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Was hat es gebracht?

Berlin bleibt auf seinem bundesweiten Sonderweg einer fortgesetzten Testpflicht an Schulen. Hamburg hat ihn gerade verlassen. Zeit für den Versuch einer statistischen Bilanz.

DA WAR ES NUR noch Berlin. Nachdem Hamburg als vorletztes Bundesland und nach einigem Hin und Her die Corona-Testpflicht an Schulen komplett aufgehoben hat, müssen nur noch die Schüler und Lehrer der Bundeshauptstadt einen negativen Corona-Befund vorweisen, um in den Unterricht zu dürfen. Und das soll, sagt der Sprecher der Berliner Bildungsverwaltung, auch bis auf Weiteres so bleiben. Mit derzeit zwei Pflichttests pro Woche. Änderungen seien aber "prinzipiell lageabhängig jederzeit möglich", fügt Martin Klesmann hinzu.

 

Zuvor hatte Hamburgs Bildungsbehörde, getrieben von Gerichtsentscheidungen, die Pflicht in zwei Schritten ausgesetzt. Zuerst nur für genese und geimpfte Schüler, nachdem das Verwaltungsgericht dem Eilantrag eines geimpften Schülers und einer geimpften Schülerin unter anderem gegen die Testpflicht stattgegeben hatte. Dann, als es wegen der Ungleichbehandlung nicht geimpfter Schüler heftige Kritik von Eltern und Bürgerschaftsopposition gab, doch für alle. Und zwar von dieser Woche an. 

 

Damit hat Hamburg seinen Corona-Sonderweg endgültig verlassen, nachdem es zum 1. Mai bereits alle übrigen Hotspot-Regelungen aufgehoben hatte, unter anderem die Maskenpflicht in den Schulen. Die galt in Berlin, wie in den meisten Bundesländern, bereits seit Anfang April nicht mehr. Ansonsten bleibt jetzt allein Berlin bei seinen besonderen Vorschriften für Schulen – was (wenn auch unter anderen Vorzeichen)erstaunlich an die Situation vor genau einem Jahr erinnert.  

 

Stellt sich die Frage: Was hat das Festhalten an den Corona-Tests in den Schulen – und in Hamburg zusätzlich an der Maskenpflicht – denn nun gebracht – außer, dass Kinder und Jugendliche (mal wieder) anders behandelt wurden als Erwachsene?

 

Die Beantwortung dieser Frage steht wie gewohnt unter den Vorzeichen der deutschen Corona-Datenmisere, weil bis heute keine aktuellen repräsentativen Daten zum Infektionsgeschehen in der Bevölkerung erhoben werden. Woraus folgt, dass jede Veränderung der Testregeln an sich schon eine neue Verzerrung der Corona-Statistik bedeutet und Vergleiche zu früheren Zeitpunkten nur mit großen Fragezeichen möglich sind. Dennoch ist der Blick auf die Entwicklung der landesweiten Corona-Inzidenzen in Berlin und Hamburg aufschlussreich, ebenso der Anteil der positiv getesteten Kinder und Jugendlichen an allen Neuinfizierten.

 

Inzidenzen in Hamburg und Berlin
sanken etwas langsamer als im Bundesschnitt

 

Am 29. März herrschte überall in den Schule noch Masken- und fast überall eine Testpflicht. Damals lag die bundesweite 7-Tages-Inzidenz bei 1.703 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern. Hamburg (1.108) und Berlin (1.077) lagen darunter. Heute, am 17. Mai, ist die bundesweite Inzidenz auf 438 gesunken, ein Minus von 74 Prozent. Während die Inzidenz in Hamburg um 59 Prozent auf 455 zurückging und in Berlin um 68 Prozent auf 347.

 

Dass das offiziell registrierte Infektionsgeschehen in den einzigen beiden Bundesländern, wo bis zuletzt eine Testpflicht an den Schulen herrschte, langsamer abebbte, muss nicht viel heißen. Denn die Differenz lässt sich, siehe unten, zumindest teilweise durch den Wegfall eben jener Tests im restlichen Deutschland erklären, weshalb dort weniger Infektionen bei Kindern und Jugendlichen entdeckt wurden. 

 

Festzuhalten ist aber auch: Die Beibehaltung der schulischen Corona-Pflichttests in Berlin und Hamburg ging dort nicht einher mit einem nachweisbar stärkeren Rückgang der Corona-Inzidenz. Lassen wir es bei der Formulierung. Denn die Konstruktion von Kausalitäten wäre noch verfänglicher als die Beschreibung nicht-repräsentativer Zahlen. Was umso unverständlicher macht, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht längst ein Corona-Panel zur Chefsache gemacht hat, ja kaum Interesse daran zeigt. Obwohl nur das die Evaluation von Corona-Maßnahmen auf ein wirklich stabiles Fundament stellen würde. 

 

Kaum Unterschiede beim Anteil neuinfizierter Kinder und Jugendlicher

 

Die Kalenderwoche 13, die am 28. März begann, war die letzte, bevor in vielen Bundesländern die Osterferien begannen und die Test- und Maskenpflicht endete. Deshalb ist sie als Ausgangspunkt von Vergleichen sinnvoll. Damals registrierte das Robert-Koch-Institut (RKI) bundesweit fast 1.290.000 Neuinfektionen, von denen rund 195.000 auf Kinder und und Jugendliche unter 15 entfielen. Ein Anteil von 15,9 – der noch leicht über ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung von 13,8 Prozent lag.

 

In der vergangenen Kalenderwoche (sie hatte die Nummer 19) wurden in Deutschland bislang gut 365.000 Corona-Neuinfektionen gezählt. Diese Zahl wird durch Nachmeldungen noch merklich steigen. Trotzdem ist der Rückgang innerhalb von sechs Wochen enorm. Und der unter Kindern und Jugendlichen war noch einmal überdurchschnittlich – mit dem Ergebnis, dass sie vergangene Woche nur noch 13,6 Prozent aller gemeldeten Neuinfektionen stellten. Ein Minus von 2,3 Prozentpunkten. Bei den 5- bis 14-Jährigen war der Sprung mit 2,6 Prozentpunkte sogar noch größer.

 

In Berlin und Hamburg betrug das Minus bei allen unter 15 dagegen 1,7 Prozentpunkte. Stellten sie in beiden Stadtstaaten in Kalenderwoche 13 noch 14,3 Prozent aller registrierten Neuinfizierten, waren es in der vergangenen Woche 12,6 Prozent. Warum? Weil hier bei den 5- bis 14-Jährigen der ganz große Sprung nach unten infolge der Test-Abschaffung in den Schulen fehlte. Das Anteil-Minus in dieser Altersgruppe lag nur bei 1,9 Prozent. 

 

Eine persönliche
Schlussfolgerung

 

Wie soll man all diese Zahlen nun interpretieren? Vielleicht so: In ganz Deutschland ging die Corona-Dynamik besonders unter Kindern und Jugendlichen zwischen Ende März und Mitte Mai kräftig zurück, auch und vermutlich ähnlich stark in Berlin und Hamburg. Dass die dortige Fortsetzung der Pflichttests (und in Hamburg zusätzlich bis Ende April der Maskenpflicht) allerdings eine zusätzliche dämpfende Wirkung aufs Infektionsgeschehen hatte, kann man vermuten, lässt sich aber aus den Zahlen nicht ablesen.

 

Woraus sich eine klare Pflicht für die Politik ergibt. Die Gesundheitsminister von Bund und Ländern diskutieren bereits mögliche neue Maßnahmen im Herbst, falls eine neue Welle und neue Varianten kommen. Bislang war es immer so, dass die ergriffenen Maßnahmen dort, wo viele Kinder und Jugendlich waren, besonders streng und lange galten. Wenn auch im Herbst in den Schulen wieder regelmäßig getestet und eine Maskenpflicht angeordnet werden sollte (hoffentlich bleibt es nur dabei!), die Politik also erneut in den Alltag der Kinder und Jugendlichen eingreift, muss sie dies durch die gleichzeitige und erstmalige Erhebung hochwertiger repräsentativer Infektionsdaten flankieren. 

 

Natürlich gilt dies für alle künftigen Corona-Maßnahmen und Altersgruppen. Aber für die Altersgruppen, die besonders eingeschränkt werden, als erstes und ganz besonders. Darauf sollten sich die Gesundheitsminister vorbereiten. Ein weiterer Herbst mieser Daten- und Evaluationsqualität wäre nicht zu rechtfertigen. 



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Kommentare: 1
  • #1

    Verena Schmidt (Mittwoch, 18 Mai 2022 12:33)

    Vielen Dank für die Beobachtungen.

    Hierzu ergänzend eine subjektive Einzelbetrachtung aus Hamburg: Das schulische Angebot zur freiwilligen Fortsetzung von 2 Testungen pro Woche ergab an diesem Montag, dem 1. Tag ohne verpflichtenden Tests in Hamburg, 5 positive Ergebnisse in der Klasse meiner Tochter, allesamt mittlerweile bestätigt per PCR-Nachtestung. Hinzu kamen bis heute 2 weitere Fälle. Auch wenn wir aktuell vorrangig die milderen Verläufe sehen, so bin ich persönlich froh darum, dass die Schule unserer Tochter am freiwilligen Angebot festhält, das von allen Kindern wahrgenommen wird und sichtlich Relevanz besitzt.