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"Das wird eine Debatte über Werte"

Als parlamentarischer Staatssekretär ist Thomas Sattelberger schon
nach wenigen Monaten zurückgetreten. Und wirkt seitdem wie befreit: Ein Interview über Prioritäten in Zeiten eines neuen Kalten Krieges, Vorwürfe von Verwertbarkeitsrhetorik, leidenschaftsarme Forschungsorganisationen und die Nöte des BMBF.

Thomas Sattelberger. Foto: privat.

Herr Sattelberger, eigentlich hatten wir dieses Interview im Mai führen wollen über Ihre Agenda als parlamentarischer Staatssekretär. Damals sprühten Sie vor Tatendrang. Ein paar Tage später sind Sie dann für viele völlig überraschend zurückgetreten. Was ist da passiert?

 

Mich haben seit Februar zwei große gesundheitliche Herausforderungen in meinem allerengsten Umfeld extrem beaufschlagt, übrigens bis heute. Und dann haben politische Schmutzeleien das Fass zum Überlaufen gebracht.

 

Jetzt können Sie wieder frei von der Leber reden – was Sie immer am liebsten getan haben. Beschreiben Sie für uns, vor welchen Herausforderungen Sie die deutsche Wissenschaftspolitik sehen.  

 

Wir haben es in Deutschland innerhalb weniger Jahre mit vier disruptiven Einschlägen zu tun. Zwei davon, die Klimakrise und die Digitalisierung, hätten uns bereits vor einem Jahrzehnt und früher beschäftigen müssen. Dazu kam die Corona-Pandemie, die den Modernisierungsrückstand vieler staatlicher Institutionen so richtig aufgezeigt hat und deren Bekämpfung zugleich enorme – dreistellige – Milliardensummen gekostet hat. Die  uns nun wiederum bei eben jener Modernisierung fehlen. Und schließlich der russische Angriff auf die Ukraine, die darauf folgende, nötige und eilige Wende in der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik: Weitere 100 Milliarden, die jetzt die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes stärken sollen, die man lange hat schleifen lassen. 

 

Bundeskanzler Olaf Scholz hat hierfür den Begriff "Zeitenwende" geprägt.

 

Ein Begriff, der auch die Situation für die Wissenschaft beschreibt. Die Gewissheiten, die wir zu haben glaubten, sind weg. 

 

"Die vergleichende Literaturwissenschaft ist wichtig. Aber nicht im Kampf gegen Klimawandel oder Putin."

 

Zum Beispiel die Gewissheit der Ampel-Koalition, genug Geld zu haben, um die Transformationsprozesse in der Klimapolitik, in der Digitalisierung, aber auch in der Bildungs- und Innovationspolitik anzugehen? Das Paket, dass SPD, Grüne und FDP in ihrem Koalitionsvertrag versprochen hatten, war beeindruckend – und ist inzwischen unbezahlbar?

 

Die Hoffnung bei vielen lautete, dass sich nach Corona die Wirtschaft schnell erholt, dass die gestörten globalen Wertschöpfungsketten rasch repariert werden und das Steuergeld wieder umso stärker fließt. Diese Hoffnung hat der Ukraine-Krieg brutal zerstört. Obwohl schon vorher die Annahme recht naiv war, das Geld komme irgendwie aus dem Wasserhahn. Doch auch wenn die öffentlichen Haushalte jetzt extrem strapaziert sind: Es nützt nichts. Wir müssen die gesellschaftlichen Transformationsprozesse trotzdem beherzt angehen. Die Lösungen gerade im Forschungsbereich müssen jetzt andere sein als noch vor Monaten gedacht. Hauptfokus auf Tech-Forschung gegen Pandemien, für Verteidigungsfähigkeit und Cybersecurity, energietechnologische Lösungen, Schlüsseltechnologien der Digitalisierung. Und das mit klaren transferbasierten Missionen. Das wäre jetzt aus meiner Sicht das Brot- und Buttergeschäft missionsbasierter Forschung. Ein SPIEGEL-Kolumnist brachte es jüngst auf den Punkt: Die vergleichende Literaturwissenschaft ist wichtig. Aber nicht im Kampf gegen Klimawandel oder Putin.

 

Vielleicht sind die Geisteswissenschaften gerade dann besonders wichtig!

 

Ein Kalter Krieg 2.0, ein Systemkonflikt mit dem Westen auf der einen Seite und diesmal China mit Russland auf der anderen wird wahrscheinlicher. Und um in diesem Systemkonflikt bestehen zu können, trotz knapper Ressourcen, muss strategisch gehandelt werden, hart priorisiert werden. Wir wollen doch auch nicht verlängerte Werkbank in einer westlichen Allianz sein. Hart priorisieren, das tut Politik überhaupt nicht gern, das musste man, solange Geld genug da war, auch nicht wirklich. Auch im Ampel-Koalitionsvertrag wuchsen Bäume noch gen Himmel. 

 

Mit Verlaub: Sie klingen wie ein Kalter Krieger aus längst vergangen geglaubten Zeiten, Herr Sattelberger. 

 

Ich war acht Jahre alt, als der sowjetische Sputnik als erster im All war, und 13 Jahre alt, als sowjetische Atomraketen gen Kuba verschifft wurden. Geschichte repetiert sich nicht, aber man muss aus ihr lernen. Es handelt sich allerdings wie damals um ein Ringen der Systeme um die technologische Überlegenheit. Und wir in Deutschland sind darauf weder technologisch und erst recht nicht mental gut vorbereitet. Nehmen Sie das Thema Dual Use: Was ist denn zum Beispiel mit den Zivilklauseln, die sich viele Hochschulen in Deutschland gegeben haben? Was folgt aus ihnen, wenn es künftig verstärkt Forschungsgelder für auch militärisch relevante Technologie-Förderprogramme geben sollte – was ja naheliegt und auch nötig ist? Das wird eine Debatte über Werte, über die Zukunft und Wehrhaftigkeit demokratischer Gesellschaftsordnungen und gegen naiven Pazifismus. 


Thomas Sattelberger, 73, ist Manager, Betriebswirt und Politiker (FDP). Von 2007 bis 2012 war er im Vorstand der Deutschen Telekom. 2017 zog er erstmals in den Bundestag ein, 2021 wurde er Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung. Im Mai 2022 kündigte er überraschend seinen Rücktritt von allen politischen Ämter an. Foto: Wolfgang Maria Weber. 



Dann mal konkret: Was bedeutet für Sie in so einer Situation Priorisierung in der Wissenschaftpolitik?

 

Priorisierung bedeutet die strategische Allokation von Geldmitteln. Dem einen lassen oder gar geben, dem anderen nehmen. Sie bedeutet Freude bei den einen und Schmerz bei den anderen. Priorisierung bedeutet zudem, dass man budgetierte Mittel in einem hohen Maße effizient einsetzt. Dass man den Input an Ressourcen in ein Verhältnis setzt zu dem tatsächlich erzielten Output. Und das alles vor dem Hintergrund der Unsicherheiten. Wir wissen nicht, wie lange die Krisensituation anhält, was sie mit unseren Haushalten macht und wie schnell die Wirtschaft zu einem solchen Wachstum zurückkehrt, dass wir wieder mehr Spielraum haben. Deshalb frühes, auch schmerzliches Erwartungsmanagement. Auch da tut sich Politik schwer, weil man niemandem wehtun will. Keiner hat Kassensturz noch Re-Priorisierung gewagt – weder zu Koalitionsbeginn noch dann zu Kriegsbeginn. Ich habe es früh angemahnt, war aber einsamer Rufer in der Wüste. Nehmen Sie den Haushalt meines früheren Ministeriums. Alle haben gekämpft, und wir kamen, wie ich finde, moderat gerupft durch die harten Haushaltsverhandlungen. Damit einher geht jetzt die Verpflichtung zu entscheiden, welche Vorhaben und Programme nicht hohe Priorität haben. Und es stellt sich – wie nie zuvor – die Frage der Ressourceneffizienz. 

 

Und die gekürzten und verschobenen Forschungsprojekte zum Beispiel zu Corona oder vorzeitig beendete Förderlinien wie BioTip haben Ihres Erachtens eine geringere Priorität als die neue Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI), für die Sie als parlamentarischer Staatssekretär händeringend nach Geld gesucht haben?

 

Ich kommentiere hier keine Entscheidungen, die ich nicht getroffen habe. Doch transparente Priorisierung war für mich immer Voraussetzung, um schwere Zeiten passabel durchzustehen. Ich  weiß, wovon ich rede. In 40 Jahren Wirtschaft habe ich die Sanierung der Lufthansa, die 9/11-Terrorattentate und deren Folgen, die Krise der Continental AG und später der Telekom mit bewältigt. 

 

"Was unterkomplex ist, entscheiden
nicht allein die Frösche im Teich."

 

Das klingt alles ein bisschen nach: Ich stecke oben fünf Euro rein, und wenn unten nicht mindestens sieben Euro rauskommen, stelle ich die Zahlungen ein. Viele in der Wissenschaft und in den Universitäten werden so ein Denken als unterkomplex ablehnen.

 

Was unterkomplex ist, entscheiden nicht allein die Frösche im Teich. Ich bediene hier mitnichten plumpe Verwertbarkeitsrhetorik. Das hat mir schon mein Vorgänger, Staatssekretär a.D. Michael Meister, 2018 vorgeworfen, und dann wurde eine neue Indikatorik für den Pakt für Forschung und Innovation (PFI) beim Fraunhofer ISI  beauftragt. Ich erwarte aber von jeder Institution in der Wissenschaft, dass sie in kritischen Zeiten nicht nur auf ihr eigenes Stück vom Kuchen schaut, sondern den Blick auch auf das große Ganze richtet. Und dann wird man eben feststellen müssen, dass Deutschland zwar in etwa gleich viel in Forschung und Entwicklung investiert wie die USA, gut drei Prozent der Wirtschaftsleistung. Dass auch die wissenschaftlichen Publikationen pro 100.000 Einwohner in etwa gleich hoch sind. Bei den Patenten wird es schon problematischer. Dass Deutschland aber bei der aus wissenschaftlichen Erkenntnissen resultierenden unternehmerischen Aktivität gnadenlos hinterherläuft, das ist das Schlimme. Dreimal so viele wissenschaftsintensive Unternehmen werden in den USA pro 100.000 Einwohnern (aus-)gegründet im Vergleich zu Deutschland. Und damit müssen sich alle in der deutschen Wissenschaft auseinandersetzen. Da geht es nicht um mehr Start-ups oder unternehmerische Lebenskonzepte von Menschen, sondern ganz simpel um die Erneuerung unserer technologischen und wirtschaftlichen Basis. Und es geht um den substanziellen Beitrag, den initial nur die Forschung leisten kann, dies aber noch nicht tut. Erst recht in Krisenzeiten. 

 

Wie passt das mit der Freiheit von Wissenschaft und Forschung zusammen?

 

Wollen Sie behaupten, dass die Grundlagenforschung in den USA oder in der Schweiz schwächer ausgeprägter sei als in Deutschland oder dass die Wissenschaftler dort einer größeren Unfreiheit ausgesetzt seien – einmal abgesehen von vier Jahren Trumpscher Klima-Erratik? Der Gegensatz zwischen Wissenschaftsfreiheit und unternehmerischer Dynamik ist keiner. Er ist interessenkonstruiert, das sage ich seit Jahren.

 

"Träge und nicht leidenschaftlich genug im Verändern, zudem schlecht in Governance und Kulturentwicklung."

 

Seit Jahren werfen Sie auch den großen Wissenschaftsorganisationen vor, sie seien fette Katzen geworden.

 

Ja, in den Zentralen und Generalverwaltungen von Max Planck und Fraunhofer. Mit dem Vier- bis Achtfachen an Struktur, Kapazität und Stelleninhabern verglichen mit vielen Dax-40-Konzernzentralen. Träge und nicht leidenschaftlich genug im Verändern, zudem schlecht in Governance und Kulturentwicklung.

 

Was bedeutet die Zeitenwende für Max Planck, Helmholtz & Co, die über den Pakt für Forschung und Innovation (PFI) maßgeblich vom Bund mitfinanziert werden? 

 

Die außeruniversitären Forschungsorganisationen erhalten über den PFI garantierte jährliche Aufwüchse. Als ehemaliger Oppositionspolitiker wie als Staatssekretär a.D. bin und bleibe ich kein Freund der Verpaktung, der Verfixkostung des BMBF-Haushalts. Und erst recht bin ich hierbei kein Freund von Dynamisierung. So etwas führt in Zeiten enger Kassen zu einem bösen Verdrängungswettbewerb. 2025 muss der PFI meines Erachtens aufgeschnürt werden. 

 

"Aufgeschnürt" in dem Sinne, dass Sie die garantierten Aufwüchse beenden würden?

 

Das müssen die Verantwortlichen entscheiden, wie sie mit dem sich weitenden Dilemma umgehen. Zudem muss auch bei den außeruniversitären Forschungsorganisationen (AUF) die Debatte über Input und Output forciert werden. Diese Debatte hat zwar schon lange vor der Ukraine-Krise begonnen, und zwar zu Recht. Aber jetzt stehen die AUF vor der brandaktuellen Herausforderung, substanzielle Beiträge zur technologischen Souveränität liefern zu müssen. Und da ist richtig Luft nach oben. Die alte BMBF-Hausleitung unter Anja Karliczek hat hier schwere Altlasten im PFI hinterlassen. 

 

Inwiefern?

 

Kein Strategieraum, keine sanktions- oder honorierungsbewehrte Key-Performance-Indikatorik, keine haushalterische Absicherung der Dynamisierung des PFI! Übrigens: Zu den bösen Hypotheken zählt auch die dramatische Kostenexplosion der seit anderthalb Jahrzehnten in Planung und Bau befindlichen Teilchenbeschleuniger-Anlage FAIR in Darmstadt. Wir brauchen jetzt verwertbare Innovation, Ausgründungen und kommerzielle Skalierung. Nicht zuletzt bei CleanTech und ClimateTech. Auch da liefern die fetten Katzen doch viel zu wenig an Output, Outcome, Impact.

 

Man kann doch Max Planck da kaum genauso behandeln wie Fraunhofer, dazu sind deren Profile doch wohl zu unterschiedlich!

 

Grundlagenforschung verbietet Unternehmertum nicht. Und: Kümmern sich die Bürgerinnen und Bürger um Profile? Kümmern sich Wissenschaftler um Profile, wenn sie etwas gestalten wollen? Jede Organisation wird auf ihre Weise ihren eigenen Beitrag zum Transfer überzeugend darlegen müssen.


In eigener Sache


Gilt der von Ihnen gemachte Vorwurf mangelnder Leidenschaft und Trägheit eigentlich auch für die Forschungspolitik des Bundes?

 

Da sehe ich eher das Problem langjähriger Halbherzigkeiten. Da hat man dann vor einigen Jahren mit großen Reden eine Agentur zur Förderung von Sprunginnovationen (SPRIND) gegründet, in Wirklichkeit einen David vom Fördervolumen her. Und dann hat man diesen David gleich auch noch mit allen denkbaren Regeln und Vorschriften so gefesselt, dass er nicht mal seine Schleuder hat nutzen können. Man hat so getan, als ändere sich was, aber im Grunde genauso weitergemacht wie vorher. 

 

Die Fesseln von SPRIND sollen nun ja gelöst werden. 

 

Ein SprinD-Freiheitsgesetz ist überfällig, aber nicht selbstredend. Und ich höre jetzt auch ewiggestrige Stimmen aus der Ampelkoalition, die das nicht wesentlich ändern wollen. Obwohl das Land noch ein paar mehr Agenturen mit mehr Freiheiten bräuchte. 

 

Womit wir wieder bei Ihrem Lieblingsprojekt, der DATI, wären. Glauben sie wirklich, dass noch mehr Agenturen die deutsche Wissenschaft besser machen?

 

Ich sehe derzeit keine Inflation an Agenturen, derzeit zähle ich im Zuständigkeitsbereich des BMBF genau zwei. Die SPRIND und die geplante DATI. Und ja, ich glaube, dass sie die Wissenschaftsförderung besser machen. In neuen Strukturen muss man nicht erst mühsam den nötigen Kulturwandel vorantreiben, man kann ihn von Anfang an leben. Und genau diesen Kulturwandel in der Förderung brauchen wir, wenn wir wollen, dass überall im Land neue Innovationsökosysteme wachsen können. In der Wirtschaft sind solche Erkenntnisse schon längst Standard – mit räumlich und örtlich getrennten Innovation Labs. 

 

"Dieses Denken habe ich in 40 Jahren
zur Genüge bekämpft. Wir können uns jetzt keine akademischen Dogmen-Debatten leisten." 

 

Die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) hält von Agentur-Neugründungen wenig.

 

EFI-Chef Uwe Cantner zieht hier aus meiner Sicht nicht in Betracht, dass  von einem ambidextren Organisationskonzept nicht nur Unternehmen ungemein profitieren, sondern auch Ministerien. Also mehr Agenturen! Aber auch EFI-Experten sind halt nur Menschen wie ich. Als Praktiker habe ich 40 Jahre Transformationserfahrung in der Wirtschaft auf dem Buckel: Fusion zur DASA (später EADS, Airbus), Aufspaltung der Lufthansa und Telekom in Tochtergesellschaften, Gründung von Speed Boats bei der Telekom. Übrigens jedesmal wurden neue Prozessen und Strukturen zunächst für überflüssig erklärt, weil es doch auch mit den bestehenden gehe. Dieses Denken habe ich in 40 Jahren zur Genüge bekämpft. Wir können uns jetzt keine akademischen Dogmen-Debatten leisten. 

 

Die Ampel-Koalition will die Hightech-Strategie durch eine neue "Zukunftsstrategie Forschung" ersetzen, die Federführung liegt dabei im BMBF. Sollte bei deren Gestaltung die Wissenschaft nicht ein gehöriges Wort mitreden?

 

Ich hatte dazu schon zu Oppositionszeiten eine klare Meinung, die ich hier wiederhole: Die Hightech-Strategie entstand im Austausch und unter Einbeziehung des sogenannten Hightech-Forums, das maßgeblich durch führende Repräsentanten der großen Wissenschaftsorganisationen und Verbände bestimmt war. Das bedeutet einen ständigen potenziellen Interessenkonflikt, und zwar bei allen Empfehlungen. Das die Umsetzung der im Koalitionsvertrag angekündigten „Zukunftsstrategie Forschung“ begleitende Beratungsgremium muss deshalb breitbandiger und diverser aufgestellt sein. Besetzt auch mit aktiven Forscherinnen und Forschern, nicht nur mit Zuwendungsempfängern und Verbandsvertretern. 

 

Sie fordern mehr "Output, Outcome, Impact" von den außeruniversitären Forschungsorganisationen. Auch an den meisten Universitäten geht derweil der Anteil eingeworbener Industrie-Drittmittel seit Jahren zurück. Gleichzeitig wurden sie bei stagnierenden Grundbudgets lange mit staatlichen Drittmitteln überhäuft.

 

Das liegt mit daran, dass in Teilen der Studierenden- und Professorenschaft so ein Zerrbild herrscht, als würden sie mit der Annahme von Drittmitteln aus der Industrie automatisch ihre Freiheit verkaufen. Obwohl es in den allerwenigsten Fällen zum Versuch von Übergriffigkeiten kommt. Aber aus Angst, öffentlich schlecht dazustehen, nehmen sich viele Hochschulen selbst Handlungsoptionen für industrierelevante Forschung. Das ist nicht anders als in der Wirtschaft: Angstgetriebene Manager führen ihr Unternehmen nicht in die Zukunft. Zudem: Der Irrsinn der Zivilklauseln und des Verbots von Dual-Use-Forschung muss abgeräumt werden. Wette gilt: ohne Public-Private-Partnership werden die Finanzströme immer dürftiger.



Handeln Sie nicht selbst angstgetrieben, wenn Sie einen Systemkonflikt, Zeitenwende und Prioritäten wie die Verteidigungsfähigkeit beschwören, zum Gürtel-Engerschnallen mahnen und damit am Ende Christian Lindner als Finanzminister genau die Argumente liefern, die er braucht, um auch den BMBF-Haushalt zu kürzen? 

 

Das ist Unsinn. Ich war kein Schönwetter-Staatssekretär. Ich war auch früher kein Schönwetter-Manager. In einigen Bereichen muss massiv investiert und in anderen Bereichen gespart werden. Geld ohne Strategie ist verlorenes Geld. Strategie geht aber nicht auf Knopfdruck.

 

Was mich wundert: Sie preisen Public-Private-Partnership und private Drittmittel, aber die Debatte über eine andere – sehr grundsätzliche – Veränderung der Bildungsfinanzierung meidet auch die FDP seit Jahren fast durchgängig. Ich rede von der Frage, wie man Studiengebühren so erheben könnte, dass sie die richtigen – die mit genügend hohem Einkommen – treffen, ohne zugleich Schulabgänger aus sozial benachteiligten Familien vom Studium abzuschrecken. Und die so kontruiert sind, dass der Staat selbst nichts sparen kann.

 

Sie sprechen von nachgelagerten Studienbeiträgen, die nur diejenigen Hochschulabsolventen zahlen müssen, die nach ihrem Studienabschluss genug verdienen.

 

"Auch ich habe den Punkt nicht aufgemacht.
Weil ich zu furchtsam war, diesen Sturm auszuhalten." 

 

Ja, bei denen der Staat die Zinsen übernimmt und die nach einer bestimmten Anzahl von Jahren automatisch verfallen – auch wenn Absolventen gar nicht oder nur wenige Jahre über der Rückzahl-Schwelle lagen. Es gibt dazu gut ausgearbeitete Vorschläge und Modelle, die auch den Staat allesamt viel zusätzliche Geld kosten, aber wirklich deutlich mehr privates Geld an die Hochschulen bringen würden – von Leuten, die es sich leisten können.

 

Sie haben Recht: Das steht nicht im Koalitionsvertrag. Weil SPD und Grüne in den Verhandlungen entrüstet abgelehnt hätten. 

 

Ist das ein politisch ausreichend guter Grund, einen Plan, den man womöglich für richtig erachtet, nicht zu verfolgen? Vielleicht will man ja auch künftige FDP-Wähler nicht verschrecken?

 

Ich persönlich halte es für sinnvoll, sozial verträgliche, nachgelagerte Studiengebühren einzuführen. Aber Sie haben Recht: Auch ich habe den Punkt nicht aufgemacht, schon beim Wahlprogramm nicht. Weil ich zu furchtsam war, diesen Sturm auszuhalten. 

 

Sind nachgelagerte Studiengebühren also auf Dauer eine Tabuthema?

 

Sie sind kein Tabuthema. Darum ist es gut, die Debatte darüber wachzuhalten und zugleich aus der eigenen persönlichen Überzeugung keinen Hehl zu machen. Und das tue ich hiermit. Es gibt übrigens über Studienbeiträge hinaus noch mehr Möglichkeiten, privates Geld zu aktivieren. Für mich war und ist das Deutschlandstipendium so eine. Ich war lange genug dort Beiratsvorsitzender.

 

Nur dass sich Unternehmen und private Geldgeber nie auch nur in Ansätzen so zahlreich an dessen Kofinanzierung beteiligt haben wie einst vom BMBF prognostiziert. Die damalige Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) stellte in Aussicht, dass bald acht Prozent der Studierenden ein Deutschlandstipendium erhalten würden, zur Hälfte vom Staat und zur Hälfte mit privaten Spenden finanziert. Doch der Anteil dümpelt seit vielen Jahren bei einem Prozent und darunter. 

 

Die Prognose war übertrieben. Aber dass jedes Jahr fast 30.000 Studierende profitieren, halte ich trotzdem für einen bemerkenswerten Erfolg privaten Engagements für Bildung. Die Staatsgläubigkeit dieses Landes bei Bildung und Forschung ist unglaublich. Diese Rechnung wird nicht aufgehen. Es wird unumgänglich werden, nach neuen Finanzierungswegen zu suchen, die privaten Geldgeber zu mobilisieren: in der Forschung wie in der MINT-Bildung.

 

Herr Sattelberger, wenn Sie Ihre forschungspolitische Botschaft an die Chefetagen der deutschen Wissenschaft in wenigen Sätzen zusammenfassen sollten, wie würde sie lauten?

 

Das ist einfach und schwer zugleich. Wir befinden uns in der schwierigsten Situation der Nachkriegszeit. Ich bitte, nein, ich fordere Sie auf: Definieren Sie die spürbaren Beiträge, die für unser Land jetzt besonders wichtig und die Sie selbst zusätzlich zu leisten bereit sind. Und dann liefern Sie bitte auch! 


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Kommentare: 7
  • #1

    Jan-Martin Wiarda (Dienstag, 09 August 2022 19:04)

    Liebe Leserinnen und Leser,

    aus gegebenem Anlass weise ich darauf hin, dass in den Kommentaren zu den Beiträgen in diesem Blog gern Kritik geübt werden kann, aber bitte ohne persönliche Herabwürdigung und im Falle von Tatsachenbehauptungen bitte grundsätzlich mit nachprüfbaren Belegen. Dies sollte sich von selbst verstehen – und umso mehr dann, wenn ein Kommentar ohne Klarnamen gepostet wird.

    Besten Dank und beste Grüße
    Ihr Jan-Martin Wiarda

  • #2

    René Krempkow (Donnerstag, 11 August 2022 12:00)

    Vielen Dank für diesen Gastbeitrag, der etliche Anknüpfungspunkte für weitere Diskussionen böte und wo ich an so einigen Stellen nicht mit ihm übereinstimme. Ich möchte aber hier einen Aspekt herausgreifen, wo er m.E. zutrifft:
    Zum Zerrbild, Wissenschaftler*innen würden "mit der Annahme von Drittmitteln aus der Industrie automatisch ihre Freiheit verkaufen", "obwohl es in den allerwenigsten Fällen zum Versuch von Übergriffigkeiten kommt", muss ich Herrn Sattelberger zustimmen.

    Denn erstens steig der Anteil der Drittmittel aus der Wirtschaft in den letzten Jahren bei weitem nicht so stark wie der aus öffentlichen Mitteln, insbes. DFG und BMBF.

    Zweitens geht mit der Dominanz bestimmter
    Drittmittelquellen eben nicht wie oft vermutet ein häufigeres "Freiheit ... verkaufen" bzw. - neutraler formuliert - wissenschaftliches Fehlverhalten einher. Vielmehr zeigen die Ergebnisse empirischer Analysen, dass dies bei Dominaz öffentlicher Drittmittel ähnlich oft bzw. z.T. sogar häufiger vorkommt (siehe: www.researchgate.net/publication/328018791).

    Die Ergebnisse zeigen daher, dass an erster
    Stelle die wissenschaftliche Gemeinschaft und die Hochschulen ihre Eigenverantwortung wahrnehmen müssen. Wo die Wirtschaft als Drittmittelgeber dominiert, sollten die vom Wissenschaftsrat bereits
    2015 empfohlenen Maßnahmen verstärkt werden. Es
    wird geraten, klare Verfahrensordnungen und Zuständigkeiten bei Konfliktfällen und Ombudsstellen zur Auflage für die Finanzierung zu machen. Zudem ist an dieser Stelle auf die Rolle von Beschäftigungsbedingungen und Abhängigkeitsverhältnissen hinzuweisen, die zusammen mit stark quantitativ ausgerichteter Leistungsbewertung über verstärkten Drittmittel- und Publikationsdruck
    zu unlauterem (und unwissenschaftlichem) Verhalten beitragen. (siehe ebenfalls: www.researchgate.net/publication/328018791).

  • #3

    Oskar Piegsa (Mittwoch, 17 August 2022 10:01)

    Interessantes Gespräch, vielen Dank!

  • #4

    Liberaler (Freitag, 19 August 2022 16:57)

    "Die Staatsgläubigkeit dieses Landes bei Bildung und Forschung ist unglaublich."

    Völlig richtig. Aber warum hat ausgerechnet Sattelberger als StS dann versucht, mit DATI einen neuen staatlichen Behemoth in der Innovationsfinanzierung zu schaffen? Bei dem Mann klaffen leider Reden und Handeln auseinander, was ihn in den letzten Monaten viel Glaubwürdigkeit gekostet hat. Wo bleibt der liberale Kompaß?

  • #5

    Nikolaus Bourdos (Samstag, 20 August 2022 12:45)

    Herrn Sattelbergers Problem ist, dass er vom Wissenschaftssystem leider wenig versteht. Er nimmt häufig die Wirtschaft als Vorbild und meint, auf Unternehmen angewandte Transformations- oder andere Prozesse sowie Kennzahlen könne man ebenso auf Hochschulen und Forschungsorganisationen anwenden. Er trägt in völliger Unkenntnis der Organisationen und Ihrer Steuerungsstrukturen vor, das Personalverhältnis von Zentrale zu Instituten bei Max Planck und Fraunhofer sei ja viel schlechter als bei ThyssenKrupp und Fresenius.

    Ferner müssten die Universitäten sich endlich mal wieder "aufraffen", wie schon Anfang des 19. Jahrhunderts ihre Beiträge zu Innovationsschüben zu leisten. Was dieses Wording an tiefer Unkenntnis über die Unis verrät, will ich hier gar nicht weiter aufdröseln.

    Solche Äußerungen wie über das vermeintliche "Verbot" von Dual-Use-Forschung - ein Irrsinn, den man "abräumen" müsse - sind sogar völliger Quatsch. In Deutschland gibt es keine Forschungsverbote (siehe Art. 5 GG), und die meisten Zivilklauseln sind nicht viel mehr als Appelle an die Vernunft und Eigenverantwortung.

    Die FDP bringt bereits seit langem keine profilierten Wissenschaftspolitiker hervor. Andreas Pinkwart war die leuchtende Ausnahme, weil er beide Sphären, Wissenschaft und Wirtschaft, tatsächlich versteht.

  • #6

    DD (Montag, 22 August 2022 15:13)

    Herr Sattelberger bezieht sich auf Herrn Blomes Kolumne, wenn auch er sagt: "Die vergleichende Literaturwissenschaft ist wichtig. Aber nicht im Kampf gegen Klimawandel oder Putin."

    Gleichzeitig beklagt Herr Sattelberger, dass Deutschland "erst recht nicht mental gut vorbereitet" ist auf die aktuellen Krisen und fordert "eine Debatte über Werte".

    Wie widersprüchlich und kurzsichtig ist da das Abkanzeln der Geisteswissenschaften, die für ihn sinngemäß derzeit (aber wann dann?) keine Priorität haben?

    Vielleicht würde es stattdessen nützen (Mehrwert!), wenn mehr Menschen literaturwissenschaftliche Studien lesen würden, wie Christa Karpenstein-Eßbachs "Orte der Grausamkeit. Die Neuen Kriege in der Literatur". Die Kriege unserer Zeit besser zu verstehen, heißt auch, den nächsten zu vermeiden. Ganz ohne Kooperation zwischen Wissenschaft und Militär, wie sie Herrn Sattelberger vorschwebt.

    Ansonsten: Vielen Dank für die kritischen Rückfragen von JMW.

  • #7

    Laubeiter (Dienstag, 06 September 2022 13:25)

    ich finde an diesem Interview die Fragen sehr gut. Die Antworten klingen für mich wie die eines Außenseiters, dem für ein Verständnis, wie Universitäten und AUFs Wissen schaffen, eigene Berufserfahrung oder genauere Anschauung fehlen. Managementtraining bei Daxkonzernen mag für Managerposten bei Daxkonzernen eine gute Qualifikation sein. Spiegel-Kolumnisten zu zitieren ohne Erklärung, was an dem Zitat gut sein soll, empfinde ich als Demagogie ohne Prinzipien.