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Heftig, bitter, richtig

Am Heidelberger Universitätsklinikum rollen die Köpfe. Doch wie geht es jetzt weiter? Ein Kommentar.

Foto: Ewa Urban / pixabay - cco.

DIE EXZELLENZSTRATEGIE IST vorbei, und in Heidelberg rollen die Köpfe. Am 19. Juli hat die altehrwürdige Universität nach zwischenzeitlich viel Zittern doch wieder den Exzellenztitel errungen, am 25. Juli trat der Dekan der Medizinischen Fakultät zurück. Und nur fünf Tage später folgten nun die Vorstandsvorsitzende des Uniklinikums, Annette Grüters-Kieslich, und die Kaufmännische Direktorin Irmtraut Gürkan. Damit hat der Vorstand des Klinikums drei seiner fünf Mitglieder eingebüßt. Und es waren die drei führenden Mitglieder.

 

Die personellen Konsequenzen aus Skandal um einen verfrüht angekündigten Bluttest sind heftig, bitter – und richtig. Dass sie dem Drehbuch der Exzellenzstrategie folgen, geschenkt. Dass sie automatisch den Neuanfang ermöglichen: unsicher.

 

Grüters-Kieslich und Gürkan blieb
keine andere Wahl mehr

 

Es hörte sich so eigeninitiativ an in der gestrigen Pressemitteilung des Aufsichtsrats: Grüters-Kieslich und Gürkan hätten gegenüber dem Gremium erklärt, ihr Amt vorzeitig niederzulegen. Wieviel Selbsterkenntnis und Eigenmächtigkeit tatsächlich in ihrer Entscheidung lagen und inwieweit der Aufsichtsrat ihnen keine andere Wahl als den Rücktritt ließ, darüber könnte man an dieser Stelle philosophieren. Oder einfach feststellen: Die drei, Draguhn inklusive, waren nach dem Zwischenergebnis, den die unabhängige Expertenkommission zwei Tage VOR der Exzellenz-Entscheidung vorstellte, nicht mehr haltbar. Das lässt sich so sagen, auch ohne den gesamten Bericht zu kennen. Den hat die Öffentlichkeit bislang nämlich gar nicht zu Gesicht bekommen, es wurden lediglich Auszüge per Pressemitteilung und auf einer Pressekonferenz präsentiert. 

 

Der damalige Klinikvorstand hatte dabei zugesehen, wie die erste Forschungsleiterin des Bluttest-Projekts, Rongxi Yang, 2017 geschasst wurde. Die Expertenkommission befand nun in ihrem Zwischenbericht: Die technology transfer heidelberg GmbH (tth), geleitet von Klinikjustiziar Markus Jones, habe die Entlassung Yangs nicht nur mitentschieden, sondern "nach gegenwärtigem Erkenntnisstand forciert". Der Vorstand habe sich anschließend von Christof Sohn, dem für den Bluttest verantwortlichen Direktor der Frauenklinik, drängen lassen, dem umstrittenen Investor Jürgen Harder den Einstieg zu erlauben. Ein für das Klinikum katastrophaler Vertrag wurde mit Harder geschlossen – offenbar inklusive der Verpflichtung, einen Test mit 100 Prozent Treffsicherheit zu liefern. 

 

Außerdem besagte das Zwischenergebnis der Kommission: Nicht nur Sohn und Yangs Nachfolgerin in der Projektleitung, Sarah Schott, sondern auch "sämtliche der befassten Vorstandsmitglieder" hätten einen "hinreichenden Kenntnis- und Informationsstand" gehabt, um die Problematik des Bluttests zu erkennen und einschätzen zu können. Doch trotz mehrerer Warnhinweise habe auch der Vorstand die verhängnisvolle Pressekampagne nicht gestoppt "bzw. darauf hingewirkt, diese zu stoppen".

 

Es war mehr als "Führungsversagen, Machtmissbrauch und Eitelkeit"

 

Viele, was die Mitverantwortung der der Führungspersonen des Klinikums (und auch des Aufsichtsrats) angeht, bleibt bislang zumindest in der für die Öffentlichkeit kommunizierten Form des Zwischenberichts vage, auch in der Differenzierung zwischen den einzelnen Vorstandsmitgliedern. Für den für Anfang 2020 angekündigten Abschlussbericht der Kommission deuten sich insofern weitere und nicht weniger ernüchternde Erkenntnisse an. Dann wird vor allem die Frage nach den Führungsstrukturen, nach der Organisation von Entscheidungen, nach der Kultur am Klinikum gestellt werden müssen, die ein solches Desaster erst ermöglicht haben. Denn demonstrative personelle Konsequenzen allein garantieren keinen Neuanfang. Und Wissenschafts- und Gesundheitspolitiker überall im Land sollten sich fragen, ob diese Strukturen an den Klinika, für die Verantwortung tragen, so anders sind. 

 

Die Zusammenfassung des Kommissionsvorsitzenden Matthias Kleiner, der Affäre liege eine Mischung aus "Führungsversagen, Machtmissbrauch und Eitelkeit" zugrunde, wird dann jedenfalls nicht mehr haltbar sein ohne eine wichtige Ergänzung: Es ging auch und vor allem um sehr, sehr viel Geld: für Sohn. Aber auch für das hoch verschuldete Universitätsklinikum. Hätten sich die Versprechungen des Tests halten lassen, hätten zum Beispiel mittelfristig wohl viele, viele Millionen an Lizenzeinnahmen gewunken.

 

Es sieht so aus, als wäre der Klinikvorstand in eine Dynamik aus schlechter Vertragsgestaltung, daraus folgenden Verpflichtungen und finanziellen Ambitionen hineingeraten, aus der die Verantwortlichen nicht mehr herausgefunden haben. Es ist zu hören, dass auch die Pressekonferenz in Düsseldorf, auf der Sohn den vermeintlich sensationellen Bluttest öffentlich machte und mit der die Affäre öffentlich wurde, vor allem deshalb so früh stattfand, weil Harder auf seine vertraglichen Rechte gepocht habe. 

 

Bitter ist die Entscheidung vor allem
für Grüters-Kieslich

 

Für Draguhn, Grüters-Kieslich und Gürkan sind die Folgen bitter. Sie hätten nach allem, was bekannt ist, nicht persönlich von dem Bluttest profitiert. Fast schon tragisch, in jedem Fall undankbar, ist die Geschichte für Grüters-Kieslich. Sie kam am 1. Juli 2017 aus Berlin, wo sie zuvor schon einmal hatte zurücktreten müssen, Mitte 2014 war das, als Dekanin der Charité. Wirtschaftsprüfer hatten vor allem ihr damals die Hauptverantwortung für aus ihrer Sicht fragwürdig verbuchte Drittmittel gegeben. Andere Beobachter waren dagegen der Meinung, Grüters-Kieslich habe den übrigen und mit in der Verantwortung stehenden Charité-Vorstandsmitgliedern erfolgreich als Sündenbock gedient. 

 

Nun muss Grüters-Kieslich Verantwortung übernehmen für eine Affäre, deren Anfänge – die Entlassung Yangs und der Vertrag mit Harder – laut Expertenkommission bereits vor ihrem Amtsantritt lagen, in der ersten Jahreshälfte 2017. Das gleiche gilt fühlt für den zurückgetretenen Dekan Draguhn, auch er kam erst danach ins Amt. Grüters-Kieslich und Draguhn hätten versucht zu retten, was ihre Vorgänger und Kollegen in den Sand gesetzt hätten, ist zu hören. Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass sie sich dabei nicht besonders geschickt angestellt haben. Auch ihre Entscheidungen zur Kommunikation des Bluttests werfen, siehe oben, Fragen auf. Grüters-Kieslich selbst sagte gestern, als Vorstand habe man "besonders in der Krise nicht konzertiert genug" agiert.

 

Womit sie die offenbar tiefe Spaltung im Vorstand andeutete. Die personellen Konstanten seit Anbeginn der Affäre waren die seit 16 Jahren amtierende Irmtraut Gürkan und Justiziar Markus Jones. Vielleicht war diese Differenzierung ja auch der Grund, weswegen Grüters-Kieslich laut gestriger Mitteilung noch bis Ende Oktober bleiben darf, um weiter aufzuräumen – während Gürkan schon heute ihren letzten Tag hat. Also von einem Tag auf den anderen gehen muss. Jones war schon im Mai von seinen Aufgaben freigestellt worden – "vorübergehend", wie es damals hieß, bis die Ermittlungen abgeschlossen seien. Gürkan sagte gestern, eine konstruktive Aufarbeitung der Ereignisse bedinge eine vertrauensvolle enge Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat. "Diese ist nicht mehr möglich." 

 

Und jetzt endlich: Was ist
mit Christof Sohn?

 

Zum Aufräumen, das jetzt ansteht, gehört, endlich eine Handhabe mit Christof Sohn zu finden. Gestern betonte der Aufsichtsrat in seiner Pressemitteilung, seiner Auffassung nach liege die Hauptverant­wortung für das HeiScreen-Desaster "bei demjenigen Wissenschaftler..., der ohne entsprechende Grundlage durch eine Medienkampagne haltlose Versprechungen verbreitet hat." Gemeint war der nicht namentlich genannte Christof Sohn. Der sich laut Stuttgarter Zeitung zuletzt auf seinen Beamtenstatus berief, weshalb er sich nicht öffentlich äußern dürfe. Und weswegen wohl auch der dienstrechtliche Umgang mit ihm so kompliziert ist.

 

Sohns Rolle ist und bleibt zentral in der Heidelberger Bluttest-Affäre. Und sie ist komplett noch nicht aufgearbeitet. Es ist wichtig und richtig, dass der Vorstand ersetzt wird. Es ist nötig, aus den Geschehnissen die richtigen administrativen und politischen Folgen für die künftigen Entscheidungsstrukturen am Universitätsklinikum zu ziehen. Doch die Auseinandersetzung mit Sohn und seiner Rolle als Wissenschaftler, übrigens auch schon vor der Bluttest-Affäre, ist Voraussetzung, um die Integrität der Forschung in Heidelberg wiederherzustellen. 


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Kommentare: 1
  • #1

    Historiker (Mittwoch, 31 Juli 2019 12:29)

    "Die personellen Konsequenzen aus (dem) Skandal um einen verfrüht angekündigten Bluttest sind heftig, bitter – und richtig. Dass sie dem Drehbuch der Exzellenzstrategie folgen, geschenkt."

    Ja, das ist ein Teil der Wahrheit: Um den Exzellenzstatus zu retten, musste der Aufsichtsrat handeln, mit dem Zwischenbericht noch vor der entscheidenden Exzellenz-Sitzung. Freilich griff er erst durch, nachdem die Rhein-Neckar-Zeitung die wiederholten Vertuschungsversuche des Klinikumsvorstands enthüllt und damit ein "unter den Teppich kehren" der Mitverantwortung des Vorstands verunmöglicht hatte.

    Seit 2.500 Jahren unterscheidet man in der Geschichtsschreibung zwischen Ursache und Anlaß. Ja, die Exzellenzinitiative war Anlaß für die personellen Konsequenzen. Aber sie dürfte zugleich bereits mit ursächlich für das Fehlverhalten gewesen sein, das letztlich zu diesen Konsequenzen geführt hat. Das ist die tiefere Wahrheit: Schon dieser Wissenschaftsskandal selbst, nicht erst dessen Aufklärung, folgte dem Drehbuch der Exzellenzinitiative.

    Denn diese Initiative belohnt, von ihren Förderkriterien und von ihrer Inszenierung her, gerade nicht seriöse, intrinsisch motivierte, Patienten und Gesellschaft wirklich voranbringende Forschung. Sondern sie fördert Selbstvermarkter und deren effekthascherische, wenig nachhaltige Projekte. Ganz egal ob die Verantwortlichen nun in Kliniken sitzen oder in Instituten oder Verwaltungen. Sie ist daher im Ergebnis zu einem Konjunkturprogramm für Attrappen geworden. Sie hat seit nunmehr 15 Jahren eine Wissenschaftskultur begünstigt, in der grundsätzlich die falschen Projekte gefördert werden und grundsätzlich die falschen Leute nach oben kommen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die aber die Regel bestätigen.

    Diese Heidelberger "Weltsensation" war nur ein besonders grell bemaltes Potemkinsches Dorf. Sie unterscheidet sich nicht grundsätzlich von der Exzellenzkosmetik, wie sie bundesweit herauf und herunter betrieben wird. Während deutsche Forscher im internationalen Vergleich immer weiter zurück fallen. Es sei denn, sie arbeiten selbst im Ausland.

    Ein Anlaß, vielleicht, für ein grundsätzliches Umdenken? Dann könnte dieser Heidelberger Fälschungsskandal doch noch etwas Gutes bewirken. Er würde zu einem Fanal, zum Ausgangspunkt einer überfälligen Korrektur dieser deutschlandweiten Fehlentwicklung. Da deren Urheber nunmehr nach und nach in den Ruhestand gehen, ist vielleicht der Zeitpunkt für eine Aufklärung dieses viel größeren, nationalen Fälschungsskandals gekommen. Wenigstens dürfte sich dieser nicht mehr lange unter den Teppich kehren lassen.