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Damit Hanna bleiben kann

Nach der Aktuellen Stunde im Bundestag: Mehr Dauerstellen in der Wissenschaft sind schon heute möglich. Doch darf die Debatte jetzt nicht ausfransen.

Screenshot des umstrittenen Erklärvideos von YouTube.

HANNA HAT ALLE ÜBERRASCHT. Innerhalb von nur zwei Wochen hat es die Aufregung über ein drei Jahre altes Erklärfilmchen in den Bundestag geschafft. Der Frust, der viele tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch Jahre der Befristungen und der Kettenverträge begleitet, hat unter dem Hashtag "#IchbinHanna" ein Ventil gefunden. Unzählige Erfahrungsberichte erzählen die immer gleiche Geschichte. Sie handelt von geplatzten Träumen, verschenktem Potenzial, von Zukunftsangst und ja, auch das, von ziemlich viel Wut.

 

Überrascht sind die Initiatoren von "#IchbinHanna". Drei Postdocs, die (wie schon mit anderen Hashtags zuvor) eine Resonanz provozieren wollten und doch – bei aller seit langem bekannten Brisanz der Thematik – wohl selbst nicht erwartet haben, dass der Aufschrei diesmal so laut ausfällt. Überrascht wurde das Ministerium von Bundesbildungsministerium Anja Karliczek (CDU), das anfangs dachte, der Debatte mit einer einfachen schriftlichen Erklärung auf der Website die Schärfe nehmen zu können, dann als nächstes den Staatssekretär vorschickte und zuletzt erst die Ministerin. Doch verursachte jede BMBF-Reaktion nur eine noch stärkere Gegenreaktion.

 

Überrascht ist die Opposition, wie angenehm von selbst und ohne eigenes Zutun ihr gerade ein zusätzlicher Wahlkampfhebel beschert wurde – den die Linke durch die Beantragung einer Aktuellen Stunde im Bundestag geschickt zu nutzen wusste. Überrascht dürften aber auch die Landeswissenschaftsminister sein, wie wenig sie bislang in den Fokus der Debatte geraten sind – obwohl die Befristungsrealität deutscher Hochschulen mit ihnen mindestens genauso viel zu tun hat wie mit dem Wirken der Bundesregierung.

 

Jetzt ist ein Scheidepunkt

der Debatte erreicht

 

Und doch: Nachdem Hanna es auch in den Bundestag geschafft hat, nachdem Karliczek sich mehrfach geäußert hat, ist jetzt ein Scheidepunkt erreicht. Um die Debatte am Leben zu erhalten, bräuchte es die nächste Eskalationsstufe. Doch welche kann, welche sollte das sein? Parlamentarisch ist die Legislaturperiode im Bund gelaufen. Bleibt daher als Steigerung nur eine noch größere Empörungswelle, die nach den jüngsten Äußerungen der Bundesbildungsministerin im Bundestag bereits anzurollen scheint? 

 

In Bezug auf die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sagte Karliczek, diese könne man nicht vornehmen, "wenn in den Hochschulen überhaupt gar nichts im Moment stattfindet". Mit dem letzten Halbsatz sehen viele Kommentatoren auf Twitter und anderswo ihren großen Einsatz für Lehre und Forschung seit Beginn der Pandemie entwertet. Worum es Karliczek, so fair sollte man sein, mit ihrer zweifellos ungeschickten Formulierung nicht ging. Doch bietet sie dem angestauten Frust damit die nächste Gelegenheit zur Entladung.

 

Gut möglich, dass über all dem die bislang zielgerichtete Debatte zerfasert, überdreht und dann in die beginnende Sommerzeit hinein ausläuft.   

 

Schluss mit den perspektivlosen
Kettenverträgen

 

Zu wünschen wäre dagegen, dass die inhaltliche Diskussion über die künftigen Karrierechancen von Wissenschaftlern mit Nachdruck und fokussiert zugleich fortgesetzt würde. Für mich persönlich sollten dabei folgende Aspekte im Mittelpunkt stehen:

 

Erstens: Schluss mit dem Pseudovorwurf, den "#IchbinHanna"-Verfechtern gehe es darum, in Freibiermanier Dauerstellen für alle zu fordern. Es geht darum, mehr Vollzeit-Verträge mit angemessener Laufzeit für Doktoranden zu erreichen und ein Ende perspektivloser Kettenverträge bei den Postdocs. Dass letzteres auf mehr Dauerstellen hinauslaufen muss, ist richtig und notwendig. Aber auch hier sicher nicht für jede und jeden. 

 

Zweitens: Dass Befristungen und Kettenverträge im Übermaß das Wissenschaftssystem produktiver oder gar wettbewerbsfähiger machen, ist  schon nach kurzem Nachdenken wenig plausibel. Die in der Tat notwendige Flexibilität für eine sich ständig verändernde Wissenschaft bliebe auch dann erhalten, wenn der Anteil der Dauerstellen in der unter erstens beschriebenen Logik stiege.

 

Drittens: Der Bund hat eine wichtige Rolle bei der Hochschulfinanzierung, die Länder aber haben eine zentrale. Es ist zu einfach, wenn viele Wissenschaftsminister immer nur auf den Bund zeigen, der in der Tat bereits viel Geld in die Hochschulen pumpt. Die Länder müssen auch selbst die Hochschulen in ihren Haushalten priorisieren. Mehrere tun es ja auch längst schon, Baden-Württemberg zum Beispiel, Hessen oder auch Berlin. Anderswo darf in der Coronakrise jetzt auf keinen Fall auch noch das verstärkte Sparen an den Wissenschaftsbudgets anfangen.

 

Mehr Geld für die
Grundfinanzierung

 

Viertens und trotzdem: Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ist nicht nur der "Sündenbock", als den Karliczek es darstellt. Der Bund hat sehr wohl eigene Möglichkeiten (und die Verantwortung!), als Gesetzgeber einen Rahmen für bessere Beschäftigungsbedingungen zu schaffen – und die an sich sinnvolle Sonderbefristungsmöglichkeit für die Wissenschaft mit mehr Auflagen für die Hochschulen zu verbinden. Dies wird Aufgabe der nächsten Bundesregierung sein – nachdem die jetzige auch die Chance ausgelassen hat, die Länder über den Zukunftsvertrag wirklich zu mehr Dauerstellen zu verpflichten. Allein Plädoyers helfen da wenig.

 

Fünftens: Mehr Geld ist, siehe oben, wichtig. Aber mit dem Geld, das den Hochschulen zur Verfügung steht, würde bereits mehr gehen. Indem ein größerer Anteil in die Grundfinanzierung fließt und weniger in Projekte. Bund und Länder sollten und müssen noch einmal diskutieren, was das für die Ausstattung des Zukunftsvertrags im Verhältnis zur DFG bedeutet. 

 

Und sechstens dürfen sich auch die Hochschulen selbst nicht wegducken oder wahlweise auf Bund und Länder zeigen. Gemeinsam mit der Politik müssen sie verbindliche Antworten finden auf Fragen wie diese: Was genau sollte mehr Planbarkeit nach der Promotion bedeuten? Welche und wie viele mehr Dauerstellen unterhalb der Professur mit welchen Entwicklungschancen? Und wie lange wären befristete Stellen noch in Ordnung, bevor die Hochschule einem Postdoc einen Tenure Track anbieten müsste? 

 

Wobei ein echter Tenure Track in der Breite, orientiert an einen transparenten Leistungskatalog, auch bedeuten würde, dass die Quote der Negativ-Evaluationen zunehmen müsste – und das auch so akzeptiert würde. Weshalb auch über diesen Leistungskatalog nochmal gesprochen werden müsste. 

 

Die "#IchbinHanna"-Debatte ist eine große Chance für die Wissenschaftspolitik. Mit etwas Glück hat sie gerade erst begonnen.  

 

Der Kommentar erschien heute in einer gekürzten Fassung zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.



Und jetzt?

Was seit der Bundestagsdebatte in den Sozialen Medien los ist

Nach Karliczeks Bundestagsrede hat die "#IchbinHanna"-Debatte in den sozialen Medien den nächsten Schub erhalten. Der ZEIT-Newsletter WISSEN3 sprach am Montagmorgen sogar von "Karliczek im Sturm". 

 

In Bezug auf die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes hatte die Bundesbildungsministerin in der Aktuellen Stunde am Donnerstag gesagt, diese könne man nicht vornehmen, "wenn in den Hochschulen überhaupt gar nichts im Moment stattfindet".

 

Ein paar der Reaktionen auf Twitter: "Weiß man eigentlich, was 

@AnjaKarliczek in den letzten drei Semestern beruflich gemacht hat? Frage interessehalber für viele fleißige #IchbinHanna|s, die #Forschung & #Lehre in der Pandemie wuppen und nach der kurzen Rede von #Karliczek bei #HannaimBundestag frustriert sind." Oder auch diese: "Was #Karliczek sagt ist bezeichnend: wir waren systemrelevant genug um zu lehren, aber nicht für Notbetreuung. Wir sind seit drei Semestern überarbeitet, aber es "geschieht nichts". 

 

Viele machen sich unter dem neuen Hashtag "#letzte3semester" Luft und berichten, was seit Beginn der Pandemie an den Hochschulen tatsächlich alles passiert sei. Einige diskutieren sogar bereits über einen "Generalstreik Wissenschaft" als Reaktion und nächsten Schritt.

 

Doch gibt es auch Stimmen, die davor warnen, die Debatte dürfe sich jetzt nicht verrennen. "Auweia" schreibt ein Twitter-Nutzer, "hat das 

Karliczek-aus-dem-Zusammenhang-reißen unter #letzte3semester seinen eigenen Hashtag? Leute, prangert doch lieber die realen und bitterernsten #IchBinHanna-Probleme an und nicht dieses hineininterpretierte!" Das grundlegende Problem, dass Karliczek kaum bis gar nicht auf die konkreten "#IchBinHanna-Argumente" eingegangen sei, "ist im Zweifelsfall der deutlich größere Skandal".

 

Insgesamt wurde die Debatte zuletzt vielschichtiger. Einige Stimmen geben zu denken, dass es "woanders auch nicht automatisch besser" sei. "Ein paar Vergleiche täten der #IchbinHanna-Bewegung gut", schreibt eine Wissenschaftlerin. "Aber nicht, um die jeweils eigenen Probleme zu relativieren, sondern um zu lernen, was gute Alternativen sind (und was wir nicht wollen) und Solidarität zu zeigen."

 

Unter dem Hashtag "#IchbinReyhan" wies zuerst Reyhan Şahin alias "Lady Bitch Ray" darauf hin, dass es "Forscher:innen of Color aus nicht-akademisierten Familien... in der Fuckademia eindeutig schwerer (haben) als Kinder von weißen akademisierten Familien, & auch wenn das niemand zugibt, bekommst du es tagtäglich zu spüren."  

 

Zugleich melden sich mehr und mehr Professoren, Dekane und andere zu Wort, die in der Wissenschaft Leitungsverantwortung tragen. Einer schreibt auf Twitter: "Ich bin nicht Hanna. #IchbinHanna s Chef. Und das nicht nur als Professor, sondern auch noch als Dekan." Aber auch er habe den Eindruck, "jetzt, genau jetzt muss doch was gesagt werden."




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Kommentare: 2
  • #1

    Th. Klein (Montag, 28 Juni 2021 08:21)

    Warum die Evaluation verschoben werden musste, kann man in der Tat nicht nachvollziehen. Ich war an der Evaluation beteiligt. Es wurden Personaldaten ausgewertet, die ja ohnehin vornehmlich die Vergangenheit abbilden, und Experten-Interviews geführt. Beides scheint mir nicht eingeschränkt zu sein. Und selbst wenn es Komponenten gäbe, die unter Corona-Bedingungen schwierig wären, dann hätte man die Evaluation ja auch anpassen können.

    Auch wenn ich nicht unterstellen würde, dass man die Evaluation unter diesem Vorwand gezielt (in die Zeit nach der Wahl) verschoben hat, so hat man diesem Bild doch Vorschub geleistet.

  • #2

    René Krempkow (Montag, 28 Juni 2021 15:38)

    @Th. Klein: Nunja, bereits bei der Beauftragung der Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes Anfang 2020 stand offenbar fest, dass Ergebnisse erst „voraussichtlich im Frühjahr 2022 präsentiert“ werden, wie es zumindest im April 2020 auf der entpr. Webseite des Bundesministerium für Bildung und Forschung hieß (BMBF 2020, S. 3) [1]. Daher kann man angesichts des zu diesem Zeitpunktes längst feststehenden Bundestags-Wahltermines (anders als der Pandemie-Verlauf ;-)) wohl nicht ganz unbegründet vermuten, dass die Veröffentlichung der (Ergebnisse der) Evaluation nicht zufällig in der Zeit nach der Wahl liegen.

    Davon abgesehen stimme ich Hern Wiarda zu, dass auch die Bundesländer hier ihrer Verantwortung nachkommen müssen. Bereits im letzten Jahr vorgelegte Zahlen zu großen Bundesländer-Unterschieden von bis zu elf Prozentpunkten in de Befristungsanteilen (vgl. Gassmann 2020) - und damit größere als die Differenz seit der Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 2007 - zeigen hier Gestaltungsmöglichkeiten auf.

    Weitere Gestaltungsmöglichkeiten sind Entfristungen auch aus Projektmitteln. Zwar wird oft betont, dass eine Verringerung des Anteils befristeter Stellen aus Drittmittel- und Projektfinanzierung nicht möglich sei. Dagegen hat Stricker (2018) die Gestaltungsspielräume als Dekan hervorgehoben, die z. B. der Fachbereich Sozialwesen an der Fachhochschule Bielefeld in den vergangenen Jahren intensiv nutzte. Zudem ermöglichen eine Fördermittelgeber bereits jetzt, Dauerstellen auch aus Projektmitteln zu finanzieren (wie die Privatwirtschaft seit jeher). Darüber hinaus könnten noch weitere Bundes- und Landesförderer dies ermöglichen.

    Und schließlich sei noch einmal darauf verwiesen, dass eine Senkung des Befristungsanteils auf durchschnittlich ca. 60% bereits vor einige Jahren selbst Wunsch der Hochschulen war (vgl. Stifterverbandsstudie von 2016 dazu); und dass die Befristungsanteile in anderen Industrienationen Europas, wie zum Beispiel den Niederlanden (mit 40 Prozent) oder Norwegen (mit 50 Prozent) in Lehre und Forschung deutlich niedriger sind (vgl. Höhle 2015, S. 5), und dies dort keineswegs mit einer geringeren wissenschaftlichen Produktivität oder einer "Verstopfung" des Wissenschaftssystems einhergeht (ausführlicher dazu inkl. vollst. Quellen s. www.researchgate.net/publication/343500765).

    [1] BMBF (2020): Wissenschaftszeitvertragsgesetz. In URL: www.bmbf.de/de/karrierewege-fuer-den-wissenschaftlichen-nachwuchs-an-hochschulen-verbessern-1935.html (Zugriff am 15.04.2020).