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Dorothee Bärs Bewährungsprobe

Statt gebündelter Zuständigkeiten drohen neue Doppelstrukturen: Der Konflikt um zentrale Förderprogramme bremst den versprochenen Aufbruch in der Innovationspolitik.
Metallisch schimmernde Puzzleteile, teils silbern, teils bunt, die sich dynamisch ineinander fügen.

Bild: PIRO / Pixabay.

DIE NEUE BUNDESREGIERUNG hatte sich viel vorgenommen. Mit der "Initiative Forschung & Anwendung" versprach der schwarz-rote Koalitionsvertrag einen strategischen Neuanfang: Innovationspolitik sollte künftig kohärenter, sichtbarer und stärker koordiniert werden. Das passte hervorragend zu dem Plan, die Zuständigkeiten für Forschung, Raumfahrt und Technologie in einem einzigen entsprechend umbenannten Ministerium zu bündeln. Fortschritt und Zukunft aus einem Guss.

Doch diese Hoffnung schwindet. Vieles spricht dafür, dass der dringend nötige innovationspolitische Aufbruch in der Realität ministerieller Beharrungskräfte zerrieben wird. Finanzstarke, bislang im BMWK angesiedelte Förderprogramme wie "ZIM" (Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand), "IGF" (Industrielle Gemeinschaftsforschung) oder Innovationskompetenz "INNO-KOM" sollen zwar eine von drei Säulen der im Koalitionsvertrag als Dachmarke bezeichneten "Initiative Forschung & Anwendung" bilden. Doch das jetzt als BMWE (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) firmierende Haus von Katherina Reiche (CDU), das bereits wie kein zweites Ressort Kompetenzen hergeben muss, wird sie Insidern zufolge trotzdem nicht an das für die beiden anderen Säulen zuständige BMFTR von Dorothee Bär (CSU) abtreten.

Die Bezeichnung "Dachmarke" bedeute ja gerade nicht, dass alle Zuständigkeiten in einem Ministerium konzentriert werden müssten, lautet das Argument.

Ressortdenken statt Reformwille

Durchaus plausibel – nur war das Verhältnis der beiden zuständigen Ministerien in der Vergangenheit so sehr von Rivalitäten und Konkurrenzdenken geprägt, dass abgestimmte Strategien zur Ausnahme wurden. Ob bei gemeinsam verantworteten Initiativen wie der Hightech-Strategie, der Industrieplattform "Industrie 4.0" oder beim Nebeneinander von Programmen wie "Clusters4Future" (BMBF) und "go-cluster" (BMWK): Die Mischung aus Kompetenzkonflikten, Förderwirrwarr und doppelten Strukturen verwirrte Unternehmen wie Forschungseinrichtungen gleichermaßen.

Entsprechend war man schon stolz in der Ampel, als es 2023 gelang, zumindest die noch junge Bundesagentur für Sprunginnovation (SPRIND) aus der ministeriellen Mehrfachzuständigkeit herauszuholen und dem damaligen BMBF allein zuzuordnen.

"Wenn sich die Koordination zwischen BMBF und BMWK ganz offensichtlich nicht in der bisherigen Struktur leisten lässt, dann müssen die Strukturen geändert werden", sagte Uwe Cantner, der Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI), im Interview zur Vorstellung des jüngsten EFI-Gutachtens. Das heiße: "Mindestens die Technologiereferate des BMWK sollten mit ins BMBF integriert werden." Mindestens.

Die Debatte um die Neuverteilung der ministeriellen Kompetenzen lief schon vor der Bundestagswahl auf Hochtouren. Und – anders als vor vier Jahren – diesmal mit einem starken politischen Momentum: Der Druck vor allem aus der CSU, das alte BMBF zu einem Forschungs- und Technologieministerium umzubauen, war stark.

Dass es wenig Sinn ergeben würde, bei dem dafür nötigen Umzug ins Forschungsministerium die bisherigen BMWK-Referate für Technologie und Innovation zu trennen, änderte nichts daran, dass früh die Abwehrreflexe im Wirtschaftsministerium und bei dessen Unterstützern aktiviert wurden. Parallel blühten die alten Ressentiments wieder auf – etwa, als aus dem Wirtschaftsministerium kolportiert wurde, es gebe ein zu "behördliches" Innovationsverständnis im Forschungsressort.

Ein Erlass, viele Fragezeichen

In den Koalitionsverhandlungen stellte sich das Thema dann als so heiß heraus, dass man die Lösung auf die Zeit danach vertagte. Doch auch der am 6. Mai von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) unterzeichnete Organisationserlass, der die Ressortzuständigkeiten in der neuen Bundesregierung regelt, sorgte nicht für eine klare Linie.

Im Gegenteil: Würde der Erlass wortwörtlich umgesetzt, käme es sogar zu einer weiteren Zersplitterung. Denn explizit legt er lediglich fest, dass neben der Raumfahrt nur die Zuständigkeiten für "Grundsatzfragen der nationalen und internationalen Innovations- und Technologiepolitik, der Entwicklung digitaler Technologien, für die Hightech-Agenda sowie für Gigafactories, SPRIND und Games" aus dem BWME ins BMFTR wechseln.

Was zu einer absurden Situation führen würde: Während das Grundsatzreferat für Innovationspolitik das Wirtschaftsministerium verlassen soll, bliebe etwa das in derselben Unterabteilung befindliche Referat "Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM); Innovationsprogramm für Geschäftsmodelle und Pionierlösungen (IGP)" dort zurück. Ausgerechnet.

"Die genannten Förderprogramme sind Teile der Mittelstands- und Innovationsförderung des BMWE", sagt Ministeriumssprecher Tim-Niklas Wentzel auf Anfrage. Ist das ministerieller Trotz – oder Ausdruck von Siegesgewissheit? Erst vergangene Woche nutzte Ministerin Reiche ihren Auftritt auf dem "Innovationstag Mittelstand", um die Freigabe von 272 Millionen Euro unter anderem für IGF, ZIM und INNO-KOM durch den Haushaltsausschuss zu verkünden – und heimste dafür Lob aus der Industrieforschungsszene ein.

Das BMFTR wiederum wirkt in der Sache wenig engagiert. Offiziell verweist es lediglich auf laufende Gespräche und erklärt: "Die Einzelheiten der Übertragung von Zuständigkeiten werden nun zeitnah zwischen den beteiligten Ministerien geregelt und dem Chef des Bundeskanzleramts mitgeteilt." Eine Formulierung fast wortgleich mit dem Organisationserlass, der dafür wiederum konkret den 1. August als Deadline setzt.

Zukunftspolitik in der Warteschleife

So aber, wie die Angelegenheit jetzt zu enden droht – mit einem fortgesetzten institutionellen Nebeneinander bei einer womöglich noch stärkeren Zersplitterung der Innovationspolitik – wäre der strategische Neuanfang, für den das BMFTR stehen soll, in Teilen mehr Kulisse als Realität: Ein Ministerium für Forschung und Technologie, das für Grundlagenforschung und ausgewählte Zukunftsthemen zuständig wäre – aber ohne Zugriff auf entscheidende Umsetzungsinstrumente.

Dass es bis August noch zu einer Kurskorrektur kommt, gilt derweil als immer unwahrscheinlicher. Zu deutlich sind die Signale aus dem BMWE, zu vage die Aussagen des BMFTR, zu leise die politische Intervention aus dem Kanzleramt.

"Wechselseitige Vorwürfe mangelnder Kompetenz helfen nicht weiter", mahnt Uwe Cantner. Wenn jedoch am Ende die Hürden des Umzugs zu hoch sein sollten, dann müssten beide Ministerien die "Initiative Forschung & Anwendung" als Dachmarke "gut abgestimmt zusammen bedienen". Was, siehe die Historie der Häuser, allerdings kaum mehr als eine fromme Hoffnung des EFI-Vorsitzenden sein dürfte.

Entscheidend sei, sagt Cantner, dass die Themen Wissenschaft, Forschung und Innovation in der politischen Priorität wieder nach oben kämen. Den Patienten "Deutschland" mit herkömmlichen Mitteln wie Steuersenkungen oder Energiepreisdeckel zu stabilisieren, sei vernünftig, "aber die Heilung beginnt erst, wenn jetzt schnell in Richtung Innovation, hin zur energischen Förderung von Schlüsseltechnologien und Transferformaten geschwenkt wird – mit einer großen Ansage!"

Und ganz sicher nicht mit interministeriellem Klein-Klein. Unterdessen kämpft Dorothee Bär in den Haushaltsverhandlungen gerade darum, ein Budget herauszuholen, das dem von ihr behaupteten Anspruch ihres neuen Zukunftsministeriums in Umfang und Zuwachs gerecht wird. Diesen Anspruch muss aber auch der Zuschnitt ihres Hauses widerspiegeln. Eine doppelte Bewährungsprobe für die neue Ministerin.

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