Das Ende des Bildungsaufschwungs?

Der "Bildungsmonitor 2017" zeigt: Die Politik darf sich nicht auf den Fortschritten der vergangenen Jahre ausruhen.

Foto: Gerd Altmann

SACHSEN ERNEUT AN der Spitze, das zweitplatzierte Thüringen schwächelt, das Saarland und Hamburg setzen ihren bemerkenswerten Aufstieg fort, und die rote Laterne halten Bremen und Berlin: So lässt sich die Bundesliga-Tabelle zusammenfassen, die das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln heute als Teil seines "Bildungsmonitors 2017" veröffentlicht hat.

 

Den Zeitpunkt hat das IW Köln geschickt gewählt. Sechs Wochen vor der Bundestagswahl kommt die Meta-Studie, die alle 16 Bundesländer anhand ihrer Performance in 12 so genannten "Handlungsfeldern" rankt, und stößt in einen Wahlkampf hinein, in dem die Parteien Bildung zur Top-Priorität erklären, konzeptionell jedoch den Gestaltungswillen vermissen lassen


Umso mehr Gestaltungswillen zeigt dafür die von den Arbeitgebern getragene "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" (INSM), die den Bildungsmonitor seit 2004 alljährlich in Auftrag gibt. Mit der entsprechenden Zurückhaltung zu genießen ist daher die "bildungspolitische Agenda", in die die 256 Seiten lange Studie diesmal deutlich wie nie mündet. Abgesehen davon aber besticht der Bildungsmonitor erneut durch die Vielzahl akribisch zusammengetragener Daten und einen Besorgnis erregenden Kernbefund: "Während die Herausforderungen für das Bildungssystem angesichts von Flüchtlingskrise, demographischem Wandel und Digitalisierung wachsen, hat die Dynamik in der Bildungspolitik in den vergangenen Jahren spürbar nachgelassen", sagt Axel Plünnecke, der wissenschaftliche Leiter der Studie.

 

Zunächst die guten Nachrichten: In den vergangenen zehn Jahren haben Bund, Länder und Gemeinden die Ausgaben für Bildung deutlich gesteigert auf 20,3 Prozent ihrer Budgets in 2016 gegenüber 17,7 Prozent in 2006. Im gleichen Zeitraum verbesserte sich die bundesweite Lehrer-Schüler-Relation von 20,6 auf 17 Kinder pro Lehrer. Die vielbeschworene "demographische Rendite" angesichts zwischenzeitlich zurückgehender Schülerzahlen hat es also tatsächlich gegeben, allerdings dürfte der Effekt durch die verstärkte Einwanderung zuletzt zum Stillstand gekommen sein. Ebenso erfreulich: Der Anteil von Grundschülern an Ganztagsschulen ist von unter 15 Prozent Mitte des vergangenen Jahrzehnts auf 34,4 Prozent in 2015 gestiegen. Einen vergleichbaren Sprung gab es auch beim Ausbau der Kitas:2015 wurden 45 Prozent der 3- bis 6-Jährigen ganztägig betreut, gegenüber 22 Prozent 2006. Die Liste der im Bildungsmonitor aufgeführten positiven Befunde ist noch viel länger, von weniger Sitzenbleibern und  Schulabbrechern über jüngere und vor allem deutlich mehr Hochschulabsolventen bis hin zum stark erhöhten Anteil von MINT-Studenten. 

 

Allerdings: Viele der positiven Trends enden nach 2013. So stieg zuletzt wieder der Anteil der Schulabbrecher, nachdem er von über neun Prozent (2001) auf sechs Prozent gefallen war. Auch die Wachstumskurve bei den Kita-Plätzen flachte sich ab, obwohl der Bedarf längst nicht gestillt ist. Ebenso stagniert der Anteil der MINT-Studenten. Besonders krass hat sich die Quote der Studienberechtigten an der 18- bis 21-jährigen ausländischen Bevölkerung entwickelt. Sie brach von 30,8 Prozent im Jahr 2011 auf 16,4 Prozent ein. "Und der Rückgang ist nur zu gut zwei Prozentpunkten auf die doppelten Absolventenjahrgänge im Jahr 2011 zurückzuführen", sagt IW-Forscher Plünnecke. Auch werde die Bildungsarmut, also der Anteil der 20- bis 29-Jährigen ohne abgeschlossene Berufsausbildung, wieder zunehmen, prognostiziert das Forschungsinstitut, nachdem diese Quote zuletzt von 16,5 Prozent im Jahr 2005 auf 12,7 Prozent in 2014 zurückgegangen war. 

 

Insgesamt sprechen die vom IW Köln präsentierten Statistiken eine deutliche Sprache: Das Jahrzehnt des Bildungsaufschwungs, das nach dem Pisa-Schock 2001 eingeleitet wurde, ist zu Ende gegangen. So vorsichtig man die "bildungspolitische Agenda", die der "Bildungsmonitor 2017" daraus ableitet, angesichts des Auftraggebers INSM betrachten sollte, so schlüssig fallen viele der genannten Forderungen aus: nicht nachlassen bei den Themen Durchlässigkeit und Integration, mindestens 3,5 Milliarden Euro zusätzlich für Schulen und Hochschulen, um die Integration der Flüchtlinge zu meistern, und anstatt über G8 versus G9 zu diskutieren, lieber über die Schulqualität nachdenken. 

 

Apropos Schulqualität: Der Bildungsmonitor definiert sie anhand der Kompetenztests des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), und laut IW Köln ist sie unter den 12 untersuchten Handlungsfeldern in der Gesamtschau aller Bundesländer dasjenige mit dem größten Rückschritt: von 56,3 Indexpunkten 2013 auf 49,0 Punkte 2017. Allerdings wäre ein Alarmismus ausgerechnet an dieser Stelle fehl am Platze: Der Rückgang ergibt sich vor allem aus den schlechteren Ergebnissen in der Lese-Kompetenz. Gleichzeitig haben sich die Schülerleistungen in Englisch verbessert, was die IW-Forscher jedoch nicht unter dem Stichwort "Schulqualität", sondern unter "Internationalisierung" subsummiert haben. Mit dem Ergebnis, dass die Bundesländer in letzterem Handlungsfeld deutlich besser abschneiden.

 

Auch wenn der anfangs erwähnte Bundesliga-Vergleich heute in der Presse sicherlich die meiste Aufmerksamkeit finden wird, soll er hier nur kurz am Ende betrachtet werden. So viel lässt sich aus ihm nämlich gar nicht lernen, liefern doch selbst die bestplatzierten Bundesländer ein recht gemischtes Bild ab. Sachsen zum Beispiel ist super in Sachen Schulqualität und Verringerung der Bildungsarmut, hat aber eine besonders hohe Abbrecherquote bei den ausländischen Schülern. Thüringen wiederum hat hervorragende Betreuungsbedingungen, ist aber abgestürzt bei der Integration ausländischer Schüler. Das Saarland verdankt seinen Aufstieg einer besonders stark ausgefallenen demographischen Rendite bei den Schülerzahlen und – angesichts der Sparrunden der vergangenen Jahre überraschend – der gestiegenen Forschungsleistung der Hochschulen. Hamburg hat kräftig seine Ganztagsschulen ausgebaut und den Fremdsprachenunterricht verstärkt. Und sogar Berlin, das besonders mies bei Schulqualität und Bildungsarmut abschneidet, belegt in einer Kategorie einen einsamen Spitzenplatz: Was die Leistung ihrer Hochschulen angeht, kann es laut Bildungsmonitor keiner mit der Hauptstadt aufnehmen. 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0