Deutschlands internationale Hochschulbilanz: stark mit Schwachstellen
Der jährliche Bericht "Wissenschaft weltoffen" zeigt Rekorde, Risiken und überraschende Trends.
Wichtige Ströme internationaler Studierendenmobilität 2022, Grafik aus dem DAAD-Bericht Wissenschaft Weltoffen 2025.
ÜBER 400.000 INTERNATIONALE STUDIERENDE: Dass Deutschlands Hochschulen diese Schallmauer 2024 durchbrochen haben, war bereits bekannt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) hatte es gleich Anfang 2025 per Schnellmeldung mitgeteilt. Auch sonst enthält der am Mittwoch veröffentlichte Jahresbericht "Wissenschaft weltoffen" viele Zahlen und Statistiken, die für Experten nicht neu sein dürften.
Was das rund 140 Seiten lange, vom DAAD und dem Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) erarbeitete Kompendium trotzdem zur spannenden Lektüre macht, sind die Zusammenschau aller Daten, die internationalen Vergleichswerte – und häufig die Beantwortung der Frage, was das alles zu bedeuten hat.
Exakt 402.083 internationale Studierende waren laut Bericht im Wintersemester 2024/2025 in Deutschland eingeschrieben, sechs Prozent mehr als im Vorjahr, etwa zwei Drittel davon an Universitäten und der Rest an Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAWs). Jeder siebte stammte aus Indien (58.833), das China (38.580) bereits 2022 als wichtigstes Herkunftsland abgelöst hatte. Es folgen mit großem Abstand die Türkei (20.900), Iran (17.248) – und Österreich (15.732).
Deutschland im internationalen Vergleich
Und auch wenn die große Mehrheit von ihnen weiterhin die Universitäten bevorzugt, holen die HAWs auf: Seit 2013/14 steigerten sie die Zahl ihrer internationalen Studierenden um satte 154 Prozent, während die Universitäten auf – immer noch erstaunliche – plus 62 Prozent kamen.
Auch die Zahl der internationalen Studienanfänger erreichte mit 116.600 einen neuen Höchststand. Mehr als die Hälfte war in den Ingenieur- und Naturwissenschaften eingeschrieben, was ihre große Bedeutung als künftige Fachkräfte zeigt: Ebenfalls an diesem Mittwoch meldete der MINT-Report des IW Köln, dass bundesweit 148.500 MINT-Arbeitskräfte fehlen. Im Kampf gegen die Lücke werde das Potenzial der internationalen Studierenden oft unterschätzt, sagte Studienleiter Axel Plünnecke in Table Briefings. Über Netzwerkeffekte könnten sie auch zu mehr Zuwanderung von MINT-Azubis aus ihren Herkunftsländern beitragen. BDA-Präsident Rainer Dulger fordert eine "echte Willkommenskultur". Der Schlüssel liege "in klaren Strukturen und einer Haltung, die sagt: Ihr seid hier nicht nur Gäste, ihr seid unsere Zukunft", zitiert ihn Table Briefings.
Zurück zu "Wissenschaft weltoffen": International hat sich Deutschland unter den nicht-englischsprachigen Ländern als das Nummer-1-Ziel internationaler Studierender etabliert, worauf auch DAAD-Präsident Joybrato Mukherjee hinweist. Die deutschen Hochschulen hätten erneut "ihre Attraktivität für Talente aus aller Welt bewiesen".
Der internationale Vergleich ist freilich etwas tricky, weil je nach Statistik auch sogenannte Bildungsinländer einbezogen werden. Das sind Studierende mit ausländischem Pass, aber inländischem Schulabschluss. Bei den gut 402.000 Studierenden von 2024 blieben sie außen vor, beim UNESCO-/OECD-Vergleich für 2022, den "Wissenschaft weltoffen" ebenfalls zitiert, sind sie dagegen enthalten.
Wie auch immer: Fest steht, dass Deutschland hinter den USA (874.000) und dem Vereinigten Königreich (675.000) mit laut OECD 403.000 internationalen Studierenden weltweit auf Platz 3 lag, gefolgt von der Langzeit-Nummer 3 Australien (382.000), das sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vom pandemiebedingten Rückgang vor allem der chinesischen Bewerberzahlen erholt hatte. Für viele überraschend: Auf Platz 5 stand 2022 Russland mit 340.000.
Verschiebungen: USA stürzen ab, andere holen auf
Die Verschiebungen seitdem dürften gewaltig sein. Nicht nur wegen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der zu einer verstärkten internationalen Isolation führte. Sondern – vor allem zuletzt – durch den Abstieg der Vereinigten Staaten. Dort sind die internationalen Neueinschreibungen im ersten Jahr der Trump-Präsidentschaft um weitere 17 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen, nach bereits sieben Prozent im Jahr 2024. Die Gesamtmenge der internationalen Bachelorstudierenden in den USA stieg allerdings 2025 noch leicht um zwei Prozent, während sich die Zahl der Master- und Promotionsstudierenden weiter im freien Fall befand: minus zwölf Prozent laut Schnellmeldung des IIE in diesem Jahr nach minus 15 Prozent im Vorjahr. So war es im "Open-Doors"-Bericht zu lesen, dem amerikanischen Äquivalent von "Wissenschaft weltoffen", den das Institute of International Education vor wenigen Tagen veröffentlicht hatte.
Setzt man die absoluten Zahlen internationaler Studierender ins Verhältnis zur Gesamtzahl aller Studierenden im Land, glänzt allerdings auch Deutschland mit einem Anteil von 14 Prozent deutlich weniger. Dann liegen nicht nur Sonderfälle wie die Vereinigten Arabischen Emirate (70,2 Prozent) oder Singapur (33,4 Prozent) deutlich davor, sondern auch Australien (23,0 Prozent), Österreich (19,4 Prozent) oder Kanada (18,6 Prozent). Und das Vereinigte Königreich (21,6 Prozent) sowieso.
Bei den internationalen Wissenschaftlern standen die USA 2022 ebenfalls absolut auf Platz 1. Allerdings waren die 90.900 Forschenden mit ausländischem Pass an US-Hochschulen keineswegs dramatisch viel mehr als die 79.700 internationalen Wissenschaftler in Deutschland, das Platz 2 belegte.
Noch vor dem Vereinigten Königreich (74.100). Mit großem Abstand folgen die Schweiz (32.700), Frankreich (18.500) und Österreich (15.000). "Wissenschaft weltoffen" kommentiert: "Auffällig ist insbesondere die im direkten Vergleich zu Deutschland niedrige Zahl internationaler Forscher/innen in Frankreich, obwohl dort – wie für Deutschland – auch das Wissenschaftspersonal an außeruniversitären Forschungseinrichtungen miteinbezogen wurde. Möglicherweise stellen sprachliche Gründe in Frankreich eine höhere Hürde für die Gewinnung internationalen Wissenschaftspersonals dar als in Deutschland und anderen Ländern, in denen zum Beispiel in einigen Fachdisziplinen Englisch als Arbeitssprache dominiert."
Stärken und Schwächen des deutschen Wissenschaftsstandorts
Wobei dieser internationale Vergleich nur 15 Länder erfassen konnte und das Bild anders aussieht, wenn man die Zahl der internationalen Wissenschaftler ins Verhältnis zur Größe der Gesamtbevölkerung eines Landes setzt. Dann würde etwa die Schweiz alle vor ihr liegenden Staaten inklusive Deutschland deklassieren (wobei ein guter Teil der internationalen Wissenschaftler in der Schweiz wiederum aus der Bundesrepublik kommt).
Stark ist Deutschland auch beim hohen internationalen Anteil in seinen Master- und Promotionsprogrammen: 26 bzw. sogar 28 Prozent. Inzwischen werden 18 Prozent aller Masterstudiengänge auf Englisch unterrichtet (im Bachelorbereich sind es vier Prozent). Und laut der Nacaps-Studie des DZHW planten 63 Prozent der internationalen Promovierenden, in der Wissenschaft zu bleiben – gegenüber 25 Prozent der inländischen Promovierenden. Ein riesiges Potenzial, das es zu heben gilt – und ein gewichtiges Argument in der aktuellen Debatte um bessere Karrierebedingungen für junge Wissenschaftler in Deutschland.
Weitere wissenswerte Statistiken: Bei den weltweit mobilen Studierenden liegt Deutschland auf Platz 5. Rund 138.800 Deutsche studierten 2022 im Ausland. Wobei die absolute Zahl nicht vom vergleichsweise kleinen Anteil deutscher Studierender ablenken sollte, die im Ausland einen Hochschulabschluss anstreben: gerade einmal vier Prozent. Was laut Bericht aber für viele größere Länder gilt.
Deutschland verfehlte auch deutlich die von der EU gesetzte Benchmark, dass bis 2030 mindestens 23 Prozent aller Hochschulabsolventen mindestens einen studienbezogenen Auslandsaufenthalt hinter sich haben sollten. Immerhin liegen die deutschen 13,1 Prozent noch leicht über dem EU-Durchschnitt von 10,9 Prozent. Tatsächlich ist der Anteil der Studierenden in höheren Fachsemestern, die irgendeinen studienbezogenen Auslandsaufenthalt vorweisen können, sogar gesunken: laut neuen Berechnungen des DZHW von 26 Prozent im Jahr 2012 auf 19 Prozent im Jahr 2021. Selbst ohne internationalen Vergleich ist der Trend negativ – ausgerechnet bei den kurzen, niedrigschwelligen Mobilitätsformaten, die politisch seit Jahren gepusht werden.
Gute Nachricht zum Schluss
Zum Ende noch eine überraschend gute Nachricht: Anders als lange befürchtet, brechen internationale Studierende zumindest in den ersten Semestern ihr Studium kaum häufiger ab als ihre deutschen Kommilitonen. Im Bachelor: 16 Prozent im Vergleich zu 13 Prozent der einheimischen Studierenden. Im Master sind es neun versus sechs Prozent. Eine Erkenntnis, die dank der neuen Studienverlaufsstatistik des Statistischen Bundesamtes möglich wurde, die Jahre nach ihrer Einführung nun erste Früchte trägt. Was allerdings nicht heißt, dass internationale Studierende nicht weiter Unterstützung und Orientierung brauchen. Es ist, wie DAAD-Präsident Mukherjee sagt: "Ihr Studienerfolg und der erfolgreiche Einstieg ins Berufsleben sind mit Blick auf Fachkräftemangel und demografischen Wandel zentral für den Wissenschafts- und Innovationsstandort Deutschland."
Kommentare
#1 - Zwei kleine Ergänzungen
Vielen Dank für die gelungene Zusammenfassung der wichtigsten Befunde unseres Berichts! Ich würde gerne zwei wichtige Punkte ergänzen:
Die Studierendenstatistik von UNESCO und OECD, auf die wir im Kapitel A1 zur internationalen Studierendenmobilität weltweit zurückgreifen, enthält auch keine Bildungsinländer*innen, zumindest in Bezug auf die allermeisten Gastländer. UNESCO und OECD schreiben dies in ihren Anforderungen für die Statistik entsprechend vor, das heißt: Abweichen wird dies nur von den Ländern gehandhabt, die auch in ihrer nationalen Studierendenstatistik keine Unterteilung in Bildungsausländer*innen und -inländer*innen vornehmen und deshalb gar keine entsprechend selektierten Daten an UNESCO und OECD liefern können.
Es gibt aber trotzdem einen entscheidenden Unterschied zwischen der Studierendenstatistik des Statistischen Bundesamtes (Destatis) und der internationalen Studierendenstatistik von UNESCO, OECD und Eurostat: Bei Destatis werden die international mobilen Studierenden gemäß ihrer Staatsbürgerschaft den jeweiligen Herkunftsländern zugeordnet. Bei UNESCO, OECD und Eurostat hingegen werden die Studierenden gemäß dem Land, in dem sie ihre Hochschulzugangsberechtigung (HZB) erworben haben, dem jeweiligen Herkunftsland zugeordnet. Will heißen: Bei Destatis zählen deutsche Studierende immer als deutsche Studierende, auch wenn sie ihre HZB im Ausland erworben haben. Bei UNESCO, OECD und Eurostat wird ein deutscher Student, der seine HZB in Frankreich erworben hat, hingegen als "französischer" Student gezählt. Und zählt somit, wenn er in Deutschland studiert, auch nicht als inländischer bzw. nicht mobiler Student, sondern als internationaler Student aus Frankreich. Das ist also der Grund, warum die Zahl der internationalen Studierenden in Deutschland in der Statistik von UNESCO, OECD und Eurostat immer etwas höher ausfällt als in der Destatis-Statistik.
Mitglied seit
10 Monate 3 Wochen#1.1 - Danke schön!
Lieber Herr Kercher,
haben Sie vielen Dank für diese genaue Erläuterung, warum die Daten abweichen.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
#2 - Ergänzung Nr. 2
Zweite wichtige Ergänzung: Die von Ihnen zitierten, neuen Abbruchquoten vom Statistischen Bundesamt beziehen sich (bislang) nur DREI Studiensemester. Mehr ist derzeit datentechnisch noch nicht möglich, wird es aber in Zukunft erfreulicherweise sein. Will heißen: Dass die neuen Quoten so viel niedriger ausfallen als die früheren Schätzungen des DZHW, hat insbesondere auch damit zu tun, dass sie bislang nur den ersten Teil des Studienverlaufs erfassen. Studienabbrüche ab dem vierten Studiensemester bleiben derzeit noch außen vor.
Trotzdem lässt sich natürlich grob abschätzen, wie hoch der Studienabbruch insgesamt ausfällt, wenn man beispielsweise unterstellt, dass er in in den ersten drei Semestern gleich hoch ausfällt wie im Rest des Studiums. Damit überschätzt man die Gesamt-Abbruchquote zwar mit hoher Wahrscheinlichkeit (weil die Mehrheit der Studienabbrüche nach allem, was wir darüber wissen, zu Beginn des Studiums stattfindet), man hat aber immerhin eine Art "Worst-Case-Szenario" für die Abschätzung der Gesamt-Abbruchquote. Und kann dieses Worst-Case-Szenario dann mit den früheren Schätzungen des DZHW vergleichen. Und dabei zeigt sich: Selbst bei einer Verdopplung der neuen Destatis-Abbruchquoten liegen diese noch immer unterhalb der früheren DZHW-Schätzungen. Und auch dann fallen die Unterschiede zwischen internationalen und deutschen Studierenden noch immer sehr viel niedriger aus als in den früheren Schätzungen des DZHW. Diese haben also sowohl die Gesamthöhe des Studienabbruchs bei internationalen und deutschen Studierenden überschätzt, als auch die Differenz zwischen den Quoten von internationalen und deutschen Studierenden.
Zur Verteidigung des früheren DZHW-Schätzverfahrens muss man allerdings auch sagen, dass die hierfür nötigen Schätzungen hoch komplex waren und die Schätzfehler vermutlich nicht nur am Verfahren selbst lagen, sondern auch an einer teilweise fehlerhaften Datenbasis. Werden die internationalen Studierenden nämlich von den Hochschulen fälschlich als Regelstudierende eingestuft, obwohl es sich faktisch um Gast- oder Austauschstudierende handelt (was eventuell auch finanzielle Gründe haben kann), dann wird deren ganz normale Heimkehr nach dem Auslandssemester in Deutschland als Studienabbruch gezählt. Und es spricht Vieles dafür, dass dies tatsächlich in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen in den Daten, die von den Hochschulen an die Statistischen Landesämter geliefert wurden (und werden) und von dort aus dann ans Statistische Bundesamt gehen, der Fall war. Umso erfreulicher ist es also nun, dass hierfür nun endlich die Daten der Studienverlaufsstatistik zur Verfügung stehen. :-)
Mitglied seit
10 Monate 3 Wochen#2.1 - Die ersten Semester
Lieber Herr Kercher,
auch hierfür besten Dank. Genau darum hatte ich so vorsichtig ("...zumindest in den ersten Semestern") formuliert.
Beste Grüße
Ihr Jan-Martin Wiarda
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