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"Noch nicht vorliegende Sachverhalte"

Der Fraunhofer-Senat entlastet den Vorstand der Forschungsgesellschaft wegen laufender Prüfungen nur teilweise. Ein Warnschuss für Präsident Reimund Neugebauer. Der zeigte sich zuletzt trotzdem auffällig guter Laune.

SELBST IN DER Fraunhofer-Zentrale rätseln viele, was genau los war im Senat der Forschungsorganisation am 19. Mai. Der Zugang zum Protokoll der mit Spannung erwarteten Sitzung ist streng reglementiert. Doch was nach draußen dringt, lässt aufhorchen: Das Gremium hat den Vorstand um Fraunhofer-Präsident Reimund Neugebauer nur zur teilweisen Entlastung vorgeschlagen. Und die für die Entlastung zuständige Mitgliederversammlung ist dem Senatsvotum wenig später gefolgt.

 

Die Fraunhofer-Pressestelle betont auf Anfrage die Vertraulichkeit, der Sitzungen des Senats unterlägen. Bestätigt dann aber doch die Teilentlastung so, als sei sie das Normalste der Welt: Im Rahmen des Entlastungsvorschlags für das Rechnungsjahr 2021sei festgestellt worden, "dass zum Zeitpunkt der Befassung noch nicht vorliegende Sachverhalte hiervon nicht erfasst sein können". Dies entspreche übrigens auch der geltenden Rechtslage, fügt Fraunhofer-Sprecher Roman Möhlmann hinzu – als müsste das eigens betont werden.

 

Für Neugebauer, der bei der parallelen Vorstellung des Fraunhofer-Jahresberichts "trotz zahlreicher Herausforderungen ein "erfolgreiches Jahr 2021" sah, ist es ein peinlicher Vorgang. Denn der Vorstand, das waren seit mehreren Abgängen und Umstrukturierungen zuletzt nur noch er und sein engster Vertrauter, Innovationsvorstand Alexander Kurz. Neugebauer und Kurz zeichneten sich neben ihren Kernzuständigkeiten laut Organigramm von Anfang Mai kommissarisch für die weiteren drei Ressorts verantwortlich. Erst in seiner Sitzung am 19. Mai wählte der Senat dann mit Axel Müller-Groeling, Elisabeth Owen und Sandra Frey drei neue Vorstände für diese Bereiche. 

 

Die Ergebnisse der Prüfungen von BMBF

und Rechnungshof abwarten

 

Mit "noch nicht vorliegenden Sachverhalten" sind offensichtlich die vom Bundesforschungsministerium und Bundesrechnungshof (BRH) eingeleiteten Prüfungen gemeint. Sie kamen nach zahlreichen Compliance-Vorwürfen, denen sich vor allem Neugebauer seit seiner Wiederwahl im vergangenen Sommer ausgesetzt sah. Wie weit BMBF und BRH mit ihren Recherchen vorangeschritten sind, ist nicht bekannt.

 

Spannend ist die Weigerung des Senats, den Fraunhofer-Vorstand zum jetzigen Zeitpunkt vollständig zu entlasten, allerdings auch deshalb, weil dasselbe Gremium noch Ende Oktober 2021 alle damals bekannten Vorwürfe gegen Neugebauer als "durchweg haltlos" eingestuft hatte. Der Senatsvorsitzende des zentralen Fraunhofer-Aufsichtsgremiums, Jörg Fuhrmann, hatte sie gar "vereinzelt" genannt und als "Unterstellungen" bezeichnet.

 

Eine offensichtliche Veränderung seitdem: Der FDP-Politiker Thomas Sattelberger, der zu Oppositionszeiten vehement Aufklärung von Fraunhofer und BMBF gefordert hatte, war im Dezember 2021 parlamentarischer Staatssekretär eben dieses Ministeriums geworden – und wurde zusätzlich später zum Fraunhofer-Senatsmitglied bestellt. Nach dem Oktober-Beschluss und den Äußerungen Fuhrmanns hatte Sattelberger zu Protokoll gegeben, es zeuge "von mangelndem Respekt und von ungebührlichem Stil eines Fraunhofer-Senatsvorsitzenden gegenüber dem Parlament", wenn er deren wichtige Arbeit in Zusammenhang mit angeblichen Unterstellungen brächte. Auch Fraunhofer müsse lernen, "dass es nicht der Papst ist".

 

Neue Bundestagsabgeordnete
für den Fraunhofer-Senat?

 

Neben der Teil-Entlastung hatte sich zuletzt noch mehr Auffälliges getan im Fraunhofer-Senat. Gehörten ihm in den vergangenen Jahren stets zwei Bundestagsabgeordnete an, war nach dem Ausscheiden der neuen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) zuletzt mit Tankred Schipanski (CDU) nur noch ein – noch dazu inzwischen ehemaliges  –MdB übrig – und auch der soll regulär zum Jahresende ausscheiden. So dass mindestens eine Nachwahl erwartet worden war.

 

Allerdings ist in dem etwa 30-köpfigen Senat die Exekutive schon stark vertreten: Die Bundesregierung entsendet vier, die Regierungen der Länder entsenden drei Mitglieder. Außerdem sitzen in dem Gremium laut Satzung unter anderem 18 gewählte Repräsentanten aus "Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichem Leben". Als letztere, so hatte es sich eingebürgert, kamen die jeweils zwei Bundestagsabgeordneten in den Senat, auch wenn der Wortlaut der Fraunhofer-Satzung das nicht explizit hergibt und man Abgeordnete durchaus eher als Vertreter des Staates betrachten könnte. Demgegenüber fehlten im Senat Wissenschaftler, die nicht bei Fraunhofer arbeiten, vollständig. 

 

Jedenfalls, teilt nun die Fraunhofer-Pressestelle mit, seien "auf Wunsch des BMBF" am 19. Mai "neben den zu verlängernden Senatoren vor allem Repräsentanten aus der Wissenschaft neu in den Senat gewählt" worden. Und eben keine neuen Bundestagsabgeordneten. 

 

Ein MdB, der gern in den Senat gekommen wäre, ist der FDP-Chefhaushälter Otto Fricke. Sein Büro bestätigt, dass er von der FDP-Fraktion für die Mitgliedschaft nominiert worden sei. Dass Fraunhofer angesichts der Nichtberücksichtigung von Bundestagsabgeordneten ausdrücklich auf einen Wunsch des BMBF verweist, geht in Richtung Sattelberger, den einzigen Repräsentanten des Ministeriums im Senat. 

 

Schon häufiger fühlte sich der Haushaltsausschuss
vom BMBF vor vollendete Tatsachen gestellt

 

Eine Missachtung der Legislative – oder bloß ein Pochen Sattelbergers auf den Wortlaut der Satzung und mehr Vorfahrt für die Wissenschaft? Fest steht: Schon in den vergangenen Jahren, also vor dem Regierungswechsel, hatten vor allem Haushaltspolitiker, Koalition wie Opposition, verärgert kritisiert, dass das BMBF sie zu oft vor vollendete Tatsachen stelle. Und dann schon mal frakionsübergreifend Mittel gesperrt. 

 

Insofern ist es eine interessante zeitliche Koinzidenz, dass der Haushaltsausschuss ebenfalls am 19. Mai Sattelberger eine heftige Niederlage beibrachte. Indem er das Geld für dessen wichtigstes Projekt, die Gründung der Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI), unter Vorbehalt stellte. Und zwar einstimmig. Schon Mitte März hatte das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner (FDP) in den Haushaltsansatz für 2022 geschrieben, dass ein Großteil der dieses Jahr für die DATI vorgesehenen Millionen auf Eis gelegt werden sollten – "bis zur Vorlage eines "schlüssigen Konzepts".

 

Dass Thomas Sattelberger wenig später ein Eckpunkte-Papier zur DATI-Gründung vorlegte, schien den Bundestags-Haushältern indes nicht zu reichen. Sie verschärften in ihrer turnusmäßigen Bereinigungssitzung am 19. Mai fraktionsübergreifend sogar noch die Sperre und verfügten: Nur wenn der Haushaltsausschuss zustimme, dürfe das Geld vom Finanzministerium entsperrt werden.

 

Das wiederum dürfte Sattelberger als Foulspiel begriffen haben, vor allem seitens seines Parteikollegen Fricke. Andere sagen: Der parlamentarische Staatssekretär habe sich bei seinem Agieren um die Senats-Neubesetzung strategisch verschätzt.

 

Einen Tag später gab Sattelberger bekannt, er wolle vom Posten des parlamentarischen Staatssekretärs zurücktreten und auch sein Abgeordnetenmandat zurückgeben – "aus gesundheitlichen und privaten Gründen". Was das für die Fortführung der BMBF-Untersuchungen der Vorwürfe gegen Neugebauer bedeutet und für künftige Senatsbeschlüsse, ist offen. Immerhin: Das Beispiel Tankred Schipanski zeigt, dass man, erst einmal gewählt, auch nach Ausscheiden aus der aktiven Politik Mitglied im Frauhofer-Senat bleiben kann. Ob auch Sattelberger das vorhat? Diese Frage ließ das Ministerium seit Dienstagvormittag unbeantwortet.

 

Neugebauer, der sich in der Vergangenheit stets um besonders gute Beziehungen zu den Bundestagsabgeordneten bemüht hatte, soll Fraunhofer-Mitarbeitern zufolge zuletzt auffällig guter Laune gewesen sein. Und Otto Fricke scheint sich derweil noch Hoffnungen zu machen auf die Mitgliedschaft im Fraunhofer-Senat. Er gebe "in dieser Sache zu bedenken, dass es unter anderem aufgrund der laufenden parlamentarischen Haushaltsberatungen zu Verzögerungen kommt", teilt sein Büro mit. Man bitte darüber hinaus um Verständnis, dass Fricke "sich zum weiteren Verlauf nicht äußern möchte". 




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