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Schwammig dem Zeitgeist hinterher

Was bedeutet das Verbot von Gendersprache, das Hessens neue Koalition verhängen will? Vermutlich ist das CDU und SPD selbst nicht klar.

CDU UND SPD hatten es in ihren Eckpunkten angekündigt, nun steht es so auch in ihrem neuen hessischen Koalitionsvertrag. "Wir werden festschreiben, dass in der öffentlichen Verwaltung sowie weiteren staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat für deutsche Rechtschreibung erfolgt." Und weiter: "Auf die Verwendung der sog. Gendersprache werden wir daher zukünftig landesweit verzichten."

"Verzicht" klingt harmloser als "Verbot", haben sich CDU und SPD offenbar gedacht. Läuft aber inhaltlich aufs dasselbe hinaus. Wobei völlig offen ist, wie die neue Landesregierung eine solche Anordnung durchsetzen will. Per staatlicher Kontrolle? In der Hoffnung, dass einer den anderen verpfeift?

Vollkommen schwammig ist außerdem, worauf sich die Ansage bezieht. Nur auf amtliche Dokumente, Elternbriefe, Bescheide und Derartiges? Oder auf jedes Arbeitsblatt in der Schule? Und wenn eine Lehrkraft da doch einmal ein Gendersternchen hineinschmuggelt, erhält sie eine Abmahnung? Und was ist mit dem öffentlichen Rundfunk? Wird auch in die redaktionelle Arbeit eingegriffen? Wie verträgt sich das mit der im Grundgesetz geschützten Pressefreiheit? Wo fängt sie an, wo hört sie auf? Noch drängender stellen sich diese Fragen in den Universitäten: Ist nur die Verwaltung betroffen? Oder alles Geschriebene in Forschung und Lehre? Und wäre Letzteres nicht ein eklatanter Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit?

Man kann angesichts der komplett unscharfen Formulierungen im Koalitionsvertrag den Eindruck bekommen, dass die Koalitionspartner selbst nicht so genau wissen, was sie da beschlossen haben. Aber erstmal eine Welle machen wollten. So, wie Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder in seinem "Regierungsprogramm der Zukunft". Für Bayern steht fest, kündigte er Anfang Dezember an: "Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Wir werden das Gendern in Schulen und Verwaltungen sogar untersagen."

Söder war schlau genug, die explizite Erwähnung von Rundfunk und Universitäten zu unterlassen. Die Botschaft kommt auch so an – und passt zum Zeitgeist. Dass ein Bündnis unter anderem von Gleichstellungsbeauftragten, Gewerkschaften und Frauenvertretungen per Offenem Brief gegen die vermeintliche Verletzung von Allgemeinem Gleichbehandlungsgrundsatz und Inklusionsgedanken protestierte, wird der Regierungschef mit einem Schulterzucken quittieren.

Zurück nach Hessen. Immerhin haben CDU und SPD die allzu eigenartige Herleitung ihres Verbots aus den Eckpunkten weggelassen. "Wir bekennen uns zum Leitbild des mündigen Bürgers. Das bedeutet für uns: Anreize statt Verbote, Beteiligung statt Bevormundung", hieß es darin, gefolgt von der Ankündigung der Festschreibung des Verzichts aufs Gendern.

Weggelassen haben die neuen Koalitionspartner indes auch eine gewichtige Garantie ihrer Vorgängerregierung. Vier Prozent Steigerung der Grundfinanzierung ab dem Jahr 2021 hatten CDU und Grüne einst zugesagt – und umgesetzt. Geblieben ist davon im neuen Koalitionsvertrag die Ankündigung, die Finanzierung der Hochschulen ab 2025 "verlässlich und angemessen" zu steigern. Was wieder reichlich Interpretationsspielraum zulässt – und Unsicherheit. Aber damit bleiben sich CDU und SPD in Hessen dann ja treu.

Dieser Kommentar erschien zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.

Kommentare

#1 -

tutnichtszursache | Sa., 23.12.2023 - 10:07
Ich lese das Vorhaben so (ich mag mich irren), dass die neue hessische Regierung das Staatswesen auf korrekte Rechtschreibung verpflichten will. Das finde ich begrüßenswert.
Das Gendern mit Sonderzeichen ist nun einmal nicht rechtschreibkonform. Es gibt aber, worauf der Rechtschreibrat auch laufend hinweist, im Rahmen der geltenden Rechtschreibung genügend Möglichkeiten, zu gendern, wenn man möchte.
Ich würde auch davon ausgehen, dass die hess. Regierung keine Rückkehr zum generischen Maskulinum anstrebt, sondern auf nd-Formen, Doppelnennungen etc. verweisen wird, im Rahmen der Rechtschreibung.
Aber wir werden sehen.

#2 -

Pyrrhus | So., 24.12.2023 - 10:08
Wenn Unis (d.h., Geistes- und vor allem Sozialwissenschaften) und ÖRR einsam weiter gendern, während alle anderen es lassen, wäre das gefährlich für beide: Viele haben ohnehin schon den Eindruck, daß sich jene Kreise weit von den Belangen der breiten Öffentlichkeit entfernt haben.

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