Schöne Titel, harter Test
Mit der "Hightech-Agenda Deutschland" und den "1000-Köpfe-plus" will Forschungsministerin Dorothee Bär durchstarten. Doch ob daraus echter Schub für Wissenschaft und Innovation entsteht, entscheidet sich an Umsetzung, Tempo und Mut zum Risiko. Ein Gastbeitrag von Dominik Fischer.
Dominik Fischer ist Wissenschaftsberater und Gründer von Fischer Strategy. Vorher arbeitete er als Wissenschaftsmanager für die Technische Universität München und am Laboratory for Molecular Infection Medicine Sweden (MIMS) der Umeå Universität. Foto: privat.
DIE BUNDESREGIERUNG UND DAS BMFTR von Forschungsministerin Dorothee Bär (CSU) starten mit hohen Ambitionen in die "Hightech-Agenda Deutschland" und das Programm "1000-Köpfe-plus". Doch bringen neue Namen auch neuen Schub in die nationale Wissenschaftspolitik? Die Chance besteht – wenn Routinen verlassen und auch bestehende Förderformate wirklich anders gedacht werden.
Programm 1000-Köpfe-plus
Das Programm setzt auf bewährte Formate von Deutscher Forschungsgemeinschaft (DFG), Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) und Deutschem Akademischen Austauschdienst (DAAD). Richtig so: Warum das Rad neu erfinden, wenn man auf Netzwerke dieser Schwergewichte zurückgreifen kann? Doppelstrukturen werden vermieden, die Umsetzung kann schnell starten. Aber: Bei Programmen dieser Tragweite entscheidet der Einstieg. Falsch aufgegleist, lässt sich später kaum korrigieren.
Wenn die AvH – wie im Wiarda-Blog berichtet – nicht kennzeichnet, welche Fellows Teil der neuen Initiative sind, ist das nachvollziehbar. Es soll keine Förderung erster und zweiter Klasse entstehen. Aus Sicht der neuen Initiative und ihres Finanzierers, des BMFTR, sollte jedoch eine systematische Impact-Messung der Zusatzmittel unverzichtbar sein.
Die Opposition kritisiert Finanzierung und Konzept, das gehört zum Geschäft. Doch wenn Ayşe Asar "mehr als nur schöne Programmtitel" fordert, trifft sie einen wunden Punkt. Wichtig wäre, die Einzelmaßnahmen strategisch und kommunikativ zu bündeln und sie unter dem Slogan "Global Minds Initiative" zu bewerben. In einem zweiten Schritt sollten daher zu den bewährten Angeboten neue Formate hinzukommen:
- Flexible Fellowship-Pools, ortsunabhängig und kurzfristig abrufbar. Sie würden Austausch zwischen Universitäten, Forschungseinrichtungen und Industrie erleichtern – ein agiles Instrument für Innovationsbedarf und Engpässe.
- Thematische Mini-Cluster nach dem Muster der ERC Synergy Grants. Unterschiedliche Expertisen würden an einem deutschen Standort für eine begrenzte Zeit zusammenkommen. So entstünde Forschung auf Zeit – und auf höchstem Niveau.
Außerdem braucht es verschiedene Strukturanpassungen. Weshalb insbesondere bei der Auswahl junger Talente das Potenzial stärker berücksichtigt werden sollte, habe ich hier ausgeführt. Für die Gewinnung etablierter Spitzenkräfte wiederum braucht es vor allem beschleunigte Verfahren. Bei Berufungsprozessen sollten "Leuchtturmberufungen", Verfahren ohne Ausschreibungen, als gleichberechtigtes Element etabliert werden. Auswahlverfahren erschließen neue Talentpools und weiten den Blick der Institution. Wenn eine international herausragende Persönlichkeit eine Einrichtung entscheidend voranbringen kann, muss sich das Verfahren nach der Person richten – nicht umgekehrt. Der Gedanke mag einigen Ministerien schwerfallen. Aber ohne mehr Geschwindigkeit wird Deutschland nur wenig Anziehungskraft entfalten können.
Und schließlich die Finanzierung: Schon die Aufstockung bestehender Formate stößt an Grenzen. Warum nicht Stiftungen in einen flexiblen Fellowship-Fonds einbinden? Unverzichtbar wäre wie erwähnt: ein Monitoring. Welche Köpfe holt "1000-Köpfe-plus" wirklich nach Deutschland?
Hightech-Agenda Deutschland
Sechs Schlüsselfelder, fünf strategische Forschungsfelder – die Architektur überzeugt. Das größte Defizit der deutschen Wissenschaft wird klar benannt: der Technologietransfer. Zu oft wird er bislang vom Ende her gedacht. Grundlagenforschung will verstehen, angewandte Forschung will gestalten. Souveränität entsteht nur, wenn Brücken zwischen beidem stärker genutzt werden.
Der Elsevier-Report "Germany as a Science Nation" zeigt die Bruchstellen: Viele Publikationen, wenige Patente – etwa in Quantentechnologie oder Hochleistungsrechnen. Ein Hinweis auf Barrieren zwischen akademischer Forschung und Verwertung.
Die Agenda könnte helfen, hier Kohärenz zu schaffen – und dabei die Dynamik der Exzellenzstrategie (ExStra) nutzen. In dem Wettbewerb spielen regionale Verbünde eine wachsende Rolle. Gleich fünf Allianzen treten an, um gemeinsam den Exzellenzstatus zu erringen. Daraus ließe sich noch mehr machen: nationale Strukturen nach dem "Hub-and-Spoke"-Prinzip. Regionale Impulszentren, die über Mobilitätsnetzwerke Talente und Projekte bundesweit weitertragen. Vorbilder gibt es: das European Molecular Biology Laboratory (EMBL) mit Hauptsitz in Heidelberg und mehreren Standorten sowie Partnerschaftsmodellen, oder das Alan Turing Institute, sowie – in Bezug auf nationale Forschungsinfrastruktur – das SciLifeLab. Deutschland könnte mit einer eigenen Variante seine föderale Zersplitterung produktiv wenden.
Ein "Fail-Safe"-Programm sollte Hochrisikoprojekte fördern, aber mit klaren Exit-Strategien. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND) konzentriert ihre Finanzierung auf Themen und Technologien, die das Potenzial haben, das Leben grundlegend zu verändern. Der Fokus dieser neuen Maßnahme könnte früher ansetzen und stärker darauf liegen, Neugier und unkonventionelle Ideen zu unterstützen, deren Nutzen (noch) nicht absehbar ist. Zum Beispiel CRISPR-Cas9 – die Genschere (Nobelpreis für Chemie 2020): Ursprünglich Grundlagenforschung zur bakteriellen Immunabwehr, entwickelte sie sich später zu einem bahnbrechenden Werkzeug für Genom-Editing und biomedizinische Anwendungen.
Und darüber hinaus?
Anders als beim Programm "1000-Köpfe-plus" sieht die Hightech-Agenda vor, dass die benannten Technologiefelder durch systematische Roadmap-Prozesse umgesetzt und ihre Wirksamkeit durch entsprechendes Monitoring überprüft werden. Zwei Punkte sind dabei entscheidend:
- Haltung und Erlebbarkeit
Die Risikoaversion in Deutschland ist bekannt. Eine stärkere Annäherung von Politik, Wissenschaft und Gesellschaft in der Formulierung und Verständigung über die Ziele ambitionierter Forschungs- und Technologiepolitik erscheint daher unverzichtbar. Hier können einzig Geistes- und Sozialwissenschaften sichtbar machen, wie technologische Innovationen Gesellschaften verändern. Dazu benötigt es aber noch deutlich mehr Initiativen wie den Exzellenzcluster „TransforM“, um die gesellschaftliche Rückkopplung technologischer Innovationen besser zu verstehen.
Zugleich braucht es mehr Erlebbarkeit, denn neue Technologien erschließen sich oft nicht durch unmittelbaren Nutzen. Beispiele sind die Luft- und Raumfahrt oder der Hyperloop, bei dem noch unklar ist, ob wir tatsächlich in einer Vakuumröhre reisen werden. Eine nationale Hyperloop-Referenzstrecke könnte neben der Testumgebung um Mixed-Reality-Kapseln ergänzt werden, in denen die Fahrt parallel in VR simuliert und für die Öffentlichkeit erlebbar gemacht wird.
- Kontinuität und Verbindlichkeit
Was ist eigentlich aus dem "Deutschen Zentrum Mobilität der Zukunft (ZDM)“ geworden? Zunächst in München eröffnet, wurde es von der übernehmenden Ampel-Regierung mit dem Hinweis auf eine "bundesweite Neuaufstellung" de facto wieder einkassiert. Das ZDM war dem Verkehrsministerium zugeordnet, und dennoch sollten diese Entwicklungen nicht in Vergessenheit geraten. Regierungswechsel bringen zwangsläufig Neuausrichtungen mit sich, was in einer Demokratie auch wichtig ist. Doch solche Brüche zerstören Vertrauen und Investitionen. Europa zeigt Alternativen: Catapult Centres in Großbritannien, stiftungsfinanzierte Programme in Schweden. Deutschland braucht eine überparteiliche Grundlinie, die über Legislaturperioden trägt, damit langfristige Forschungsinvestitionen ihre Wirkung entfalten können.
Wahrer Fortschritt entsteht, wenn strategische Weitsicht, Mut zum Risiko, Tempo in den Verfahren und verlässliche Planung zusammenkommen. Das wäre auch für die Wissenschaftspolitik der Kurs, um unser Land sichtbar voranzubringen.
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