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Am Scheideweg

Warum an den neuen Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu Lehramt und Lehrerberuf nicht alles schlecht ist – und welche Botschaft sie an die Bildungspolitik senden.

Schuluhr des Ernst-Barlach-Gymnasiums in Kiel. Foto: Christian Alexander Tietgen, CC BY-SA 3.0.

DIE ZAHLEN SIND NICHT GUT. 13,7 Prozent weniger Studienanfänger als im Vorjahr, die sich für ein Lehramtsfach eingeschrieben haben, meldete das Statistische Bundesamt für das Studienjahr 2021/22. Der Rückgang ist drastisch und lässt nicht nur zu einem kleineren Teil demographisch erklären, denn insgesamt sanken die Studienanfängerzahlen nur um 3,7 Prozent.

 

Die Zahlen sind aber nicht nur schlecht. Im Vergleich zum Studienjahr 2015/16, als bei den Lehramts-Erstsemestern zuletzt ein Rückgang verzeichnet wurde, lagen die Anfängerzahlen mit 32.300 immer noch um rund 7.000 Personen höher. Und der Anteil der Lehramtsstudierenden an allen Studierenden in Deutschland erhöhte sich zwischen 2015/16 und 2021/22 von 8,5 auf 9,0 Prozent. In absoluten Zahlen: knapp 31.000 mehr junge Menschen, die Lehrer werden wollten. 

 

Dass es am Ende nicht allein auf die Menge der Studienanfänger ankommt, sondern auch auf den Anteil derjenigen, die von den Universitäten erfolgreich zum Abschluss geführt werden, habe ich bereits Anfang der Woche aufgeschrieben. Und hier sind die wenigen bekannten Zahlen mit Schwundquoten von teilweise 50 Prozent erst so richtig alarmierend.

 

Die jungen Menschen hatten verstanden,
dass sie in den Schulen gebraucht werden

 

Dennoch kann man festhalten: Die Attraktivität des Lehrerberufs unter Abiturienten war in den Jahren bis zum Corona-Ausbruch stark gestiegen. Die jungen Menschen hatten verstanden, dass sie in den Schulen gebraucht werden und dass die Arbeit von Lehrkräften in der Gesellschaft geschätzt wird. Doch jetzt stellt sich die Frage, ob die schlechte Entwicklung 2021/22 nur einen Ausreißer darstellt, oder eine Trendwende dahintersteckt.

 

Meine Hoffnung ist, dass es sich wirklich um eine Pandemie-Delle handelt, weil Schule und Unterricht in der Coronazeit mit so vielen Negativ-Schlagzeilen konfrontiert wurden. Nur leider kann ich das positive Nach-Pandemie-Narrativ zur Schule noch nicht entdecken. In den meisten Debatten geht es – verständlicherweise – um die Lernlücken und die psychosozialen Folgen, mit denen die Schüler, ihre Familien und die Schulen zu kämpfen haben. Dazu viel Klein-Klein und viel zu wenig Ambitionen in der Bildungspolitik, weder konzeptionell noch finanziell. Das von der Ampel-Koalition geplante Startchancen-Programm könnte das Aufbruchssignal senden, aber wird es das – so, wie bisher darüber verhandelt wird?

 

Die frisch vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen geben noch in anderer Hinsicht zu denken. Dass sich die Lehrkräfte-Teilzeitquote im Schuljahr 2021/22 mit 40,6 Prozent auf dem höchsten Stand seit zehn Jahren befand und im Übrigen deutlich über dem Schnitt aller Wirtschaftsbereiche (29,9 Prozent), bestätigt die Einschätzung der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission (SWK), hier unbedingt ansetzen zu müssen, um die Folgen des Lehrermangels kurzfristig überhaupt eindämmen zu können.

 

Der Vergleich der Teilzeitquoten in den einzelnen Bundesländern gibt weitere Hinweise, wie hart der Kampf um die Unterrichtsversorgung wird – aber auch, wie er zu führen ist. In den ostdeutschen Bundesländern unterrichten im Schnitt nämlich deutlich mehr Pädagog*innen in Vollzeit (in Sachsen-Anhalt und Thüringen fast 80 Prozent, in Brandenburg über 70 Prozent), in Westdeutschland dagegen teilweise weniger als jede/r zweite. "Ein Grund hierfür ist, dass Lehrerinnen in den ostdeutschen Bundesländern seltener in Teilzeit arbeiteten als in den westdeutschen Bundesländern", erklärt das Statistische Bundesamt.

 

Im Osten schmeißen die
50-Jährigen die Schule

 

Weil die Betreuungssituation in den Kitas besser ist? Ganz bestimmt. Aber nicht nur. Auch die Altersstruktur dürfte eine wichtige Rolle spielen. In den ostdeutschen Bundesländern ist nicht nur die Teilzeitquote niedriger, dort unterrichten auch besonders wenig  junge Lehrkräfte und dafür besonders viele zwischen 50 und 60 – die aus dem Alter für eine familienbedingte Teilzeit zumeist raus sind, aber oft noch nicht aus Altersgründen reduziert haben. Konkret: In Mecklenburg sind es 38,5 Prozent, in Thüringen 39,9 Prozent, in Sachsen-Anhalt sogar 44,0 Prozent. 

 

Woraus folgt: Gerade in diesen Ländern dürften in den nächsten Jahren besonders viele Kollegen altersbedingt reduzieren, bevor sie ganz in Rente gehen. Und sie werden, soweit überhaupt Bewerber da sind, ersetzt durch junge Lehrkräfte mit einem – dann familienbedingt – höheren Teilzeitanteil.

 

Ob sich die ostdeutschen Kultusminister diese Effekte bereits genügend klargemacht haben? Auch hier plädierte die SWK in ihrem Gutachten für eine "Anpassung" der Reduktion der Unterrichtsverpflichtung aus Teilzeitgründen – aus, siehe oben, gutem Grund. In jedem Fall wäre es vor diesem Hintergrund schon eine Leistung der ostdeutschen Bildungspolitik, die dortigen Teilzeitquoten nur halbwegs halten zu können. Womit sich die Schüler etwa in Sachsen-Anhalt, wo der Lehrermangel schon jetzt besonders groß ist, kaum werden trösten können. 

 

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hat den Ländern in der Bild eine "Herkulesaufgabe" attestiert. Wichtig sei jetzt, den "Lehrerberuf attraktiver zu machen und ihm mehr Wertschätzung entgegenzubringen". Dabei gehe es um "einen modernen und möglichst digitalen Arbeitsort, Freiräume zur Unterrichtsgestaltung, Entlastung von Bürokratie und bessere Fortbildungsmöglichkeiten". 

 

Recht hat sie. Vor allem aber geht es, meine ich, um das ausstehende Signal der Politik, die Zukunft der jungen Menschen in den Bildungseinrichtungen zu priorisieren: konzeptionell, finanziell, durch eine engere Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern. In der Rheinischen Post sprach sich Stark-Watzinger zwar erneut mehr Mitsprache des Bundes in der Bildungspolitik aus. Aber ob dies dasselbe ist? Und ob die Kultusminister derlei öffentliche Forderungen als Entgegenkommen sehen? Stark-Watzinger versichert, es gehe nicht darum, den Ländern etwas wegzunehmen. "Aber es kann auch nicht sein, dass der Bund immer nur mehr Geld geben soll, ohne mitreden zu können."

 

Fest steht: Es braucht mehr Geld und mehr Miteinander. Die Bildungspolitik befindet sich an einem Scheideweg. Dass der Lehrerberuf unter jungen Leuten an Attraktivität gewinnen kann, haben die Jahre bis Corona gezeigt. Nur muss der erneute Umschwung jetzt gelingen, während gleichzeitig die Arbeitsbedingungen durch weniger Teilzeit & Co zwangsläufig unattraktiver werden. Ein Paradoxon, das Bund und Länder nur gemeinsam werden lösen können.


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Kommentare: 1
  • #1

    Dirk Zorn (Donnerstag, 16 Februar 2023 17:25)

    Der Vollständigkeit halber: Die vom Statistischen Bundesamt gerade veröffentlichte Teilzeitquote fällt deshalb deutlich niedriger aus als die von der SWK in der Adhoc-Stellungnahme berechnete, weil die stundenweise Beschäftigten vom Bundesamt korrekterweise nicht einbezogen wurden. Diese Gruppe von Beschäftigten kann in der Regel ihre Stunden nicht heraufsetzen, und schon gar nicht geht das gegen ihren Willen. Insofern ist die Quote der SWK an dieser Stelle zu hoch angesetzt.
    Außerdem trügt der Vergleich der Teilzeitquoten von Lehrkräften (auch ohne Berücksichtigung der stundenweise Beschäftigten) mit der Quote aller abhängig Beschäftigten, denn der Frauenanteil beider Gruppen unterscheidet sich erheblich. Ein direkter Vergleich der Teilzeitquoten beider Gruppen würde hingegen zeigen, dass die Teilzeitquote unter Lehrerinnen sogar leicht unter der aller abhängig beschäftigten Frauen liegt.