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30 Prozent ist dreifach falsch

Vor genau einem Jahr forderte das Bundesverfassungsgericht die Neuregelung des Medizin-NCs. Die Reform, auf die sich die Wissenschaftsminister geeinigt haben, enthält viele positive Elemente – und eine kapitale Fehlentscheidung.

DIE WISSENSCHAFTSMINISTER HABEN es geschafft, mit einer einzigen Entscheidung drei Fehler zu machen. Vor genau einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht ihnen aufgetragen, die Studienplatzvergabe im Fach Medizin neu zu regeln. Das haben sie getan: Vor zehn Tagen hat die Kultusministerkonferenz (KMK) die Reform beschlossen, die für die medizinischen Studiengänge und für die Pharmazie gelten und Anfang 2020 in Kraft treten soll.

 

Ein Detail sticht dabei heraus. Künftig sollen im sogenannten Hauptverfahren statt 20 satte 30 Prozent der Studienplätze allein über die Abiturnote vergeben werden. Der inoffizielle Grund: Zumindest alle 1,0-Abiturienten sollen zum Zug kommen können.

 

Fehler Nummer eins: Die KMK wertet die Bedeutung des Abischnitts auf, obwohl dessen Aussagekraft angesichts der anhaltenden Noteninflation abnimmt. Daran ändern auch die geplanten Ausgleichsverfahren nichts, zumal sie nur  im Vergleich zwischen den Bundesländern gelten. Tatsächlich unterscheidet sich die Benotung nämlich schon regional und innerhalb eines Bundeslandes erheblich. Doch die KMK beugt sich offenbar dem Druck der Gymnasiallobby. Indes ist absehbar, dass in Kürze auch die 30 Prozent nicht mehr für alle 1,0-Abiturienten reichen werden. Und dann? 

 

Es folgt Fehler Nummer zwei: Weil 60 Prozent der Studienplätze – Stichwort Hochschulautonomie – weiter durch die Unis vergeben werden sollen, bleiben für die neue "zusätzliche Eignungsquote" nur zehn Prozent. Die Eignungsquote ist die einzige im Hauptverfahren, in die Studenten komplett unabhängig von ihrer Abiturnote oder – das ist großartig – sogar ganz ohne Abitur hineinrutschen können. Aber lautete nicht eines der erklärten Ziele vor der Reform, deutlich mehr Leute fürs Medizinstudium zuzulassen, die durch inhaltlich verwandte Berufsausbildungen, durch ihre berufliche Vorerfahrung oder durch ihr soziales Engagement überzeugen können?

 

Der dritte Fehler ergibt sich dadurch, dass die Wissenschaftsminister dann auch noch versucht haben, in diese zehn Prozent eine Lösung für die sogenannten Altwartenden hineinzupressen. Das sind diejenigen Bewerber, die wegen ihrer nicht ganz so exzellenten Abinote (wir reden in vielen Fällen immer noch von 2,0 oder besser) seit 10, 12 und mehr Semestern auf einen Studienplatz gewartet haben. Für sie war bislang die Wartezeitquote gedacht, die 20 Prozent der Studienplätze umfasste und jetzt – zu Recht – gestrichen wurde. Weil sie zu absurd langen Verzögerungen im Leben tausender junger Menschen geführt hat.

 

Für zwei Jahre sollen die Betroffenen jetzt einen Bonus abhängig von ihren Wartesemestern bekommen – was kaum mehr als ein Symbolakt ist und einer zu geringen Zahl junger Leuten helfen wird. Aus der langen Wartezeit mag ja juristisch kein Anspruch folgen, aber hätte man sich an der Stelle nicht großzügiger zeigen können, zeigen müssen?

 

All das garantiert keinen guten Start für die Neuregelung und ganz sicher keine höhere Akzeptanz. Daran ändert wenig, dass die KMK auf Druck Thüringens ein paar Öffnungsklauseln vorgesehen hat. 

 

Zudem verblassen hinter dieser Fehlentscheidung viele positive Aspekte der NC-Reform – seien es die Aufwertung zentraler Studieneignungstests oder anderer schulnotenunabhängiger Auswahlkriterien, die die Bewerberauswahl objektiver machen sollen. Diese Aspekte könnten sogar die Richtung weisen für eine neue Logik der Studienplatzvergabe auch in anderen Fächern.

 

Die Folgen der Neuregelung wären übrigens weniger gravierend, wenn die Landesfinanzminister endlich ihrer eigentlichen Verantwortung nachkommen würden: mehr Medizin-Studienplätze zu bezahlen. Das Kernproblem ist nicht die Verwaltung des Mangels, sondern der Mangel selbst.    

 

Dieser Kommentar erschien heute leicht gekürzt zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.

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Kommentare: 4
  • #1

    Gregor Bucher (Dienstag, 18 Dezember 2018 08:53)

    wäre interessant herauszufinden, wie die unterschiedlich zugelassenen Studenten sich bewährt haben: im Studium und im Beruf.

  • #2

    Egal (Dienstag, 18 Dezember 2018 09:38)

    Alle halbwegs seriösen Studien zeigen ganz klar, dass zwischen Abiturnote und Erfolg im Studium eine große Korrelation besteht. Geringfügig höhere Korrelationen erzielt man in einigen (nicht in allen Studiengängen) nur durch studiengangsspezifische Eignungstests.
    Studierende, die über die Wartezeit und/oder über Quoten der beruflichen Qualifikation zugelassen werden und ein Studium aufnehmen, haben hingegen im Durchschnitt höhere Abbruchquoten und schlechtere Ergebnisse im Studium.

    Von daher ist es durchaus sinnvoll, die Wartezeit abzuschaffen - aber für junge, studierwillige Menschen ist es wenig sinnvoll, Hoffnung mittels einer Talent-/Erfahrungsquote zu wecken, die dann in den ersten Semestern an der harten Realität des Studiums zerbrechen.

    Aber man wollte sowohl seitens des BVerfG wie auch der Wissenschaftsministerien diese harte Wirklichkeit nicht aussprechen, sondern hat auch die vielen, ganz "talentierten" Menschen nicht enttäuschen wollen, die für ein (Medizin-)Studium nicht geeignet sind. Problem ist nur, dass dies jetzt die Hochschulen den spätestens nach drei Semestern abbrechenden Studierenden sagen dürfen.
    Und ja: das bisherige Verfahren hatte Härten für den Einzelfall. Aufgabe eines Zulassungsverfahren ist es jedoch nicht, Einzelfälle gerecht zu behandeln, sondern eine solide Zulassungsentscheidung zu treffen.

  • #3

    Ruth Himmelreich (Mittwoch, 19 Dezember 2018 11:33)

    Die Zahl der Medizinstudienplätze reicht aus. Das Problem ist ein anderes: die Absolventen sind handverlesen, leistungsorientiert, belastbar und stressresistent, sie sind überall gefragt und es stehen ihnen alle Möglichkeiten offen. Es muss einen nicht wundern, dass sie diese Möglichkeiten auch wahrnehmen.

    Eine andere Möglichkeit: man setzt für das extrem teure Studium Studiengebühren zu Vollkosten an, rückzahlbar nach dem Studium, wobei für jedes Jahr Arbeit im staatlichen Gesundheitssystem in D zehn Prozent abgezogen werden. Wer zehn Jahre als Arzt/Ärztin arbeitet, zahlt nichts und hat die Ausbildung somit umsonst, wer lieber in die Industrie geht oder ins Ausland, muss die Studiengebühren ganz oder anteilig zahlen. Zu den Kosten: in den USA haben die jungen Ärzte im Durchschnitt 190.000 Dollar Schulden für ihre Ausbildung an einer Medical School.

  • #4

    Michael (Freitag, 21 Dezember 2018 11:11)

    Sehr geehrter Herr Wiarda,

    ich liebe ihren Blog und ihre Kommentare sehr. Nur hier sind sie einem Trugschluss verfallen, den ich aufklären möchte. Denn ausnahmsweise hat die KMK-Konferenz etwas tatsächlich Sinnvolles gemacht.

    Erster Fehler: Die jetzige Abiturquote von "20%" war untragbar. Das Medizinische Auswahlverfahren beruht ja, so wird es immer suggeriert, auf dieser 20-20-60 Regel (Abi, Wartezeit, AdH). Es gibt noch Vorabquoten, die nach der Auswahlsatzung etwa 12,5% ausmachen und vorher wegfallen (Nicht-Eu-Ausländer, Härtefällantrage usw.).
    Wenn man diese nun von 100% abzieht, müssten von 87,5% verbliebenen Plätzen 20% an die Abiturienten gehen - das bedeutet 17,5% bleiben für die Abiquote.
    Im Herbst 2018 wurden von 10498 Zusagen (diese Zahl beeinhaltet laut hochschulstart nicht mal alle Vorabquoten) 1246 Zusagen in der Abiturbestenquote verteilt. Das sind unglaubliche 11,8%.
    Komisch, oder? Mit dieser Rechnung der originalen Zahlen klingt das jetzige Modell eher nach 10% Abiturbestenquote. In der Kurzfassung erklärt liegt das daran, dass die Quote aus zwei Hürden besteht, wovon nur die erste Hürde 17,5% definiert, diese aber in der zweiten Hürde noch um ihren Studienplatz kämpfen dürfen. Da nicht jeder taktisch wählt, fliegt nochmal ein ordentlicher Teil raus und es bleiben die 11,5% übrig.
    Man könnte jetzt auch meinen, dass wenigstens ein Leistungsgedanke übrig bleibt, aber dem ist nicht so. In der ersten Hürde gilt erstmal jede 1,0 eines Bundeslandes als gleichwertig. Eine 1,0 umfasst in einem Bundesland eine Punktespanne von 823-900 auf einem allgemeinen Hochschulzeugnis. Das ist eine riesige Bandbreite. Nur wird es nicht belohnt, wenn man zu den Top 1,0er gehört, weil alle gleichwertig sein sollen. Als Bewerber hast du es selbst nicht in der Hand, die logische Konsequenz ist das Losen. Zum Kotzen war das!
    Und genau die beiden Punkte werden jetzt behoben. Es soll am Anfang direkt die Abiturspunktzahl zählen und nicht der Notenschnitt, während gleichzeitig eine völlig ausgelaugte Quote endlich auch mehr Studienplätze zugeschrieben bekommt. Ich sage ganz klar: Richtige Entscheidung!

    Zweiter Fehler: Wir brauchen nicht nur den Arzt, sondern auch die Krankenschwester, den Rettungssänitäter, den MTA usw. Sollen jetzt alle, die vorher diese Berufe ausgeübt haben, auf den Beruf des Arztes umsatteln? Und bei den Ärzten genauso: Wir brauchen den Allgemeinmediziner genauso wie den Pathologen oder den Psychiater. Ich behaupte einfach mal, dass da 10% völlig ausreichen und aus den 10% die geeignetsten ausgesucht werden können. Außerdem ist das eine viel bessere Lösung als das bloße Warten der Leute ausschlaggebend für den Erhalt eines Studienplatzes zu machen. In Deutschland wird das immer als Selbstverständlichkeit angenommen, dabei kenne ich kein einzig anderes Land mit vergleichbarer Regelung. Warum auch?

    Dritter Fehler: Der TMS in Medizin läuft jedes Jahr gleich ab. Die Aufgaben sind die gleichen, es gibt zigtausende Vorbereitungsbücher usw. Übungssache ist hier alles. Wieso sollte dieser Test also aussagekräftiger als ein Abitur sein, wo extrem viele Variablen zusammenkommen? Und wie wenige Spitzenabiturienten wird es geben, die in diesem Test viel schlechter als in ihrem Abitur abschneiden werden?
    Der Erfinder des TMS ist nichtmal Arzt, sondern ein Psychologe, der sich natürlich ein goldenes Standbein damit gesichert hat. Super.

    Die Sache, wo ich Ihnen uneingeschränkt recht gebe, ist letzte: Es gibt wirklich viel zu wenige Studienplätze.