deutlich jenseits dessen von Beschäftigten mit Berufsabschluss (3.973 Euro) liegt. Ich kann mir aber natürlich auch das Gehalt gestandener Handwerksmeister (5.300 Euro) herauspicken, daneben das von Bachelorabsolventen (5.183 Euro) stellen und sagen: Stimmt gar nicht.
Aber im Ernst. All das heißt nicht, dass es keine Probleme gibt. Weil erstens die Akademikerarbeitslosigkeit im Jahresschnitt 2025 weiter angestiegen sein dürfte. Aber das Gleiche gilt für die Arbeitslosenquote von Menschen mit Berufsabschluss. Und weil zweitens natürlich die Unterschiede zwischen den akademischen Berufsfeldern eine Rolle spielen. 2024 stieg zum Beispiel die Arbeitslosigkeit unter Naturwissenschaftlern um gut acht Prozent (nicht zu verwechseln mit Prozentpunkten!), die der Juristen nur um 2,4 Prozent und die der Lehrkräfte gerade einmal um 1,3 Prozent.
Wer insofern nach dem gerade arbeitslos gewordenen Chemiker recherchiert, dessen Konzern ihm in der Absatzkrise betriebsbedingt gekündigt hat, wird den wohl finden. Und diesen Chemiker wird es in seiner persönlichen Situation wenig trösten, dass seine statistische Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden, so niedrig ist. Aber natürlich wird man auch den Handwerksmeister finden, dessen Betrieb gerade pleitegegangen ist. Nur, was sagt uns das alles?
Eigentlich nur dieses: Beide, die berufliche Ausbildung und das Hochschulstudium, bleiben auf dem Arbeitsmarkt gefragt. Beide bieten eine enorm gute, aber gerade in wirtschaftlich schlechten Zeiten keine perfekte Absicherung gegen Arbeitslosigkeit (die bei Menschen ohne Berufsabschluss mit 20,9 Prozent sechs- bzw. siebenmal so hoch liegt).
Was wir sicher nicht brauchen: dass aus der Debatte über die Akademikerarbeitslosigkeit eine neue Debatte über einen angeblichen Akademisierungswahn wird. Über eine Flut von Akademikern, die angeblich keiner brauche. Verknüpft mit Klagen, dass man keine Handwerker mehr finde.
Ausgerechnet der frühere Kulturstaatsminister und SPD-Politiker Julian Nida-Rümelin hatte sich hier vor zehn Jahren besonders aktiv hervorgetan. Entsprechend viele Presseartikel folgten – und viel unnötigen Verunsicherung vor allem unter Schulabgängern.
Noch ein letztes. In der Vergangenheit versuchten Branchen mit Azubi-Nachwuchs gelegentlich, Studienabbrecherquoten von einem Drittel oder mehr als Argument für sich zu nutzen. Nach dem Motto: Das kommt dabei heraus, wenn die falschen Leute in ein Studium gelockt werden. Die Sache hatte nur einen Haken: Die Abbrecherquote unter Azubis ist kaum niedriger – und massiv gestiegen.
Dieser Kommentar erschien in kürzerer Fassung heute zuerst im ZEIT-Newsletter Wissen3.
Kommentare
#1 - Ähnlicher als man denkt?
Ich habe neulich ein Werbeplakat gesehen mit dem Motto "Wenn Du was kannst, kann Dir keiner was". Es war eine Werbung für das Handwerk und ich fand es motivierend. Ich finde, es gilt genauso für akademische Bildung. Ich stimme dem kühnen Gedanken zu: Vielleicht sind beide Bereiche gar keine Gegensätze, sondern Möglichkeiten sich weiterzuentwickeln und einen Platz im Leben und der Gesellschaft zu finden.
Und in beiden Bereichen schadet lebenslanges Lernen und Beobachtung des Arbeitsmarktes nicht. Akademiker schauen auf die Möglichkeiten von KI. Elektroinstallateure sollten wissen, was bei Smart Home gerade passiert. Dachdecker sind bei Solartechnik gefragt. Und so weiter ...
#2 - Ausstieg aus der Wissenschaft
Als Alternative kann man vielleicht doch noch einen PhD starten, wenn er bezahlt wird. Allerdings sollte man dann besser danach aussteigen. Deutschland wird in absehbarer Zeit nichts für die eigenen Wissenschaftler tun. Angebote gibt es nur für US-Wissenschaftler
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