"Wir brauchen keine Hilfe von Dritten"
Fraunhofer-Präsident Holger Hanselka über die finanzielle Krise bei Fraunhofer, Gegenmaßnahmen und die miese Stimmung in den Instituten – und warum er trotzdem glaubt, dass Fraunhofer systemrelevanter ist denn je.
Holger Hanselka, 64, ist Maschinenbauingenieur und seit August 2023 Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. Vorher war er Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und Vizepräsident der Helmholtz-Gemeinschaft. Bevor Hanselka 2013 nach Karlsruhe kam, leitete er das Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit in Darmstadt. Foto: Stefan Obermeier / Fraunhofer.
Herr Hanselka, in einer internen Memo an alle Fraunhofer-Mitarbeiter schreiben Sie von einer zunehmend herausfordernden Situation für die Fraunhofer-Institute. Für einzelne Institute sei sie sogar "äußerst herausfordernd". Gleichzeitig richten Sie einen Strategie-Hub für systematische Krisenprävention ein und bereiten außerordentliche Steuerungsinstrumente vor. Wie ernst ist die Lage wirklich?
Die Lage ist angespannt, aber sie ist nicht kritisch. Zunächst einmal ganz formal: Fraunhofer berichtet jedes Jahr sehr transparent – über das Pakt-Monitoring, den Jahresabschluss nach Handelsgesetzbuch, den Lagebericht und unseren Jahresbericht. Auch diesmal schließen wir wieder mit einer schwarzen Null ab. Wenn man aber ins Detail geht, liegt diese schwarze Null nur daran, dass wir kameralistisch geführt sind: Am Ende muss ein Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben stehen.
Die schwarze Null sagt also nichts über die wirkliche Lage bei Fraunhofer.
Unsere Institute haben die Aufgabe – und wir steuern sie auch so –, unternehmerisch zu handeln. Und da beginnt der erste Widerspruch zum Kameralistik-System. Unternehmertum bedeutet: Risiken eingehen. Nicht jedes Projekt ist ein Erfolg, andere laufen besser als gedacht. Über viele Jahre hat dieses unternehmerische Führen dazu geführt, dass viele Institute mehr Ertrag erwirtschaftet haben, als sie gekostet haben. Es gab aber auch immer Institute, die – aus unterschiedlichsten Gründen – weniger erwirtschaftet haben. Zum Teil sind das Investitionen in die Zukunft. Dazu zählen Forschungsthemen, von denen wir erwarten können, dass es sich lohnt, frühzeitig in den Lead zu gehen. Es kommt aber auch vor, dass ein Jahr mal nicht gut lief. Aktuell hat sich das Verhältnis zwischen Instituten mit deutlich überdurchschnittlichen Erträgen und solchen mit geringeren verschoben.
Ist das Euphemismus für: Der Großteil der Institute wirtschaftet defizitär?
Das ist ein Effekt, der sich auf die gesamtwirtschaftliche Lage zurückführen lässt. In dem, was ich unsere "fetten Jahre" nenne, konnten wir Überschüsse in die Zukunft investieren: in neue Forschungsthemen, Prüfanlagen, Gebäude, zusätzliches Personal. Fraunhofer ist gewachsen. Jetzt aber stagnieren die Erträge oder steigen langsamer, während unsere Kosten angesichts von Tarifsteigerungen, Inflation, und hoher Energie- und Rohstoffkosten steigen. Zusätzlich wirken sich die politischen Veränderungen aus: Der Klima- und Transformationsfonds der Bundesregierung wurde eingefroren, viele relevante Projekte wurden gestoppt, und nach Regierungswechseln sind zwar neue Initiativen angekündigt, aber die Mittel noch nicht freigeschaltet. Darum müssen wir handeln, den Gürtel enger schnallen und dafür sorgen, dass wir weiter mit einer schwarzen Null abschließen.
"Dass immer wieder aus dem Kontext gelöste Fragmente nach außen durchgestochen werden, finde ich nicht fair."
Fraunhofer, sagen Kritiker, sei über die Jahre immer wieder mit viel Extra-Geld vom Bund gepampert worden, vor allem in der Corona-Zeit. Jetzt seien die Zuschüsse weggefallen. Gleichzeitig kursieren Gerüchte, dass nahezu 90 Prozent der Institute derzeit rote Zahlen schreiben.
Das ist etwas, was mich wirklich ärgert. Wir kommunizieren nach innen sehr transparent, mit Town Hall Meetings und regelmäßigen Mails an die Beschäftigten, damit jeder weiß, wo wir stehen und wo nicht. Dass daraus immer wieder aus dem Kontext gelöste Fragmente nach außen durchgestochen werden, finde ich nicht fair. Für Journalisten mag das spannend sein, aber als Community macht man so etwas eigentlich nicht. Wenn wirklich alles transparent wäre, könnte sich die Außenwelt ein eigenes Bild machen. Problematisch ist, dass immer nur einzelne Bruchstücke auftauchen.
Sie haben ja jetzt die Chance, alles transparent zu machen. Können Sie klar benennen, wie viele Fraunhofer-Institute aktuell defizitär sind?
Wir sind gerade in den letzten Wochen des Geschäftsjahres und im öffentlichen Bereich erreichen uns viele Projektmittel in den letzten Tagen des Jahres. Daher wäre es jetzt nicht der richtige Zeitpunkt eine Aussage zu treffen. Prognosen aus dem Herbst deuteten darauf hin, dass zwei Drittel der Institute bei Null oder im Negativen sind. Unsere Institute bauen in guten Jahren sogenannte technische Reserven auf, das ist kein reales Geld, sondern ein potenzieller Anspruch gegenüber der Fraunhofer-Gesellschaft mit Blick auf frühere Institutsüberschüsse. Und es gibt Institute, die zum Teil auch über Jahre defizitär abschließen. Auf Fraunhofer-Gesamtsicht können wir steuern, wieviel Investitionen in die Zukunft wir uns damit je Geschäftsjahr leisten können.
Bitte klarer. Wie hoch ist der strukturelle Fehlbetrag, den Sie fraunhoferweit ausgleichen müssen?
Sie haben die Corona-Hilfen und andere Sonderfinanzierungen erwähnt. Fraunhofer hat immer mal wieder zusätzliche Mittel bekommen, mit denen Defizite ausgeglichen, bzw. Wachstum finanziert werden konnte. Im Jahr 2024 mussten wir nahezu 50 Millionen Euro ausgleichen.
Ist das mehr als in den Jahren zuvor?
So würde ich das nicht formulieren. Wir haben in den vergangenen Jahren keine Sondermittel über das schon eingeplante Maß hinaus erhalten, so dass wir unseren Haushalt durch interne Maßnahmen sichern mussten. Und das haben wir auch getan, denn sonst hätte es im Jahresabschluss ja keine schwarze Null gegeben.
"Manche erwarten von mir, dass ich wie früher einfach zum Ministerium gehe und zusätzliches Geld hole."
Sie merken schon, dass so eine abstrakte Kommunikation schwierig rüberkommt.
Das mag sein. Es ist aber eben auch ein komplexes Thema. Bei uns interessiert man sich sehr für interne Zahlen, aber viel zu wenig für den Nutzen, den wir stiften. Entscheidend ist doch: Unser strukturelles Defizit gleichen wir aus eigener Kraft aus. Wir brauchen keine Hilfe von Dritten. Manche erwarten von mir, dass ich wie früher einfach zum Ministerium gehe und zusätzliches Geld hole. Ich bin ins Ministerium gegangen – aber um zu sagen, dass ich kein Geld möchte. Stattdessen will ich Unterstützung bekommen, um unseren Instrumentenkasten zu verbessern: mehr Freiräume durch ein Innovationsfreiheitsgesetz, effizientere Abrechnungen öffentlicher Projekte, weniger Bürokratie – und mehr Flexibilität im Umgang mit unserem Personal.
Sie gehen zum BMFTR und sagen: Ich will kein zusätzliches Geld. Gleichzeitig hört man, Sie fordern jetzt von den Instituten 40 Prozent Wirtschaftserträge – und das in einer konjunkturellen Schwächephase.
Das ist wieder so ein Gerücht. Die 40 Prozent haben wir nie vorgegeben. In unseren Leitplanken steht, dass jedes Institut mindestens zwei Drittel, idealerweise 75 Prozent externe Finanzierung erreichen soll. Wir verlangen aber nicht, dass dieser Anteil zur Hälfte aus öffentlichen und zur Hälfte aus Industrieerträgen besteht. Manche Institute haben traditionell einen höheren Wirtschaftsertrag, andere einen niedrigeren – historisch und aufgrund ihrer Themen. Am Ende zählt auf Institutsebene bei der externen Finanzierung die 75-Prozent-Marke. Und auf der Fraunhofer-Ebene eine Balance zwischen öffentlichen Erträgen und Wirtschaftserträgen.
Wenn Sie sagen, die Leute interessierten sich zu wenig für das, was Fraunhofer inhaltlich leistet, und kämen stattdessen ständig mit solchen Zahlen – wie erklären Sie sich das?
Ich erlebe das ständig, und nicht nur bei Fraunhofer. Kürzlich habe ich an der Tankstelle die Zeitungsschlagzeile gesehen: "Ein Pensionär kostet elfmal so viel wie ein Rentner". Das ist schlicht falsch, aber genau solche Zuspitzungen ziehen Aufmerksamkeit an. So funktioniert der mediale Raum: Negative oder scheinbar skandalöse Botschaften bekommen Platz, die vielen Erfolge weniger. Für mich macht das keinen Sinn, weil Fraunhofer gerade jetzt enorm systemrelevant ist, angesichts der großen Herausforderungen im Land. Natürlich müssen wir Effizienzen heben und Kosten senken, das gehört dazu. Aber wenn nur darüber gesprochen wird und nicht über unseren inhaltlichen Beitrag, fehlt das Wesentliche.
Das ist aber doch nicht nur ein Medienthema. Ich höre zunehmend aus Politik, Hochschulen und Wissenschaft Stimmen, die fragen: Wer braucht eigentlich Fraunhofer? In Teilen herrscht eine regelrechte Anti-Fraunhofer-Stimmung.
Ich überlege, ob die Stimmung, von der Sie sprechen, nicht gerade daran liegt, wie relevant Fraunhofer ist – was manche vielleicht auch stört. Man könnte es also fast als Anerkennung sehen. Sie kennen das Wissenschaftssystem: Der Transfer in die Wirtschaft ist heute entscheidend, und Fraunhofer liefert hier harte Ergebnisse. Wir machen rund 8.000 Industrieprojekte pro Jahr, jedes wird abgerechnet und nur bezahlt, wenn das versprochene Ergebnis geliefert wird. Das ist eine enorme Leistung. Dass nicht alle positiv darüber sprechen, gehört wohl dazu. Für mich hat diese Kritik daher eher mit dem steigenden Druck im Wissenschaftssystem zu tun. Viele suchen eine größere Nähe zur Wirtschaft, so wie wir sie haben und wollen an dieselben Ressourcen wie wir.
Sie reagieren auf die wirtschaftlichen Probleme bei Fraunhofer mit dem "Strategie-Hub" als zentrales Element. Was soll der sein, und was kann der, was vorher nicht möglich war?
Wenn ich das erkläre, versteht man vielleicht auch meine Grundhaltung: Eigentlich sollten wir über Fraunhofer und seine Leistungen sprechen – und nicht über interne Instrumente. Aber gut, worum geht es: Als ich vor zweieinhalb Jahren anfing, habe ich drei Ziele formuliert: Fraunhofer muss zurück ins Fraunhofer-Modell, Konsolidierung statt Wachstum, Stärken stärken. Wir haben wir eine große Governance-Reform auf den Weg gebracht, weg vom Präsidenten mit Richtlinienkompetenz hin zu einem fünfköpfigen Kollegialvorstand. Historisch waren die Vorstandsressorts Silos, die Institute brauchen aber Unterstützung, die Synergien und Kompetenzen über die einzelnen Ressorts hinweg nutzt – bei Finanzen, Personal, Forschung, Bau, Einkauf. Der Strategie-Hub bringt nun die Vertreter aller fünf Ressorts regelmäßig an einen Tisch, damit sie Institute gemeinsam betrachten und nicht jeder für sich. Es ist letztlich ein internes Board, das die zuständigen Leute zusammenführt. Und weil bei Fraunhofer schon interne Strukturänderungen gern als "besonders" gelesen werden, wird jetzt sogar extern gefragt, was der Hub sei. Dabei ist er schlicht ein Werkzeug, um die normale Arbeit besser koordiniert zu erledigen.
"Der Strategie-Hub bremst niemanden aus, sondern sorgt dafür, dass wir in einer Konsolidierungsphase den Überblick behalten."
Aus den Instituten hört man: Warum sitzen dort keine Vertreter von uns drin – wenn doch wir konsolidieren sollen?
Weil jedes Institut unternehmerisch geführt wird und seinen eigenen Rahmen hat. Wir haben 75 Institute, und diese 75 unterschiedlichen Rahmen müssen zentral zusammengeführt werden, damit wir die Gesamtorganisation verantwortungsvoll steuern können. Ein Institut investiert vielleicht stark in Zukunftsthemen, ein anderes braucht kurzfristig Mittel für den laufenden Betrieb. All das muss im Gesamtbudget ausgeglichen werden, denn Fraunhofer wird als Ganzes budgetiert, nicht als 75 Einzelhaushalte. Der Strategie-Hub bremst niemanden aus, sondern sorgt dafür, dass wir in einer Konsolidierungsphase den Überblick behalten: nicht 75 Einzelperspektiven, sondern einen abgestimmten Gesamtblick auf Fraunhofer.
Gehört zu diesem Gesamtblick auch, dass man über strukturelle Einschnitte in der Zentrale nachdenkt? In München anfangen statt in den Instituten?
Damit haben wir längst begonnen. Die Zentrale hat vor zwei Jahren ein großes Sparprogramm bekommen, weil sie zu einem großen Teil über Umlagen der Institute finanziert wird – und die Institute haben zurecht gefragt, warum die Zentrale ständig teurer wird. Deshalb hat der Vorstand in 2024 festgelegt: 2025 keine Steigerung mehr, ab 2026 runter. Das knirscht, aber wir ziehen es durch. Erst danach haben wir gesagt: Auch die Institute müssen mithelfen. In der Zentrale gehen die Veränderungen aber weiter. Deshalb gibt es jetzt ein Effizienzprogramm für Kernprozesse wie Einkauf, Reisen, Personaleinstellung und Vertragsabschluss. Wir haben klare Analysen gemacht, Zielzeiten definiert und die Ziele erreicht. Mühsam, nicht besonders sexy. Aber essenziell für unser Basisgeschäft.
Sie sagen "nicht besonders sexy". Das Wort, das man aus der Zentrale und aus den Instituten häufiger hört, lautet: "demotivierend". Was ist Ihre Botschaft an diejenigen, die frustriert sind?
Einige sind nicht gut drauf, weil sich Dinge verändert haben, die wehtun: Reisen, Bewirtungen, Abläufe. Wenn zum Beispiel bei einer Sitzung in München die von weit angereisten Institutsleitenden nur noch Wasser und eine nichtsattmachende Suppe gereicht bekommen und abends im Restaurant jeder selbst zahlen muss, dann fühlt sich das anders an als früher. Wir müssen uns streng an die Vorgaben des Zuwendungsgebers halten, das ist nicht verhandelbar und verursacht keine „Hurra“-Stimmung. Wenn ich aber in die Institute gehe, spüre ich große Begeisterung für unsere Themen und Projekte. Meine Botschaft lautet daher: Ich bin zutiefst überzeugt, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Zeiten sind anstrengend, aber die Rolle von Fraunhofer ist heute systemrelevanter denn je, in einer schwierigen wirtschaftlichen Phase für Deutschland und Europa. Darauf können wir stolz sein.
Der frühere BMBF-Staatssekretär Thomas Sattelberger kommentierte auf LinkedIn, Fraunhofer brauche jetzt einen externen Krisenmanager, sonst werde "das nichts mehr mit Fraunhofer".
Ich lese nicht alles, was geschrieben wird. Fraunhofer hat einen sehr professionellen Vorstand, und wir haben großartige Institutsleitende. Unser Kerngeschäft ist, Fraunhofer zu führen und auf Kurs zu halten. Für einzelne Prozessoptimierungen kann man externen Rat holen, aber für das Wirtschaften im Fraunhofer-Modell müssen wir alle Hausaufgaben gemeinsam innerhalb von Fraunhofer machen.
"Schauen Sie sich die Krimis im Fernsehen an. Der Unternehmer ist fast immer der Mörder".
Wir sprechen über die Krise bei Fraunhofer – der Veränderungsdruck, die miese Stimmung, die Ängste –, und frage ich mich: Ist Fraunhofer ein Bild für den Zustand von Deutschland insgesamt?
Wir erleben überall Polarisierung: oben gegen unten, links gegen rechts, Rentner gegen Pensionäre. Und es wird sehr viel Angst verbreitet, reale Bedrohungen werden in den Medien oft überhöht. Da den Kopf klar zu behalten, scheint für viele schwierig. Ich bin ständig unterwegs und sehe sehr viel. Und aus Überzeugung sage immer zu meinen Leuten: Wir haben echte Chancen, aber wir müssen sie auch nutzen.
Das kommt ja nicht nur aus den Medien. Wirtschaftsverbände sagen ebenfalls: Deutschland wird bei Innovation abgehängt, die Rahmenbedingungen werden schlechter.
Wir haben auch ein echtes, ein großes Problem. Aber wir müssen es analysieren und lösen. Deshalb setze ich mich so stark für das versprochene Innovationsfreiheitsgesetz ein. Es würde nicht nur Fraunhofer, sondern der gesamten Wissenschaft und dem Mittelstand helfen. Aktuell besteht für Transferausgaben keine steuerliche Gemeinnützigkeit, und gleichzeitig wundern wir uns, dass zu wenig Transfer passiert. Wir müssen die Grundlagen ändern, nicht das Ergebnis beklagen. Wir haben als Gesellschaft die Kompetenzen, wir haben die Menschen, den Willen. Wir müssen all das entfesseln, um aus diesem Loch zu kommen.
Aber wie sind wir überhaupt in dieses Loch hineingeraten? Warum ist uns als Gesellschaft der Glaube an die eigenen Stärken verlorengegangen? Oder anders gefragt: Wo sind wir falsch abgebogen?
Diese Frage stelle ich mir auch oft. Ich vermute, wir sind an mehreren Stellen falsch abgebogen. Als Ingenieur habe ich gelernt, in Redundanzen zu denken, ein doppelter Boden hilft immer. In der Energieversorgung hatten wir keinen doppelten Boden, sondern haben alles auf die damals billigste Karte gesetzt. Das war ein kollektives Versagen, was man nicht einzelnen Entscheidungsträgern vorwerfen kann.
Was viele zurzeit gern tun: "Frau Merkel" ist schuld.
Das ist zu einfach. Letztlich waren wir es als Gesellschaft. Man kann fragen, warum die Fehlentwicklungen nicht früher und stärker thematisiert wurden, aber das hat kaum einer getan. Oder nehmen Sie das andere große Thema zurzeit: unsere mangelnde Verteidigungsfähigkeit. Mit der Abschaffung des Wehrdienstes ist auch dort Redundanz weggefallen. Nach der Wiedervereinigung herrschte große Harmonie, große Euphorie. Dabei ist der Mensch konfliktfähig und konfliktbereit. Frieden ist nie selbstverständlich, aber wir haben es uns bequem gemacht und die Realität ausgeblendet. Das gilt genauso, drittes Thema, für unsere Arbeitskultur, wie wir mit Eigentum, Unternehmertum oder Vererbung umgehen. Schauen Sie die Krimis im Fernsehen an: Der Unternehmer ist fast immer der Mörder.
"Was mir Hoffnung macht, ist der Blick auf die neue Hightech-Agenda der Bundesregierung."
Kann man das Krisen-Narrativ positiv wenden? Wo sehen Sie positive Ansätze?
Was mir Hoffnung macht, ist der Blick auf die neue Hightech-Agenda der Bundesregierung. Der Name zeigt: Man hat verstanden, dass Technologie entscheidend ist, wenn wir als Wirtschaftsstandort wieder vorankommen wollen. Die Agenda folgt genau dem Prinzip "Stärken stärken": Sie priorisiert einige wenige Themen – und lässt andere bewusst außen vor. Das wird Reibung erzeugen, aber genau das braucht echte Priorisierung. Und positiv ist auch, dass es eine ressortübergreifende Agenda der Bundesregierung ist, nicht nur eines Ministeriums.
Finanziell ist die Hightech-Agenda aber gerade nicht ressortübergreifend, da herrscht das übliche Silo-Schema.
Das ist die politische Realität. Aber der Ansatz selbst macht mir Mut. Und es gibt weitere Beispiele: Das neue Ministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung etwa. Dort wird Digitalisierung endlich als Querschnittsaufgabe gedacht. Wir sprechen über digitale Prozesse, Infrastruktur, über eigene KI-Rechnerkapazitäten, über Investitionen der Industrie. Natürlich gibt es viele, die den Ernst der Lage nicht wahrhaben wollen. Aber dass diese Erkenntnis bei einigen angekommen ist, stimmt mich optimistisch.
Was muss jetzt passieren, damit die Hightech-Agenda ein Erfolg wird?
Wir müssen sehr schnell in konkrete Projekte kommen – mit klarem Anfang, klarem Ende und klarem Inhalt. Und besonders wichtig ist, den industriellen Bedarf mit dem wissenschaftlichen Angebot zu verzahnen. Die Industrie muss ihren Bedarf definieren, und wir in der Wissenschaft müssen darauf einzahlen. Das ist für Fraunhofer Kernkompetenz – nicht exklusiv, aber etwas, das wir besonders gut können.
Kommentare
#1 - HAW-Kooperationen
"Die Industrie muss ihren Bedarf definieren, und wir in der Wissenschaft müssen darauf einzahlen. Das ist für Fraunhofer Kernkompetenz – nicht exklusiv, aber etwas, das wir besonders gut können."
Das ist ja auch das Feld der HAWs, die in den letzten Jahren im Bereich Forschung ihre Kompetenzen ausgebaut haben, zuletzt mit einem HAW-Promotionsrecht in den meisten Bundesländern. Trotzdem ist die FhG hier in der Kooperationsbereitschaft sehr zurückhaltend. Auf der FhG-Homepage findet man die bekannten 22 Kooperationsgruppen und 11 Anwendungszentren. Diese Instrumente sind über 10 Jahre alt! Es ist vielleicht mal Zeit für ein Neues. Und 22 Kooperationsgruppen ... nun, alleine Bayern hat inzwischen 22 Promotionszentren an seinen HAWs. Während die letzten 10 Jahre an den HAWs besonders spannend waren (Innovative Hochschule, FH-Personal, Promotionsrecht, Forschungsprofessuren, Spitzenprofessuren (in Bayern) etc.), hat die Zusammenarbeit nicht mitgehalten.
Während MPG und HGF sich nachvollziehbar an die Unis anbinden, wäre eine stärkere Anbindung der FhG an die HAWs sinnvoll für das System (und insbesondere für diese beiden Parteien). Trotzdem ist die Uni-Bindung, bspw. durch die Doppelberufungen, wesentlich stärker. Hier wäre eine Korrektur angebracht.
#2 - Verteidigungsfähigkeit
Ich begrüße die klare Ansage des Präsidenten zur Verteidigungsfähigkeit sehr. Fraunhofer hat seit vielen Jahrzehnten eine wichtige Rolle im Bereich der Verteidigungsforschung inne (auch wenn man das in der Vergangenheit gern mal weniger nach außen getragen hat). Dadurch hat Fraunhofer auch immense Vorteile gegenüber anderen Akteuren, die nun - angelockt durch die vermeintlich prall gefüllten Finanztöpfe in diesem Bereich - ihre Leistungen und Produkte anbieten, denen es aber am tieferen Verständnis für die Bedarfe der Streitkräfte und die Prozesse und Strukturen dort fehlt.
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