· 

Die bekannte Geschichte

Brandenburg will die Weihnachtsferien wegen Corona vorziehen – nur um ein paar Tage. Das hatten wir doch schon mal. Was dann folgte: monatelange Schulschließungen.

Die täglichen Corona-Meldezahlen in Deutschland seit Ende Mai.
Screenshot vom COVID-19-Dashboard des RKI. 

BRANDENBURGS BILDUNGSMINISTERIN Britta Ernst (SPD), derzeit Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), will einem Bericht der Potsdamer Neuesten Nachrichten zufolge die Weihnachtsferien um drei Tage vorziehen. Damit wäre der letzte Schultag in Brandenburg der 17. Dezember. Es handelt sich um eine Reaktion auf die hohen Corona-Zahlen im Bundesland: Heute Morgen gab das Robert-Koch-Institut die 7-Tages-Inzidenz in Brandenburg mit 600,1 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern an.

 

Es ist fast schon beklemmend, wie die Geschichte sich damit zu wiederholen droht. Am 23. November 2020, vor exakt einem Jahr, beschlossen etliche Bundesländer, die Weihnachtsferien einige Tage vorzuziehen. Zunächst nur Unionsländer. Am 24. November 2020 einigte sich die Kultusministerkonferenz dann auf den 19. Dezember als Ferienbeginn, "um vor dem Weihnachtsfest mit vielen Kontakten die Infektionsrisiken durch Schüler zu reduzieren". Der Rest ist bekannt: Aus "den paar Tagen" wurden Monate ohne Präsenzunterricht, überall in der Bundesrepublik.

 

Und dieses Jahr? Lange lauteten die Schwüre, die Schulen gar nicht mehr flächendeckend zu schließen, so steht es auch im neuen Infektionsschutzgesetz. Zuletzt war dann vermehrt zu hören, unter anderem von Noch-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), bei der derzeitigen Corona-Lage solle man "gar nichts" mehr ausschließen. Womit die Devise derzeit lautet: Wenn überhaupt, schließen Kitas und Schulen als letztes. 

 

Die Empirie weiß

es längst besser

 

Brandenburg zeigt allerdings bereits, dass es auch mit diesem Versprechen am Ende nicht weither sein könnte. Denn während die Schulferien im ganzen Bundesland vorgezogen werden sollen ("ist ja nur für ein paar Tage"), ist von vorzeitigen und flächendeckenden Schließungen von Einzelhandel und Restaurants nicht die Rede. Die Bahn hin zur aus allen bisherigen Corona-Wellen bekannten Benachteiligung der jungen Generation in Deutschland wird schiefer.

 

Was die Sache noch beklemmender macht: Die Empirie weiß es besser. So sind zahlreiche Forschergruppen im In- und Ausland, darunter das Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit (IZA), mit ihren statistischen Analysen zum selben Ergebnis gekommen: Der Schulunterricht dämpft tendenziell, solange er mit obligatorischen und regelmäßigen Schnelltests verbunden ist, die gesellschaftliche Corona-Dynamik. "Das Wiederöffnen der Schulen nach den deutschen Sommerferien trug vermutlich sogar dazu bei, dass die Inzidenzzahlen niedriger geblieben sind, als sie bei geschlossenen Schulen gewesen wären", schreiben die IZA-Forscher. Die Pflichttests in Schulen stellten ein wichtiges Mittel dar, Ausbrüche frühzeitig zu erkennen und zu isolieren, was zur Eindämmung der Pandemie beitragen könne.

 

Tatsächlich zeigte die Corona-Entwicklung seit dem Sommer in den Bundesländern das immer gleiche Muster: In den Sommerferien ein alltäglicher Anstieg, dann ein starker Inzidenz-Sprung vor allem bei den Kindern und Jugendlichen in den ersten zwei, drei Wochen nach Schulstart, anschließend über viele Wochen eine Seitwärts- oder sogar Abwärtsbewegung. Mit anderen Worten: Die Ferien trieben die Ansteckungen, die Schul-Pflichttests deckten die Dynamik auf und dämmten, zusammen mit anderen Hygienemaßnahmen in den Schulen, die weitere Ausbreitung ein.

 

Was also, will man Brandenburgs Bildungsministerin Ernst und ihre Kollegen (die wahrscheinlich schon mit demselben Gedanken spielen) fragen, werden die vorzeitigen Weihnachtsferien bringen – außer noch mehr Gelegenheiten für Kinder und Jugendliche, sich anzustecken? Ja, die Meldezahlen werden zunächst sinken, weil dann früher nicht mehr regelmäßig getestet wird. Aber unbeobachtet wird die Dynamik noch stärker sein.

 

Nach den Sommerferien war die Corona-Dynamik 
unter Schülern niedriger als unter Erwachsenen

 

Ein Blick auf die Empirie wäre auch in anderer Hinsicht für die Politiker in Bund und Ländern in diesen Tagen wieder besonders hilfreich. Nachdem der Effekt der Herbstferien überall vollständig verhallt ist, stiegen die gemeldeten Infektionszahlen unter 5- bis 14-Jährigen kaum noch überdurchschnittlich: 25,8 Prozent zusätzliche Neuinfektionen meldete das RKI für diese Altersgruppe in der vergangenen Kalenderwoche – im Vergleich zu 24,9 Prozent in der Gesamtgesellschaft. Bei den (zu einem großen Teil bereits geimpften) 15- bis 19-Jährigen war das Plus mit 14,1 Prozent sogar das niedrigste aller Altersgruppen.

 

Übrigens liegt der Anteil der 5- bis 14-Jährigen an allen Neuinfektionen, so hoch die Zahlen und Inzidenzen auch absolut sein mögen, aktuell mit 19,1 Prozent immer noch um 2,5 Prozentpunkte (!) niedriger als nach den Sommerferien Mitte September. Das heißt: Insgesamt war die Corona-Dynamik, seit wieder Schule ist, bei den ungeimpften Kindern und Jugendlichen deutlich geringer als bei den größtenteils geimpften Erwachsenen. Obwohl nur die Kinder und Jugendlichen so viel getestet werden, dass bei ihnen die Dunkelziffer viel besser ausgeleuchtet ist. 

 

Doch was zählt Empirie, wenn die "Das reicht nicht-"Spirale sich immer schneller dreht? Wenn die Politik, nachdem sie monatelang nichts oder wenig gegen die absehbare vierte Welle getan hat, nun angesichts der überhaupt nicht überraschend gekommenen Rekord-Inzidenzen mit den aus früheren Wellen bekannten Rundumschlägen reagiert? Und dabei wieder einmal besonders stark diejenigen trifft, die sich am wenigsten wehren können: Kinder und Jugendliche.

 

Nachtrag am 24. November: Nach Brandenburg hat auch Sachsen-Anhalt angekündigt, die Weihnachtsferien vorzuziehen. Außerdem haben beide Bundesländer die Schulbesuchspflicht ausgesetzt. Unterdessen sagte auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) laut Spiegel, die Schulen sollten zwar "so lange wie möglich" offenbleiben, allerdings sei die Situation so dramatisch, dass man nichts ausschließen könne. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte demgegenüber im Landtag, man wolle versuchen, Schulschließungen möglichst zu vermeiden. "Wir wollen aus anderen Pandemiewellen lernen und nicht wieder bei Kindern und Jugendlichen anfangen." Was ihn und sein Kabinett allerdings nicht davon abhielt, die neuen Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte auch allen Kindern und Jugendlichen aufzuerlegen, die älter sind als 12 Jahre und drei Monate. Mit anderen Worten: Wenn ein Kind sich nicht direkt an seinem Geburtstag erstimpfen lässt, fällt es wegen der Wartezeit bis zur Zweitimpfung schon unter die Kontaktbeschränkungen. Obwohl die STIKO, siehe oben, davor gewarnt hatte, bei Jugendlichen das Recht auf Teilhabe mit dem Impfstatus zu verknüpfen. Wäre man doch bloß mit den Erwachsenen in der Pandemie jemals so streng umgegangen. 

 

Nachtrag am 30. November: Jetzt bringen SPD und CDU im Landtag von Brandenburg bereits Wechselunterricht ins Gespräch.  "Die oberste Priorität ist, dass die Schulen offen bleiben – da kann ein Wechselmodell eine Möglichkeit sein", sagte SPD-Fraktionschef Daniel Keller am Dienstag in Potsdam. Sein CDU-Kollege Jan Redmann sagte, es sei nötig, über schärfere Maßnahmen an Schulen zu reden, wo die Infektionszahlen hochschnellten. "Hier wird sicherlich auch der Wechselunterricht ein Thema sein." Die bekannte Geschichte vom Vorjahr geht in ihr nächstes Kapitel.


Bayerns Hochschulen: 2 G für alle

Auch Bayern, das heute Morgen laut RKI eine 7-Tages-Inzidenz von 644,9 erreicht hatte, verschärft die Corona-Regeln weiter. Doch setzt der Freistaat erfreulicherweise bislang die Ankündigung um, die Kitas und Schulen auch bei sehr hohen Inzidenzen offenzuhalten. Im Gegensatz zu vielen anderen Einrichtungen. So müssen in Hotspot-Landkreisen ab einer Inzidenz von 1000 Restaurants und Hotels geschlossen werden, dazu alle Freizeit- und Kulturveranstaltungen abgesagt werden, auch die Hochschulen müssen in den digitalen Betrieb wechseln. Doch Kitas und Schulen bleiben offen. Das ist vorbildlich – und bleibt hoffentlich so. 

 

In allen bayerischen Landkreisen gelten ab Mittwoch strenge Auflagen für Restaurants, Diskos und Bars müssen schließen. Für Kultur- und Sportveranstaltungen gilt 2G Plus mit Testpflicht auch für Geimpfte, an den Hochschulen ist der Präsenzbetrieb nur noch mit Genesenen und Geimpften

 erlaubt. Was angesichts einer Impfquote von Studierenden von durchschnittlich über 90 Prozent mehr als vertretbar ist. Nach der teilweise erregten Debatte um die 2G-Regelung an der Universität Erlangen-Nürnberg gilt damit von Mittwoch an: Alle Hochschulen in Bayern sind Erlangen. Ein Vorbild für die Hochschulen im Rest der Bundesrepublik, damit sie den Präsenzbetrieb möglichst lange fortsetzen könnten. Aber bitte dann verbunden mit Tests für alle. 

 

Woran sich auch Bayern noch nicht herantraut: an eine Ausweitung der Testpflicht am Arbeitsplatz auch auf Genesene und Geimpfte. Diese wird dringend kommen müssen.

 

Gar nicht vorbildlich ist indes, dass Bayern die 2G-Regeln bereits ab 12 Jahren gelten lässt – obwohl die STIKO explizit gefordert hatte, die Teilhabe von Kindern und Jugendliche nicht von ihrem Impfstatus abhängig zu machen. 



Es geht langsamer aufwärts

Die bundesweite Corona-Dynamik lässt weiter nach – allerdings nur sehr langsam. Heute lag die bundesweite 7-Tages-Inzidenz mit 399,8 um 28 Prozent höher als vor exakt einer Woche (312,4). Am vergangenen Dienstag war die Inzidenz noch um 46,2 Prozent zur Vorwoche gestiegen.

 

In einigen Bundesländern zeigen sich bereist deutlichere Bremsspuren. Bayern (Inzidenz 644,9): noch +16,4 Prozent zur Vorwoche. Berlin (349,0): +10,5 Prozent. Hamburg (196,8): +19,5 Prozent. Baden-Württemberg: (459,5): +21,9 Prozent. Auch bei den Inzidenz-Spitzenreitern Sachsen (969,9; +27,7 Prozent) und Thüringen (685,3; +25,5 Prozent) geht es spürbar langsamer hoch. 

 

Während die Anstiege besonders in den übrigen ostdeutschen Bundesländern noch bedrückend stark sind. Brandenburg (Inzidenz 600,1): +48,0 Prozent. Mecklenburg-Vorpommern (294,0): +63,5 Prozent. Sachsen-Anhalt (591,7): +67,9 Prozent.

 

Auffällig sind auch die Sprünge in den Karnevalsregionen, die in den vergangenen Wochen stets unterdurchschnittlich zugelegt hatten. NRW (249): +41,0 Prozent. Rheinland-Pfalz (252,2): +40,8 Prozent. Saarland (364,3): +85,5 Prozent. 

 

Schlechter erklärbar ist, warum das Land mit der bundesweit höchsten Impfquote, Bremen, zwar weiter absolut eine der niedrigsten Inzidenzen (183,6) hat, aber in den vergangenen sieben Tagen einen der stärksten Anstiege aufwies: +59,2 Prozent. Die geringsten Ansteckungszahlen haben weiter Schleswig-Holstein (Inzidenz: 144,5; +37,4 Prozent) und Niedersachsen (181,0; +36,3 Prozent). Hessen (240,0) legte seit vergangenem Dienstag mit 27,4 Prozent ziemlich genau im Durchschnitt zu.

 

Erfreulicherweise nahm in der vergangenen Kalenderwoche die Zahl der nachweislich neuinfizierten über 80-Jährigen mit (nach vorläufigen RKI-Statistiken) 20,9 Prozent zum zweiten Mal in Folge unterdurchschnittlich zu –gegenüber gesamtgesellschaftlich 28,0 Prozent. Wirken die verschärften Sicherheitsvorkehrungen für diese Altersgruppe, zeichnet sich hier ein neuer Trend ab nach Monaten mit einer besonders hohen Corona-Dynamik unter den Ältesten? Leider ging es bei den 60- bis 79-Jährigen in der vergangenen Kalenderwoche mit 27,4 Prozent noch fast so schnell rauf wie im Schnitt der Gesamtbevölkerung.

 

Entsprechend stieg auch der Anteil der über 80-Jährigen an den Krankenhaus-Einweisungen zuletzt nicht mehr weiter: In der vorgegangenen Kalenderwoche (neuere Daten hat das RKI noch nicht) lag er bei immer noch enorme hohen 32,4 Prozent – nach 32,7 Prozent in der Vorwoche. Während die 60- bis 79- Jährigen auf einen Anteil von 34,3 Prozent kamen, noch einmal 1,7 Prozentpunkte mehr als in der Vorwoche.

 

Insgesamt stellt die 60+-Altersgruppe damit inzwischen mehr als zwei Drittel (66,7 Prozent) aller Hospitalisierten, das ist ein bedrückender Rekord und liegt noch über dem Niveau des Vorjahres. Ob es die absoluten Zahlen auch tun, wissen wir wegen des enormen Meldeverzugs noch nicht, es ist aber davon auszugehen. Zum Vergleich: Kinder und Jugendliche bis einschließlich 15 kamen auf einen Anteil von 3,8 Prozent an allen Einweisungen.

 

 

Bei den Intensivpatienten gab es am Montag im Vergleich zur Vorwoche einen Anstieg um 26,7 Prozent auf 3.845 – womit die Zahlen wieder über dem Vorjahr lagen (3.742). Allerdings bei einer Inzidenz von fast 400 im Vergleich zu 143 am 23. November 2020.


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 2
  • #1

    Lothar Budachs (Dienstag, 23 November 2021 13:50)

    Wie schon gedacht: Frau Ernst hebt für Brandenburg die Präsenzpflicht an Schulen auf (vgl Von). Und die Dame ist Gattin des voraussichtlich künftigen Kanzlers.

  • #2

    Sibylle Gemming (Donnerstag, 25 November 2021 12:57)

    Steigen die Zahlen wirklich langsamer? Oder sehen wir nur, dass das Meldewesen an der Kapazitätsgrenze arbeitet? Letzteres entwertet alle Kennzahlen, die bei der Pandemie-Eindämmung eine Rolle spielen, während die Krankenhäuser voll laufen! Und das sehen wir aktuell.

    Ein extremes Beispiel ist die Hospitalisierungsrate in Sachsen: Vor einer Woche wurde der Wert für den 19.11. mit 2.39 angegeben. Im Lauf der Woche erfolgten Nachmeldungen und so beträgt der Wert für den 19.11. heute 9.56. Binnen einer Woche hat sich dieser Wert vervierfacht! Ein Anstieg um weitere 200% des Ausgangswerts ist in den nächsten Tagen zu erwarten.

    Eine Entscheidung über einschneidende Maßnahmen darf nicht an einen Indikator gekoppelt sein, der systembedingt gar nicht in der Lage ist, den Ist-Zustand korrekt abzubilden.