· 

Jetzt müsste die Ministerin alle überraschen

Bettina Stark-Watzinger kann Wissenschaft, aber kann sie davon auch die Scientific Community überzeugen? Bislang hat sie enttäuscht, jetzt bekommt sie eine neue Chance.

In ihrem Element: BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger redet kundig über die Themen ihres Ressorts, verbindlich und problembewusst. Aber wo genau will sie hin? Foto: Picture Alliance for DLD/Hubert Burda MediaCC BY-NC SA 2.0.

ALS BETTINA STARK-WATZINGER Chefin des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wurde, war die Erleichterung in Hochschulen und Forschungseinrichtungen groß. Endlich wieder eine, die sich mit der Wissenschaft auskennt, sagten viele über die frühere kaufmännische Geschäftsführerin des heutigen Leibniz-Instituts für Finanzforschung SAFE. Eine, die lange im Ausland – Großbritannien – gelebt hat und über den Tellerrand gucken kann.

 

Bei den Hochschulchefs steigerte sich die Begeisterung noch, als Stark-Watzinger im Frühjahr zur Sitzung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) kam und sich den spontanen Fragen der Vollversammlung stellte. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Anja Karliczek, die bei ihrem HRK-Besuch das offene Gespräch verweigert hatte. Stark-Watzinger dagegen ist fast nie um eine Antwort verlegen, sie redet kundig über die Themen ihres Ressorts, verbindlich und problembewusst.

 

Umso auffälliger ist die Diskrepanz zwischen Worten und Taten, die seit Monaten immer offensichtlicher wird. Als im Sommer Forscher berichteten, dass BMBF schiebe Zusagen für Forschungsprojekte auf und wolle Förder-Schwerpunkte vorzeitig abbrechen, verhielt sich die Ministerin wochenlang abwartend, passiv. Und anstatt ihre Strategie zu erklären, belehrten sie und ihr Haus die betroffenen Forscher formaljuristisch über den Verlauf von Antragsprozessen. Am Ende fielen die Kürzungen moderat aus, aber der Vertrauensverlust in der Szene war massiv.

 

Bei ihren Wissenschaftsminister-Kollegen aus den Ländern führte sie sich ebenfalls recht erratisch ein. Nicht nur teilte sie in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK) mit, dass sie die im Ampel-Koalitionsvertrag vorgesehene Erhöhung des Zukunftsvertrags für die Hochschulfinanzierung nach hinten schieben müsse. Diese Aussage unterschied sich nach Teilnehmerangaben auch noch von dem, was Stark-Watzinger am Abend vorher beim inoffiziellen GWK-Kaminabend gesagt hatte. 

 

Niemand weiß, wie es
mit der Transfer-Agentur weitergeht

 

Ähnlich ratlos lässt viele Stark-Watzingers Agieren rund um die geplante Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) zurück. Nachdem der dafür zuständige parlamentarische Staatssekretär Thomas Sattelberger seinen Rücktritt eingereicht hatte, gelang es ihr nicht, den Eindruck zu vermitteln, sie habe das Projekt im Griff. Keiner weiß genau, wann und wie es weitergeht mit der DATI, aber Haushaltsausschuss und Finanzministerium halten die meisten Mittel dafür ohnehin gesperrt.

 

Und die Liste lässt sich verlängern. Warum etwa gab die Ministerin ein Interview nach dem anderen über den Umgang mit Corona in den Schulen, wofür die Kultusminister zuständig sind – doch beim groß angekündigten, angeblich milliardenschweren "Startchancen-Programm" für die Schulen steht sie auf der Bremse – so dass es voraussichtlich erst 2024 starten wird?

 

Warum ist es dem BMBF bis heute nicht gelungen sicherzustellen, dass die Bildungs- und Forschungseinrichtungen unter sämtliche Energie-Schutzschirme fallen werden? Warum hat die Ministerin sich öffentlich nicht viel energischer für die Energie-Belange der Wissenschaft eingesetzt, und als sie es tat, forderte sie einen Rettungsschirm nur für die großen Forschungsinstitute?

 

So entsteht immer mehr der Eindruck, die Ministerin habe in der gegenwärtigen Krise genau das nicht, was man sich von einer FDP-Politikerin, Finanzwissenschaftlerin und ehemaliger Berichterstatterin im Haushaltsausschuss erhofft hatte: einen engen Draht zu FDP-Parteichef und Finanzminister Christian Lindner.

 

Der schwierige Teil der
Bafög-Reform kommt noch

 

Gleichzeitig lässt sich, so gut die Ministerin reden kann, immer weniger sagen, wofür sie eigentlich steht. Und wofür sie sich, abgesehen von – wichtigen – Spezialthemen wie dem grünen Wasserstoff, mit voller Kraft und vollem Risiko einsetzen will. Auf der Habenseite hat sie immerhin den ersten Teil einer großen Bafög-Reform, doch der noch schwierigere, der strukturelle, steht noch aus. Und die vermeintlich so kräftige Erhöhung der Sätze hat die Inflation schon komplett aufgefressen.

 

Auch sonst wäre die Ministerin an so vielen Stellen gefragt. Etwa beim im völlig aus dem Ruder gelaufenen internationalen FAIR-Großprojekt: Die seit 20 Jahren in Planung befindliche Beschleunigeranlage wird teurer und teurer, sie belastet den BMBF-Haushalt mit Milliarden, die anderswo fehlen. Stark-Watzinger hat die Misere von ihren Vorgängerinnen geerbt, aber wenn sie nicht handelt, wird es auch ihre Misere.

 

Ähnlich verhält es sich mit dem skandalbelasteten Fraunhofer-Präsidenten Reimund Neugebauer, der seinen Abschied zwar etwas vorgezogen hat, aber trotzdem immer noch bis September 2023 im Amt bleiben will. Kein offizielles Wort dazu von Stark-Watzinger.

 

Die 54-Jährige ist nicht einmal seit einem Jahr Ministerin, trotzdem stellt sich bereits die Frage: Kann, will sie noch die Kurve kriegen – konzeptionell, strategisch, vor allem aber in einer Entschlossenheit, dass Bildung und Forschung die Erträge ihrer Arbeit zu spüren bekommen?

 

Einen ersten Hinweis, dass da noch mehr kommen könnte, hat sie immerhin gerade gegeben. Der mit Spannung erwartete Entwurf der "Zukunftsstrategie Forschung und Innovation" liegt seit vergangener Woche vor, und er liest sich gut. Die Ziele sind konkret, sie sind mit Zahlen und Meilensteinen hinterlegt, und soziale Innovationen werden zu Recht auf eine Stufe gestellt mit technologischen. Erarbeitet im BMBF, geht das Papier jetzt in die Ressortabstimmung.

 

Die auf absehbare Zeit größte Chance, das Vertrauen in ihr Können und Wollen als Ministerin zu erneuern, hat Bettina Stark-Watzinger aber Ende dieser Woche, wenn sie mit den Ländern in der GWK unter anderem die Zukunft von Exzellenzstrategie, Nationaler Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) und Zukunftsvertrag beschließt. Der kräftige Aufschlag für die ExStra scheint gesetzt, doch in der NFDI sorgen sie sich um Abstriche an der dritten Förderrunde.

 

Für das Zukunftsvertrag-Plus hat der Haushaltsausschuss immerhin das Geld ab 2023 reserviert. Aber im Koalitionsvertrag stand die Erhöhung eben schon für 2022. Und angesichts der Rekordinflation brauchen die Hochschulen das Geld so dringend. Die Ministerin könnte also alle positiv überraschen, mehr herausholen – und so signalisieren: Ich will den Job. Und ich kann ihn.  

 

Dieser Beitrag erschien heute zuerst in meiner Kolumne "Wiarda will's wissen" im Tagesspiegel.


></body></html>

Kommentar schreiben

Kommentare: 0