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Endlich Klassenfahrt

Wieder Wechselunterricht nach den Ferien? Die Kultusminister haben dazu eine klare Meinung.

Foto: Sharon Ang / Pixabay.

DIE WELLEN SCHLUGEN HOCH, nachdem Jens Spahn bei einer Online-Tagung über möglichen Teilzeit-Unterricht auch im Herbst gemutmaßt hatte. Bei erneut steigenden Infektionszahlen könnten die Schulen zu einer "Drehscheibe in die Haushalte hinein" werden, wurde der CDU-Gesundheitsminister am Wochenende zitiert. "Durchgefallen", titelte die Süddeutsche Zeitung: Nach eineinhalb Jahren Pandemie könne man von der Politik bessere Antworten erwarten. 

 

Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz, Britta Ernst, entgegnete prompt im Tagesspiegel: Das KMK-Plädoyer für Präsenzunterricht solle "nicht vorzeitig in Frage gestellt werden". Bis der TAZ-Journalist Malte Kreutzfeldt am Montag mit Hinweis auf den inzwischen veröffentlichten Veranstaltungs-Mitschnitt betonte, dass Spahn lediglich Beispiele möglicher Corona-Auflagen genannt habe, definitiv angekündigt habe er Wechselunterricht jedenfalls nicht. "Insofern", schrieb Kreutzfeldt auf Twitter, "können sich vielleicht alle wieder etwas beruhigen."

 

Nur fällt vielen Eltern genau das schwer nach über einem Jahr schulischen und familiären Ausnahmezustand. Seit Weihnachten hatten viele ältere Schüler überhaupt nur wenige Tage oder Wochen vollwertigen Unterricht, den Rest der Zeit befanden sie sich in Teilzeit-Beschulung, also in halben Gruppen und maximal halber Stundenzahl. Und mussten, wie alle übrigen Kinder und Jugendlichen auch, monatelang ganz zu Hause lernen. Dem sogenannten Distanzunterricht zumindest in der Form, wie er vergangenes Jahr stattfand, haben Forscher der Goethe-Universität Frankfurt am Main gerade eine Lern-Effektivität bescheinigt, die der in den Sommerferien entspricht. Von einer "Stagnation mit Tendenz zu Kompetenzeinbußen" sprach Andreas Frey, Leiter der Studie, die Daten aus aller Welt analysierte. 

 

Delta-Variante "ab jetzt

wirklich ernst nehmen"

 

Und jetzt warnen Virologen vor der zuerst in Indien beobachteten Delta-Variante des Coronavirus, die je nach Quelle bis zu achtmal ansteckender sein soll als die bislang vorherrschende Alpha-Mutation, vielleicht auch "nur" 60 Prozent. In Großbritannien hat Delta innerhalb weniger Wochen Alpha fast komplett verdrängt und eine – wenn auch bislang vergleichsweise kleine – vierte Welle ausgelöst. Die 7-Tages-Inzidenz lag dort zuletzt bei etwa 80. 

 

Charité-Chefvirologe Christian Drosten sagte, auch Deutschland befinde sich jetzt im Rennen mit der Delta-Variante, hier werde sie voraussichtlich Anfang Juli dominieren. Laut RKI machte sie jüngsten Auswertungen zufolge bereits 15 Prozent aller untersuchten Positivbefunde aus.

 

 "Wir müssen das ab jetzt wirklich ernst nehmen", fügte Drosten hinzu. Angesteckt hätten sich in Großbritannien vor allem junge – ungeimpfte – Erwachsene. Was in Deutschland indes helfen könne, seien die beginnenden Sommerferien. "In England ging es in den Schulen los. Das ist ein deutlicher Unterschied."

 

So richtet sich der Blick erneut auf die Schulen – und das, obwohl Jugendmediziner, viele Epidemiologen und auch das Robert-Koch-Institut (RKI) aufgrund der vorhandenen Datenlage immer wieder bekräftigt haben, dass Schulen "eher nicht" Motor bei der Verbreitung des Virus seien. Und tatsächlich sanken die gemeldeten Infektionszahlen auch unter Kindern und Jugendlichen in den vergangenen Wochen fast genauso stark wie im Schnitt der Bevölkerung – trotz wieder komplett offener Schulen, null Impfungen und zweimal wöchentlichen Pflichttests.

 

Letztere gibt es allein für Schüler, und Statistiker haben nachgewiesen, dass sie die Meldezahlen im Vergleich zu den weniger schnellgetesteten Erwachsenen spürbar höher ausfallen lassen. Doch warnen Virologen: Das günstige Bild könne sich durch die Delta-Variante ändern. Was sie freilich in Bezug auf die derzeit noch vorherrschende Alpha-Variante auch bereits getan hatten.

 

KMK fordert uneingeschränkten

Regelbetrieb im neuen Schuljahr

 

Was aber bedeutet das für das neue Schuljahr? Wenn es nach den Kultusministern geht: erst einmal gar nichts. In ihrem gemeinsamen Beschluss, auf den KMK-Präsidentin Ernst rekurrierte, forderten sie vor zwei Wochen den dauerhaften und "uneingeschränkten Regelbetrieb" für alle Schulen – inklusive Ganztag auch mit außerschulischen Partnern, Klassenfahrten und Schüleraustausch. Die Schnelltest-Pflicht soll allerdings weitergehen, in der ersten Woche nach den Ferien soll je nach Bundesland sogar dreimal getestet werden. Was die Maskenpflicht angeht, hat man sich hingegen nicht auf eine Linie einigen können. Und wie viele Luftfilter bis zum erneuten Schulstart in den Klassenzimmern eingebaut sein werden? Keiner weiß es genau – und Lehrerverbände befürchten eine erneute Trödelei der Behörden.

 

Wirklich "hohe Relevanz" habe indes, dass möglichst viele Erwachsene sich impfen ließen, schrieb der Kinder- und Jugendmediziner Matthias Keller, Ärztlicher Direktor der Kinderklinik Dritter Orden in Passau, auf Twitter.

 

In der Tat: Je mehr Erwachsene geimpft sind, desto weniger kann das Virus in der Gesellschaft zirkulieren und auch zu den ungeimpften Kindern und Jugendlichen durchdringen. Und: Wenn im Herbst nur noch jene Erwachsene ungeimpft sind, die eine Impfung ablehnen, dann wäre es unverhältnismäßig, zu ihrem gesellschaftlichen Schutz die Schulen präventiv in den Wechselunterricht zu schicken – wenn doch die meisten Kinder und Jugendlichen selbst nur ein geringes Risiko einer schweren Covid-19-Erkrankung haben.  

 

Mit offenen Schulen wäre

das Aufholen am einfachsten

 

Zuletzt empfahl auch die Nationale Akademie Leopoldina in einer Adhoc-Stellungnahme, den Präsenzbetrieb "unter Einhaltung geeigneter Schutzmaßnahmen (wie Masken, Hygiene, regelmäßige Tests) wieder durchgängig zu ermöglichen, weil dieser für nahezu alle Kita- und Schulkinder die effektivste Art des Lernens ist". Die Experten betonten, die Pandemie habe für Kinder und Jugendliche "vielfältige Auswirkungen auf deren Bildung, soziale Interaktion, sozioemotionale Entwicklung, körperliche Aktivität sowie auf das psychische Wohlbefinden" gehabt. 

 

Spätestens mit Beginn der Ferien wollen alle Bundesländer jetzt erst einmal Corona-Aufholprogramme starten, um die entstandenen Lernlücken zu verkleinern. In Baden-Württemberg etwa hatten sich schon Mitte Juni rund 900 Lehramtsstudierende freiwillig für das Projekt "Bridge the Gap" gemeldet, von denen die meisten noch im laufenden Schuljahr in den Schulen eingesetzt werden sollen. Hessen will über das Programm "Löwenstark – der BildungsKICK" Förderkurse an den Schulen anbieten, dazu Hausaufgabenbetreuung, einen Lerncampus, Online-Nachhilfe, Schwimmkurse, Angebote der kulturellen Bildung und vieles mehr. Zwei Beispiele unter vielen, der Bund finanziert sie über ein Zwei-Milliarden-Programm kräftig mit. 

 

Bildungsforscher der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der KMK mahnen die Politik derweil, das knappe Geld wirklich auf die sozial benachteiligten und lernschwächsten Schüler zu konzentrieren. Fest steht allerdings auch: Das beste Aufholprogramm im neuen Schuljahr wäre der Verzicht auf erneute Schulschließungen oder Wechselunterricht. 

 

Dieser Beitrag erschien in einer kürzeren Fassung zuerst im Freitag vom 24. Juni 2021.


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