· 

Wissenschaftsministerien: Keine Nachteile für Studierende durch Corona

Die Länder einigen sich auf gemeinsamen Beschluss. Auch die Verschiebung der Studienplatz-Bewerbungsphase steht jetzt fest.

ES IST EINE Ansage und eine Garantie: Das Sommersemester soll stattfinden, doch die Studierenden in Deutschland sollen grundsätzlich kein Problem mit ihrer Regelstudienzeit bekommen, wenn sie keine oder nicht alle fürs Sommersemester vorgesehenen Studienleistungen erbringen können. Solange daran die Corona-Pandemie und das dadurch eingeschränkte Lehrangebot an den Hochschulen schuld sind. Darauf haben sich gestern die höchsten politischen Beamten aller Landeswissenschaftsministerien in einer Telefon-Schalte geeinigt, wie zunächst aus inoffiziellen Quellen verlautete. 

 

Am Freitagnachmittag bestätigte die Kultusministerkonferenz (KMK) den Beschluss dann auch offiziell per Pressemitteilung: Das Sommersemester 2020, dessen Vorlesungsbetrieb an der Mehrheit der Hochschulen erst am 20. April und überall bis auf Weiteres rein digital starten soll, "wird ein ungewöhnliches, es soll jedoch kein verlorenes Semester sein."

 

Ihren gemeinsamen Beschluss interpretierten viele Staatssekretäre intern auch als Absage an Forderungen nach einem "Nicht-Semester" – zumindest insoweit mit dem Begriff die absichtliche Aussetzung von Lehrveranstaltungen oder Prüfungen gemeint sein sollte. Allerdings hatte ausgerechnet die diesbezügliche Online-Petition in ihrer ursprünglichen Fassung eine solche Aussetzung nie verlangt – sondern im Gegenteil viele Forderungen erhoben, die die Wissenschaftsministerien jetzt umsetzen wollen.

 

Denn so, wie die KMK-Amtschefs die Bemühungen der Hochschulen "zur Sicherstellung des Lehr- und Forschungsbetriebs" vor allem durch digitale Lehr- und Lernformate lobend hervorheben, sichern sie den Studierenden ihre weitreichende Unterstützung zu. Nicht nur "hinsichtlich Regelungen, welche zum Beispiel die Regelstudienzeit aufgreifen". Sondern die Länder versprechen darüber hinaus: Sie werden sich beim Bund dafür einsetzen, dass "beim BAföG, dem Kindergeld, der Krankenversicherung und ähnlichem flexible Regelungen gefunden werden, die den Lebenswirklichkeiten der Studierenden in Zeiten der Corona-Pandemie gerecht werden". Alles Forderungen, die auch in der Online-Petition zum "Nichtsemester" enthalten waren.

 

Allerdings machten die Länder mit ihrer Formulierung auch klar: Diese Entscheidungen haben sie nicht in der Hand. Die Behörde von Hamburgs grüner Wissenschafssenatorin Katharina Fegebank betonte heute per Pressemitteilung, hier sollten flexible Lösungen "in Absprache mit dem Bundesbildungsministerium" gefunden werden – wodurch die Länder den Druck auf Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) erhöhen.

 

Studienplatz-Bewerbungsstart verschoben, späterer

Vorlesungsstart ins Wintersemester wahrscheinlich

 

Mit ihrem Beschluss bestätigte und vereinheitlichte die von der Kultusministerkonferenz (KMK) organisierte Staatssekretärs-Telefonkonferenz zudem die Vielzahl einzelner Zusagen, die etliche Wissenschaftsminister bereits in den vergangenen Tagen formuliert hatten. Zuletzt hatte beispielsweise Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) im Tagesspiegel von einem "Flexi-Semester" gesprochen und angekündigt: "Wir flexibilisieren den Studienalltag so weit, dass möglichst viele Scheine gemacht werden können und anerkannt werden." An den Universitäten werde bereits eifrig auf Online-Formate umgestellt. "Eine nachträgliche Nicht-Wertung würde all das konterkarieren". 

 

Die Staatssekretäre konkretisierten in ihrer Telefonkonferenz auch die Pläne, den Wintersemester-Vorlesungsstart bundesweit zu vereinheitlichen und je nach Bedarf stärker nach hinten zu schieben. In einem ersten Schritt beschlossen sie wie erwartet, dass die Stiftung für Hochschulzulassung ihr Studienplatz-Bewerbungsportal Hochschulstart.de nicht wie üblich am 15. April, sondern frühestens am 1. Juli öffnen wird. Die Stiftung teilte die Verschiebung unmittelbar danach auf ihrer Website mit. Dort heißt es: "Mit den Modalitäten und zeitlichen Vorgaben zu den Abiturprüfungen werden sich im April noch einmal die Bildungsminister der Länder befassen." Nach deren Entscheidung könne die Bewerbungsphase zum Wintersemester "neu terminiert werden".

 

Ganz so vage haben es die Staatssekretäre gestern nicht verabredet. Sie einigten sich auf ein stufenweises Vorgehen. Erst der spätere Bewerbungsstart. Dann die Entscheidung der Schulminister abwarten.

 

Eigentlich wollten diese am 9. April überprüfen, ob sie ihren Plan, alle Schulabschluss-Prüfungen (vor allem das Abitur) abzuhalten, durchhalten können – oder ob die Corona-Lage dann erneut Anpassungen erfordert. Weil sich die Regierungschefs von Bund und Ländern aber erst am 14. April festlegen wollen, ob die geltenden Ausgangsbeschränkungen fortbestehen, gelockert oder – wovon derzeit keiner reden mag – sogar noch verschärft werden, dürften auch die Kultusminister den 9. April als Tag der Entscheidung nicht halten können. Wobei ihr Entschlossenheit, die Abiturprüfungen, wenn irgend möglich, durchzuziehen, sehr groß ist. Bei der Verlängerung der Schließungen von Kitas und Schulen insgesamt ist die Lage möglicherweise differenzierter.

 

Die Wissenschaftsministerien jedenfalls wollen unmittelbar reagieren, wenn die Bildungsminister und Regierungschefs sich positioniert haben. Dabei gilt als sicher, dass die NC-Bewerbung bei Hochschulstart.de bis mindestens 15. August möglich sein wird. Eventuell wird die Deadline sogar erst auf den 28. August gelegt werden. Allerdings spricht sich eine Mehrheit der Länder gegen den späteren Termin aus, weil der 15. August ausreichen würde, um nach heutigem Kenntnisstand den Schulabsolventen in allen Ländern ausreichend Zeit für ihre Bewerbung zu geben.

 

Ein Bund-Länder-Programm für 

die Digitalisierung der Hochschulen?

 

Die Vorlesungszeit würde in jedem Fall bundesweit an allen Hochschularten erst am 1. November beginnen, um alle Zulassungs- und Nachrückverfahren regulär beenden zu können. Aber wie gesagt: Erstmal gilt es die nächsten Tage und die weiteren Entwicklungen abzuwarten. Man wisse derzeit nie, was in zwei Wochen sei, kommentierte ein Staatssekretär mir gegenüber. Überlegungen einiger Länder, das Sommersemester zu verlängern und die beiden folgenden Semester zum Ausgleich zu stauchen, sind allerdings vom Tisch.

 

Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer sagte heute Morgen: "Das Wichtigste ist jetzt, gemeinsam mit allen Ländern in diesen unsicheren Zeiten für größtmögliche Planungssicherheit und Verlässlichkeit zu sorgen." Gleichzeitig müssten die Wissenschaftsministerien die notwendige Flexibilität für Hochschulen und Studierende gewährleisten. "Dafür werden die Länder und der Bund gemeinsam alle Kräfte mobilisieren müssen", was die rechtlichen Spielräume angehe, aber auch die nötige finanzielle Unterstützung für die "beschleunigte Digitalisierung".

  

Klingen hier bereits die Forderungen der Länder nach einer kurzfristigen Bund-Länder-Initiative zur Digitalisierung der Hochschulen durch? Berlins Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) hatte erstmals vor zehn Tagen hier im Blog an Bundesbildungsministern Karliczek appelliert, ein 350-Millionen-Euro-Sofortprogramm für 2020 und 2021 aufzulegen. Im selben Interview hatte Krach dem "Nicht-Semester" ebenfalls eine Absage erteilt, zugleich aber den Berliner Studierenden und Hochschulen weitreichende Garantien gegeben. Am späten Freitagnachmittag veröffentlichte die Berliner Senatskanzlei eine mit allen Hochschulen in Berlin, den staatlichen, konfessionellen und privaten, geschlossene Vereinbarung mit den wesentlichen Rahmenbedingungen fürs "Berliner Sommersemester". Darin wird auch angekündigt, dass alle fürs Sommersemester 2020 vorgesehenen Arbeitsverträge mit studentischen Hilfskräften weiterhin geschlossen und alle Lehraufträge erteilt würden. Befristete Verträge sollen, wo nötig, um sechs Monate über die bisher vorgesehene Dauer verlängert werden.

 

Baden-Württembergs Landesregierung und die Hochschulen wiederum hatten vorgestern inmitten der Corona-Hilfspakete die in den vergangenen Monaten ausgehandelte Hochschulfinanzierungsvereinbarung unterschrieben – mit einem Aufwuchs von mehr als 1,8 Milliarden Euro bis bis 2025. Theresia Bauer sagte heute, die Hochschulen seien die Zukunftslabore unserer Gesellschaft. "Wir brauchen jetzt ihre Kreativität, Improvisationskraft und ihre Entschlossenheit, neue Wege zu beschreiten."

 

Hinweis: Der Artikel wurde im Laufe des Freitags mehrfach aktualisiert, unter anderem um den Hinweis auf die zwischenzeitlich erschienene Pressemitteilung der KMK.



SPD-Bundestagsfraktion: Zugang
zum BAföG jetzt vereinfachen

Der Druck auf die Bundesregierung, beim BAföG weitere Anpassungen vorzunehmen, steigt auch innerhalb der Regierungsfraktionen. Am Freitagnachmittag forderte der bildungs- und forschungspolitische Sprecher der Bundestags-SPD, Oliver Kaczmarek, das Sommersemester 2020 grundsätzlich nicht auf die Förderhöchstdauer im BAföG anzurechnen. Analoge Regeln sollen für die Begabtenförderwerke gelten. "Entsprechende Handlungsspielräume bietet das BAföG hierzu bereits jetzt", heißt es im"Aktionsplan für Menschen in Ausbildung und Studium", den die Arbeitsgruppe Bildung und Forschung der SPD-Bundestagsfraktion entworfen hat und den Kaczmarek heute vorstellte. Das BMBF müsse klarstellen, dass die BAföG-Ämter diesen Spielraum jetzt auch nutzen sollten.

 

Das Ministerium von Anja Karliczek hatte in den vergangene zwei Wochen bereits eine Reihe von krisenbedingten Änderungen beim BAföG bekanntgeben.

 

Die SPD-Fraktion fordert jetzt: Angesichts der Corona-Krise müsse das BMBF zudem die Voraussetzungen für ein stark vereinfachtes, nicht an Stichtage gebundes Antragsverfahren schaffen – analog zum bereits vereinfachten Zugang zur Grundsicherung. Nicht BAföG-berechtigte sollten einen auf sechs Monate 

 

befristeten Zugang zum Wohngeld oder zur Wohnungspauschale von BAföG bekommen, falls sie infolge "der Corona-Krise Einkommenseinbrüche erleiden und Gefahr laufen, ihre Miete nicht mehr zahlen zu können". Mit einem Härtefallfonds sollten darüber hinaus die Fälle abgedeckt werden, die zu keinen anderen Leistungen Zugang erhalten.

 

Wenn Studierende jetzt Einkommen aus  Tätigkeiten im medizinischen Bereich, dem Lebensmitteleinzelhandel oder der Landwirtschaft bezögen, dürfe dieses 

überhaupt nicht auf die BAföG-Förderung und auf die Grenzen für die studentischen Krankenversicherung angerechnet werden, forderte Kaczmarek darüber hinaus.

 

Und schließlich, sagte Kaczmarek, müsse jetzt die Allianz für Aus- und Weiterbildung aktiviert werden, damit überbetriebliche Fonds zur Sicherung von Ausbildungsplätzen bei Kurzarbeit eingerichtet werden könnten. Die ersatzlose Streichung von Zwischenprüfungen solle verhindert werden, damit die Ausbildung machbar zu Ende geführt werden kann. Die Gebühren für vollzeitschulische Ausbildung müssten ausgesetzt werden, auch müssten Auszubildende im  Bedarfsfall einen ein vereinfachten Zugang zur Grundsicherung erhalten.

 

Das BMBF nahm am Wochenende Stellung. Die Wirklichkeit sei zum Teil schon weiter als die Forderungen der SPD-Fraktion. Wer zum Beispiel aufgrund der Corona-Pandemie Studienleistungen nicht erbringen könne, dem werde die BAföG-Förderung schon jetzt "aus schwerwiegenden Gründen verlängert". Dies sei gegenüber den Ländern bereits durch Erlass klargestellt worden. 

 

Außerdem kenne das BAföG "keine Stichtage im engeren Sinn". Die Förderung könne von dem Monat an bewilligt werden, in dem es beantragt wird. "Für die Fristwahrung genügt eine formlose Erklärung gegenüber dem zuständigen Amt für Ausbildungsförderung." Erforderliche Unterlagen und die ausgefüllten Antragsformulare könnten nachgereicht werden. "Das ist grundsätzlich möglich und nicht neu.“ Durch einen neuen Anwendungserlass sei aber kürzlich klargestellt worden, "dass BAföG-Leistungen bewilligt werden können, auch wenn erforderliche Nachweise aufgrund der Corona-Pandemie nicht vorgelegt werden können“.


Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Marco Winzker (Freitag, 03 April 2020 14:04)

    Die erwähnte Bund-Länder-Initiative zur Digitalisierung der Hochschulen wäre sehr sinnvoll. Allerdings nicht als Sofortprogramm mit beschränkter Laufzeit, sondern als permanente Institution für eine Digitalisierungsinfrastruktur. Viele Ansätze zur Digitalisierung hangeln sich von Projektfinanzierung zu Projektfinanzierung. Da muss man sich nicht wundern, wenn Lösungen nur provisorisch sind, Bug-Fixes zu selten kommen und aktuelle Anforderungen endlos auf der Wunschliste bleiben.

    Was steht beispielsweise auf meiner Wunschliste?
    - Weiterentwicklung eines LMS mit Elementen zur Interaktivität, Studierendenzentrierung, Learning Analytics
    - Videokonferenzen
    - Elektronische Prüfungen
    - Remote-Labore

    Und eigentlich könnte man eine solche Digitalisierungsinfrastruktur auch gleich europäisch denken.

  • #2

    Julia Weise (Samstag, 04 April 2020 12:55)

    Der Beschluss der KMK ist nicht zu Ende gedacht. Viele offene Fragen und Probleme bleiben ungelöst, insbesondere:
    - was machen Studienanfänger, die erst im späten Oktober ihren Studienplatz und Studienort genannt bekommen, das Semester z.B. an einer FH aber bereits am 1.9.2020 begonnen hat, mit Wohnungssuche, Einführungskursen etc?
    - Wie sollen Studierende, die die Hochschule wechseln wollen, aber bis Ende August noch nicht alle Prüfungsleistungen erbringen konnten, sich verhalten? An der alten Hochschule ist das Semester schon vorbei, an der neuen beginnt es bereits am 1.9.2020?
    - Wie sollen insbesondere die FH ihr Wintersemester, das am 1.9.2020 beginnt, insbesondere für die Erstsemester planen, wenn sie erst ab Mitte Oktober wissen, wie viele Studienanfänger überhaupt kommen?
    - Was passiert in den 2 Monaten ab Beginn des Wintersemester (oft am 1.9.2020) bis zum Vorlesungsbeginn am 1.11.2020?
    - Wie sollen die vielen praktischen Übungen mit Präsenzpflicht, Praktika, Hausarbeiten, Abschlussarbeiten u.s.w. noch in dem kurzen Sommersemester bis Ende August erbracht werden?
    - Und was passiert, wenn die pandemiebedingten Einschränkungen noch länger - z.B. bis Mitte Mai - andauern?
    Dann zerplatzt der KMK-Beschluss wie eine Seifenblase - zu Lasten der Studierenden und Lehrenden!