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Immer mehr Länder kündigen an, dass sie schneller zu einer neuen Form des Regelbetriebs in Kitas und Schulen zurückkehren werden. Die weitestgehenden Pläne hat heute Schleswig-Holstein präsentiert.

JETZT ALSO AUCH Schleswig-Holstein: Im nördlichsten Bundesland sollen Kitas und Grundschulen wieder an allen Tagen und für alle Kinder öffnen, die Grundschulen vom 8. Juni an, die Kitas mit einem Zwischenschritt spätestens ab 29. Juni. Nach den Sommerferien sollen dann alle Schulen im Land wieder täglichen Präsenzunterricht anbieten, auch für die älteren Schüler. "Unser Plan ist, im neuen Schuljahr wieder nach den Fachanforderungen und der geltenden Stundentafel zu unterrichten", sagt Bildungsministerin Karin Prien (CDU). "Den digitalen Innovationsschub, den die Krise gebracht hat, wollen wir natürlich mitnehmen, aber es soll ein reguläres Schuljahr werden, unter Aufgabe der Abstandsregeln, aber natürlich mit Hygieneauflagen."

 

Mit der Ankündigung Schleswig-Holsteins verstärkt sich der Trend der vergangenen Tage. Gestern erst hatte Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) angekündigt, die Kitas und Grundschulen bis Ende Juni wieder vollständig zu öffnen. Ebenfalls gestern hatte Sachsen-Anhalts Kultusminister Marco Tullner (CDU) den 15. Juni als spätesten Termin genannt, von dem an Grundschüler wieder täglich in die Schule gehen sollen. Kitas sollen vom 2. Juni an in den sogenannten eingeschränkten Regelbetrieb gehen. Als erstes Bundesland hatte Sachsen bereits am 18. Mai den täglichen Präsenzbetrieb in Kitas und Grundschulen wieder aufgenommen. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hatte zuletzt ebenfalls den Regelbetrieb in den Schulen nach den Sommerferien in Aussicht gestellt – allerdings unter bestimmten Voraussetzungen wie sogenannten Pool-Testungen in Kitas und Schulen. Die Thüringer Kitas machen spätestens am 15. Juni komplett auf.

 

Was vor einem Monat ausgeschlossen schien,
wird mit einem Mal vorstellbar

 

Hinzu kommen Länder, die bislang nur für die Kitas die Rückkehr zum Corona-Regelbetrieb angekündigt oder bereits umgesetzt haben: Mecklenburg-Vorpommern seit dieser Woche, im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen dürfen vom 8. Juni an wieder alle Kinder täglich in die Kita gehen. 

 

Damit wird vorstellbar, was vor zwei Wochen und erst recht vor einem Monat noch ausgeschlossen schien: dass in der Mehrzahl der Bundesländer die Zeit der pandemiebedingten Kita- und Schulschließungen vor Beginn des neuen Schuljahrs enden könnte. Was ist anders geworden in den vergangenen Tagen?

 

Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) sagt: "Es wurde zunehmend schwer vermittelbar, warum alle möglichen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wieder anfahren, wir aber ausgerechnet in Kitas und Schulen eine besonders große Vorsicht walten lassen."

 

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Prien sagt, das Infektionsgeschehen habe sich deutlich verlangsamt. Hinzu komme, dass es in ihrem Bundesland in der gesamten Zeit der Notbetreuung an Kitas und Schulen keinen einzigen Infektionsfall gegeben habe. Und auch alle Abschluss- und Abiprüfungen der vergangenen Wochen seien komplett ohne Erkrankungsfälle über die Bühne gegangen. "Wichtig ist schließlich, dass die Studienlage, also das, was wir über die Ausbreitung des Virus wissen, mehr Klarheit bietet als noch vor vier oder sechs Wochen." 

 

Neue Corona-Studie: Kinder
werden seltener krank

 

Prien spielt auf die in den vergangenen Wochen kontrovers diskutierte Frage an, welche Rolle Kinder bei der Ausbreitung der Pandemie spielen. Für Aufsehen sorgten gestern erste Ergebnisse einer großangelegten Studie, die Baden-Württembergs Uniklinika auf Wunsch der Landesregierung durchgeführt hatten. 2500 Kinder unter 10 Jahren und 2500 Elternteile wurden sowohl auf eine aktuelle Corona-Erkrankung als auch auf Antikörper getestet, die auf eine überstandene Infektion hinweisen.

 

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) berichtete in der gestrigen Regierungspressekonferenz, dass Kinder signifikant seltener die die Erkrankung durchgemacht hätten als die Erwachsenen. Kretschmanns Parteikollegin, Wissenschaftsministerin Theresia Bauer, sagte heute: "Die Wissenschaftler signalisieren, dass diese Aussagen bereits belastbar sind. Kinder sind keine Treiber der Infektion." Bislang haben die Wissenschaftler nur Trends mitgeteilt, die vollständige Studie und die exakten Zahlen sollen bald folgen.

 

Bauer sagt, für sie sei die Schlussfolgerung schon jetzt eindeutig: "Wir müssen weg von der langsamen, schrittweisen Öffnung von Kitas und Schulen und so schnell wie möglich zurück zum Regelbetrieb." Es gehe um einen Strategiewechsel: "Regelmäßiges Testen, auch präventiv, Begleitforschung, gezielte und schnelle Intervention bei auftretenden Infektionen." Zur Wahrheit gehöre allerdings auch: "Das Virus wird uns erhalten bleiben, insofern muss die neue Normalität in Kitas und Schulen eine andere sein."

 

Kultusministerin Eisenmann kündigte nach Bekanntwerden der ersten Studienergebnisse umgehend die Öffnung von Kitas und Grundschulen an. Die weiterführenden Schulen sollten allerdings weiterhin in der Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht bleiben. In den nächsten Wochen, sagt Eisenmann, würden die Träger der Grundschulen nun Konzepte erarbeiten, welche Hygienemaßnahmen weiter einzuhalten seien. Klar sei aber: Die Abstandsregel werde innerhalb des Klassenverbandes bzw. der Kitagruppe aufgehoben, dafür würden die einzelnen Gruppen und Klassen getrennt voneinander bleiben, auch auf dem Schulhof.

 

Wie in Sachsen werde die Schulbesuchspflicht vorerst ausgesetzt. "Das heißt: Eltern können sich auch entscheiden, ihre Kinder im Fernunterricht zu belassen", sagte Eisenmann. "Ich gehe aber davon aus, dass der Großteil der Kinder in die Schulen zurückkehren wird." Sachsens Kultusminister Christian Piwarz (CDU), der die Schulbesuchspflicht nach einer Gerichtsentscheidung aussetzte, berichtet, dass 95 Prozent der Schüler wieder am Präsenzunterricht teilnähmen.

 

Was ist mit den
älteren Lehrkräften?

 

Klar ist: Die komplette Schulöffnung gelingt selbst bei Aufhebung der Abstandsregeln nur, wenn möglichst viele Lehrkräfte in den Präsenzunterricht zurückkehren. In Baden-Württemberg soll es über 60 Jahre alte Lehrkräften dennoch zunächst weiter freigestellt sein, ob sie zum Präsenzunterricht kommen. "Vielleicht steuern wir hier aber auch nochmal nach", sagte Eisenmann. Klar sei, dass Lehrer mit einem besonderen Erkrankungsrisiko nicht in den Schulen unterrichten müssten und dafür schwerpunktmäßig diejenigen Kinder versorgen würden, die im Fernunterricht bleiben. Sie gehe davon aus, dass in der ersten Phase des Corona-Regelbetriebs täglich zwei bis drei Stunden an den Grundschulen unterrichtet werden könnten, weshalb man sich auf die Hauptfächer konzentrieren werde. 

 

Andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen und Berlin wollen mit Verweis auf neue Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) die bisher sehr großzügigen Regelungen ändern und grundsätzlich das Vorlegen von Attesten verlangen. Auch Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Prien sagte, dass künftig eine Selbsteinschätzung der Lehrkräfte nicht mehr ausreichen werde. Zum ärztlichen Attest werde gegebenenfalls noch eine betriebsärztliche Untersuchung kommen. Prien sagte aber auch, dass bislang lediglich 12 Prozent der Lehrkräfte die Rückkehr in die Schulen für sich selbst als zu riskant eingeschätzt hätten.

 

In Schleswig-Holstein sollen die Gruppen und Klassen ebenfalls möglichst getrennt voneinander bleiben, es soll weitere Hygieneauflagen geben. Schon in der letzten Woche vor den Ferien sollen auch die Schüler der weiterführenden Schulen in die Schulen zurückkehren und an einzelnen Tagen im Klassenverband unterrichtet werden, dabei sollen die Erfahrungen während der Schulschließungen besprochen werden, zusätzlich sollen die Lehrer einschätzen, welche Schüler im Rahmen des geplanten "Lernsommers Schleswig-Holstein" besondere Zusatzangebote bekommen sollen, um entstandene Lücken aufzuarbeiten. 

 

Prien verweist auf das bislang "sehr erfolgreiche Management der Krise in Deutschland", zu denen auch die Schließung von Kitas und Schulen gehört habe. Allerdings müsse man immer abwägen: "Das eine ist, was Virologen uns zur maximalen Reduzierung des Infektionsrisikos empfehlen. Das andere sind das Recht der Kinder auf Bildung und das Recht von Eltern auf die Vereinbarkeit von Erziehung und Beruf. Deshalb müssen wir zu einer anderen Abwägung kommen."

 

Zurückhaltende Töne kommen
von der KMK-Präsidentin

 

Während Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und andere Tempo machen, kommen von anderen Kultusministern zurückhaltendere Töne. Stefanie Hubig, SPD-Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz und diesjährige Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), sagte: "Wir alle wollen möglichst schnell zu möglichst viel Normalität zurück. Dazu stehen wir im ständigen Austausch mit den Gesundheitsexpertinnen und -experten." Die Politik trage Verantwortung dafür, dass die Kinder in Bildung und wieder in die Schule kommen. Die weiter nur schrittweisen Schulöffnungen in Rheinland-Pfalz sollen daher mit Corona-Tests bei mindestens 1500 Schülern, Kitakindern und Mitarbeitern begleitet werden, die einmal vor und einmal nach den Sommerferien ohne Anlass auf eine Infektion untersucht werden sollen.

 

Auf der anderen Seite, sagte Hubig weiter, dürfe nicht verspielt werden, "was wir in den letzten Monaten erreicht haben beim Infektionsgeschehen. Wir tragen auch Verantwortung für die Gesundheit aller in Schule und Kita." Lockerungen könne es immer dann geben, sobald sie verantwortbar für die Schulen seien, "weil wir nicht wollen, dass irgendwann eine zweite Infektionswelle über uns hereinbricht."

 

Und während Sachsen, Baden-Württemberg & Co die Abstandsregeln in der Grundschule aufgeben, sagt Hubig, sie finde, dass das Abstandhalten in den Grundschulen "durchaus  funktioniert. In der einen oder anderen Situation mag die Umsetzung schwierig sein, aber zum großen Teil halten die Unter-10-Jährigen die Regeln sehr gut ein." 

 

Kai Maaz, geschäftsführender Direktor des DIPF | Leibniz-Instituts für Bildungsforschung und Bildungsinformation, sagte, offenbar sei der gesellschaftliche Druck so immens geworden, dass die Kultusminister sich jetzt bewegten. Als Bildungsforscher könne er natürlich eine möglichst weitreichende Öffnung von Kitas und Schulen nur begrüßen, "doch nach dem Stand der medizinischen Erkenntnis schien es mir bislang durchaus geboten, an den Abstandsregeln festzuhalten." 

 

Maaz leitet eine Expertenkommission der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES), die Szenerien zum Unterricht unter Corona-Bedingungen im neuen Schuljahr entwickeln sollte und morgen ihre Empfehlungen vorlegen wird. Er sagt: "Es wäre fahrlässig, wenn man für die Planung des neuen Schuljahres jetzt nur noch von der Option einer totalen Öffnung ausginge." Die wochenlangen Schulschließungen hätten zu wachsenden sozialen Disparitäten geführt, die Lernrückstände seien bei einigen Schülern groß. "Die Schulen können nicht einfach dort weitermachen, wo sie aufgehört haben. Sie müssen einerseits die vergangenen Monate aufarbeiten, und sie müssen andererseits auf den Umgang mit wieder mehr Infektionsfällen vorbereitet sein."

 

Freilich sagen auch die Kultusministerinnen von Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, dass sie für den Fall erneuter Schulschließungen präpariert seien. Aber dann regional, sagt Karin Prien: nach der jeweiligen Lage in bestimmten Kreisen und Schulen, und nicht mehr landes- oder bundesweit. 


NACHTRAG AM 28. MAI:

 

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte in der Augsburger Allgemeinen, die Einschätzung der Infektionslage sei mit Blick auf Kinder und Schulöffnungen besonders schwierig. "Die Wahrheit ist, dass wir bis heute keine wirklich gute, abschließende Studienlage haben, inwiefern Kinder wirklich zur Verbreitung des Virus beitragen." Wie das Infektionsgeschehen verändern würde, wenn Schulen öffnen und Kinder dann zu ihren Eltern oder Großeltern gehen würden. Zu diesem Thema gebe es aktuell "sehr unterschiedliche Meinungen" in der Wissenschaft. Das mache es sehr schwer für die Politik eine Entscheidung zu treffen.

 

Gestern hatte das Spahns Ministerium angekündigt, die geplante Ausweitung von Tests auf Menschen ohne Symptome werde sich auch auf chüler, Lehrerkräfte, Kitakinder und das Personal in Kitas erstrecken. An der notwendigen Verordnung werde gearbeitet.

 

Die Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Susanne Lin-Klitzing, forderte ebenfalls Corona-Tests für Lehrer und Schüler, "wenn die 1,50-Abstandsregel in den Klassenzimmern nicht mehr eingehalten werden kann." Weiter sagte Lin-Klitzing laut Nachrichtenagentur dpa: "Was für die Fußballer recht und billig ist, muss für Lehrer und Schüler erst recht richtig und gerecht sein."  Vor jedem nächsten Schritt und bevor wieder mehr Unterricht stattfinden könne, müssten die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Lin-Klitzing warnte vor "übereilten Schritten bei weiteren Schulöffnungen", wenn der Hygiene- und Gesundheitsschutz nicht gewährleistet werden könne.

 

Die Welt berichtete unterdessen, die Bundesregierung wolle die Öffnung von Kitas mit einer großangelegten Studie zu deren Rolle in der Corona-Pandemieentwicklung begleiten. So war es schon auf der Jugend- und Familienministerministerkonferenz Ende April zwischen Bund und Ländern verabredet worden. Die Untersuchung soll in enger Abstimmung mit den Bundesländern stattfinden und dabei helfen, zu klären, ob und wie stark der Betrieb in den bisher nur teilweise geöffneten Kitas mit einer Häufung von Infektionsfällen einhergehe. Beauftragt wurden das Deutsche Jugendinstitut (DJI) und das Robert-Koch-Institut (RKI). Die Datenerhebung beginnt im Juni und läuft bis März 2021, es sind monatliche Kurz- und Quartalsberichte vorgesehen. Der Abschlussbericht soll im Dezember 2021 vorliegen.



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