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Starke KMK

Das Bildungsabkommen war in Teilen enttäuschend, doch beim zurzeit wichtigsten Thema zeigen die Kultusminister Haltung: Sie wollen die Schulen auch bei steigenden Infektionszahlen offenhalten. Dafür verdienen sie Respekt und Unterstützung.

Foto: Pixabay.

NEIN, DAS WAR NICHT der einfache Weg, den KMK-Präsidentin Stefanie Hubig am Freitag gegangen ist. Das fing damit an, dass sie sich beim Thema Corona allein den Fragen der Presse stellte.

 

Nur einen Tag zuvor, als es um die Präsentation des ersten KMK-Bildungsabkommens seit Jahrzehnten ging, hatten zwei weitere Minister neben ihr in der virtuellen Pressekonferenz gesessen. Den vermeintlich historischen Erfolg wollte man gemeinsam präsentieren, obgleich die Beseeltheit der Kultusminister vor allem daher kam, dass sie sich selbst (noch) weniger zugetraut hatten, als am Ende herauskam. 

 

Bei dem für Freitag angesetzten Briefing war hingegen von Anfang an klar, dass die Kultusminister eigentlich nur schlecht aussehen konnten. Zumindest für all jene, die entschiedene Maßnahmen gegen die zweite Corona-Welle gleichsetzen mit der Forderung, überall dieselben Regeln gelten zu lassen. Was leider auch für einen wachsenden Teil der deutschen Medienlandschaft gilt.

 

In Teilen haben die Forderungen nach denselben Regeln ja auch ihre Berechtigung: Bei der Zahl der erlaubten Kontakte zum Beispiel, bei den Bestimmungen zu Alkoholverzehr oder Beherbergungen. Weil diese Regeln, die das Verhalten jedes einzelnen in der Krise berühren, von allen verinnerlicht und deshalb klar kommuniziert werden müssen – von den Medien, von den Behörden, jederzeit und überall.

 

Schwache Figur bei
der Maskenfrage

 

Auch für die Maskenpflicht gilt das, so dass in der Tat nicht verständlich ist, warum die Kultusminister nicht bundesweit gemeinsame Schwellenwerte setzen: für das – schon bei mittleren Inzidenzen– Tragen auch im Unterricht für Lehrkräfte und ältere Schüler  und, wenn die 7-Tage-Neuinfektionsrate in Landkreisen über die 50 pro 100.000 Einwohnern schnellen, auch für Grundschulkinder. So hatte es das Robert-Koch-Institut (RKI) vergangene Woche empfohlen.

 

Die weitgehende Nichtbeachtung dieser Empfehlung verkaufen zu müssen, war die erste Herausforderung für Hubig, die im Hauptberuf SPD-Bildungsministerin von Rheinland-Pfalz ist. Weil die KMK dadurch – mal wieder – verstärkt durch den parallelen Alleingang einzelner Länder – zögerlich wirkte.

 

Was allerdings von der großen Einigkeit der Kultusminister bei der viel wichtigeren Frage ablenkte: Andere als das RKI es vermeintlich* vorschlägt, wollen sie nämlich fast alle nicht ab Inzidenzen von 50 automatisch zu Abstandsregeln, halben Gruppengrößen und folglich einem Wechsel aus Präsenz- und Distanzunterricht zurückkehren. Die Kultusminister stellten sich damit "offen gegen die Kanzlerin", schimpfte der Blog News4Teacher, weil sie die Empfehlungen des RKI, eine "Bundesbehörde im Zugriff des Kanzleramts", ignorierten.

 

Abgesehen von der doch erheblichen Abwertung des RKI, seiner wissenschaftlichen Eigenständigkeit und damit des Wertes seiner Empfehlungen insgesamt durch diese Beschreibung – inhaltlich trifft der Blog es schon: Die Kultusminister bleiben ihrer Anfang September festgelegten Linie treu, anders als von Merkel gewünscht zwar einem gemeinsam vereinbarten Stufenplan zu folgen, aber ohne exakt festgelegte Stufen. In einzelnen Ländern wie Bayern gibt es solche Pläne zwar, aber selbst dort wurden sie von den Kommunen und Gesundheitsämtern unterschiedlich streng befolgt.  

 

Die Kultusminister vermeiden den einfachen
Weg – und genau das zeigt ihre Entschlossenheit

 

Und genau das machte Hubig die Pressekonferenz am Freitag so schwierig. Weil sie auf wiederholte Journalistenfragen immer nur wiederholen konnte, dass aus Sicht der (meisten) Kultusminister starre Grenzwerte keinen Sinn ergäben. Weil sie auf Nachfrage bestätigte, dass sie insofern im Grunde nicht viel Neues zu berichten habe. 

 

Wer aber genau darin eine Schwäche der Kultusminister zu erkennen glaubt, der irrt gründlich. Im Gegenteil: Jetzt wider die Empirie Hardliner-Lösungen zu präsentieren, die das Recht der Kinder auf Bildung unverhältnismäßig einschränken, wäre die – zumindest auf den ersten Blick – verlockend einfache Lösung gewesen, zumal sie den Applaus einiger Lehrergewerkschaften beschert hätte.  

 

Doch die Bildungspolitiker stellten sich gegen den auch in einigen Medien transportierten Erwartungsdruck. Sie haben anders als im Frühjahr eine klare, überwiegend gemeinsam getragene Linie gefunden, und diese lautet: Die Schulen sollen möglichst lange komplett aufbleiben. "Das Recht auf Bildung muss absolute Priorität haben", so formulierte Hubig das am Freitag – insbesondere wenn weitere gesellschaftliche Einschränkungen drohten. Die Schule sei als Lern- und Lebensort zentral, deshalb sei so wichtig, dass weiter Präsenzunterricht stattfinde. 

 

Ja, die Kultusminister haben in den vergangenen Jahren individuell und kollektiv oft ein schwache Vorstellung abgeliefert, das gleiche gilt für die bildungspolitische Gesamtbilanz der meisten Länder: vielerorts marode Schulgebäude und ein 30-Milliarden-Sanierungsstau, infolge dessen schon vor der Krise auch maue Hygiene- und Lüftungsbedingungen. Dazu die über Jahre verschleppte Digitalisierung.  Die Liste ließe sich verlängern, und über all dies habe ich in diesem Blog vielfach berichtet. 

 

Doch gerade aus dem Digitalisierungs-Defizit erwächst ja neben der sozialen Bedeutung von offener Bildungseinrichtungen noch umso stärker die Notwendigkeit, die Schulen nicht mehr wie im Frühjahr anlassunabhängig dichtzumachen.

 

Ein Automatismus wäre 

komplett unverhältnismäßig

 

Wacker wiederholte Hubig deshalb die immer selben Botschaften. Dass der Gesundheitsschutz für alle Menschen in der Schule wichtig bleibe. Dass die beschlossenen Hygienekonzepte aber wirkten und zuletzt durch die neuen Empfehlungen des Umweltbundesamtes bestätigt worden seien. Schulen seien nicht "die Treiber der Pandemie", betonte Hubig. Auch wenn es keine umfassenden wissenschaftlichen Studien zur Rolle von Schulen in der Corona-Pandemie in Deutschland gebe, so sehe man doch angesichts der Erfahrungen und "der Zahlen, die wir haben": Die Infektionsketten begönnen meist nicht in den Schulen, "sondern die Infektionen werden oftmals in die Schulen getragen." 

 

Ganz so ist es zwar dann doch nicht. So hat eine Auswertung nordrhein-westfälischer Gesundheitsämter laut Rheinischer Post ergeben, dass immerhin elf Prozent der Infektionsketten Ende September in einer Bildungseinrichtung endeten. Allerdings galt das beim Arbeitsplatz für 13 Prozent, für Privathaushalte gar für 35 Prozent. 

 

Die Schulen würden demzufolge eine merkliche, wenn auch nicht besonders große Rolle spielen. Allerdings bleibt die Zahlengrundlage schwach. Eine andere Studie kam sogar zu dem Ergebnis, dass die Schulöffnungen nach den Sommerferien zu weniger Ansteckungen geführt habe

 

Fest steht: In einer Pandemie-Situation, in der die 7-Tages-Inzidenzen absehbar in den meisten Landkreisen in naher Zukunft über 50 steigen werden, würde der vom RKI verlangte Automatismus dazu führen, dass es in Kürze zu faktisch bundesweit flächendeckenden (Teil-)Schulschließungen kommen würde. Das wissen die Kultusminister.

 

Solange aber Virologen keine überzeugenderen Belege dafür vorlegen, dass die Schulen, wofür derzeit nichts spricht, doch eine zentrale Rolle im Infektionsgeschehen spielen, solange der Anteil der infizierten Kinder und Jugendlichen, je länger die zweite Welle dauert, weiter von Woche zu Woche niedriger ausfällt, solange wäre es komplett unverhältnismäßig, bei 50 automatisch den Schalter umzulegen. Weil dadurch der Nutzen der Schulschließungen vollkommen unklar wäre, der soziale und gesellschaftliche Schaden aber in jedem Fall hoch.

 

Giffey und Spahn: Jede Einschränkung im Kita-
und Schulbetrieb nur als allerletzte Mittel

 

Genau das ist der Grund, warum sich auch Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gegen die flächendeckende Schließung von Bildungseinrichtungen ausgesprochen haben. Jede Einschränkung im Kita- und Schulbetrieb müssten das allerletzte Mittel sein, sagten beide ebenfalls am Freitag – auch in Regionen, wo die Corona-Zahlen kräftig steigen. Giffey und Spahn wandten sich damit, ohne es explizit zu sagen, ebenfalls gegen den vom RKI empfohlenen Automatismus. Und zwar auf der Grundlage von Zahlen, die das RKI selbst zusammen mit dem Deutschen Jugendinstitut im Rahmen einer Langzeit-Studie zum Infektionsgeschehen in Kindertagesstätten ausgewertet hat. Demzufolge wurden bis Ende September nur 79 Corona-Ausbrüche in Kitas registriert. 

 

Was man den Kultusministern dagegen in der jetzigen Situation vorwerfen kann: Dass sie sie offenbar noch immer keine vergleichbare Studie allein für die Schulen in Auftrag gegeben haben. Dass ihre KMK nicht einmal die Infektionszahlen an Schulen aus allen Bundesländern sammelt und zusammenrechnet. Dass Hubig am Freitag deshalb an der Stelle blank war und auf die uneinheitlichen Erhebungs- und Meldemethoden durch Schulträger und Gesundheitsämter verwies.

 

Vorwerfen kann man ihnen auch die seltsame Weigerung vieler Länder, in zusätzliche Lüftungsgeräte zu investieren, ganz gleich, was Experten dazu mehrheitlich sagen, einfach um die gefühlte Sicherheit an den Schulen zu erhöhen. Und schließlich ist unverständlich, warum sie ihren richtigen Einsatz, die Schulen offenzuhalten, nicht ergänzen um die vorübergehende Aussetzung der Schulpräsenzpflicht (siehe dazu hier und hier) – auch hierdurch würde unnötiger Druck aus der Debatte genommen. 

 

Der Corona-Winter wird lang. Umso mehr gilt: Wenn Kitas und Schulen geschlossen werden müssen, dann sollte das erst am langen Ende einer Kette von Maßnahmen (Stichwort: erneuter "Shutdown") stehen. Solange diese aber nicht ergriffen werden, ergibt es keinen Sinn, den Empfehlungen des RKI zu harten Grenzen ausgerechnet für Bildungseinrichtungen zu folgen. Sonst sind diese zu und bleiben es, weil die Grenzwerte beim parallelen Ausbleiben eines gesellschaftlichen Shutsdowns absehbar über Wochen und Monate nicht mehr unterschritten werden würden.

 

Es wird stattdessen darauf ankommen, in Kreisen mit hoher Inzidenz künftig jede Schule genau anzusehen und, wo immer es zu Clustern kommt, konsequent zu handeln. Durch zeitweise Klassen- oder Schulschließungen. Aber anlassabhängig.

 

Genau das ist der Weg, den die meisten Kultusminister gehen wollen und den sie hoffentlich auch diese Woche bestätigen, wenn sie sich erneut unterhalten wollen. Und bis dahin Hut ab vor einer KMK-Präsidentin, die all diese Differenziertheit am Freitag allein in einer Pressekonferenz vermitteln musste. 

 

*Nachtrag am 21. Oktober: Auf Nachfrage der Stuttgarter Zeitung betonte das RKI, dass in seinen Empfehlungen der Übergang zum Wechselmodell  neben der Inzidenzschwelle an ergänzende Risikofaktoren geknüpft sei – also kein Automatismus. So solle ein Wechsel erwogen werden, wenn neben einer Inzidenz über 50 Infektionsketten vermehrt nicht nachvollziehbar und Quellfälle häufig nicht mehr zu ermitteln seien.



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