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Bluttest-Skandal: Kommission legt kurz vor ExStra-Entscheidung Zwischenbericht vor

Die Angaben und Schlussfolgerungen sind zum Teil noch vage, doch schon jetzt bietet sich ein dramatisches Gesamtbild.

SO SEHR DAS Universitätsklinikum Heidelberg die Aufklärung des Bluttest-Skandals verspricht, das vorläufige Ergebnis der zu diesem Zweck eingesetzten Untersuchungskommission will man dann doch nicht ganz oben auf der eigenen Website präsentieren. 

 

Gestern hat die siebenköpfige unabhängige Expertengruppe ihren ersten Bericht vorgelegt, übermorgen entscheidet sich, ob die Universität Heidelberg Exzellenzuniversität bleiben darf. Doch heute Mittag schmückt den Online-Auftritt der Uni-Klinik ein aus dem Mai stammender "Aktuelles"-Aufmacher: "Erfolgreiche Sonderforschungsbereiche der Medizinischen Fakultät Heidelberg", 34 Millionen Euro spendiere die DFG dafür.

 

Man muss schon ein Stück nach unten scrollen, um links die deutlich kleinere Schlagzeile zur "Causa Bluttest" zu finden. Der Aufsichtsratsvorsitzende Simone Schwanitz, Abteilungsleiterin im Wissenschaftsministerium von Theresia Bauer (Grüne), heißt es dort, sei es "ein Anliegen, den Prozess der Aufklärung transparent zu machen und auch über erste Zwischenergebnisse der Kommission zu informieren" – obgleich, wie betont wird, noch Dokumente ausgewertet würden und weitere Gespräche "mit beteiligten Personen" anstünden, weshalb eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich sei. 

 

Transparente Aufklärung als Anliegen – das klingt gut, doch muss die Frage erlaubt sein, inwiefern die Veröffentlichung eines Zwischenberichts zu diesem Zeitpunkt rein strategisch motiviert war und welcher Erkenntnisgewinn sich tatsächlich daraus ziehen lässt.  

 

Die wichtigste Botschaft des Berichts
geht an die ExStra-Entscheider

 

Die wichtigste Botschaft von Uniklinik und Bauers Ministerium, das die Aufklärung treibt, geht vermutlich an die Mitglieder des sogenannten Expertengremiums. Sie sitzen noch bis morgen Abend in Bonn zusammen und befinden über die 19 im ExStra-Rennen befindlichen Anträge, darunter den der Universität Heidelberg, die über ihre Medizinische Fakultät mit der Uniklinik verbunden ist. Die Botschaft lautet: Wir legen alle Fakten auf den Tisch – ohne Rücksicht, wir warten nicht damit bis nach Eurer Entscheidung. Selbst wenn die Konsequenzen für Heidelberg unangenehme sein sollten. 

 

Gleichzeitig steht das, was die Kommission zum jetzigen Zeitpunkt vorlegen konnte, aber unter einem so starken, von Schwanitz betonten Vorbehalt, dass die in der Pressemitteilung enthaltenen Informationen ohnehin nicht geeignet sind, um die Entscheidung des Expertengremiums in irgendeiner Weise berühren zu können. Und mehr als die Pressemitteilung gab es für die Öffentlichkeit nicht.

 

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Das bedeutet keineswegs, dass die Untersuchungskommission nicht gute Arbeit leistet. Im Gegenteil: Sie kommt ihrer Aufgabe nach allem, was sich beobachten lässt, in akribischer Weise nach. Dafür sind schon ihre Vorsitzenden, die frühere Verfassungsrichterin Christine Hohmann-Dennhardt und Leibniz-Präsident Matthias Kleiner, Garanten.

 

Doch werden die volle Qualität ihrer Arbeit, ihre Tiefe und auch ihre Schlussfolgerungen eben erst dann zum Tragen kommen, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind und wenn auch der Bericht als Ganzes vorliegt. Derzeit bleiben der Öffentlichkeit lediglich die Stellungnahmen der Kommissionsvorsitzenden und die Inhalte der Pressemitteilung. Allerdings haben schon die es in sich. 

 

"Führungsversagen, Machtmissbrauch
und Eitelkeit"

 

Matthias Kleiner sprach laut Nachrichtenagentur dpa in der gestrigen Pressekonferenz von "Führungsversagen, Machtmissbrauch und Eitelkeit". Auf der übergeordneten Ebene habe falsch verstandene Wissenschaftsfreiheit dazu geführt, dass niemand die Pressekonferenz und die Pressekampagne verhindert habe.

 

Als Hauptverantwortlicher wird von der Kommission immer wieder der Leiter Universitätsfrauenklinik, Christof Sohn genannt. "Nein, man möchte nicht in der Haut von Christof Sohn stecken", kommentierte die Rhein-Neckar-Zeitung heute.

 

Er habe, berichtet die Kommission, auf die breit angelegte Pressekampagne samt Pressekonferenz gedrängt, obwohl es keine "hinreichende Anzahl an untersuchten Proben, keine abgeschlossene klinische Studie, keine einschlägige Publikation in einem wissenschaftlichen Fachjournal (mit Peer Review)" gegeben habe, dafür aber "Boulevard und bunte Blätter statt seriöser Wissenschaftskommunikation". Auch die Erkenntnisgenauigkeit sei nicht ausreichend gewesen, "die Angaben zur Markteinführung des Tests im Jahr 2019 waren nicht realistisch".

 

Sohn soll nach Einschätzung der Kommission hauptverantwortlich dafür gewesen sein, dass die erste Forschungsleiterin des Bluttest-Projekts, Rongxi Yang, geschasst wurde. Sohn habe sich zudem "sehr intensiv für ein (alleiniges) Investment" des Unternehmers Jürgen Harder eingesetzt, obwohl der keine Erfahrung in den Lebenswissenschaften gehabt und es sehr wohl Alternativen zum Einstieg Harders gegeben habe. 

 

Und welche Rolle spielte
der Klinikvorstand?

 

Die Experten sprechen Sohn auch die "primäre wissenschaftliche Verantwortung für die Erforschung, Entwicklung, Veröffentlichung und Vermarktung des Bluttests" zu, neben Sohn allerdings auch Sarah Schott als derzeitige Projektleiterin. Zu Schotts Gunsten vermerkt die Kommission laut Pressemitteilung, dass sie Sohns Untergebene war und sowohl ihm als auch "gegenüber weiteren Personen wiederholt wissenschaftliche Bedenken geäußert und um ein Stoppen der Veröffentlichung der bisherigen Forschungsergebnisse gebeten" habe. 

 

Zu diesem Zeitpunkt zwangsläufig vage bleiben die Verantwortlichkeiten der Klinikadministratoren und der Vorstandsebene, doch deutet sich hier möglicherweise mehr an für den noch ausstehenden Abschlussbericht. So soll die technology transfer heidelberg GmbH (tth), geleitet von Klinikjustiziar Markus Jones, die Entlassung Yangs nicht nur mitentschieden, sondern "nach gegenwärtigem Erkenntnisstand forciert" haben. 

 

Der Klinikvorstand wiederum habe sich von Sohn drängen lassen, Harders Einstieg zu erlauben, die Vertragsgestaltung mit Harder werfe weitere Fragen auf. Und nicht nur Sohn und Schott, sondern auch "sämtliche der befassten Vorstandsmitglieder" hätten einen "hinreichenden Kenntnis- und Informationsstand" gehabt, um die Problematik des Bluttests zu erkennen und einschätzen zu können. Doch trotz mehrerer Warnhinweise habe auch der Vorstand die Pressekampagne nicht gestoppt "bzw. darauf hingewirkt, diese zu stoppen".

 

Aber warum nicht? Und welche Art von Führungsverständnis verbirgt sich hinter einem solchen Verhalten des Vorstandes um Vorstandsvorsitzende Annette Grüters-Kieslich? Was waren die Gründe, nicht einzuschreiten?

 

Das Stellen der Systemfrage
steht noch aus

 

Womit wir wieder bei Kleiners anfangs zitierter Einschätzung sind: "Führungsversagen, Machtmissbrauch und Eitelkeit". Und die Auffassung, die Wissenschaftsfreiheit gebiete es, Sohn und Schott nach eigenem Gutdünken agieren zu lassen. Jedes einzelne der genannten Motive wird im Abschlussbericht weiter ausgeführt und präzisiert werden müssen.  

 

Das Fazit der Kommission sei indes schon jetzt vernichtend, befindet die Rhein-Neckar-Zeitung: "Vernichtend für den Forscher Sohn. Vernichtend aber auch für Teile des Vorstands.

 

Aber wie gesagt: Alles unter Vorbehalt. So richtig spannend wird die Arbeit der Untersuchungskommission, wenn es an das Ziehen der Schlussfolgerungen im Abschlussbericht geht. Und an das Beantworten der Systemfrage: Welchen Beitrag haben das Selbstverständnis und die Governance eines Universitätsklinikums geleistet zu einem Skandal solchen Ausmaßes? 

 

Anfang kommenden Jahre soll es soweit sein. Dann ist die Entscheidung in der Exzellenzstrategie längst Geschichte. 


Anmerkung:

Ich habe mehrfach über den Skandal und seine Genese berichtet, meinen ersten Beitrag hierzu finden Sie hier, den vorläufig letzten hier


NACHTRAG AM 25. JULI 2019:

Der Dekan der Medizinische Fakultät, Andreas Draguhn, ist gestern mit sofortiger Wirkung von seinem Amt zurückgetreten, wie das Universitätsklinikum Heidelberg mitteilte. Sein Handeln sei im Verlauf der HeiScreen-Affäre zum Gegenstand offizieller Untersuchungen geworden und werde anhaltend kritisch diskutiert. "Mit meinem Entschluss möchte ich hierfür die Verantwortung übernehmen und hoffe, damit dem Amt, der Fakultät und der Universität zu dienen", sagte Draguhn, der erst vor neun Monaten ins Amt gekommen war. Seine Position als Abteilungsleiter Neuro- und Sinnesphysiologie am Institut für Physiologie und Pathophysiologie werde er behalten, teilte das Uniklinikum weiter mit.

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Kommentare: 2
  • #1

    Laubeiter (Donnerstag, 18 Juli 2019 11:13)

    "Eitelkeit, Führungsversagen, Machtmissbrauch" - in dieser Reihenfolge wird ein lässliche Sünde zuerst genannt, dann ein technokratischer Begriff aus der Management-Ebene, zum Schluss etwas, dass es nicht nur in der Wissenschaft, sondern überall gibt. Wie wäre es zu thematisieren, dass es um Wissenschaft zur Aufklärung des Risikos der lebensgefährlichen Krankheit Krebs geht? Nimmt die Kommission die Irreführung der Öffentlichkeit in den Blick? Der Forscher behauptete etwas Falsches, nämlich dass er etwas Valides entwickelt hätte; dies tat er wissentlich oder aus Ahnunglosigkeit. Weitere Forscher an der gleichen Forschungsreinrichtung wussen offensichtlich auch nicht, um was es ging, unterstützten den Forscher aber dennoch tatkräftig, seine falschen Behauptung der Öffentlichkeit zu verkaufen. Eine Forschungseinrichtung, an Forscher versuchen, mit falschen Behauptungen an die Öffentlichkeit zu treten, sollte entweder ihre Pressemitteilungen durch eigene Experten, die Validität beurteilen können, prüfen lassen, oder sie sollte wissen, dass ihr eigene Experten oder Expertise fehlen, und sich Expertise von außen holen, um Validität zu prüfen. Ich finde, der Mangel an Verstand liegt in diesem Fall weniger in dem Mangel an Verständnis für die Anforderungen an diagnostische Methoden sondern in dem Mangel an Verständnis für die Grenzen des eigenen Wissens und der Notwendigkeit, Fachleute zu konsultieren, wenn es um Behauptungen geht.

  • #2

    David J. Green (Montag, 12 August 2019 08:53)

    Mit etwas Abstand: Wenn diese Angaben stimmen, dann gehört zur Aufarbeitung dieses Falles unbedingt auch, dass Heidelberg sich öffentlich und in aller Form bei der geschassten Forschungleiterin Rongxi Yang entschuldigt und ihr die Wiedereinsetzung in den bisherigen Stand anbietet.