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Die Angst vor dem Vergessenwerden

Die Hochschulrektorenkonferenz blickt mit einem Zehn-Punkte-Forderungskatalog über die Pandemie hinaus. Gut so. Doch währenddessen werden auch unter Studierenden und Hochschullehrern die Forderungen nach einer kurzfristigen Öffnungsperspektive lauter. Und der HRK fällt es sichtlich schwer, den richtigen Ton zu finden.

DIE HOCHSCHULREKTORENKONFERENZ (HRK) ist politischer geworden in den Jahren, seit Peter-André Alt ihr Präsident ist. Nicht dass Alts Vorgänger Horst Hippler leiser gewesen wäre, im Gegenteil: Der Ingenieur polterte gern mal lautstark, er scheute keine Zuspitzung und schaffte es gelegentlich sogar auf die Titelseite überregionaler Zeitungen – etwa wenn der ehemalige TU9-Präsident implizierte, die Fachhochschulen seien zweite Liga: Wenn Universitäten zu forschungsschwach seien, könne man sie ja zur Strafe zu Fachhochschulen herabstufen. Doch wirklich ernstgenommen wurde die HRK in der Wissenschaftspolitik dafür nicht.

 

Alt, der Germanist und frühere Präsident der Freien Universität (FU) Berlin, agiert da anders. Auf der einen Seite leiser und verbindlicher im Ton. Auf der anderen Seite scharf in der Analyse und strategischer als Hippler. Seit Amtsantritt verfolgte Alt den Plan, die HRK in der Öffentlichkeit als das darzustellen, was sie laut Slogan schon lange sein soll: "Die Stimme der Hochschulen".

 

Und auch wenn Vertreter von Studierenden, Professoren und wissenschaftlichen Mitarbeitern regelmäßig (und zu Recht!) darauf hinweisen, dass die Hochschulrektorenkonferenz kein Club der Hochschulen, sondern  der Hochschulchefs sei: Alt war erfolgreich. Die HRK ist zu einer zentralen Stimme im wissenschaftspolitischen Diskurs geworden. Was man auch daran sieht, dass der Deutsche Hochschulverband (DHV), die Berufsvereinigung der Universitätsprofessoren, nicht mehr ständig die erste Institution ist, die in Debatten über den Zustand der Universitäten zitiert wird. Über Jahre war das so: Je tiefer die HRK in ihre kommunikative Irrelevanz abglitt, desto bequemer richtete sich der DHV mit seinem ewigen (und gerade erst wiedergewählten) Präsidenten Bernhard Kempen in der Nische als Repräsentanz Nr. 1 der Universitäten ein.

 

Zu spät, zu zögerlich,

zu blass

 

Damit ist es schon länger vorbei. Jetzt hat der HRK-Senat auf Betreiben Alts einen Forderungskatalog für die Wissenschaftspolitik vorgelegt– "für die laufenden wie die kommenden Legislaturen" in Bund und Ländern. Vor allem aber sollen seine zehn Punkte als Wahlprüfsteine im Superwahljahr dienen. Das ist selbstbewusst.

 

Allerdings die so grundlegend neue Positionsbestimmung, die manche darin erkennen wollen, ist es nicht, denn die meisten Forderungen, was wichtige Desiderate für die Hochschulpolitik der nächsten Jahre angeht, sind lange bekannt (siehe Kasten). Und – das muss sich auch ihr Präsident Alt vorwerfen lassen: Bei der kurzfristig entscheidenden Frage, wie es mit den Hochschulen in den nächsten Monaten weitergeht, bleibt die HRK blass. >>>


Was die Hochschulrektoren von der Politik fordern

Die meisten Forderungen der HRK sind lange bekannt: Eine Reform des Kapazitätsrechts ("KapVO") wird seit Jahrzehnten diskutiert und seit Jahrzehnten nicht gewagt.

 

Auch der je nach Schätzung 30 oder 40 Milliarden schwere Sanierungsstau an den Hochschulen ist nur deshalb so groß, weil er über so viele Jahre entstanden ist. Und auch wenn einige Bundesländer zuletzt große Sonderprogramme aufgelegt haben, ist angesichts der Corona-Haushaltskatastrophe nicht absehbar, dass jetzt demnächst die große nationale Bauanstrengung folgen wird.

 

Besser stehen da schon die Chancen für die ebenfalls verlangte "grundlegende Reform" des gerade 50 Jahre alt gewordenen BAföG, denn das fordern spätestens nach dem Chaos um die Corona-Überbrückungshilfe ohnehin fast alle politischen Parteien, und sogar Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) hat sie – in Maßen – für die Zeit nach der Bundestagswahl in Aussicht gestellt. 

 

Hinzu kommen vermeintlich kleinteiligere, aber für die Betroffenen um so wichtigere Forderungen: die urheberrechtlichen Regelungen der Wissenschaftsschranke für die Hochschullehre dauerhaft sichern, strukturelle Hindernisse für internationale Studierende bei der Visa-Vergabe und der studentischen Krankenversicherung beseitigen, in mehr Wohnheimplätze und leistungsfähige 

Internetzugänge für Studierende investieren und – ebenfalls teuer, teuer – die neuen Studiengänge für die Gesundheitsberufe, deren "essenzielle Bedeutung" die Pandemie besonders deutlich gemacht habe, "qualitätsgeleitet" ausfinanzieren.

  

Bleibt ein zentraler Punkt: ein Digitalpakt für die Hochschulen. Die HRK spricht zurückhaltender von einer "Bund-Länder-Übereinkunft zur Digitalisierung der Hochschulen". Dazu gehören für die Rektoren Investitionen in Räume und Ausstattung. Auch sollen die Lehrdeputate den erhöhten Aufwand für die digitale Lehre abbilden, was auf mehr Personal hinausläuft, das insgesamt kontinuierlich fort- und weitergebildet werden soll. Auch klare und flächendeckende Rechtsgrundlagen für Datenschutz und Datensicherheit verlangen die Rektoren, vor allem für die digitalen Prüfungen, die sie als generelle Option ausbauen wollen. 

 

Doch auch die Digitalpakt-Forderung ist nicht neu. Nicht nur die HRK wiederholt sie seit Jahren, die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hatte die Notwendigkeit einer "Digitalisierungspauschale" ebenfalls regelmäßig in ihren Gutachten. Und im ersten Corona-Sommer haben alle Landeswissenschaftsminister gemeinsam versucht, ein solches 500 Millionen Euro schweres Programm beim BMBF durchzusetzen. Vergeblich. Ob sich das nach der Bundestagswahl ändert, oder macht die neue Regierung dann erst so richtig die Schotten dicht? 



>>> So hatte sich Alt persönlich erst nach der Corona-Krisenrunde von Merkel und den Ministerpräsidenten Anfang März zu Wort gemeldet. Auch die Studierenden und Hochschulen hätten "ein großes Interesse, wo möglich zumindest teilweise und differenziert in einen sicheren Präsenzbetrieb zurückzukehren", sagte er da, während (fast) alle anderen gesellschaftlichen Lobbygruppen sich schon vor dem Termin kommunikativ nach vorn gedrängt hatten. Das Ergebnis: Die Hochschulen kamen weder in dem Beschluss der Regierungschefs vor noch im damals verabschiedeten, inzwischen vollends aus der Zeit gefallenen Stufenplan.

 

Immerhin hat Alt seinen Fehler schnell begriffen, und so wiederholte er rechtzeitig vor dem erneuten Bund-Länder-Krisentreffen Anfang dieser Woche seine Forderung – diesmal sogar unterstützt vom HRK-Senat: Bund und Länder dürften den Hochschulbereich "bei ihren künftigen Vereinbarungen zur Pandemiebekämpfung" nicht "ignorieren", sie müssten "der hohen Belastung für Lehrende und Studierende sowie der in der Pandemie wiederholt unter Beweis gestellten Leistungsfähigkeit der Hochschulen Rechnung" tragen. Die graduelle Rückkehr zur Präsenzlehre führe über vermehrte Testmöglichkeiten, die die Politik aber auch bezahlen müsse, letztendlich aber vor allem über die "Entwicklung der Impfkampagne".

 

Erneut richtige, obgleich auch sehr zahme Worte, die für einen ausgeprägten Realitätssinn Alts sprechen. Weshalb sie, weil gleichzeitig andere wieder umso lauter schrien, fast zwangsläufig überhört werden mussten. So erwähnte denn auch der neue Corona-Beschluss von Merkel und den Ministerpräsidenten weder die Studierenden noch die Hochschulen. >>>



>>> Dort macht sich zunehmend Frust breit. Nach 14 Monaten sei ihm aufgefallen, "dass Universitäten und Hochschulen die einzigen Großorganisationen sind, die geschlossen sind", twitterte der Berliner Politikwissenschaftler und Soziologe Carsten von Wissel. Es gebe inzwischen Drittsemester, die Präsenzbetrieb nie kennengelernt hätten. Was seine Feststellung "in Bezug auf die Verwissenschaftlichung der Gesellschaft besagt, wird noch zu klären sein." Währenddessen belasse es die Politik beim "hilflosen Appellieren" an die großen Organisation, Büros und Fabriken. "Die Last wird auf Privates, Kulturelles, die Wissenschaft und Kleinunternehmerisches abgewälzt."

 

Petionen und
Offene Briefe 

 

Österreich dagegen will nach Ostern seine Hochschulen wieder aufsperren. Das Prinzip "Zugang nach Testergebnis", berichtete die FAZ, solle dann auch für Studierende gelten und ihnen Vorlesungen, Klausuren, Laborübungen und Seminare ermöglichen. "Große Vorlesungen, zitierte die FAZ Österreichs Bildungsminister Heinz Faßmann," werden sich aber nicht ausgehen." Ein Vorbild für Deutschland?

 

In Städten wie Köln ("Uni Zu") oder Berlin ("#NichtNurOnline") formieren sich Initiativen, die per Petitionen Öffnungsperspektiven für die Hochschulen verlangen und Protestvorlesungen abhalten. Ein von 70 Dozierenden Berliner Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen verfasster Offener Brief an die Berliner Politik und Hochschulleitungen fand inzwischen mehr als 1500 Unterzeichner.

 

Darin heißt es: "Als Professor*innen und Dozent*innen der Berliner Hochschulen möchten wir unser Unverständnis darüber zum Ausdruck bringen, dass Universitäten und Wissenschaftsverwaltung in der aktuellen Diskussion zu den Corona-Maßnahmen insgesamt – im Gegensatz zu so ziemlich jeder anderen Interessengruppe – völlig stumm bleiben." Deswegen unterstütze man die Initiative Studierender und fordere "den Senat von Berlin und alle Berliner Hochschulleitungen auf, an der Entwicklung einer verantwortungsvollen und schrittweisen Öffnungsstrategie zu arbeiten, die eine solche Wiederaufnahme ermöglicht."

 

Natürlich bleiben auch die Gegenstimmen nicht aus. Die den Initiatoren "Meckern auf hohem Niveau" vorwerfen, die sagen: Das Problem sei nicht, dass die Hochschulen vernünftigerweise zu seien, sondern dass andere Institutionen unvernünftigerweise offen blieben oder geöffnet hätten. Außerdem zeigten ja Umfragen wie erst neulich wieder die des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE) unter mehr als 27.000 Studierenden und über 665 Professor:innen, dass die Hochschulen den Digitalbetrieb mit Bravour bewältigten. So seien trotz Corona kaum Vorlesungen und Prüfungen ausgefallen. Exkursionen und Labortermine natürlich schon, aber für die gebe es ja auch an vielen Hochschulen Sonderregelungen. Die Erfahrungen mit der Digitallehre seien insgesamt so gut gewesen, dass nur jede:r fünfte Hochschullehrer:in  nach der Pandemie zurück zur reinen Präsenzlehre wolle. Im Übrigen seien angesichts der dritten Welle und explodierenden Infektionszahlen alle Diskussionen über Öffnungsschritte ohnehin obsolet.

 

Die DHV packt ihren
Lautsprecher wieder aus

 

Nur dass es dieses Gefühl an den Hochschulen, irgendwie vergessen worden zu sein, eben nicht ist. Und genau dieses Gefühl haben die Hochschulrektorenkonferenz und ihre Mitglieder bislang nicht ausreichend zu adressieren vermocht. Hier kommt HRK-Präsident Alt womöglich sein wissenschaftspolitischer Pragmatismus, seine scharfe Analyse und seine langfristig-strategische Orientierung in die Quere. 

 

Unterdessen packt der DHV wie in alten Tagen seinen Lautsprecher wieder aus. Bernhard Kempen forderte vor der letzten Corona-Krisenrunde von Bund und Ländern, die Gruppe der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler müsse bei der Impfreihenfolge mit den Lehrerinnen und Lehrern gleichgestellt werden – und alle übrigen Universitätsangestellten gleich dazu. "Nach über einem Jahr Corona", sagte Kempen, "müssen wir aus der Duldungsstarre raus. Die Universitäten brauchen auch mental Ziele, Stufen und Pläne für den Rückweg zur Normalität. Andere gesellschaftliche Bereiche belegen: Lockdown geht schnell, Öffnungen brauchen Vorlauf und Planung."

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Kommentare: 3
  • #1

    Olaf Zumbusch (Freitag, 26 März 2021 11:13)

    Die Forderungen der HRK sind sicher richtig. Aber was soll
    man bei einer Ministerin erwarten, die die Dinge einfach
    nicht im Griff hat.

  • #2

    Marco Winzker (Freitag, 26 März 2021 18:21)

    Sie schreiben, "auch die Digitalpakt-Forderung ist nicht neu." In den Erläuterungen zu Punkt 1 der HRK-Forderungen habe ich schon neues gefunden. Oder ich habe es bisher überlesen, denn hier ist es im hinteren Teil des Textes: Die digitale Souveränität

    "sichere, datenschutzkonforme und zuverlässige Lösungen für digitale und hybride Lehr- und Studienformate zu beschaffen oder selbst zu entwickeln"
    "hochschulübergreifende, mit entsprechenden Ressourcen unterlegte Kooperation"

    Betrachten wir als ein Beispiel die kommerzielle Software für Videokonferenzen. Alle paar Wochen gibt es ein Update, oft mit neuen Features. Auch ohne Expert:in für Software-Entwicklung zu sein, wird deutlich: So arbeitet die Konkurrenz und um mitzuhalten braucht es die von der HRK geforderten Ressourcen und Kooperation.

  • #3

    Markus Mauersberger (Freitag, 26 März 2021 20:41)

    Guten Abend!
    Ich bin gegenüber der HRK sehr skeptisch. Sicherlich ist mit Herrn Prof. Alt einiges besser geworden. Aber es wird gerne übersehen, dass die Interessenlage der Hochschulen sehr divers ist. Konsens besteht häufig nur wenn es um mehr Geld für die Hochschulen insgesamt und um eine geringere Lehrverpflichtung geht. Diese Forderungen tauchen aktuell natürlich wieder auf und wirken wenig phantasievoll, wenn man bedenkt, dass noch nie so viel Geld im System war und die öffentlichen Kassen aufgrund der Pandemie leerer werden. Zudem sind die Forderungen widersprüchlich. Einerseits will man - zu Recht - wieder mehr Möglichkeiten für Präsenz. Zugleich möchte man an den (Verfassungs) rechtlich höchst bedenklichen Online-Prüfungen festhalten.
    Wichtig wäre ein stärkeres Wirken nach innen um dem Hochschulsystem mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen. Leider ist es immer noch Standard, dass die diversen im Konsens verabschiedeten Resolutionen und Handlungsempfehlungen hochschulintern durchgängig weich gespült. Mit etwas mehr Selbstdisziplin könnte man mit dem vorhandenen Geld so viel mehr erreichen und auch die mit der Ausbildung der Studierenden einhergehende Belastung der Lehrenden deutlich verringern.