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"Wir sind uns bewusst, dass von uns Antworten erwartet werden"

Es ist eine Massen-Studie, auf die viele Eltern gehofft haben: Vier
baden-württembergische Unikliniken wollen herausfinden, welche Rolle Kinder bei der Verbreitung des Coronavirus tatsächlich spielen.
Dürfen im günstigsten Fall schon bald viel mehr Kinder wieder in die Kita und zur Schule gehen? Ein Interview mit Studienkoordinator
Georg Friedrich Hoffmann.

Foto: Iris Hamelman/pixabay - cco.

Herr Hoffmann, am Dienstag hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann in der Regierungspressekonferenz eine Studie zur Corona-Infektionshäufigkeit bei Kindern angekündigt – die Sie koordinieren. 

 

Seit der Pressekonferenz steht das Telefon bei uns nicht mehr still. Das öffentliche Interesse ist gewaltig. Das der Politik auch. Letzten Freitag haben wir auf Wunsch der Landesregierung gemeinsam mit den anderen Universitätsklinika in Baden-Württemberg die erste Studienskizze ausgearbeitet, am Mittwoch hatte ich schon die ersten Patienten für die ersten Abstriche da. Wir sind uns bewusst, dass von uns Antworten erwartet werden. Wir hoffen, dass wir einige davon werden liefern können.

 

Von welchen Antworten sprechen Sie?

 

Wir haben schon im frühen Verlauf der Pandemie beobachten können, dass Kinder viel seltener wahrnehmbar an COVID-19 erkranken, dass es selbst in Risikogruppen wie Krebspatienten kaum zu schweren Krankheitsverläufen kommt und dass zum Glück nur sehr, sehr wenige Unter-10-Jährige an dem Virus sterben. Das steht in einem krassen Gegensatz etwa zu den Erfahrungen bei der Grippe, wo die ganz Jungen und die sehr Betagten stets die gefährdetsten Altersgruppen sind. Doch warum das so ist, können wir bislang nicht sagen. Wir wissen nicht, wie stark Kinder sich überhaupt anstecken und ob die Tatsache, dass sie so selten sichtbar krank werden, zugleich bedeutet, dass sie die Krankheit viel weniger weitergeben. 


Georg Friedrich Hoffmann ist Ärztlicher Direktor der Universitätskinderklinik Heidelberg, Professor für Kinderheilkunde und Mitglied der  Leopoldina–Nationale Akademie der Wissenschaften. Foto: Uniklinikum Heidelberg.


Und obwohl die Kinder so selten erkranken und man nicht weiß, ob und wie stark sie überhaupt ansteckend sind, hat die Politik zur Eindämmung der Corona-Pandemie als erstes die Kitas und Schulen rigoros dichtgemacht?

 

Hat sie, und das war auch richtig so. Solange es kein gesichertes Wissen gibt, muss man zumindest von der Möglichkeit ausgehen, dass Kinder eine wesentliche Rolle bei der Übertragung des Coronavirus spielen. Und dass der Umstand, dass sie nicht sichtbar krank werden, sie noch gefährlicher macht. Erkrankte Erwachsene fühlen sich schlapp, bekommen Husten und Fieber und bleiben zu Hause. Kinder bleiben fit, 


setzen ihr soziales Leben fort – und geben das Virus potenziell weiter. Zumal sie in Kitas und Schulen immerzu in großen Gruppen unterwegs sind, während viele Erwachsene selbst in normalen Zeiten auch mal im Homeoffice arbeiten. Das war und ist die Hypothese, und die reichte vor allem in der Phase, als wir erstmal die Neuinfektionen unter Kontrolle bekommen mussten, als Argument für die Schließungen aus. 

 

Wenn es aber doch parallel so starke Anzeichen gibt, dass die Kinder möglicherweise eine viel geringere Rolle bei der Verbreitung von Corona spielen, hätte man dann nicht parallel zu den Schließungen sofort Studien starten müssen, um schleunigst Klarheit zu schaffen?

 

Sicher hätten wir solche Studien schon vor einigen Wochen beginnen können, aber ich finde es verständlich, dass bei der ersten Infektionswelle erstmal die Schwerkranken und ihre Erforschung im Vordergrund stand. Doch jetzt ist der Handlungsdruck dafür umso höher: Die Eindämmung der Pandemie hat so gut funktioniert, dass wir in der Lage sind, die Infektionen zu steuern, ohne dass es bislang oder absehbar zu einer Überlastung des Gesundheitssystems gekommen ist. Deshalb diskutieren wir jetzt ja über Lockerungen. Und die Frage, wann die Kitas und Grundschulen an der Reihe sind, wird zu Recht von Eltern und Bildungswissenschaftlern zunehmend drängend gestellt. 

 

Auch deshalb, weil vergangene Woche eine groß angelegte Studie aus Island ergeben hat, dass Kinder sich tatsächlich viel seltener infizieren. 

 

Es gab aber zum Beispiel auch eine Studie aus China, derzufolge kleinere Kinder sich durchaus ähnlich häufig infizieren können. Wobei sich die Frage der Übertragbarkeit der Ergebnisse beider Studien auf Deutschland schon stark stellt angesichts der im Schnitt viel kleineren Wohnungen und der viel strengeren Quarantäne in China, wo die Kinder mit ihren Eltern über Wochen auf engsten Raum verbringen mussten.

 

"Wir hoffen, dass wir mit unserer Studie
die isländischen Ergebnisse bestätigen können."

 

Und was ist mit der isländischen Studie? 

 

Die isländische Studie halte ich für sehr gründlich gemacht. Im Wesentlichen wurden dort zwei Gruppen untersucht: Die eine bestand aus Leuten mit einer höheren Erkrankungswahrscheinlichkeit, weil sie zum Beispiel gerade aus China zurückgekehrt waren oder aus den europäischen Skigebieten; die andere war eine allgemeine Bevölkerungsstichprobe mit insgesamt über 18.000 Beteiligten. Die Ergebnisse lesen sich beeindruckend: Bei der mit höherer Wahrscheinlichkeit erkrankten Gruppe waren prozentual nur halb so viele Kinder erkrankt wie Erwachsene. Demnach ist es keineswegs so, dass sich die Unter-10-Jährigen nie anstecken, aber möglicherweise deutlich seltener. Bei der allgemeinen Stichprobe wurde sogar kein einziges infiziertes Kind unter 10 Jahren entdeckt. 

 

Was folgt daraus?

 

Man könnte vermuten, dass sich kleinere Kinder tatsächlich seltener anstecken und es nicht viele asymptomatisch infizierte Kinder gibt. Aber Medizin ist eine Erfahrungswissenschaft. Unsere Hoffnung ist, dass wir die isländischen Ergebnisse durch unsere Studie für Baden-Württemberg bestätigen können, aber wir wissen es eben nicht. Natürlich gibt es auch Kritik an der Untersuchung unserer dortigen Kollegen, weil sie keine Zufallsstichprobe war, sondern über einen Aufruf an die Bevölkerung lief. Womöglich, könnte man annehmen, haben sich dann Leute besonders häufig gemeldet, die eher fürchteten, an Corona erkrankt zu sein. Auch wird argumentiert, dass Island als Insel so isoliert sei, dass die Verbreitung des Virus dort mit vielen anderen Ländern nicht vergleichbar sei. Zumal die meisten Erkrankungen nach Island eingeschleppt wurden und es noch früh in der Epidemie war. Und dennoch bleibt es frappierend, dass die Isländer bei der allgemeinen Bevölkerungsstichprobe auf eine Erkrankungsrate von 0,0 Prozent bei den Kindern gekommen sind. Das lässt nur zwei Interpretationen zu: Entweder ist die Bias der Studie wirklich sehr stark, oder es ist etwas dran. Und das wollen wir für Baden-Württemberg herausfinden.  

 

Was genau haben Sie vor?

 

Wir planen, in Heidelberg und an den anderen Studienstandorten in Freiburg, Ulm und Tübingen jeweils 500 Eltern-Kind-Paare zu untersuchen. Jeweils ein Kind und ein Elternteil, so dass wir am Ende 2000 Kinder und 2000 Eltern in der Studie haben. Wir nehmen nur Haushalte mit Kindern zwischen einem und zehn Jahren, also im Kita- und Grundschulalter. Wir testen sie per Nasenabstrich auf aktuelle COVID-19-Erkrankung und machen zusätzlich einen Antikörper-Bluttest, ob sie in den vergangenen Monaten bereits infiziert waren. 

 

Ist das repräsentativ? >>


4000 Probanden, brennende Forschungsfragen
und ein kurzer Draht zur Politik

Die Studie "Prävalenz von COVID-19 bei Kindern von 1-10 Jahren in Baden-Württemberg", kurz "COVID-19 BaWü", soll Forscher der Universitätskliniken Heidelberg, Freiburg, Ulm und Tübingen vereinen. An den Standorten der vier Klinika werden jeweils 500 Kinder mit einem zugehörigen, im selben Haushalt lebenden Elternteil untersucht – per Nasenabstrich auf eine aktuelle COVID-19-Erkrankung und per Blutprobe auf vorhandene Antikörper, um eine überstandene Infektion nachzuweisen.

 

Die Probanden werden über Aufrufe in landesweiten und lokalen Medien, über soziale Netzwerke und Infoblätter zum Mitmachen motiviert. Es handelt sich also um keine Zufallsstichprobe.

 

Unter anderem folgende Fragen wollen die Forscher beantworten: Wie viele 1- bis 10-Jährige wurden in Baden-Württemberg bereits mit dem Coronavirus infiziert? Sind Kinder unterschiedlichen Alters unterschiedlich stark infiziert? In welchem Ausmaß überträgt sich das Virus von infizierten Eltern nicht auf ihre Kinder – und wie oft stecken infizierte Kinder umgekehrt nicht ihre Eltern an? Welche Rolle spielen bei der Übertragung die Wohnsituation und das berufliche Umfeld der Eltern? 

 

Die 4000 Probanden sollen möglichst schon bis Ende kommender Woche rekrutiert und teilweise getestet sein, kurz darauf sollen auch erste Zwischenergebnisse vorliegen. 

 

Spannend sind nicht nur die potenziellen Ergebnisse, sondern auch, wie die Studie zustande kam. Baden-Württembergs grüne Wissenschaftsministerin Theresia Bauer berichtet, sie habe vergangenen Donnerstag den Charité-Virologen Christian Drosten in einer Kabinettssitzung gefragt, welche Forschungsfragen derzeit aus seiner Sicht am dringendsten seien. 

 

Nachdem Drosten unter anderem die Infektionsraten bei Kindern nannte, sei sie sich noch am selben Tag mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann einig gewesen: "Eine solche Studie brauchen wir in Baden-Württemberg."

Weil der Ministerpräsident führende Mediziner regelmäßig in einem Corona-Expertenkreis konsultiert, war der Weg zu den Wissenschaftlern dann kurz: Schon tags darauf, am Freitag, legten die Heidelberger Professoren los – und suchten sich ihre Partner. Übers Wochenende wurde das Studienprotokoll geschrieben, in dieser Woche befassten sich Ethikkommissionen mit der Untersuchung. Die Heidelberger konnten schon am Mittwoch starten, die anderen Kliniken können voraussichtlich schnell folgen. 

 

"Bei allen Einschränkungen an persönlichen Freiheiten, die wir der Bevölkerung zumuten müssen, sind Kinder die Hauptbetroffenen", sagt Theresia Bauer. Kinder hätten ein anderes Zeitempfinden, was längere Kita-Schließungen besonders hart für sie machten. "Wir nehmen ihnen die Kita, die Schule, den Zugang zu ihren Freunden. Deshalb ist es eminent wichtig, mehr darüber zu wissen, ob diese Einschränkungen überhaupt epidemiologisch gerechtfertigt sind", sagt Bauer weiter. Hier gehe es nicht nur um eine theoretisch interessante Forschungsfrage, sondern um junge Menschen und ihr seelisches und körperliches Wohlbefinden. 

 

Die Universitäten hätten die Finanzierung der Studie zwar aus ihren Bordmitteln vorgestreckt, doch sie könnten sich darauf verlassen, dass die Politik sie dafür kompensiere, sagt Bauer. Klar sei aber auch, dass kein zu großer Zeitdruck auf die Wissenschaftler ausgeübt werden dürfe. "Die Ergebnisse müssen ein verlässliches wissenschaftliches Fundament haben, sie müssen auch von nicht beteiligten Wissenschaftlern kommentiert werden können", sagte Bauer mit Blick auf die Kritik an der Bonner Heinsberg-Studie. Die nötige wissenschaftliche Gründlichkeit liege aber auch im Interesse der Politik. "Am schlimmsten wäre eine Hü-Hott-Politik mit Lockerungen heue und deren Korrektur morgen."

 

Wie aussagekräftig schon die ersten vorläufigen Ergebnisse seien, sagte die Wissenschaftsministerin, entscheide sich an der Signifikanz der entdeckten Unterschiede bei den Infektionshäufigkeiten zwischen den Kindern und den Erwachsenen in der Studie. 



 

>> Wir versuchen, möglichst nah an eine Repräsentativität heranzukommen. Aber auch wir arbeiten per Aufruf, sich an der Studie zu beteiligen. Wir streuen ihn sehr breit, doch am Ende liegen unsere vier Universitätskliniken natürlich in vier Unistädten, und die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Stadtbevölkerung deutlich in der Mehrheit sein wird. Umgekehrt aber decken wir mit den vier Städten und ihrem Umfeld eine weite regionale Breite in Baden-Württemberg ab.

 

"Das wäre natürlich
das Traumergebnis."

 

Was können Sie damit herausfinden?

 

Wir können bestimmen, ob bei den von uns untersuchten Eltern-Kind-Paaren die Erwachsenen tatsächlich signifikant häufiger positiv auf das Virus oder auf Antikörper getestet werden als die Kinder. Durch die Schließung der Kitas und Schulen waren die Familien in den vergangenen Wochen sehr viel zusammen, damit wäre ein Nachweis erbracht, dass die Infektionshäufigkeit bei Kindern in der Tat niedriger anzusetzen wäre. Interessant ist auch der Vergleich mit denjenigen Kindern, die die ganze Zeit in der Notbetreuung waren und somit ständig Kontakt mit anderen Kindern hatten. Auf der Grundlage unserer Ergebnisse könnte mit sehr viel besserem Gewissen die politische Entscheidung getroffen werden, ob die Kitas und Grundschulen schneller und umfassender geöffnet werden können. 

 

Warum?

 

Weil bei einem signifikanten Unterschied zwischen Eltern und Kindern klar wäre: Selbst wenn die ganz kleinen Kinder nicht in der Lage sind, einen Mundschutz zu tragen, ist das nicht wirklich tragisch, weil sie nicht nur selten erkranken, sondern auch selten überhaupt infiziert und damit für andere ansteckend werden. Das wäre natürlich das Traumergebnis. Ob es so kommt, wissen wir nicht. Und selbst wenn, wäre jede Öffnung mit weiterhin genauem Monitoring der Infektionszahlen verbunden. In jedem Fall aber können wir feststellen, wie viele der Studienteilnehmer tatsächlich infiziert waren oder infiziert sind – und so Rückschlüsse ziehen auf die Dunkelziffer hinter den offiziellen Infektionszahlen in Baden-Württemberg. 

 

Womit sich das Interesse der Politik erklärt. 

 

Ja, wobei ich vermute, dass all jene, die glauben, wir stünden praktisch schon kurz vor der Herdenimmunität mit 60, 70 Prozent Infizierten, eines Besseren belehrt werden. Wenn fünf Prozent Infizierte herauskommen, wäre das schon immens – und immer noch ein Vielfaches der offiziellen Infektionszahlen. Klar ist, wir werden die Pandemie noch sehr lange durch Eindämmungsmaßnahmen steuern müssen.

 

"Eine solche Wahnsinnsgeschwindigkeit
habe ich noch nie erlebt."

 

Aber die Frage ist eben, mit welchen. Die Politik hofft jedenfalls dringend auf empirische Rückendeckung für ihre politischen Entscheidungen zu den Kita- und Schulschließungen. 

 

Das habe ich in der Tat noch nie erlebt, eine solche Wahnsinnsgeschwindigkeit. Letzten Donnerstag kam in einer Konferenz von Experten und Regierungsmitgliedern, bei der ich nicht dabei war, die Idee auf, eine Untersuchung der Normalbevölkerung speziell bei Kindern zu machen, um Daten im Zusammenhang mit der Frage möglicher Kitaöffnungen zu sammeln. Macht sofort diese Studie, hat die Politik uns dann vermittelt. Letzten Freitagmorgen wusste ich noch nichts, jetzt sind wir schon durch die Ethikkommission, und während wir reden, werden ein paar Räume weiter Studienteilnehmer untersucht. Wenn alles glatt läuft, sind wir Ende kommender Woche mit den 4000 Abstrichen durch. 

 

Hohe Geschwindigkeit, maximale politische Erwartungen: Machen Sie sich keine Sorgen, dass das die wissenschaftliche Qualität der Studie beeinträchtigen könnte?

 

Wir sind vier Universitätskliniken im Verbund, wir arbeiten mit aller gebotenen Sorgfalt, wir weisen von Anfang an auf mögliche Beschränkungen in der Aussagekraft hin. Auf die Überrepräsentation der vier Unistädte zum Beispiel. Oder auch auf die Tatsache, dass jedes Testverfahren nie zu 100 Prozent zuverlässig sein kann. Trotzdem ist es das erste Mal, dass wir in Deutschland populationsbezogen – auf Kinder und ihre Eltern – eine umfangreiche Untersuchung zum Stand der Verbreitung des Coronavirus durchführen. 

 

Wann gibt es die ersten Ergebnisse?

 

Wir hoffen, der Politik in der Woche ab 4. Mai erste vorläufige Zahlen vorlegen zu können.

 

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck und sein Team wurden heftig dafür kritisiert, dass sie ihre Heinsberg-Studie auf Druck der Politik zu frühzeitig präsentiert hätten – ohne die ganze Studie parallel der Wissenschaftscommunity vorgelegt zu haben.

 

Das ist genau der Zielkonflikt zwischen den schnellen Antworten, die die Politik braucht, und der gründlichen Auswertung, die die Wissenschaft zu Recht verlangt. Wir werden ganz sicher auf der Grundlage der vorläufigen Ergebnisse nichts behaupten, was sich nicht schon ganz sicher aussagen lässt. Aber vielleicht fallen die Ergebnisse ja eindeutiger aus, als wir denken. Und wir werden unmittelbar mit den Ergebnissen auch die Methodik offenlegen und so schnell es nur geht, auch noch im Mai, die gesamte Studie öffentlich zugänglich machen. 

 

Im Fall der Heinsberg-Studie wurde auch die Zuverlässigkeit der angewandten Antikörper-Tests in Frage gestellt. Warum sollte das bei Ihnen anders sein?

 

Die Kollegen in Heinsberg haben mit dem besten Wissen, das ihnen zu dem Zeitpunkt vorlag, eine Studie erstellt, die zeitlich höchst dringlich war und dabei die vom Anbieter genannte Spezifität von 99 Prozent zugrunde gelegt. Wir können die Qualität der Tests mit drei Wochen zusätzlicher Erfahrung etwas besser beurteilen. Die Kritik an den derzeit verfügbaren Antikörpertests ist durchaus berechtigt und verschiedene Kollegen berichten unterschiedliche Daten zur Validität verschiedener Tests und deren Spezifität. Deswegen ist es wichtig, die Ergebnisse mit einem zweiten Test zu validieren, wie das von unseren Virologie-Kollegen geplant ist. Und doch: Gewisse Unschärfen muss man immer mitdenken – und kann versuchen, sie bei der Auswertung auch statistisch ausgleichen. Das werden wir tun. 



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Kommentare: 3
  • #1

    Charlotte Schubert (Sonntag, 26 April 2020 09:49)

    Lieber Herr Wiarda, wie sehen Sie den in diesem Interview durchscheinenden, sehr vorsichtigen Optimismus bezüglich der möglicherweise geringeren Infektiosität bei Kindern im Hinblick auf die aktuelle Stellungnahme des RKI:

    https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/19_20_02.pdf?__blob=publicationFile
    ?
    Mein Eindruck ist, daß der Druck von Eltern derzeit darauf hinausläuft, Kitas und Schulen zu schnell zu öffnen und daß damit die bisherigen- vorläufigen - Erfolge der Eindämmungsstrategie aufs Spiel gesetzt werden.
    Beste Grüße
    Charlotte Schubert

  • #2

    Jan-Martin Wiara (Sonntag, 26 April 2020 11:08)

    Liebe Frau Schubert,

    zunächst eine Anmerkung vorab: Aus meiner Perspektive als Bildungsjournalist bin ich schon seit einer Weile der Meinung, dass die Belange der Kinder in der aktuellen Debatte um die gesundheitlichen und gesellschaftlichen Corona-Risiken wie ihrer Abwehr eine zu geringe Rolle gespielt haben. Insofern begrüße ich es grundsätzlich, dass die Bedürfnisse der Kinder und ihre massiven Einschränkungen und Gefährdungen durch die Eindämmungsmaßnahmen jetzt gerade aufgrund des Drucks der Eltern stärker ins Blickfeld geraten – auch in der Abwägung der notwendigen Maßnahmen.

    Ich bin kein Virologe, daher kann ich nur feststellen, dass es offenbar keine einheitlichen Schlussfolgerungen aus der von allen gemachten Beobachtung gibt, dass Kinder seltener sichtbar erkranken. Hier weichen die Interpretationen und Schlussfolgerungen je nach Wissenschaftler/Institution in der Tat stark voneinander ab.

    Einig sind sich aber alle, so scheint es mir, dass a) eine gewisse und stufenweise Öffnung von Kitas und Schulen vertretbar ist in der Abwägung der Gesamtumstände, dass diese b) durch ein enges Monitoring begleitet werden muss (genauso übrigens wie alle anderen Öffnungsmaßnahmen!) und dass c) dringend mehr und aussagekräftigere Studien zur Rolle von Kindern im Infektionsgeschehen nötig sind.

    Vorsichtig optimistisch – oder sagen wir: hoffnungsvoll – bin ich als Bildungsjournalist auch, dass die baden-württembergische Studie einige Ansatzpunkte geben wird für weitere politische Öffnungsentscheidungen. Und sehr energisch bin ich mit meiner Meinung, dass wir in jedem Fall, siehe oben, nicht von den Kindern den höchsten gesellschaftlichen Preis abverlangen können, ohne die Schließungen politisch energisch zu flankieren: durch die nötigen Studien, um das nötige Wissen zu schaffen (wie die jetzt gestartete), durch massive Investitionen in die digitale Bildung, durch Öffnungen soweit wie vertretbar und durch eine klare und tatkräftige Unterstützung der betroffenen Familien und Eltern, die meist berufstätig sind.

    Mein Eindruck ist, hier hat die Politik sehr viel nachzuarbeiten. Und wenn Sie mich fragen, worum ich mich mehr sorge in Bezug aufs Infektionsgeschehen: nicht, wenn die Kitas schrittweise öffnen – sondern wenn einzelne Bundesländer erwägen, verkaufsoffene Sonntage zu veranstalten, wenn sie beschließen, die Friseure wieder zu öffnen oder Gottesdienste ohne Zahlenbeschränkungen zuzulassen – vor allem bei letzterem denke man an das Durchschnittsalter der Besucher.

    Herzliche Grüße und einen schönen Sonntag
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #3

    Maria Sibylla (Mittwoch, 29 April 2020 14:47)

    Danke für diese ausführliche Einschätzung!