· 

Und was sagt die Szene?

Reaktionen auf die Evaluation des "WissZeitVG": eine erste Übersicht.

NACH VERÖFFENTLICHUNG des Evaluationsberichts zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz folgte unmittelbar die Debatte, was die Ergebnisse denn nun bedeuteten. Vor allem vor dem Hintergrund der von der Ampel-Koalition versprochenen erneuten Novelle.

 

Die Sprecherin der Mitgliedergruppen Universitäten in der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Anja Steinbeck, befand in ihrer ersten Reaktion, dass sich "kaum zwingende Folgerungen für eine Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ableiten" ließen. Deshalb würden die Universitäten ihre "Beratungen über angemessene Personalstrukturen und Wege zur Professur, aber auch über die Vorbereitung auf außeruniversitäre Berufsfelder fortsetzen und sich mit fundierten Vorschlägen in den vom BMBF geplanten Stakeholder-Prozess einbringen". Zugleich versicherte Steinbeck, die im Hauptberuf Rektorin der Universität Düsseldorf ist, das Hochschulsystem sehe sich "klar in der Verantwortung für seine Beschäftigten sowie für seine Absolventinnen und Absolventen." 

 

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kommentierte, alle wesentlichen Ziele der WissZeitVG-Novelle seien verfehlt worden. Der Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiter an den Hochschulen sei so hoch wie vor 2016, zudem gingen die durchschnittlichen Laufzeiten wieder zurück. "Jetzt gibt es keine Ausrede mehr für die Ampelkoalition, die überfällige Reform des Gesetzes anzupacken", sagte der GEW-Vizevorsitzende Andreas Keller und fügte hinzu, das WissZeitVG widerspreche der ihm ursprünglich zugeschriebenen Funktion, die wissenschaftliche Qualifizierung zu fördern".

 

GEW: "Befristung ist für die Arbeitgeber
zum Selbstzweck geworden"

 

Die durchschnittliche Promotionsdauer liege laut Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs ohne Medizin bei knapp sechs Jahren. "Innerhalb einer durchschnittlichen Vertragslaufzeit von anderthalb Jahren kann das Qualifizierungsziel Promotion somit nicht erreicht werden. Die Folge sind Kettenbefristungen", sagte Keller. Oder aber die Wissenschaftler würden mit einer halbfertigen Qualifizierungsarbeit auf die Straße gesetzt. "Befristung ist für die Arbeitgeber zum Selbstzweck geworden." Die GEW fordere deshalb ein "Wissenschaftsentfristungsgesetz".

 

Die Initiatoren von "#IchBinHanna" betonten, die Evaluation aber sich "auftragsgemäß nur auf Details der Auswirkungen" konzentriert, die die Novelle auf die Befristungspraxis gehabt habe. "#IchBinHanna" habe aber gezeigt: "Es braucht einen sehr viel grundsätzlicheren Ansatz, um attraktive Arbeitsbedingungen und echte Teilhabegerechtigkeit in der deutschen Wissenschaft sicherzustellen", erklärten Amrei Bahr, Kristin Eichhorn und Sebastian Kubon. Die neue gesetzliche Regelung müssten Befristungen eindämmen, statt sie wie jetzt umfassend zu ermöglichen. "Dazu braucht es einen enger gefassten, konkretisierten Qualifikationsbegriff." Derzeit werde der Begriff inflationär verwendet, das zeige das jüngste Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG), daher sei er auch zur Begrenzung von Befristung ungeeignet. "Nur mit verlässlichen beruflichen Perspektiven ist eine zukunftsfähige Wissenschaft für Deutschland möglich."

 

Der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Oliver Kaczmarek, sagte: "Wir müssen auch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz ändern, um die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft zu verbessern." Die Evaluationsergebnisse zeigten aber auch, dass dabei nicht nur der Bund gefragt sei. "Gute Arbeit in der Wissenschaft gelingt nur in Kooperation von Bund, Ländern und Hochschulleitungen." 

 

"Die Ergebnisse sind neu, die Erkenntnisse sind es nicht", sagt Brandenburgs Wissenschaftsministerin Schüle

 

Den Ball nahm Manja Schüle, SPD-Wissenschaftsministerin von Brandenburg, direkt auf. "Die Ergebnisse der Evaluation sind neu", sagte sie, "die Erkenntnisse sind es nicht – und die Debatte um gute Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft ist es erst recht nicht." Deswegen habe Brandenburg als eines von drei Bundesländern bereits 2020 einen offenen Dialogprozess gestartet. "Wir prüfen, wie wir die Arbeitsbedingungen in den Hochschulen – etwa bei der Karriereplanung und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie – weiter verbessern und die Zahl unbefristeter Stellen erhöhen können."  Starke Wissenschaft und Forschung seien die Garanten für Wohlstand, Lebensqualität, sozialen Zusammenhalt und eine nachhaltige Gesellschaft. "Dafür brauchen wir auch künftig exzellente Forscherinnen und Wissenschaftler, dafür brauchen wir bestmögliche Arbeitsbedingungen und verlässliche Karrierewege in der Wissenschaft."

 

Hamburgs grüne Wissenschaftsenatorin Katharina Fegebank sagte, ihre Behörde werde die Ergebnisse der Evaluierung  sorgfältig prüfen "und gemeinsam mit den anderen Ländern und dem Bund erörtern, an welchen Stellen das WissZeitVG weiter verbessert werden kann". Es sei jetzt wichtig, dass die Laufzeiten der Verträge zum Thema im Bund gemacht würden. "Hamburg macht seit einigen Jahren konkrete Vorgaben zu Mindestlaufzeiten und hat zur Verbesserung der Situation beigetragen." Zudem habe man in der Hansestadt sehr gute Erfahrungen mit Stakeholder-Dialogen gemacht. "Daher unterstütze ich auch den Dialogprozess zu den Evaluierungsergebnissen und werde am 27. Juni an der Konferenz des BMBF teilnehmen, um mit Stakeholdern bundesweit ins Gespräch zu kommen." 

 

Die Berliner rot-rot-grüne Koalition hatte schon im vergangenen Herbst die Novelle des Berliner Hochschulgesetzes genutzt, um die Befristungsbestimmungen zu verändern – mit heftigen Reaktionen an den Hochschulen. Tobias Schulze, Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus für Netzpolitik, Wissenschaft und Forschung, sagte nach Bekanntwerden der Evaluationsergebnisse, es sei offensichtlich, "dass die derzeitigen massenhaften Befristungen zu einem Qualitätsverlust in der Wissenschaft führen und auch die wissenschaftliche Qualifikation eher behindern als befördern. Und das, obwohl die Befristung genau damit begründet wird." Er erwarte von der Ampel-Koalition, dass es auch angesichts des "äußerst problematischen Urteils des BAG" zu einer schnellen Novellierung des WissZeitVG komme. Diese müsse die Qualifikationstatbestände "abschließend und präzise" regeln. "Dazu gehören auch Regelungen zur Betreuung während der Qualifikation. Das Hire and Fire muss in diesem höchstqualifizierten Bereich des öffentlichen Sektors muss ein Ende haben."

 

HRK: "Anerkennen, dass die Beschäftigungs-möglichkeiten in der Wissenschaft begrenzt sind"

 

Laura Kraft, Obfrau der Grünen im Bundestagsforschungsausschuss, sagte wies unter anderem darauf hin, dass in 42 Prozent der Einrichtungen die familien- und behindertenpolitische Regelung nicht genutzt werde. Das sei "erschreckend". Sie diene dazu, die insgesamt zulässige Befristungsdauer für Eltern und Menschen mit einer Behinderung zu erhöhen. "Um einen sozialen Ausgleich zu schaffen, wollen wir uns dafür starkmachen, dass diese Regelung verbindlich wird." 

 

HRK-Präsident Peter-André Alt sagte unterdessen, dass laut Evaluationsbericht 74 Prozent der Promovierten mittelfristig eine Beschäftigung in der Wissenschaft anstrebten, spreche für die "ungebrochene Attraktivität wissenschaftlichen Arbeitens und der damit verbundenen besonderen Gestaltungsfreiheiten und Entfaltungsmöglichkeiten". So erkläre sich auch, dass diejenigen, die eine dauerhafte Anstellung in der Wissenschaft erhofften, "vielfach eher kritisch auf den Qualifizierungsprozess" schauen. Zu einer nüchternen Analyse gehöre es aber anzuerkennen, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten in der Wissenschaft begrenzt und die Auswahlverfahren notwendigerweise hochkompetitiv seien.

 

Für Alt zeigten die Ergebnisse der Evaluation, "dass sich die Befristungspraxis der Hochschulen, Forschungseinrichtungen und Universitätskliniken aufgrund der letzten Gesetzesnovelle verändert hat", und zwar "vielfach im Sinne größerer Transparenz von Karrierewegen für Beschäftigte und Wissenschaftseinrichtungen." Zugleich würden aber auch die Grenzen des gesetzlich Regelbaren deutlich.

 

Netzwerk für Gute Arbeit
stellt eigene Evaluation vor

 

Wissenschaft und Politik seien gefordert, "in einem umfassenden Sinn" für attraktive Beschäftigungsbedingungen zu sorgen. "Dazu gehört für die nötige Planungssicherheit zwingend eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung wissenschaftlicher Einrichtungen." Die Hochschulen müssten die von ihnen eröffneten Karrierewege klar zu strukturieren und nicht allein für Laufbahnen in Forschung und Lehre, sondern für verschiedene Tätigkeiten in Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft zu qualifizieren."

 

Parallel stellte heute das "Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft" (NGA Wiss) zusammen mit der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di eine eigene Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor, die es bei Forschern der Universität Jena und der TU Dresden in Auftrag gegeben hatte. Grund dafür sei gewesen, dass die BMBF-Evaluation schon in ihrer Ausschreibung zu eng gefasst gewesen sei. 

 

Abseits von Fragen von Vertragslaufzeiten zeige sich in den Ergebnissen die fächerübergreifende Unzufriedenheit der Wissenschaftler:innen mit ihren Arbeitsbedingungen, führte NGA Wiss aus. Das WissZeitVG werde "standortübergreifend gegen die Interessen der Beschäftigten ausgelegt". Unter anderem berichteten die in der Netzwerk-Evaluation Befragten, dass sie wöchentlich zwischen acht und zwölf Stunden unbezahlte Mehrarbeit leisteten, und 61 Prozent gaben an, dass diese Überstunden die Bedingung für die Realisation der eigenen Forschungsarbeit seien. "Obwohl die Qualifikation der wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen den Befristungsgrund darstellt, wird die Forschungs- und Qualifikationsarbeit paradoxerweise de facto in der Freizeit durchgeführt." 




></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Zwei Fragen (Montag, 23 Mai 2022 12:31)

    Mir erschließt sich die Argumentation für eine Novelle des WissZeitVG an zwei Punkten nicht.

    1. In meinem Umfeld liegt die durchschnittliche Vertragslaufzeit bei Promovierenden vermutlich auch im Bereich von 1,5 Jahren. Tatsächlich sehen die Karrieren aber typischerweise so aus: Zunächst ein 3-Jahres-Vertrag aus Drittmittelprojekten (die praktisch alle auf drei Jahre begrenzt sind, gerade auch beim Bund). Dann noch ein Jahr aus anderen Mitteln, die man als Betreuender irgendwie zaubern muss, um die Diss zu beenden. Am Ende reicht die Zeit aus irgendwelchen Gründen dann doch nicht (Schreibblockaden, Experiment ging schief, Perfektionismus beim Aufschreiben …), und man versucht, nochmal 6 Monate zu finanzieren - oft aus dem nächsten Projekt, dass dann natürlich nur noch weniger Zeit für den nächsten Promovierenden hat. Macht im Schnitt ~18 Monate - aber sehr ungleich verteilt, und lange nicht so "prekär" wie es klingt. Was genau kann daran ein WissZeitVG ändern, solange die Drittmittel so exorbitant überhandgenommen haben aber gleichzeitig nur kurzfristig laufen? Am einfachsten wäre es - keine Verlängerungen, die Promotionen müssen dann halt abgebrochen werden. Statistisch wären wir an den Unis dann fein raus.

    2. Beklagt wird ein "massiver Qualitätsverlust" durch Befristungen. Gibt es für diese Behauptung irgendeine Evidenz? Soweit ich mich erinnere, werden empirisch die meisten Entdeckungen tatsächlich von eher jungen Leuten gemacht (weiss aber auch keine konkrete Studie dazu). Dann würden im Gegenteil mehr Entfristungen zu einem "massiven Qualitätsverlust" führen, denn jede Stelle kann ja nur einmal besetzt werden.

    Vielleicht weiss ja jemand Antworten ....