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Der Weg zu den 3,5 Prozent

Am Mittwoch haben die 22 Arbeitsgruppen ihre Vorschläge für den Ampel-Koalitionsvertrag abgegeben. Jetzt sickern erste Details durch, was auf den Seiten zu Wissenschaft, Forschung und Innovation steht.

Bild: Pexels / Pixabay.

MITTWOCHABEND war Ultimo für die 22 thematischen Arbeitsgruppen in den Ampel-Koalitionsverhandlungen. Auch die AG "Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung" musste bis zum Tagesende ihren Textentwurf für den Koalitionsvertrag abgeben, und das nach Teilnehmerangaben überpünktliche Hochladen der Datei noch vor 18 Uhr signalisierte: Abgesehen von ein paar Restpunkten herrschte unter den zwölf Verhandlern Einigkeit, was die wichtigsten wissenschaftspolitischen Vorhaben einer möglichen Ampelkoalition angeht.

 

Dass von einer "außerordentlich guten, konstruktiven Stimmung" in der AG berichtet wurde, mag man als die üblichen Floskeln abbuchen, die halt so gesagt werden bei derartigen Verhandlungen und bei denen eigentlich nur stutzig machen sollte, wenn sie nicht kommen. Doch der Optimismus, der nach Abgabe aus der Gruppe herausstrahlte, wirkte echt: Wenn die Ampel die selbsternannte Fortschrittskoalition werden will – bei "Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung" könnte sie ihr zentrales Betätigungsfeld finden – das sehen zumindest viele der zwölf AG-Mitglieder so, sichtlich zufrieden mit ihrer eigenen Arbeit.

 

Ob es wirklich alle ihre Ideen und Vorschläge in den Koalitionsvertrag schaffen, ist offen. Denn nachdem alle Arbeitsgruppen abgegeben haben, beginnt nun die Hauptverhandlungsphase vor allem mit den Partei- und Fraktionschefs und den Generalsekretären. Insgesamt 20 Leute (zehn  Grüne, sechs von der SPD, vier von der FDP), die in der Zusammenschau aller 22 AG-Papiere entscheiden, was wie zusammenpasst: inhaltlich, vor allem aber auch finanziell. "Jetzt sind unsere Vorschläge in der Blackbox", sagte eine Person aus der Wissenschafts-AG. 

 

Der Zukunftsvertrag soll
dynamisiert werden

 

Fest steht: Die AG hat exakt die für zwölfköpfige Verhandlungsteams erlaubten drei Seiten, Schriftgröße elf, Calibri, gefüllt. Was genau sie reinschreiben wollten, da haben auch die Wissenschafts- und Hochschulpolitiker über die vergangenen Wochen dichtgehalten – genau wie es die Parteispitzen den 22 AGs verordnet hatten. "Wer plaudert, fliegt", lautete die Warnung an alle, und auch nach Abgabe dauerte es eine Weile, bis erste Details durchsickerten. Jetzt aber dringen doch erste konkrete Pläne und Vorhaben nach außen. 

 

Das aus Sicht der Hochschulen Wichtigste steht zugleich für einen bundespolitischen Perspektivenwechsel. Die AG will, dass die neue Koalition das Hochschulpakt-Nachfolgeprogramm "Zukunftsvertrag" dynamisiert. Soll heißen: So, wie die außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Max Planck, Helmholtz & Co) automatisch jedes Jahr drei Prozent Aufwuchs bekommen, soll es künftig auch für die Hochschulen gelten. Und zwar schon beginnend in dieser Legislaturperiode. Derzeit zahlen Bund und Länder pro Jahr jeweils 1,88 Milliarden Euro, und lediglich 2024 ist ein einmaliger Anstieg der Bundesfinanzierung um 170 Millionen vorgesehen, in gleicher Höhe kofinanziert von den Ländern.

 

Die Dynamisierung des Zukunftsvertrags wäre nicht nur eine wichtige zusätzliche Unterstützung der Hochschulen angesichts klammer werdender Länderhaushalte, es wäre zugleich die Ansage: Der Bund fühlt sich für die Hochschulen genauso verantwortlich wie für die außeruniversitären Forschungseinrichtungen und will sie deshalb auch gleich behandeln. Bislang hatte die Bundesregierung, auch die bisherige Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU), ein jährliches Wachstum beim Zukunftsvertrag analog zum Pakt für Forschung und Innovation (PFI) für die Außeruniversitären stets mit dem Argument abgelehnt, für die Hochschulen seien vorrangig die Länder zuständig. Mit der Folge, dass die Budgets der Hochschulen immer weiter zurückgefallen waren. 

 

Mehr Geld für mehr
Exzellenzcluster

 

Aus Sicht der Universitäten ebenfalls von großer Bedeutung: Die Exzellenzstrategie soll mehr Geld erhalten. Genau wie es parteiübergreifend die Landeswissenschaftsminister gefordert hatten, wie es aber auch das ExStra-Expertengremium vorgeschlagen hatte. Offenbar in etwa der verlangten Höhe: zwischen 150 und 200 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr. Derzeit ist die ExStra mit 533 Millionen Euro dotiert, zur 75 Prozent vom Bund finanziert.

 

Der Aufschlag würde zwar erst in der nächsten Legislaturperiode budgetwirksam würden, doch stehen die GWK-Verhandlungen zur Weiterentwicklung der ExStra schon 2022 an. Das zusätzliche Geld würde dazu führen, dass in der nächsten Vergaberunde rechnerisch rund 70 Clusteranträge bewilligt werden könnten – eine Zahl, die seit langem diskutiert worden ist. Außerdem spricht sich die AG dafür aus, besonders kooperative und interdisziplinäre Clustervorhaben schon in der Anbahnung  zu unterstützen. Auch die DFG-Programmpauschalen sollen weiter und spürbar steigen, und es ist auch ein (allerdings eher kleines) Programm zur Digitalisierung der Hochschullehre vorgesehen, das aber weder unter dem Namen "Digitalisierungspauschale" (wie ihn einst die Expertenkommission Forschung und Innovation in Umlauf gebracht hatte) noch als "Digitalpakt Hochschule" laufen soll.

 

Unter das Ziel, Hochschulen und Außeruniversitären künftig auf Augenhöhe zu behandeln, lässt sich auch die im Papier enthaltene Ansage fassen, den in den letzten PFI-Verhandlungen von Bund und Ländern vereinbarten, aber nie realisierten "Strategieentwicklungsraum" jetzt doch durchzusetzen. Was bedeutet, dass die außeruniversitären Forschungseinrichtungen künftig etwas von ihrem Zuwachs (der so bleibt, wie er ist) in einen Topf für institutionenübergreifende Projekte geben müssen. Genau dagegen hatten sie sich bislang erfolgreich gewehrt.

 

Eine neue Transferagentur
mit dickem Budget

 

Vor allem die Fachhochschulen werden sich freuen, dass laut AG-Papier eine neue Förderinstitution für die Transferforschung gegründet werden soll. Die Grünen hatten ein diesbezügliches Konzept unter dem Titel "D.Innova" verfolgt, die FDP forderte seit Jahren eine "Deutsche Transfergemeinschaft". Jetzt soll es ein ganz anderer Name werden, aber auf jeden Fall nach Willen der AG eine sehr gewichtige Finanzierung geben. Antragsberechtigt sollen ähnlich wie beim Förderprogramm "Innovative Hochschule" Fachhochschulen sowie kleine und mittlere Universitäten werden. 

 

Innovation war schon im Sondierungspapier ein zentrales Thema, während es darin beim Thema Hochschulen und Unterstützung der Grundlagenforschung noch große Lücken gab. An der Stelle haben die Ampel-Verhandler aber jetzt, siehe oben, nachgearbeitet, so dass sie auf ihren drei Seiten auch das Innovationsthema weiter ausbuchstabieren. Wie genau, ist noch ein bisschen schemenhaft, aber die AG-Teilnehmer berichten davon, dass die Agentur für Sprunginnovationen endlich die nötigen rechtlichen Freiheiten erhalten soll. Es soll zudem massiv in Technologietransfer und Gründungskultur investiert werden, in Deep Tech und sogenannte Enterprise Zones genauso wie in breitere Innovationsregionen. 

 

Natürlich darf auch das wissenschaftspolitische In-Thema der "missionsorientierten Forschung" nicht fehlen. In dem AG-Papier werden sechs verschiedene Programmfelder aufgeführt von Fragen der Klimaneutralität der Industrie über BioTech (inklusive Gentechnik) und Gesundheit bis hin zur Demokratie- und Friedensforschung, und für jedes der sechs Felder, die politisch koordiniert werden sollen, wird es den Plänen zufolge eine eigene Finanzierung geben. Wer in alldem eine Bündelung und Weiterentwicklung der doch arg unübersichtlichen Hightech-Strategie vermutet, dürfte richtig liegen. 

 

Ampel-Verhandler wollen die Einführung  
von Departmentstrukturen fördern

 

Und was ist mit dem Thema Befristungen und Personalentwicklung? Auch hier ist noch etwas verschwommen, was genau die Ampel-Wissenschaftspolitiker vorhaben. Klar ist: Ein Bekenntnis, auch gesetzgeberisch zu handeln, sobald die Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes durch ist, wird nicht fehlen. Es soll aber auch ein Programm zu wissenschaftlichen Karrieren geben, auf das sich Hochschulen bewerben können, die ihre Governance verändern wollen. Gefördert würde zum Beispiel die Einführung von Departments an den Hochschulen, die viele als Voraussetzung für nachhaltigere Personalstrukturen und flachere Hierarchien sehen. Auch andere Maßnahmen und Strategien, die für mehr Diversität und Gendergerechtigkeit in Wissenschaftlerkarrieren sorgen, könnten über ein solches Programm unterstützt werden. Spannend wird natürlich, wie breit angelegt es tatsächlich ausfallen wird, um in die gesamte Universitätslandschaft ausstrahlen zu können. 

 

Weitere Vorhaben, die erwähnt werden: ein Dateninstitut nach dem Vorbild des britischen "Open Data Institute", die weitere Förderung der Wissenschaftskommunikation und die Einrichtung einer Stiftung für Wissenschaftsjournalismus. Und dies ist längst noch keine vollständige Liste. Wer wissen will, was mit dem Bafög wird: Das behandelte die Arbeitsgruppe "Bildung und Chancen für alle", dazu dann demnächst mehr.

 

Am Ende ist erstaunlich, was die zwölf Verhandlungsführer auf den drei Seiten alles  untergebracht haben. Was ihre Pläne insgesamt kosten würden, haben sie ebenfalls aufgeschrieben, aber diese Liste wird noch strenger unter Verschluss gehalten. Was optimistisch stimmen kann, ist weniger, dass die Steuerschätzer mittelfristig mit 179 Milliarden Euro mehr bis 2025 rechnen, denn die Summe werden alle AGs mit ihren Vorhaben ausreizen und überstrapazieren. Doch stand bereits im Ampel-Sondierungspapier das explizite Ziel, die gesamtstaatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung von aktuell 3,14 auf 3,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Die Ampel-Koalition wird dies auf einzelne Jahrestranchen herunterbrechen. Und das wird Spielräume geben. Für so manche Ambition der AG "Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung". Gut so.

 

Hinweis: Ich habe im Text einen Fehler beim Bundesanteil an der ExStra-Finanzierung korrigiert.



Wer hat verhandelt?

In der AG "Innovation, Wissenschaft, Hochschule und Forschung" waren viele Minister aus den Ländern dabei. So hatte die SPD mit Manja Schüle (Brandenburg) und Michael Müller (Berlin) zwei aktuelle Ressortchefs geschickt, wobei Müller die Ämter des Regierenden Bürgermeisters und Wissenschaftssenators in wenigen Wochen abgeben wird.

Für die Grünen verhandelten Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank und Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn mit. Die FDP-Politikerin Lydia Hüskens war ebenfalls dabei und ist Ministerin, 

allerdings für Infrastruktur und Digitales in Sachsen-Anhalt.

Als Fachpolitiker aus dem Bundestag haben Wiebke Esdar (SPD), Kai Gehring und Dieter Janecek (beide Grüne) sowie Jens Brandenburg und Thomas Sattelberger (beide FDP) mitverhandelt. Ebenfalls in der AG vertreten waren Parlamentarier aus den Ländern ohne aktive Regierungsverantwortung, aber mit Fachwissen: Thomas Losse-Müller (Schleswig-Holstein) für die SPD; für die FDP Magnus Buhlert aus Bremen.



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Kommentare: 2
  • #1

    Thomas Lintner (Freitag, 12 November 2021 17:54)

    Klingt ja alles geradezu erstaunlich. Was aber passiert nun, wenn Herr Habeck die Möglichkeit des Scheiterns der
    Verhandlungen sieht (vgl. ZON)? Die Hoffnungszeichen für
    den hier dargelegten Bereich wären zu schade dafür, daß Herr Hobeck diesmal den Lindner gibt.

  • #2

    Forscher (Sonntag, 14 November 2021 16:56)

    "die Einrichtung einer Stiftung für Wissenschaftsjournalismus"

    Das ist gefährlich. Deutschland braucht dringend mehr unabhängigen (d.h. vom Staat) Wissenschaftsjournalismus.