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Gefragt, gefördert – aber zu wenig genutzt

Wissenschaftliche Erkenntnisse finden selten den Weg in politische Entscheidungen. Warum das so ist, was sich ändern muss und warum der Transfer zwischen Forschung und Politik Vermittler braucht. Ein Gastbeitrag von Grit Würmseer und Björn Möller.
Collage aus den beiden Portraitfotos von Bjoern Moeller und Grit Wuermseer vor einem Buecherregal.

Grit Würmseer ist geschäftsführende Vorständin am HIS-Institut für Hochschulentwicklung in Hannover, Björn Möller stellvertretender Geschäftsbereichsleiter und wissenschaftlicher Mitarbeiter. Weitere Informationen zum Projekt und das gesamte Projektteam finden Sie hier. Fotos: T&T Fotografie.

DER GESELLSCHAFTLICHE ANSPRUCH an Politik nach evidenzorientierten Entscheidungen setzt eben diese Evidenz voraus. Man sollte annehmen, dass die Hochschul- und Wissenschaftspolitik für ihr Handeln besonders häufig auf Erkenntnisse, Daten und Analysen zurückgreift, die in Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen gewonnen werden. Aber ist das tatsächlich so? Wie funktioniert er, der Wissenstransfer zwischen der Wissenschafts- und Hochschulforschung (kurz: WiHo) und den Landeswissenschaftsministerien? Diese Fragen standen im Mittelpunkt unseres BMFTR-geförderten Verbundprojekts mit dem Akronym „WiHoWiT“. Der Verbund besteht aus der TU Dortmund und dem HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE), das Herausfordernde war die notwendige Doppelrolle der Projektbeteiligten zwischen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Hochschulforschung und der eigenen Funktion im Feld.

Grenzen der Wissenschaftskommunikation

Die erste Einsicht: Trotz der vermeintlichen Nähe sind auch wir auf die üblichen Hürden zwischen Wissenschaft und Praxis gestoßen. Der WiHo-Forschung geht es in erster Linie um Erkenntnis. Die Forschenden erlangen in ihrem Feld Reputation über die gängigen Publikations- und Diskursformate. Der Transfer in die Praxis ist zwar zunehmend gefordert, vor allem von der Wissenschaftspolitik, wird aber in den Scientific Communities kaum belohnt.

Im Gegenteil: Eine zu große Nähe zu politischen Akteuren wird schnell kritisch beäugt. Versucht sich da jemand einen Vorteil im Drittmittel-Wettbewerb zu verschaffen? Lassen sich Forschende zu stark von politischen Akteuren beeinflussen? Die Hochschul- und Wissenschaftspolitik ist zugleich Gegenstand und Finanzier der WiHo-Forschung, was beide Seiten – aus gutem Grund – Distanz wahren lässt. Die Ratschläge zur Verbesserung des Transfers betonen wahlweise die Bringschuld der Forschenden – Ergebnisse sollen für die Praxis besser aufbereitet und auf verschiedenen Kanälen kommuniziert werden – oder die Holschuld der Ministerialbeschäftigen. Die Ergebnisse seien doch alle publiziert, lautet dann eine gängige Argumentation. Es brauche nur mehr Zeit, dann würden sie die Ministerien schon erreichen.

Also alles nur eine Frage der Wissenschaftskommunikation und der organisationalen Bedingungen für die Rezeption? Mitnichten, denn jede noch so gute Kommunikation wird nichts daran ändern, dass Wissenschaft und Politik zwei getrennte Systeme sind, die nach ihren jeweiligen Logiken funktionieren.

Das Interesse an Evidenz ist enorm hoch

Deshalb bleibt der Transfer aus der WiHo-Forschung in die Ministerien bzw. die Politik ein schwieriges Unterfangen. Gleichzeitig – und das wurde in unseren Interviews in allen Landeswissenschaftsministerien deutlich – besteht bei Ministerialbeschäftigten ein hohes und sehr genau definierbares Interesse. Gewünscht sind

  • deskriptive Datenaufbereitungen,
  • konkretes Wissen zu spezifischen Fragestellungen und
  • ein laufendes Screening wissenschaftlicher Diskurse.
     

Die beiden erstgenannten Wissensbedürfnisse helfen, Ad-hoc-Anfragen aus Parlament oder Öffentlichkeit zu beantworten, bei Reden der Hausleitungen zuzuarbeiten, (partei-)politische Maßnahmen und Programme auszugestalten oder diese zu begründen und hinsichtlich ihrer (zu erwartenden) Wirkungen einschätzen zu können. Demgegenüber ist der dritte Wissensbedarf, das laufende Screening, zunächst nicht auf ein bestimmtes (Arbeits-)Ziel ausgerichtet. Es handelt sich um das kontinuierliche Beobachten politisch relevanter Diskurse, Entwicklungen und Argumente.

Empfehlungen für einen verbesserten Transfer

Unsere Forschung zeigt auch, dass es Stellschrauben gibt, um den Transfer zwischen Wissenschaft und Wissenschaftspolitik zu verbessern. Die erste besteht darin, die Ministerien für die Erkenntnisse der WiHo-Forschung aufnahmefähiger zu machen. Das gelingt, wenn von den Ministerien mehr Personal rekrutiert wird, das zuvor in Wissenschaft oder Hochschule gearbeitet hat. Diese Personen sind besonders offen für Forschungsdiskurse und verfügen über die Fähigkeiten, ihre Bedeutung und Relevanz für die Arbeit der Ministerien einzuschätzen.

Zugleich helfen intermediäre Akteure, die an der Schnittstelle zwischen Forschung und Politik agieren – und die Bereitschaft beider Seiten, sich der Unterstützung dieser Akteure beim Transfer zu bedienen. Es gibt diese Beratungsorganisationen oder -gremien, darunter finden sich Organisationen wie der Wissenschaftsrat mit seinen übergreifenden Analysen und Empfehlungen, das DZHW vor allem  mit seinen umfangreichen Datenbeständen und Analysen etwa zu Studierenden, aber auch HIS-HE, das CHE, das HoF Wittenberg oder auch als länderspezifische Einrichtung das IHF Bayern unter anderem mit dem Auftrag die Hochschulen und Ministerien  durch Wissenstransfer zu unterstützen. 

Diese von uns als Intermediäre bezeichneten Akteure arbeiten forschungs- und evidenzorientiert, sind aber in der Regel nicht vollumfänglich Teil des Wissenschaftssystems. Sie kennen einerseits die Logiken wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion und wissen andererseits, unter welchen rechtlichen, finanziellen und gesellschaftlichen Bedingungen Ministerien bei der Entscheidungsfindung operieren. Vier Funktionen intermediärer Akteure lassen sich hier unterscheiden:Sie übersetzen Wissen zwischen Forschung und Politik.

  • Sie kommunizieren wissenschaftliche Erkenntnisse und deren politische Implikationen.
  • Sie bieten Plattformen für die Vernetzung von Forschenden und Ministerialbeschäftigten.
  • Sie vermitteln in Fachfragen und verfügen über entsprechende Kontakte und Netzwerke.
     

Die Wissenschaftspolitik will die Erkenntnisse der WiHo-Forschung stärker nutzen. Das sagt sie nicht nur, sie zeigt es durch die umfangreiche Förderung ihrer Arbeit. Doch damit sie es auch erfolgreicher tut, muss die Transferförderung zielgerichteter und strategischer werden – um noch mehr und unterschiedliche Intermediäre und intermediäre Formate zu etablieren.

Kommentare

#1 -

Sigrun Nickel | Mi., 06.08.2025 - 12:05

Sehr interessante Ergebnisse, die sich mit denen aus unserem Forschungsprojekt zum Wissenstransfer zwischen Wissenschafts- und Hochschulforschung und dem Hochschulmanagement an vielen Stellen überschneiden. Die Analysen liegen mit deutlichen Befunden auf dem Tisch, nun gilt es zu handeln und konkrete Verbesserungen umzusetzen. Vor dem Hintergrund bin ich u.a. gespannt auf unseren gemeinsamen Workshop bei diesjährigen Tagung der Gesellschaft für Hochschulforschung (GfHf) in Heilbronn.

#3 -

Carola Jungwirth | Mi., 06.08.2025 - 14:23

Ein zentraler Beitrag, der einen oft unterschätzten Zielkonflikt sichtbar macht: Wissenschaftliche Unabhängigkeit einerseits – politisch relevante Anschlussfähigkeit andererseits. Die empirisch fundierte Differenzierung der Wissensbedarfe in den Ministerien ist besonders hilfreich. Aus eigener Erfahrung in Hochschulleitung und Wissenschaftspolitik kann ich bestätigen, wie wertvoll intermediäre Akteure sind – gerade, wenn sie nicht nur vermitteln, sondern auch kritische Reflexionsräume eröffnen. Ich bin gespannt auf die Diskussionen und Ergebnisse des GfHf-Workshops. Der Dialog zwischen WiHo-Forschung, Hochschulpraxis und Politik ist notwendiger denn je – und braucht Strukturen, die ihn dauerhaft tragen.

#4 -

René Krempkow | Do., 07.08.2025 - 12:40

Die Ergebnisse überschneiden sich an vielen Stellen auch mit denen aus einem weiteren Forschungsprojekt zur Nutzung von Daten und Evidenzen (u.a. aus der Wissenschafts- und Hochschulforschung) für die Hochschulentwicklung (siehe www.nudhe.dzhw.eu). 

Allerdings zeigen Ergebnisse des Projekts auch, dass Daten- und Evidenznutzung im Hochschulmanagement – jedenfalls bei stärkerer Einbeziehung von Stakeholder:innen bzw. potenziellen Nutzer:innen und somit stärker im Sinne von "Institutional Research" – deutlich häufiger erfolgen kann (als die Ergebnisse anderer Projekte mit Ergebnissen von stärker nicht in die Hochschule eingebundener Hochschulforschung bisher nahelegen). 

Erste Ergebnisse des NuDHe-Projektes erschienen u.a im aktuellen Heft der Zeitschrift "die hochschule" (bzw. www.researchgate.net/publication/388488047), aber auch in Publikationen für die Hochschulpraxis u.a. im DUZ Verlag. Weitere Ergebnisse wurden bereits in einer Good-Practice-Akademie mit dem Wissenschaftsmanagement diskutiert (https://nudhe.dzhw.eu/pdf/pub/Programm_NuDHe_GPA.pdf); und werden ebenfalls bei der diesjährigen Tagung der Gesellschaft für Hochschulforschung (GfHf) in Heilbronn vorgestellt (allerdings schon am ersten Tag, siehe Programm der GfHf 2025). 

Um so gespannter darf man evtl. auf die Vorträge und Diskussionen beim o.g. Symposium am zweiten Tag sein, wo dann die einschlägigen Ergebnisse in der Zusammenschau aufeinander bezogen werden können. ;) 

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