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Das Ceterum Censeo der Kultusminister

Wer die letzte Seite des gestern an die Regierungschefs geschickten Schulöffnungskonzepts der KMK noch einmal genau liest, lernt viel über das Denken der Bildungspolitiker in der Krise.

MIT EINEM TAG ABSTAND verdient der Ausblick im gestern von den Kultusministern verabschiedeten "Rahmenkonzept für die Wiederaufnahme von Unterricht in Schulen" noch einmal Beachtung, vor allem die allerletzte Seite, auf der die Bildungsminister sechs Punkte aufgeschrieben haben, die nach ihrem eigenen Eingeständnis "über den Auftrag der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten" hinausgehen. Doch wollten sie  "zusammenfassend... für die weiteren Schritte Folgendes" festhalten, schreiben die Bildungspolitiker, und was dann kommt, klingt wie ihr ungefragtes, aber tatsächlich entscheidende "Ceterum Censeo". 

 

Punkt 1 bezeichnet "das Recht auf Bildung aller Schüler und die Wahrung der Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit" als "von zentraler Bedeutung". Im nächsten, ebenfalls noch zu diesem Punkt gehörenden Satz kommt die Einschränkung: Gleichwohl hätten der Infektions- und Gesundheitsschutz aller Schüler "sowie der Lehrkräfte und des weiteren Personals an Schulen höchste Priorität." Dies müsse Maßgabe für alle weiteren Schritte sein, schreiben die Kultusminister. Fakt bleibt aber, dass sie das Recht auf Bildung und die Chancengleichheit noch davor, im ersten Satz und als "zentral" erwähnt haben. Was zeigt, dass sie es sich und ihren Chefs beim Abwägen mit dem Argument "Infektionsschutz geht über Bildung" nicht zu leicht machen wollen.

 

Punkt 2 enthält den gestern vielzitierten Satz, dass "nach dem jetzigen Stand... vor den Sommerferien aufgrund des Abstandsgebots kein uneingeschränkt regulärer Schulbetrieb mehr möglich sein" werde. Interessanterweise sendet der Satz eine schwächere Botschaft als die Formulierung, die KMK-Präsidentin Stefanie Hubig (SPD) gestern für die Presse wählte. Hubig hatte gesagt: "Wir haben übereinstimmend festgehalten, dass es angesichts der aktuellen Situation vor den Sommerferien kein reguläres Unterrichtsgeschehen mehr geben wird." An anderer Stelle im gestern beschlossenen Papier schreiben die Kultusminister, dass abhängig von der Entwicklung des Infektionsgeschehens eine Rückkehr zu einem "geordneten Schulbetrieb" möglich sei, doch könne der aufgrund der geltenden Abstandsregeln nicht dem "regulären Schulbetrieb" entsprechen. Eine interessante Differenzierung. Im Entwurf des Rahmenkonzepts wiederum hatte vor der Bearbeitung durch die Minister der Satz gestanden: Zum jetzigen Zeitpunkt muss davon ausgegangen werden, dass ein geordneter und vollständiger Schulbetrieb frühestens erst wieder nach den Sommerferien aufgenommen werden kann." Das war den Ressortchefs aber offenbar doppelt zu weitgehend: durch die Absage an einen "geordneten" Schulbetrieb und die Perspektive "frühestens erst wieder nach den Sommerferien". 

 

Punkt 3 betont noch einmal, dass die weiteren schrittweisen Öffnungen der Schulen "grundsätzlich" in Jahrgangsstufen oder in Lerngruppen erfolgen solle. Zusätzlich können für Schülerinnen mit Unterstützungsbedarf pädagogische Präsenzangebote gemacht werden – was einen Bezug zur in Punkt 1 betonten "Wahrung der Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit" herstellt. 

 

Punkt 4 tut dies ebenfalls – und ist, wie gestern bereits ausgeführt, in gewisser Weise das Pendant zur Ansage, dass bis zum Schuljahrsende voraussichtlich "kein regulärer Schulbetrieb" mehr möglich sein wird. Regulär nicht, sagen die Kultusminister, aber: "Jede Schülerin und jeder Schüler soll bis zu dem Beginn der Sommerferien tage- oder wochenweise die Schule besuchen können."

 

Punkt 5 enthält eine Bestandsaufnahme, eine Forderung und ein Versprechen: "Bis zu den Sommerferien wird das Lernen zu Hause – in engem Bezug zu dem im Wechsel angebotenen Präsenzunterricht – weiterhin stattfinden und ausgebaut werden. Das digitale Lernen und Lehren muss weiterentwickelt werden. Dazu sollen die Länder Empfehlungen zur Kontaktaufnahme zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern geben." Die Bestandsaufnahme: Das Homeschooling bleibt angesichts des eingeschränkten Präsenzunterrichts unverzichtbar, soll sogar – diese Forderung geht offenbar an Schulträger, Schulen, Lehrkräfte, aber auch an die Länder selbst – strategisch und pädagogisch über die ersten Notmaßnahmen hin ausgebaut werden. Und das Versprechen am Ende, dass die Länder Empfehlungen herausgeben sollen, ist zugleich auch eine Ansage an die Lehrer: Die Kontaktaufnahme zu den Schülern hat bestimmten Regeln zu folgen, nicht jede Lehrkraft kann selbst entscheiden, ob und in welcher Art sie mit den Schülern im Austausch steht. Zu zahlreich waren in den vergangenen Wochen die Berichte, dass Schüler nach dem Erhalt der Homeschooling-Aufgaben gar nichts mehr von ihren Lehrern gehört hatten – während andere Pädagogen tatkräftig und fast täglich den Kontakt suchten. 

 

Punkt 6 schließlich ist eine Enttäuschung. "Schülerinnen und Schülern mit Unterstützungsbedarf, die nicht über digitale Endgeräte verfügen", heißt es da, "werden aus den vom Bund zur Verfügung gestellten 500 Millionen Euro über die Schulen digitale Endgeräte bereitgestellt." Mit anderen Worten: Die Länder wollen nach jetzigem Stand aus ihrem Budget keinen einzigen Euro oben drauflegen – womit es bei 150 Euro pro bedürftigem Schüler bliebe. Positiv ist immerhin, dass dem Wortlaut zufolge die Schulen mithilfe des Geldes angeschaffte digitale Endgeräte an die Schüler ausgeben würden – anstelle eines aufwändig zu administrierenden Kaufzuschusses. So wollen es zumindest die Länder, eine endgültige Vereinbarung dazu zwischen Bund und Ländern ist bislang aber nicht bekannt. 



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