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Der Wert der Distanz

Strategieberatung für eine Ministerin unter Druck? Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen und die Frage nach dem Selbstverständnis ihrer Chefs.

FÜHRENDE VERTRETER der deutschen Wissenschaft loggten sich zur vertraulichen Videokonferenz mit BMBF-Chefin Bettina Stark-Watzinger ein, um über die Vertrauenskrise angesichts der Fördergeldaffäre zu beraten, und kurz darauf konnte man den Inhalt des Spitzengesprächs fast wie ein Protokoll in der FAZ nachlesen. Man kann sich vorstellen, dass danach erstmal Aufregung herrschte in der sogenannten Allianz der Wissenschaftsorganisationen und jeder sich fragte, wer da so umfangreich Informationen an die Presse durchgestochen hatte, mit welcher Absicht und zu wessen Nutzen.

 

"Vorschläge für einen Weg aus der Defensive" hätten die Wissenschaftsvertreter der Ministerin gegeben, berichtet die FAZ. Zum Beispiel, dass Stark-Watzinger Ruhe bewahren solle, denn wie einer in der Runde gesagt haben soll: Das größte Risiko sei eine Vakanz des Ministeriums in den Haushaltsberatungen. Und, wie die FAZ weiter schreibt: Stark-Watzinger habe sich für die Bereitschaft der Wissenschaftsfunktionäre bedankt, ihr Namen für die Nachfolge der entlassenen Staatsekretärin Sabine Döring vorzuschlagen.

 

Table.Media hat sich bei einzelnen Gesprächsteilnehmern erkundigt und teilt mit, von diesen habe sich keiner zu dem Treffen äußern oder gar einzelne Ansagen bestätigen wollen. Immerhin ist im FAZ-Artikel auch von Widerspruch die Rede, von kritischen Nachfragen an die Ministerin.

 

Und doch: Sollte sich das Gespräch tatsächlich so oder ähnlich wie kolportiert zugetragen haben, wäre es gut, wenn einige der Teilnehmer einmal ihr Rollenverständnis und das der Allianz hinterfragten. Ist es wirklich ihre Aufgabe, Strategieberatung für eine Ministerin unter Druck zu betreiben? Und auch wenn der Staat im Technokratendeutsch als "Zuwendungsgeber" der Wissenschaft bezeichnet wird: Sollten ihre Vertreter nicht vielmehr größtes Interesse daran haben, schon in guten Zeiten ein demonstratives Maß an Distanz zur Regierung zu halten, um ihren Anspruch auf Autonomie und Unabhängigkeit zu untermauern? Wofür, wenn nicht für eine selbstbewusste, auf Transparenz pochende Wissenschaft soll die Allianz sonst stehen? Und gilt das nicht umso mehr zu einem Zeitpunkt, zu dem noch allzu viele Fragen offen sind zu Vorgängen im BMBF, die nach Grenzüberschreitungen zulasten der Wissenschaftsfreiheit aussehen? 

 

Starkes Statement
zu Boykottaufrufen

 

Gelegentlich kann der Club auch anders. Erfreulich stark etwa fiel der Widerspruch der Allianz gegen Forderungen nach einem Boykott israelischer Forschender und israelischer Wissenschaftseinrichtungen aus. "Solche Maßnahmen sind zudem kontraproduktiv, denn sie schwächen eine unabhängige Stimme der Vernunft in Israel", bekräftigten die Chefs der Wissenschaftsorganisationen in ihrer am 11. Juni veröffentlichten Stellungnahme.

 

Doch allzu oft macht die Allianz eher den Eindruck einer Beute- als einer Überzeugungsgemeinschaft. Beispiel Fraunhofer-Skandal: Noch als die Vorwürfe um die mutmaßliche Spesenverschwendung ihren Höhepunkt erreichten und dem Ansehen der Wissenschaft institutionenübergreifend schweren Schaden zufügten, konnte sich die Allianz zu keiner klaren gemeinsamen Haltung zusammenraffen – und schwieg öffentlich lieber. Im Unterschied übrigens zu Ministerin Stark-Watzinger, die spät, aber dann doch personelle Konsequenzen bei Fraunhofer forderte.

 

Zum Glück, will man sagen, sind die Einzelteile manchmal mehr als das Ganze. Gleich zu Beginn der Fördergeldaffäre etwa nannte HRK-Präsident Walter Rosenthal die Vorgänge im Ministerium "besorgniserregend für die Wissenschaftsfreiheit". Jetzt pocht er gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio auf direkte Gespräche zwischen Stark-Watzinger und den betroffenen Wissenschaftlern, die er laut FAZ schon in der Runde vorgeschlagen hatte und die, wie Rosenthal sagte, geplant seien. Das ist der Tenor, den man sich in dieser Situation auch von der Allianz insgesamt gewünscht hätte.

 

Dieser Kommentar erschien in leicht kürzerer Fassung zuerst in meinem kostenfreien Newsletter.



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Kommentare: 2
  • #1

    Aufklärer (Donnerstag, 27 Juni 2024 14:07)

    "Sollten ihre Vertreter nicht vielmehr größtes Interesse daran haben, schon in guten Zeiten ein demonstratives Maß an Distanz zur Regierung zu halten, um ihren Anspruch auf Autonomie und Unabhängigkeit zu untermauern?"

    Schön wär's! Die Realität sieht anders aus: Kumpanei zwischen BMBF und Wissenschaftsfunktionären ist an der Tagesordnung. Tiefpunkt war die Rückendeckung für Frau Schavan während ihrer Plagiatsaffäre.

  • #2

    Reisender (Donnerstag, 27 Juni 2024 17:32)

    Ein Staatssekretär aus den Reihen der Forschung könnte tatsächlich ein Loyalitäts- und Interessenproblem haben. Von daher scheint die Trennung zwischen Politik und Forschenden an dieser Stelle wichtig. Und verspieltes Vertrauen durch Appeasement wiederherstellen zu wollen ist absurd. Die Forschungspolitik braucht eine starke Stimme, genauso wie die Forschungsseite viele starke Stimmen hat.

    Sidenote: Ich hoffe Sie finden schnell mehr regelmäßige Unterstützer Ihres Blogs.